/////// Um 08:20 Uhr war American Airlines Flight 77, eine gut zehn Jahre alte Boeing 757, vom außerhalb von Washington, D. C. gelegenen Dulles International Airport gestartet, mit dem Ziel Los Angeles. An Bord befanden sich sechs Besatzungsmitglieder, und mit achtundfünfzig Passagieren war der Flug gerade einmal zu einem Drittel ausgelastet. Der letzte reguläre Funkspruch aus dem Cockpit wurde um 08:51 Uhr abgesetzt und schon um 08:54 Uhr war die Maschine von ihrem geplanten Kurs abgewichen, hatte nach Süden gedreht und kehrte dann zurück Richtung Washington.
TED OLSON, Generalstaatsanwalt, US-Justizministerium: Eine der Sekretärinnen kam reingestürzt und rief: »Barbara ist am Apparat.« Ich sprang zum Telefon und freute mich, Barbaras Stimme zu hören. Dann erzählte sie mir: »Unser Flugzeug ist entführt worden.« Ich telefonierte zwei Mal mit ihr – mein Gedächtnis neigt dazu, die beiden Gespräche miteinander zu vermischen, weil die Sache so emotional war. Wir sprachen für ein oder zwei Minuten, dann wurde die Verbindung unterbrochen. Dann kam sie wieder durch und wir sprachen für weitere zwei oder drei oder vier Minuten. Sie sagte mir, dass man sie in den hinteren Teil des Flugzeugs getrieben hätte. Sie erwähnte, dass die Entführer Messer und Teppichmesser benutzt hätten, um das Flugzeug in ihre Gewalt zu bringen. Dann machten wir uns gegenseitig Mut – dieses Flugzeug war noch immer in der Luft, es flog immer noch. Die Sache würde gut ausgehen. Sie sagte: »Ich liebe dich.« Sie klang sehr, sehr gefasst.
DAN CREEDON, Fluglotse für Abflüge, TRACON, Reagan National Airport, Washington, D. C.: Wir hatten mit einigen großen Entscheidungen zu jonglieren. Die Lage war unübersichtlich und es hatte ein Hin und Her mit einigen Missverständnissen gegeben. Zudem dauerte es ziemlich lange, bis wir begriffen hatten, dass wir es mit einer weiteren Entführung zu tun hatten, denn, Herrgott noch mal, wir hatten ja bereits zwei.
TED OLSON: Ich stand unter Schock und war völlig entsetzt. Ich versicherte ihr, dass alles in Ordnung kommen würde. Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass nichts in Ordnung sein würde. Nach dem ersten Gespräch mit ihr hatte ich unsere Kommandozentrale im Justizministerium angerufen, um sie zu alarmieren, dass ein weiteres Flugzeug entführt worden war, dass meine Frau drin saß und dass sie in der Lage war, zu kommunizieren. Ich wollte herausfinden, wo sich das Flugzeug befand. Sie berichtete mir, dass sie Häuser sehen könne. Es war ein stetiges Hin und Her, im einen Moment drückten wir unsere Gefühle füreinander aus, im nächsten versuchten wir, Informationen auszutauschen. Dann war die Leitung tot.
BEN SLINEY, Nationaler Einsatzleiter, Leitstelle der FAA, Herndon, Virginia: Die Situation hatte es noch nie gegeben, dass die Entführer selbst das Flugzeug steuerten. Das stellte uns an jenem Tag vor das größte Rätsel an der ganzen Sache: Es war paradox, wie konnte ein Entführer den Piloten dazu zwingen, entweder mit vorgehaltener Pistole oder einem Messer am Hals – wie konnte er sie zwingen, in das Gebäude reinzufliegen?
MAJ. GEN. LARRY ARNOLD, Kommandeur der 1st Air Force, NORAD, Tyndall Air Force Base, Florida: Unsere Kampfjets näherten sich Washington, D. C., als American 77 wieder auf dem Radarschirm auftauchte. Ich glaube, die Aufzeichnung zeigt, dass das etwa drei Minuten vor dem Einschlag ins Pentagon war.
DAN CREEDON: Ich werde das nie vergessen. Da war ein Truppentransporter der Nationalgarde, der von der Luftwaffenbasis Andrews gestartet war. Gofer Null-Sechs war sein Rufzeichen. Er flog von Andrews kommend eine Linkskurve und bewegte sich direkt über den Washington National Airport, südöstlich des Pentagon. In dem Moment wurde American 77 von dem für den Landeanflug in Dulles zuständigen Lotsen erfasst. Ich sagte zu dem Typen, der für die C-130 aus Andrews zuständig war: »Hey, du solltest den da besser vor entgegenkommendem Verkehr warnen, denn die beiden fliegen direkt aufeinander zu.« Er gab durch: »Achtung Gegenverkehr. Auf elf Uhr, vier Meilen, könnt ihr da draußen jemanden sehen?
LT. COL. STEVEN O'BRIEN, Pilot, C-130, bekannt als »Gofer Null-Sechs«, Minnesota Air National Guard: Ich bemerkte eine Maschine auf etwa zehn Uhr, höher als wir. Ich konnte erkennen, dass sie im Sinkflug war. Sie machte vor unseren Augen eine ziemliche Steilkurve abwärts.
DAN CREEDON: Der Pilot meldete sich sofort zurück und sagte: »Ja, Sir, eine American sieben-fünf-sieben, dreht Richtung Südosten.« Das werde ich nie vergessen – ich so: »Was?« Vielleicht war ich an dem Tag der langsamste Typ auf der ganzen Welt. Aber ich begriff wirklich nicht, dass das ein entführtes Flugzeug war, bis es ins Pentagon einschlug.
LT. COL. KEVIN NASYPANY, Einsatzmannschaftsleiter, NEADS, Rome, New York: Ich erhielt einen Bericht, dass der Reagan Tower meinte, ein Flugzeug würde sich nähern und sei etwa sechs Meilen entfernt. Ich sah auf den Schirm und der Luftraum in der Gegend um D. C. sah ganz ähnlich aus wie der um New York oder Boston – jede Menge Flugzeuge in der Luft.
TED OLSON: Ich rief einige Leute an, vielleicht weil ich die Angst, die mich gepackt hatte, mit jemandem teilen wollte. Ich telefonierte mit meiner Mutter und mit meinem Sohn.
DANIELLE O'BRIEN, Fluglotsin, Washington Dulles International Airport, Virginia: Ich bemerkte die Maschine. Es war ein unbekanntes Flugzeug im Südwesten von Dulles, dass sich mit sehr hoher Geschwindigkeit bewegte. Das Tempo, die Manövrierfähigkeit, die Art und Weise, wie der den Kurs änderte – alle im Kontrollraum dachten – und wir waren alle erfahrene Fluglotsen –, wir alle dachten, das sei ein Militärflugzeug. So fliegt man keine 757. Das ist viel zu unsicher und gefährlich.
LT. COL. STEVEN O'BRIEN: Sie erbaten, dass wir dem Flugzeug folgen sollten. Ich glaube nicht, dass sie »verfolgen« sagten, sondern »meint ihr, dass ihr umdrehen und diesem Flugzeug folgen könntet?« Das war seltsam. Eine derartige Anfrage hatte ich in meiner gesamten Flugkarriere noch nicht erlebt. Es war wirklich seltsam, aber ich antwortete dennoch ganz nüchtern: »Klar, wir können dem Flugzeug folgen.« Das erwies sich allerdings als wirklich aussichtslos, denn dieses Flugzeug war einfach schneller als wir. Immerhin konnten wir das Glitzern der Sonne an seinen Flügelspitzen erkennen.
TED OLSON: Mir graute vor der Einsicht, dass das, was den Flugzeugen in New York passiert war, auch mit ihrem Flugzeug passieren würde.
LT. COL. DAWNE DESKINS, Einsatzmannschaftsleiter, NEADS, Rome, New York: Ich hatte den Suchbereich des Radars auf die Gegend um D. C. eingestellt und auf meinem Schirm blinkten Echosignale, sogenannte Blips, von dieser Maschine auf. Sie schien einen Bogen um D. C. herum zu schlagen. Es kamen wohl sechs oder sieben Echozeichen rein, bevor das Signal schwächer wurde, und dann war es verschwunden. Ich bekam ein dumpfes Gefühl in der Magengrube.
DANIELLE O'BRIEN: Wir warteten und warteten. Das Herz schlug einem bis zum Hals, während wir darauf warteten, zu erfahren, was passiert war.
ROBERT HUNOR, Mitarbeiter beim Armeedienstleister Radian Inc., Innenhof des Pentagon: Da sich der National Airport direkt neben dem Pentagon befindet, sind über einem immer viele Flugzeuge unterwegs. Als wir nach draußen gingen, war es totenstill. Das weiß ich noch. Wir unterhielten uns und ich sagte ungefähr: »Sie müssen den Flughafen dichtgemacht haben.« Plötzlich hörte ich ein schwaches Geräusch – wie ein Triebwerk, das hochgefahren wird. Man konnte hören, wie das Flugzeug auf volle Schubkraft schaltete. Ich hatte gerade angefangen zu sagen: »Ich dachte, sie hätten den Flughafen geschlossen«, und dann schlug das Flugzeug ein.
MIKE WALTER, Chefkorrespondent, USA Today Live: Ich steckte im Stau [in der Nähe des Pentagon]. Ich kurbelte die Fensterscheibe runter. In dem Moment hörte ich den Düsenjet. Ich blickte nach oben und sah den Unterbauch der Maschine, dann drehte sie bei und ging in den Sturzflug. Es war einfach unglaublich.
CRAIG BRYAN, Maschinenbautechniker, Pentagon Navy-Anbau: Noch heute höre ich die Düsentriebwerke. Die Drosselklappen waren weit geöffnet, die Motoren heulten auf.
LT. COL. KEVIN NASYPANY: Ich sehe einen Blip, zwei Blips, nur das Radar, Blip, Blip, Blip. Weg.
LT. COL. STEVEN O'BRIEN: Wir sahen diesen gewaltigen Feuerball. Ich erstattete Meldung an die Flugsicherung und sagte sinngemäß: »Das Flugzeug ist zu Boden gegangen. Es ist abgestürzt.«
DENNIS SMITH, Inspektor für Instandhaltung, Büro des Gebäudemanagers, Pentagon: Es gab einen riesigen, gigantischen Feuerball, rot und schwarz. Die Hitze traf uns wie bei einem Scheunenbrand. Dann begannen Teile vom Himmel herabzufliegen.
TED OLSON: Nach dem zweiten Telefonat verfolgten wir die Ereignisse weiter im Fernsehen. Nicht allzu lange danach konnten wir auf dem Bildschirm die Rauchwolke über dem Pentagon sehen. In meinem Herzen wusste ich, dass das ihr Flug war.
GARY WALTERS, Leiter des Hauspersonals, Weißes Haus: Ich vernahm einen lauten, dumpfen Aufprall. Ich blickte über die Baumkronen zu meiner Rechten in die Richtung des Pentagon und konnte dort die große, schwarze Rauchwolke erkennen, aus deren Mitte Flammen schlugen.
ROSEMARY DILLARD, Washington, D. C., Base Managerin, American Airlines, und Ehefrau von Eddie Dillard, Passagier auf Flight 77: Meine Verwaltungsmanagerin kam zu mir, packte mich und sagte: Rosemary, eins von denen war unsere Crew – das war Flight 77.« Ich drehte mich um und blickte sie an und antwortete: »Das kann nicht Flight 77 gewesen sein – ich hab Eddie auf Flight 77 gebucht. Es kann nicht Flight 77 sein.« Sie nannte die Namen der Besatzungsmitglieder. Ich kannte diese Leute, die Flugbegleiter. Ich ging rein und kontaktierte meinen Regionalmanager und meinen Vice President. Und dann rief ich noch einen Freund an, der in der Disposition arbeitete, um herauszufinden, um welches Flugzeug es sich handelte. Es war Flight 77.
LT. COL. STEVEN O'BRIEN: Wir waren ein Stück weitergeflogen – in dem Moment kam die Silhouette des Pentagon in unser Blickfeld. Dann wurde mir klar, dass es ins Pentagon gestürzt war. Und ich war mir sicher, dass kein Pilot jemals so etwas tun würde. Jetzt ging wirklich alles drunter und drüber.
DANIELLE O'BRIEN: Die Fluglotsen des Washington National Airport meldeten sich über unsere Lautsprecher und sagten: »Dulles, stoppt unseren gesamten eingehenden Flugverkehr. Das Pentagon wurde getroffen.«