Szene 72

Noah kann wieder Auto fahren, und die Selfie-Nachricht aus seinem Auto, die er mir am Mittwochmorgen schickt (wiedervereint und es fühlt sich so gut an !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!), hat mehr Ausrufezeichen als Buchstaben.

Natürlich bin ich den ganzen Tag kurz davor zu platzen, weil ich mir ziemlich sicher bin, das bedeutet, dass er mich nach der Probe heimfährt. Und bei einer Autofahrt kann alles Mögliche passieren. Etwas, das mit Mündern zu tun hat.

Okay, aber nicht auf die sexuelle Art. Nur Münder auf Mündern. Nur Küssen.

Nicht dass Küssen jemals »nur« wäre.

Ich muss lernen, in deiner Nähe cool zu bleiben. Die ganze Zeit muss ich daran denken, wie Noah geschaut hat, als er das gesagt hat. Überhaupt an sein Gesicht. Und die Möglichkeit, dass sein Gesicht meines berührt.

Ich bin so abgelenkt, dass ich in allen meinen Kursen kaum zwei zusammenhängende Worte rausbekomme. Und bei der Probe ist es noch schlimmer. Am Ende des zweiten Aktes gehe ich quasi auf Wolken. Noah und ich können uns nicht mal anschauen, ohne zu grinsen. »Warum bist du so aufgeregt?«, fragt Raina mich in der Umkleide, und ich hebe nur die Hände, als hätte ich keine Ahnung. Sie kneift die Augen zusammen und mustert mich eine ganze Minute lang.

Immer wenn ich von der Bühne komme, schaue ich auf meinem Handy nach der Uhrzeit, oft mehr als einmal – auch wenn die Technikproben keinen festen Endpunkt haben. Trotzdem wünschte ich, die Zeit würde schneller vergehen. Zum Glück kenne ich dieses Musical so gut, dass ich es quasi automatisch durchspielen kann, denn mit den Gedanken bin ich heute im Auto von Noah Kaplan.

Schließlich ruft Ms Zhao uns alle auf die Bühne, um uns Anmerkungen zu geben, und die Anspannung ist fast unerträglich. Es ist, als müsste ich mich selbst umarmen, damit ich nicht explodiere.

Es ist fast so weit. Wir sind fast entlassen.

»Wir kommen zu Akt zwei, Szene neun«, sagt Ms Zhao. »Kurze Anmerkung. Dauntless, wenn du zu Winnifred gehst, machen wir es so, dass du direkt an der Königin vorbeiläufst.«

Andy nickt.

»Außerdem erinnere ich euch noch daran, dass morgen unsere offizielle Kostümprobe stattfindet, deshalb vergewissert euch bitte, dass die Einzelteile eures Kostüms alle beieinander und beschriftet sind – auch die Schuhe und dergleichen. Ich will nicht, dass bei irgendjemandem unter dem Gewand die Turnschuhe hervorschauen. Kapiert?«

Okay. Okay. Und jetzt.

»Ich glaube, das ist alles. Sehr gut, Leute.« Zhao will aufstehen – doch dann hält sie inne. »Ach, Moment. Noah.«

Nein. NEIN.

»Wenn du noch ein paar Minuten bleiben könntest, ich möchte ein paar von deinen Gebärden ändern. Wir sollten wirklich deine Hand zurück ins Spiel bringen.«

NEIN. NEIN. NEIN. Seufzend blase ich die Backen auf.

»Komm, Kate.« Andy zupft an meinem Flanellhemd. »Hör auf, Zhao mit Blicken zu erdolchen. Matt kann dich fahren.«

»Ihr braucht keinen Umweg zu fahren«, sage ich schwer. »Ich rufe einfach meinen Dad an.«

»Wir sind jetzt deine Väter«, sagt Matt.

Raina und Brandie brechen in Gelächter aus. Währenddessen schaut Anderson Matt nur an, mit großen Augen und diesem schiefen kleinen Lächeln. »Moment. Wissen sie etwa Bescheid?« Er zeigt erst zu Raina und dann zu Brandie. Matt grinst mit roten Wangen und nickt.

»Masel tov, ihr zwei.« Raina schiebt sich zwischen die beiden.

»Wann hat denn dieses große Gespräch stattgefunden?« Kopfschüttelnd lächelt er Matt an.

»Während deiner Vater-Sohn-Szene mit Noah«, sagt Raina. »Genau an der Stelle, an der es um ›boy flowers‹ und ›girl flowers‹ ging. Gutes Timing.«

»Oh, danke«, meint Matt.

»Kate, ich fahre dich«, sagt Brandie. »Ich fahre auch Raina, du liegst also auf dem Weg.«

Wir schlendern alle Richtung Parkplatz, und auch wenn meine Fahrt mit Noah ins Wasser gefallen ist, kann ich nicht anders, als mich diesem elektrischen Gefühl eines Herbstabends hinzugeben. Sogar die Sportler sind inzwischen heimgefahren, sodass es sich anfühlt, als würde uns die ganze Welt gehören. Nur wir Musical-Kids, die Besetzung und das Technikteam. Andy und Matt gehen nebeneinander her, ein bisschen näher beisammen als sonst, und Raina hat ihr Handy in der Hand und macht einen Videocall mit Harold. »Verurteilt mich nicht«, sagt sie zu Brandie und mir, mit einem so süßen, verlegenen Lächeln.

»Pärchen«, sage ich achselzuckend zu Brandie.

»Ja. Hast du mitbekommen, dass Pierra und Colin vorhin im Technikraum waren?«

»Schon wieder?«

»Sie sind unersättlich.«

»Kate! Warte.« Noah kommt aus der Seitentür der Aula gerannt, um Brandie und mich einzuholen. »Hey«, sagt er atemlos und hält sich eine Hand an die Stirn. »Ich kann dich fahren.«

»Oh, hey, schaut mal, wer sein Auto wiederhat«, sagt Anderson und kommt zu uns zurück.

»Dieser Kerl hier. Wieder im Geschäft.« Noah grinst und holt dann gierig Luft. »Egal, sorry, Leute. Ich muss euch eure Mitfahrerin klauen, heute ist nämlich Mittwoch, das heißt, sie ist bei ihrem Dad, was heißt, sie wohnt gegenüber von mir, und ich finde einfach, ich sollte –«

»Okay«, sage ich lächelnd.

Als ich mich wieder Noah zuwende, fummelt er am Reißverschluss seiner Kapuzenjacke herum. Aber seine Augen leuchten.

»Okay. Cool«, sagt er. »Machen wir das.«