/////// Als Donald Rumsfeld vom Einschlagort zum National Military Command Center (NMCC) im Pentagon zurückgekehrt war, versuchte die militärische Führung des Landes – die immer noch nicht wusste, ob die Anschläge vorüber waren, oder ob eine zweite Welle bevorstand –, zu verstehen, was bereits vorgefallen war, eine Reaktion zu planen und die nötigen Maßnahmen einzuleiten, um das Land abzusichern, während die Rettungs- und Löscharbeiten außerhalb ihres Kommandopostens fortdauerten. Die Entscheidungsträger in der militärischen Schaltzentrale wurden von unzulänglichen Kommunikationssystemen gelähmt und mussten im Laufe des Vormittags auch den Rauch fürchten, der von den weiterhin lodernden Feuern im beschädigten Teil des Gebäudes ausging.
WILLIAM HAYNES, Justitiar, Verteidigungsministerium: Die Kommunikationsmittel waren bescheiden. Wir hatten [im NMCC] nicht die Möglichkeit zur abgesicherten Videotelefonie wie oben im Gebäude. Der Verteidigungsminister telefonierte an einem normalen Festnetztelefon mit dem Vizepräsidenten.
VICTORIA »TORIE« CLARKE, Sprecherin des Verteidigungsministeriums: Donald Rumsfeld telefonierte mit dem Weißen Haus. Condi Rice und der Vizepräsident waren dort, und bald sprach er auch mit [Direktor des CIA] George Tenet.
COL. MATTHEW KLIMOW, Chefassistent des Stellvertretenden Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff, Gen. Richard Myers, Pentagon: Um zehn Uhr vierzig vormittags hatten wir eine Konferenzschaltung mit Vizepräsident Cheney. Der Vizepräsident sagte: »Wie ich höre, haben wir ein Flugzeug abgeschossen.« Er meinte sicher Flight 93. Verteidigungsminister Rumsfeld warf General Myers einen Blick zu – alle waren verwirrt. Minister Rumsfeld sagte: »Das können wir nicht bestätigen.«
JOE WASSEL, Kommunikationsoffizier, Büro des Verteidigungsministers: Das Weiße Haus stellte von Air Force One aus eine Telefonverbindung mit Verteidigungsminister Rumsfeld her. Ich sagte: »Die Verbindung ist sehr schlecht, aber heute ist auch ein seltsamer Tag.« Normalerweise lasse ich den Verteidigungsminister nicht über so eine schlechte Verbindung sprechen, aber an dem Tag nahmen wir natürlich jede Verbindung, die wir kriegen konnten.
ADM. EDMUND GIAMBASTIANI, Leitender Militärischer Assistent, Büro des Verteidigungsministers: Bald darauf fiel im Gebäude die Klimaanlage aus.
DONALD RUMSFELD, Verteidigungsminister: Das Gebäude brannte und füllte sich mit Rauch. Man sah immer schlechter, die Augen schmerzten und der Hals kratzte.
WILLIAM HAYNES: So langsam kam eine Menge Rauch ins NMCC.
STEVEN CARTER, Stellvertretender Gebäudemanager, Pentagon: Wir bekamen Anrufe aus dem Büro des Verteidigungsministers und aus den Räumen des Joint Staff, auch mit dem NMCC sprachen wir regelmäßig über die Lage. Konnten wir die Räume halten oder würde es schlimmer werden? Breitete sich das Feuer in ihre Richtung aus und mussten wir womöglich das gesamte Pentagon räumen?
VICTORIA »TORIE« CLARKE: Verschiedene Leute – Larry Di Rita, der stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz, Steve, der Vizevorsitzenden der Joint Chiefs – sagten zu verschiedenen Zeitpunkten, dass sie den Verteidigungsminister aus dem Gebäude haben wollten. Meiner Erinnerung nach hat er sich nicht ausdrücklich geweigert, sondern einfach weitergearbeitet. Er schrieb sich andauernd Notizen auf seine gelben Zettel.
COL. MATTHEW KLIMOW: Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz fragte Minister Rumsfeld: »Wo wollen Sie mich haben? Soll ich zum PEOC gehen« – dem Presidential Emergency Operations Center im Weißen Haus – »oder ich gehe zu Site R.« Site R ist der streng geheime, atomwaffensichere Bunker tief unter der Erde außerhalb des Autobahnrings, aber noch in Helikopter-Reichweite. Verteidigungsminister Rumsfeld schickte ihn zu Site R, wo er unser Hauptquartier einrichten sollte.
DONALD RUMSFELD: Ich beschloss, so lange zu bleiben, wie ich konnte.
VICTORIA »TORIE« CLARKE: Der Verteidigungsminister wollte nicht gehen, aber die Leute, die mit den Vorgängen vertraut waren und die Notwendigkeit einer intakten Führung kannten, verlangten, dass sein Stellvertreter den Schauplatz verließ. Einer der Hauptgründe dafür, dass der Minister im Pentagon bleiben wollte, war sein Wissen über die Bedeutung der Kommunikationskanäle – mit dem Weißen Haus, dem CIA, FAA, dem Präsidenten – und hier funktionierten sie gut. Das war ihm sehr wichtig.
COL. MATTHEW KLIMOW: Helikopter trafen am Pentagon ein. Sie holten den stellvertretenden Verteidigungsminister Wolfowitz und Mary Turner ab sowie unseren Staff Sergeant, der das Büro von General Myers leitet, und sie flogen zusammen zu Site R.
DAN CREEDON, Departure Controller, TRACON, Reagan National Airport, Washington, D. C.: Diese Weltuntergangspläne zur Aufrechterhaltung der Regierung – verschiedene Elemente des Militärs und der FAA üben jeden Tag, wie sie die Entscheidungsträger aus Washington an einen sicheren, geheimen Ort bringen können. An dem Tag wurde all das in die Tat umgesetzt. Die Vorgänge waren über Jahre entwickelt und angepasst worden. Und nun kamen all die Helikopter und so weiter, um Leute abzuholen und an sichere Orte zu fliegen. Die Kampfflugzeuge waren bereits bewaffnet und in der Luft. Wir trauten niemandem. Dass wir nicht versehentlich einen unserer eigenen Evakuierungsflüge abgeschossen haben, ist das Verdienst der Leute von der D. C. Air National Guard, der F-16-Piloten und der diensthabenden Fluglotsen.
LAWRENCE DI RITA, Assistent von Verteidigungsminister Rumsfeld: Ich flog mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister zu Site R. Wir planten die Fortsetzung unserer Arbeit an einem anderen Ort. Ich bin mir nicht sicher, ob ich selbst dann überhaupt wusste, dass ein Flugzeug in unser Gebäude eingeschlagen war. Ich wusste nur, dass irgendetwas vorgefallen war.
COL. MATTHEW KLIMOW: Wir waren nur zu sechst im Raum. Verteidigungsminister Rumsfeld, General Myers, der Justitiar Bill Haynes, die Pressesprecherin des Ministers Torie Clarke, Vice Admiral Ed Giambastiani und ich. Ich saß in der Ecke und schrieb mit. Ich hatte fürchterliche Kopfschmerzen und konnte mich nicht konzentrieren. Ich rechnete damit, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Vice Admiral Giambastiani redete auf mich ein – immer und immer weiter – und ich dachte nur noch: Kann er nicht endlich mal die Klappe halten und mich in Ruhe lassen? Mir geht's nicht gut.
ADM. EDMUND GIAMBASTIANI: Ich komme vom U-Boot, also bin ich das Leben in beengten Verhältnissen gewöhnt. Dort wird die Luftzusammensetzung konstant überwacht.
COL. MATTHEW KLIMOW: Irgendwann hat mich der Admiral geschüttelt und gesagt: »Colonel, Colonel, Sie verstehen mich nicht – ich komme vom U-Boot. Ich weiß, was hier los ist. Wir haben keinen Sauerstoff mehr hier im Raum. Er füllt sich mit Kohlendioxid.« Ich sagte: »Okay, dann sollten wir umziehen. Ich habe schon versucht, das Navy Operations Center zu erreichen, dort meldet sich aber niemand. Aber das Army Operations Center ist noch in Betrieb.« Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass das Navy Operations Center ausgeschaltet worden war, keine Überlebenden. Er sagte: »Gehen Sie die Luftüberwachungsanlage finden und sehen Sie nach, wie schlecht die Luftqualität ist.«
Zu meiner Überraschung kommt nun Captain Donahue mit einem Captain des Arlington County Fire Department samt seinem Experten für Luftqualität um die Ecke. Der Experte sagte: »Okay, so sieht's aus: In manchen Fluren des Pentagon haben wir 88 Prozent Kohlendioxid. Das ist tödlich. Hier im äußeren Büro des NMCC haben Sie 33 Prozent Sauerstoff. Im SCIF [dem Videokonferenzraum] sind Sie bei 16 Prozent Sauerstoff, und bei 13 Prozent kann man nicht mehr überleben. Sie müssen raus.« Ich weiß noch, dass ich Minister Rumsfeld und General Myers unterbrach, als ich ihnen diese Informationen weitergab, woraufhin ein dramatisches Streitgespräch darüber stattfand, ob wir das Pentagon räumen sollten.
VICTORIA »TORIE« CLARKE: Rumsfeld sah auf und merkte, dass etwa fünfundsiebzig Leute in direkter Umgebung waren, und er sagte, dass sie alle gehen durften, wenn sie wollten. Myers sagte: »Sir, die Leute gehen nur, wenn Sie auch gehen. Die gehen mit Ihnen unter.« Ich machte mir Notizen, und an der Stelle schrieb ich an den Rand: »Oh, das könnte ernst werden.« Er wandte sich gleich wieder seiner Arbeit zu.
COL. MATTHEW KLIMOW: General Myers äußerte Sorgen über all die Soldaten, die noch im Pentagon arbeiteten, und deren Gesundheit. Er dachte wie ein Soldat. Verteidigungsminister Rumsfeld dachte strategischer. Er sagte: »Wir verlassen das Pentagon auf keinen Fall. Es ist das Symbol der militärischen Macht Amerikas. Wir können nicht gehen.«