Szene 36

Es wird wärmer, vielleicht ein bisschen zu warm, aber ich bin noch nicht bereit, wieder reinzugehen. Noah hat angefangen, vom Musical zu reden, was ziemlich lustig ist – alleine das Wort »Intensivprobe« aus dem Mund eines A-Typen! »Intensiv, aber hallo. Ich meine, wie krass ist das denn? Mr D hat Brandie und Laura den ›Hey nonny nonny‹-Part achtunddreißig Mal hintereinander singen lassen, ich habe mitgezählt und –«

»Du meinst Lana?«

Noah sieht mich ungerührt an. »Na ja, ja und nein. Einerseits weiß ich natürlich, dass sie Lana heißt. Aber andererseits muss ich sie Laura nennen, weil sie ständig Nolan zu mir sagt.«

»Das scheint mir gerecht«, sage ich gähnend. Zu viel Sonne macht mich immer schläfrig. Einen Moment lang sagt keiner von uns etwas, aber es ist eine friedliche Stille. Livy sitzt immer noch auf der Schaukel, aber sie hat Noah überredet, ihr sein Handy zu geben, und spielt ein Spiel. Ryan und Brandie haben sich quasi nicht bewegt. Und tatsächlich fühlt es sich fast an wie ein Moment, den ich genießen kann. Fast, als könnte es mir egal sein, dass Anderson und Matt sich ohne mich verabreden. Als müsste es mir nichts ausmachen. Als könnte ich einfach aufhören, daran zu denken.

Nach ein paar Minuten kommen Ryan und Brandie zum Tisch herübergelaufen, und Brandie setzt sich neben mich. Plötzlich überkommt mich ein sonderbares Gefühl, wie eine Art Zukunftsnostalgie. Es ist einer dieser Momente, in denen ich spüren kann, wie sich eine Erinnerung formt, noch während ich sie erlebe. Brandie fühlt es offenbar auch, denn sie legt mir den Arm um die Taille. Ich tue es ihr gleich, und jetzt sitzen wir da, als posierten wir für ein Foto. Das Gefühl ist so weich, so sonnenwarm, es ist genau wie Brandie selbst. Sie ist einfach eine Art lebendes Beruhigungsmittel. Tatsächlich ist es irgendwie seltsam einfach, sich Brandie als Oma vorzustellen.

Noah gähnt und wendet sich an Ryan. »Du hast morgen diesen Termin, oder? Georgia State?«

»Kennesaw«, sagt Ryan. »Morgen früh um neun.«

»Igitt«, erwidert Noah.

Ryan hat echt die Arschkarte gezogen. Meine Eltern sind sich nicht in vielen Dingen einig, aber was das College angeht, sind beide total fanatisch. Was bedeutet, dass Ryan eigentlich jedes Wochenende irgendwelche Campus-Führungen und Informationsveranstaltungen besuchen muss. Ich glaube, langsam hat er echt die Nase voll. Seltsam eigentlich – was das College angeht, wirkt Ryan nie so enthusiastisch wie die meisten Seniors. Wenn ich ehrlich bin, begeistert mich die Idee, dass er wegzieht, auch nicht besonders. Sogar wenn er in der Nähe bleibt, wird sich alles ändern. Wie bei der Scheidung meiner Eltern. Dass Mom drei Meilen entfernt in ein neues Haus zieht, hätte schließlich auch niemand für eine weltbewegende Veränderung gehalten. Und das war es auch nicht.

Aber es waren eine Million winziger Veränderungen.

Wobei Raina ja sagt, sie und ihre Schwester stünden sich sogar näher, seit Corey weggezogen ist, um aufs College zu gehen, weil sie sich seitdem ständig Nachrichten schreiben. Allerdings ist Ryan ein lausiger Nachrichtenschreiber, vielleicht funktioniert das also bei uns nicht. Andy findet ja, ich sollte sein Zimmer annektieren, wenn er wegzieht, und einen Ankleideraum daraus machen.

Aber ich denke ja nicht an Andy. Oder Matt. Oder ihre Verabredung.

Natürlich vibriert gerade, als ich das denke, mein Handy in der Hosentasche. Zwei Mal.

Aber als ich es rausziehe, um nachzusehen, ist keine der Nachrichten von Anderson.

Sie sind beide von Matt.

Lust, morgen vorbeizukommen und Text zu üben?

Ich habe jedenfalls morgen den ganzen Tag nichts vor, also wenn du magst, schreib einfach!

»Okay, du siehst aus, als hättest du gerade im Lotto gewonnen«, sagt Noah, »aber gleichzeitig, als wäre dir total schlecht.«

»Genau so fühle ich mich auch.«

Noah hebt die Augenbrauen. »Das muss ja mal eine Nachricht sein.«