/////// Auch Stunden nach dem Ende der Anschläge glaubte das Team des Präsidenten nicht, dass die Sicherheitslage seine Rückkehr nach Washington erlaubte. Stattdessen flog man von der Barksdale Air Force Base in Louisiana zur Offutt Air Force Base bei Omaha, Nebraska. Während des Kalten Krieges hatte die Offutt Base die Nuklearstreitkräfte des Landes beherbergt, das Strategic Air Command, deshalb fand man dort die besten militärischen Kommunikationseinrichtungen außerhalb des Pentagon wie auch einen sicheren unterirdischen Bunker.
LT. GEN. TOM KECK, Kommandant, Barksdale Air Force Base: Als er abgehoben hatte, flankierten ihn sofort zwei F-16-Jäger. Da hatte ich den Eindruck, dass wir uns endlich berappelt hatten. Kurt Bedke, einer der anderen Offiziere, erzählte mir später, als wir den Flugzeugen hinterherschauten, hätte ich ihn gefragt: »Kommst du dir auch gerade vor wie in einem Roman von Tom Clancy?«
MAJ. SCOTT »HOOTER« CROGG, F-16-Pilot, 111th Fighter Squadron, Houston: Wir folgten Air Force One Richtung Norden. Ich ging davon aus, dass sie irgendwann nach Osten, Richtung Washington schwenken würden. Je weiter wir nach Norden flogen, desto klarer wurde mir, dass noch nicht alles im Reinen war. Sie glauben noch nicht, dass sie in Washington sicher sind. Ich forderte ein Tankflugzeug an, und als ich eingeklinkt war, ließ ich mir jeden Funkkanal zwischen hier und Kanada durchgeben.
ANN COMPTON, Reporterin, ABC News: In jeder Kabine der Air Force One hängen drei Digitaluhren – die LED-Ziffern geben die Zeit in Washington, am aktuellen Standort und am Zielort an. Gerade stand dort 13:36 Eastern Daylight Time, bis die Uhr für den Zielort auf Central Time umsprang, 12:36. Das war unsere einzige Bestätigung der erstaunlichen Tatsache, dass die Air Force One Richtung Westen flog, weg von Washington.
ANDY CARD, Stabschef, Weißes Haus: Es gab viele Tränen. Es gab viele stille Momente, in denen man den Fernseher anstarrte. Keine Gespräche. Dafür Gebete. Und die Angst. Es war nicht mal eine Achterbahn der Gefühle, weil wir einfach nur ganz unten waren. »Oh Gott, das ist schrecklich!« »Und das ist noch schlimmer!« »Und das noch viel schlimmer!« Und die ganze Zeit bekamen wir Notizen gereicht, nahmen Anrufe entgegen und erteilten Befehle.
MAJ. SCOTT »HOOTER« CROGG: Im Funk herrschte unheimliche Stille. Niemand war in der Luft. Nur wir Kampfpiloten sprachen miteinander. »Meinst du, wir fliegen nach Kanada?« Und mehrfach: »Mann, das Ganze ist doch krank.« Außerdem gehe ich mit den Jungs durch, was passiert, wenn wir jemanden abschießen müssen. Die Welt sieht zu, also müssen wir Disziplin zeigen und alles tun, um den Präsidenten zu beschützen. Er wäre natürlich ein begehrtes Ziel, andererseits ahnt ja keiner, dass Air Force One gerade in Richtung Norden über Kansas fliegt.
ARI FLEISCHER, Pressesprecher, Weißes Haus: Es gab keinen zuverlässigen Fernsehempfang. Da sah es bei uns an Bord ganz anders aus als bei den meisten anderen Amerikanern an dem Tag. Rund um die Welt saßen die Leute vor dem Fernseher. An Bord von Air Force One gab es nur ab und zu Empfang. Beim Kommandanten der Barksdale Base im Büro hatten wir schauen können. Auch E-Mail gab es damals an Bord noch nicht. Wenn man in der Luft war, war man von der Außenwelt abgeschnitten.
ERIC DRAPER, Fotograf des Präsidenten: Alle hungerten nach Informationen. Wir hörten nichts, wenn wir nicht gerade über eine größere Stadt flogen.
ELLEN ECKERT, Stenographin, Weißes Haus: An Bord ist es wie im Gruselfilm. Es ist kaum noch jemand da. Die Personalkabine ist leer, die Gästekabine ist leer. Ich verlor die Fassung. Ich sah einen der Agenten im Flur und ging zu ihm: »Hier sind wir also am sichersten? Hier an Bord der Air Force One?« Er sagte: »Wir könnten ebenso gut ein großes rotes X unten auf dem Flugzeug haben. Wir sind das einzige Flugzeug am Himmel.« Das machte mir Angst. Ich ging ins Bad und schrieb auf einem der Air-Force-One-Notizblöcke einen Brief an meine Familie – sechs Geschwister und meine Eltern. Das lesen sie nie, der Zettel verbrennt in einem riesigen Feuerball. Eine der Flugbegleiterinnen öffnete die Tür, beruhigte mich und gab mir einen Lappen für das Gesicht. »Wir schaffen das. Wir ziehen hier alle an einem Strang.«
MAJ. SCOTT »HOOTER« CROGG: Fünfzehn Minuten nach dem Auftanken sahen wir die Air Force One in den Sinkflug gehen. Ich überschlug kurz und folgerte, dass sie wohl zur Offutt Base wollten. Bloß hatten wir jetzt den Tank voll Treibstoff. So kann man mit einem kleinen Jet nicht landen, also flogen wir Kreise mit Afterburner, um genug Treibstoff zu verbrennen, dass wir landen konnten.
MIKE MORELL, Berichterstatter des Präsidenten, CIA: Auf dem Flug von Barksdale nach Offutt bat der Präsident mich allein herein – nur er, ich und Andy Card waren anwesend. Er fragte mich: »Michael, wer war das?« Ich erklärte, dass ich keine handfesten Informationen dazu vorliegen hatte, ihm also nur meine allgemeine Einschätzung geben konnte. Er war konzentriert und erwiderte: »Ich weiß, legen Sie los.« Ich erklärte, dass es für mich zwei Länder gebe, die zu solchen Anschlägen imstande seien, nämlich Iran und Irak. Dass ich aber glaubte, dass diese beiden in der Sache alles zu verlieren und nichts zu gewinnen hätten. Am Ende führe die Spur aber zweifellos zu Osama bin Laden. »Darauf wette ich die Zukunft meiner Kinder«, sagte ich.