/////// Gegen 11:45 vormittags Eastern Time landete Air Force One auf der Barksdale Air Force Base außerhalb von Shreveport, Louisiana, wo das Militär Stunden zuvor bei einem Manöver mit dem Codenamen VIGILANT ein Szenario aus dem Kalten Krieg durchgespielt hatte, in dem es um die Abwehr der Bedrohung durch russische Bomber mit Nuklearwaffen ging. Die B-52-Bomber der Barksdale Air Force Base waren am Morgen selbst mit Atombomben bestückt worden, um für den Einsatz im imaginären Krieg bereit zu sein. Stattdessen landete nun Air Force One mit einer neuen Art von Konflikt.
COL. MARK TILMAN, Pilot des Präsidenten, Air Force One: Beim Anflug auf Barksdale taucht auf einmal ein Flugzeug auf. Wir hatten Kampfjets bei uns. Ich weiß noch, dass unsere F-16-Piloten sich den Typen vorknöpften – Richtung, Reichweite, Höhe, Entfernung. Wir sahen die eine F-16 abdrehen, und der Pilot fragt: »Hey, wer entscheidet über den Abschuss?« Ich sage: »Sie selbst.« Das war ein großer Augenblick. Am Ende war es bloß ein Sprühflugzeug, irgendein Zivilpilot, der die Neuigkeiten noch nicht gehört hatte.
GORDON JOHNDROE, Stellvertretender Pressesprecher, Weißes Haus: Man kann eine blau-weiße 747 nicht verstecken, auf der groß »United States of America« steht. Die bekommt man bei Tageslicht nicht heimlich von A nach B. Wo geht das Lokalfernsehen hin, wenn es einen nationalen Notfall gibt? Zur örtlichen Militärbasis. Wir sehen uns also im Lokalfernsehen landen. Der Sprecher verkündet: »Wie es aussieht, landet hier gerade die Air Force One.« Die versammelte Presse schaut mich an, als wollte sie sagen: Darüber dürfen wir nicht berichten?
STAFF SGT. WILLIAM »BUZZ« BUZINSKI, Sicherheitsbeamter, Air Force One: Auf der Barksdale Base hatten sie eine Sicherheitsprüfung ihrer Nuklearwaffen. Sie hatten also schon Polizisten mit Splitterschutzwesten und M-16 vor Ort. Alle waren einsatzbereit. Sobald wir landeten, umstellten sie das Flugzeug.
BRIAN MONTGOMERY, Direktor Veranstaltungen und Vorausplanung, Weißes Haus: Als wir gelandet waren, gingen Mark Rosenker – Direktor des White House Military Office – und ich über die Hintertreppe von Bord. Vor uns steht ein Kerl, der aussieht wie General Buck Turgidson aus Dr. Strangelove – großer Kerl in Bomberjacke. Wie frisch vom Casting. Wir fragten: »Was brauchen Sie?« Er sagte: »Sehen Sie die Flugzeuge da? Jedes einzelne ist mit Atomwaffen beladen – sagen Sie mir, wo Sie die haben wollen.« Wir schauten rüber, und dort standen Reihen von B-52-Bombern Flügelspitze an Flügelspitze. »Okay, sagen Sie das lieber nicht dem Präsidenten«, scherzte ich.
CAPT. CINDY WRIGHT, Krankenschwester des Präsidenten, White House Medical Unit: Ich weiß noch, wie anders es war, als wir auf der Barksdale Air Force Base landeten. Wir stiegen aus dem Flugzeug und waren auf einmal im Krieg.
DAVE WILKINSON, diensthabender Agent, U. S. Secret Service: Meine größte Sorge waren die Humvees. Waren sie da? Als ich dann vier oder fünf Stück vorfahren sah, war ich erleichtert. Einer der anderen Agenten sprach das Problem an, dass die Air Force den Präsidenten fahren wollte – normalerweise macht das nur der Secret Service. Ich sagte: »Heute haben wir ganz andere Sorgen.«
COL. MARK TILLMAN: Wir ließen den Präsidenten durch die untere Treppe nach draußen, er soll möglichst nah am Boden sein, falls irgendwo ein Heckenschütze lauert.
ARI FLEISCHER, Pressesprecher, Weißes Haus: Normalerweise fliegen mehrere Leute voraus und richten die ganze Infrastruktur für den Präsidenten ein. In Barksdale wartete nichts als ein gepanzerter Humvee mit Platz für einen MG-Schützen auf ihn. Der Air-Force-Fahrer war aufgeregt und fuhr so schnell, wie er konnte.
ANDY CARD, Stabschef, Weißes Haus: Der Kerl fuhr verdammt schnell, und der Schwerpunkt eines Humvee liegt nicht so niedrig, wie man vielleicht meint. Der Präsident sagte: »Mach mal langsam, Junge, hier auf der Basis gibt es keine Terroristen! Du brauchst mich nicht totzufahren!«
COL. MARK TILLMAN: Ich ging das Rollfeld entlang, um zu schauen, wo wir das Flugzeug auftanken konnten. Wir konnten Treibstoff für vierzehn Stunden aufnehmen, und das hatte ich auch vor. Wie sich herausstellte, hatten wir zufällig an einem Schnelltankplatz für die Bomber geparkt. Ein Zivilist streitet sich mit unserer Crew: »Diese Treibstofftanks sind nur zum Einsatz im Kriegsfall freigegeben.« Ein Master Sergeant der Air Force hört das Gott sei Dank und brüllt: »Wir sind im Krieg!« Er zückt ein Messer und schneidet sofort den Verschluss auf. Die Szene war bezeichnend für den ganzen Tag.
LT. GEN. TOM KECK, Commander, Barksdale Air Force Base: Der Präsident war bereits gelandet, und ich war auf dem Weg zu ihm. Er steuerte auf das Konferenzzentrum zu. Ich salutierte zackig, und zuallererst sagte er zu mir: »Heute mache ich Ihren Standort wohl berühmt.« Er sagte, er brauche ein sicheres Telefon, um Gouverneur [George] Pataki [von New York] anzurufen, also brachte ich ihn in mein Büro. Als er anfing zu telefonieren, hielt er kurz inne: »Sagen Sie mir eben noch mal, wo ich bin.« »Östlich des Red River in Bossier City auf der Barksdale Air Force Base in der Nähe von Shreveport, Louisiana«, sagte ich.
BRIAN MONTGOMERY: Andy Card kam raus und sagte, wir hätten jetzt Gelegenheit, unsere Lieben anzurufen, dürften ihnen aber nicht sagen, wo wir sind.
REP. ADAM PUTNAM (Republikaner, Florida): Als wir auf der Barksdale Base ankamen – und man darf nicht vergessen, dass wir keinen guten Fernsehempfang gehabt hatten –, wurden wir alle sehr emotional, weil wir jetzt so langsam verstanden, was alle anderen schon zwei Stunden länger wussten. Ich rief meine Frau an und sagte: »Ich bin in Sicherheit. Aber ich darf dir nicht sagen, wo ich bin.« »Ach, ich dachte, ihr seid in Barksdale? Das kam gerade im Fernsehen«, sagte sie.
LT. GEN. TOM KECK: Andy Card und Karl Rove kamen mit ihm in mein Büro.
KARL ROVE, Senior Adviser, Weißes Haus: Es war das erste Mal, dass er ein volles Briefing bekam. Alle drei Anschläge waren vorbei, also kannten wir das Ausmaß des Schadens. Sein erster Instinkt war der, alle Entscheidungsträger der Regierung zusammenzubringen, aber sie hatten sich verstreut. Seitdem hat sich technologisch einiges getan. Damals war die einzige Möglichkeit, alle zusammenzubekommen, ein Weiterflug zur Offutt Air Force Base [außerhalb von Omaha, Nebraska], der nächstgelegenen Einrichtung mit der Infrastruktur für Videokonferenzen mit verschiedenen Standorten. Heutzutage wird der Präsident immer von einem Koffer von Halliburton begleitet, der einen Bildschirm eingebaut hat und nichts als eine Breitband-Verbindung benötigt. Das ist beeindruckend.
COL. MARK TILLMAN: Ich ging ins Lagezentrum des Standorts. Ich sagte, ich muss unseren Mann unter die Erde bringen. Wo wäre das möglich? Offutt war die beste Wahl.
LT. GEN. TOM KECK: Viele vergessen, wie unklar an dem Tag war, was überhaupt los war. Die ganze Zeit kamen Leute vom Nachrichtendienst rein. Einer sagte, ein Objekt steuere mit hoher Geschwindigkeit auf die Ranch des Präsidenten in Texas zu. Ich sah zu, wie er überlegte, wer gerade auf der Ranch war. Es stellte sich aber als falscher Alarm heraus.
MAJ. SCOTT »HOOTER« CROGG, F-16-Pilot, 111th Fighter Squadron, Houston: Ich dachte: Über dem Südirak bin ich schon Hunderte Stunden bewaffnete Luftraumüberwachung geflogen, doch jetzt liegt die Flugverbotszone in den Vereinigten Staaten. Es war wirklich seltsam. Niemand sonst war in der Luft.
ELLEN ECKERT, Stenographin, Weißes Haus: Sie brachten uns ins Offiziersheim, wo wir auf den Präsidenten warten sollten. Eigentlich war ich die einzige Raucherin in unserer Gruppe – das hatte ich wenigstens geglaubt. Während wir dort herumstehen, fragt mich auf einmal jeder nach einer Zigarette. »Halt, du rauchst doch gar nicht!« Alle waren unheimlich aufgeregt.
LT. GEN. TOM KECK: Alle waren mit ihren eigenen Sachen beschäftigt. Der Präsident ging die kurze Ansprache an die Bevölkerung durch, die er geben wollte. Er fragte in den Raum: »Ich habe hier zweimal ›Entschlossenheit‹ geschrieben – ist das okay?« Niemand antwortete ihm, also sagte ich: »Ich glaube schon, dass die Amerikaner das gerade hören wollen.«
BRIAN MONTGOMERY: Wir taten uns mit jemandem vom Standort zusammen und fanden schließlich einen Aufenthaltsraum oder so etwas in der Art, in dem allerlei Erinnerungsstücke an der Wand hingen. Gordon und ich arrangierten alles um – wir besorgten Flaggen und ein Podium. Wir wussten, dass es wichtig war. Alle wollten den Präsidenten sehen.
GORDON JOHNDROE: Barksdale war ein Riesendurcheinander. Völlig chaotisch. An die Ansprache des Präsidenten dort kann sich keiner mehr so recht erinnern. Die Beleuchtung war schlecht, der Raum auch, aber es war wichtig, dass er sich an die Nation wandte.
SONYA ROSS, Reporterin, AP: Ich diktierte meiner Kollegin Sandra Sobieraj in Washington einen kurzen Bericht, und danach ließ ich mein Telefon an, damit sie die kurze Ansprache des Präsidenten mithören konnte. Er sagte: »Unser Militär zu Hause und anderswo auf der Welt ist in hoher Alarmbereitschaft. Wir haben die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um den Fortbestand Ihrer Regierung zu sichern.« Er wiederholte, dass es sich um einen Terroranschlag handelte, und mahnte die Leute zur Besonnenheit.
ELLEN ECKERT: Ich hatte den Präsidenten noch nie so streng blicken sehen. Ich lag ihm zu Füßen. Wir wussten nicht, ob die Aufnahme [der Fernsehkamera] funktionierte, also lag ich dort und hielt mein Mikrofon hoch, falls sonst niemand seine Ansprache aufnahm.
ANDY CARD: Wir wollten nicht preisgeben, wo wir waren, bevor wir nicht wieder abgeflogen waren. Wir zeichneten die Ansprache auf, damit sie gesendet wurde, wenn wir wieder weg waren.
LT. GEN. TOM KECK: Nach der Pressekonferenz kam er wieder in mein Büro. Er setzte sich aufs Sofa und sah sich im Fernsehen an, wie die Türme einstürzten. Er wandte sich mir zu, weil ich eben da war, und sagte: »Ich weiß nicht, wer das war, aber wir kriegen es raus, und wir knöpfen sie uns vor, das gibt nicht bloß einen kleinen Denkzettel.« »Wir stehen hinter Ihnen«, sagte ich. Ich wusste, dass er jedes Wort ernst meinte.
ARI FLEISCHER: Andy Card beschloss, die Anzahl der Mitreisenden zusammenzustreichen. Wir wussten nicht, wo es hinging. Jeder, der nicht unmittelbar gebraucht wurde, musste zurückbleiben, darunter die Kongressabgeordneten, worüber sie gar nicht froh waren. Mehrere Mitarbeiter des Weißen Hauses mussten aussteigen. Andy fragte, ob wir auf drei Presseleute runtergehen könnten. Für mich war fünf das absolute Minimum.
REP. ADAM PUTNAM: Während wir an Bord warteten, fuhren Versorgungswagen vor und luden Lebensmittel aus – kistenweise Fleisch, Brote über Brote, Hunderte Liter Wasser. Uns wurde klar, dass sie das Flugzeug für mehrere Tage in der Luft ausrüsteten. Das verunsicherte uns wirklich.
GORDON JOHNDROE: Es war schwer, dem halben Pressepool zu sagen, dass sie nicht mitkommen würden. Die Reaktion dieser Leute war zur Hälfte beruflich: Wir verpassen die Story unseres Lebens, und zur anderen persönlich: Ihr lasst uns hier in Louisiana zurück, und der Luftraum ist gesperrt?
SONYA ROSS: Sie führten uns nach draußen zu einem blauen Schulbus. Gordon stieg mit ein. Er las vor, wer mitfliegen durfte: AP-Reporter, AP-Fotograf, Fernsehkamera, Fernsehton und Radio. Alle anderen mussten zurückbleiben, sagte er. Judy Keen, die Zeitungsreporterin von USA Today und Jay Carney vom Time Magazine fingen an zu schimpfen. Ich schnappte mir meine Sachen und lief los.
KARL ROVE: Auf der Rückfahrt sagte der Präsident mir in etwa: »Das ist eine Finte, das weiß ich – sie wollen mich von Washington fernhalten – diesmal spiele ich noch mit, wir fliegen nach Offutt, aber danach geht's nach Hause.«
LT. GEN. TOM KECK: Als der Präsident die Treppe hochstieg, sagte ich ihm: »Die Soldaten hier sind ausgebildet und bereit, jeden Ihrer Befehle auszuführen.« »Ich weiß«, erwiderte er. Wir salutierten. Er war nur eine Stunde und dreiundfünfzig Minuten am Boden geblieben.
ELLEN ECKERT: Ari sagte mir, dass ich nicht mitfliegen durfte. Die Presse war sauer, aber mir war es nur recht – ich dachte mir: Hier in Louisiana bin ich sicher. Die Triebwerke starteten – es war laut, wir standen nicht weit weg – und Gordon kam zur hinteren Treppe und brüllte: »Ellen, Ari sagt, du sollst einsteigen! Er hat es sich anders überlegt!« Ich wollte nicht. Dann dachte ich: Ich sollte mich was schämen. Alle anderen steigen ja auch ein. Ich war die Letzte an Bord.
SONYA ROSS: Wir hoben ab, und sie konnten uns nicht sagen, wie lange wir fortbleiben würden. Sie sagten, sie würden sich um Unterkünfte kümmern, wenn es ein, zwei Tage wurden. Ich sagte meinem Bureau Chief: »Ich weiß nicht, wo es hingeht, und auch nicht, wie lange wir weg sind.«