»Ich habe den ganzen Abend geweint«


Der Abend des 11. September

/////// Familien überall im Land versuchten zu verstehen, was die Anschläge für ihre Lieben bedeuteten, während die unmittelbar Betroffenen sich auf dem Heimweg verstreuten – oft ohne zu wissen, inwieweit ihre Familien von den Ereignissen berührt worden waren.

CHARLES CHRISTOPHE, Anwalt, Broadway: Ich versuchte, mich zur Penn Station durchzuschlagen, um dort eine Bahn nach Maplewood [New Jersey] zu nehmen. Alles war gesperrt. Wir mussten Stunden warten. Ich glaube, am späten Nachmittag ließen sie endlich den ersten Zug fahren. In den kam ich nicht mehr rein, aber beim zweiten klappte es dann. Die Leute starrten mich an, weil ich komplett von Staub überzogen war – die Haare, der Anzug, alles.

BRUNO DELLINGER, Firmeninhaber, Quint Amasis North America, Nordturm, 47. Stock: Als ich nach Hause kam, klebte an meiner Wohnungstür eine witzige Nachricht von einem meiner Praktikanten: »Wenn Sie noch leben, lebe ich auch noch.«

ROSEMARY DILLARD, Washington, D. ‌C., Base Managerin, American Airlines, und Ehefrau von Eddie Dillard, Passagier von Flight 77: Ich musste am Pentagon vorbeifahren. Ich wollte anhalten, aber das erlaubten sie nicht. Ich kam nach Hause, ging rein und rauchte vier Zigaretten. Ich dachte mir, wenn ich im Haus rauche, bringt das meinen Mann zurück, weil er das nicht mochte. Dann musste ich seine Brüder anrufen. Ich musste meine Freunde anrufen, den Rest der Familie, meine Schwester. Meine Nachbarn kamen rüber, weil die Flugbegleiterinnen auch in der Gegend wohnten. Sie brachten mir Abendessen. Danach weiß ich nichts mehr genau. Das Leben hatte sich verändert.

LINDA KROUNER, Senior Vice President, Fiduciary Trust, Südturm: Ich wusste noch nicht so recht, was passiert war. Nur, dass wir Leute verloren hatten. Während ich bei meiner Schwester zu Hause in New York war, rief mich ein Mann an. Er wusste, dass ich am Morgen im Gebäude gewesen war, und er sagte: »Ich bin Soundso. Haben Sie meinen Sohn gesehen? Sind Sie vielleicht auf der Treppe an ihm vorbeigekommen?« Der junge Mann war umgekommen; es war schrecklich. Es war eins von den Gesprächen, bei denen man sagen will: »Ich wünschte, ich hätte ihn gesehen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen irgendetwas sagen.« Konnte ich aber nicht.

ADRIAN PIERCE, Wachovia Bank, Nordturm: Bei Cathleen – die saß im Büro hinter mir – wussten wir nicht, wo sie war. Bei Carlos wussten wir nicht, wo er im Gebäude war. Toyena ist auch umgekommen. Jeffrey auch. Antoinette hielt sich an einem Mann fest – er hieß Tom –, sie hielt seine Hand, als wir aus dem Gebäude kamen, dann ließ er sie los, und das Gebäude ist auf sie runtergekracht. Wir haben fünf Leute von Wachovia verloren. Ich habe auch noch hundertfünfzig Freunde von Euro Brokers im 87. Stock verloren. Einer von ihnen, Adam, war rausgekommen, rief seine Eltern an und sagte: »Mir geht's gut.« Aber dann ist er noch mal ins Gebäude reingegangen und nicht mehr rausgekommen.

CHARLES CHRISTOPHE: Ich machte mir Sorgen um meine Frau Kirsten [Vice President of Risk Services, Aon Corporation, 103. Stock, Südturm]. Ich machte mir Sorgen um unsere Tochter Gretchen, weil wir keine enge Verwandtschaft hatten, die sie aus dem Kindergarten abholen konnte. Ich hoffte, dass Kirsten es vielleicht in den ersten Zug geschafft hatte oder in diesen, und dass ich sie gleich oder spätestens zu Hause treffen würde.

ROBERT SMALL, Büromanager, Morgan Stanley, Südturm: Ich war früher zu Hause als sonst. Ich ging immer noch davon aus, dass wir am Abend beim Jugend-Football die Mannschaftsfotos machen lassen würden. Ich dachte wirklich noch, dass das stattfand. Ich bekam einen Anruf von einem von der Liga: »Die Fotos machen wir heute Abend nicht.« »Okay«, sagte ich, denn ich hatte immer noch nicht kapiert, wie dramatisch und bedeutsam dieser Tag war. Es war immer noch »mein Tag«, was er für alle anderen bedeutete, wusste ich nicht. Innerhalb der nächsten zwei, drei Tage verstand man dann so langsam, wie viele Leute betroffen waren.

DEENA BURNETT, Ehefrau von Tom Burnett, Passagier an Bord von United Flight 93: Ich habe den ganzen Abend geweint, hatte Freunde um mich, Nachbarn kamen und gingen, und Verwandte riefen mich auf dem Handy an und drückten mir ihr Beileid aus.

ROSEMARY DILLARD: Ich rief immer noch sein Handy an, und er hatte einen Pager – den habe ich auch immer wieder angeklingelt.

CHARLES CHRISTOPHE: Ich kam nach Maplewood – wir parkten immer am Bahnhof, aber ich hatte keinen Autoschlüssel, also ging ich zu Fuß zum Kindergarten. Ich holte meine Tochter ab und fragte nach meiner Frau. Nur meine Tochter war noch mit ein, zwei Erzieherinnen da. Alle anderen Kinder waren schon abgeholt worden. Sie war ein Baby – elf Monate alt –, und sie verstand die Situation nicht. Sie erkannte mein Gesicht und freute sich. Eine der Erzieherinnen fuhr mich nach Hause. Auch dafür hatte ich keinen Schlüssel. Ich musste hinten an der Küchentür das Fenster einschlagen, um reinzukommen. Als Erstes habe ich meine Tochter versorgt – ich musste sie füttern und wickeln und baden, denn es war schon sechs oder sieben. Und dann habe ich nur noch am Telefon gesessen und auf einen Anruf gewartet.

JILLIAN VOLK, Vorschullehrerin, Lower Manhattan: Wir klapperten den ganzen Abend die Krankenhäuser ab und gingen die Aufnahmelisten durch. Um sieben Uhr bekamen wir dann einen Anruf vom Bellevue Hospital, dass [mein Verlobter] Kevin dort eingeliefert worden war. Sein Vater kam vor uns an und erfuhr, dass es nicht der richtige Kevin Williams war, sondern ein anderer. Wir hatten vor Begeisterung geschrien. Ich suchte die Stadt noch drei Tage lang ab.

JOHN NAPOLITANO, Vater von FDNY-Feuerwehrmann John P. Napolitano: Es war spät, die Kinder wollten nicht schlafen gehen, weil mein Sohn normalerweise immer anrief, wenn er Nachtschicht hatte, und ihnen eine Geschichte erzählte. Er sagte immer, dass er sie drückte und ihnen einen Gutenachtkuss gab, und dann ging es ins Bett. Heute weigerten sich die Kleinen, weil ihr Vater sich nicht meldete.

CHARLES CHRISTOPHE: Ich habe auf Kirstens Anruf gewartet. Aber keiner kam.

FERNANDO FERRER, Kandidat zum Bürgermeister von New York: Ich habe eine Gebetswache auf dem Grand Concourse bei der Love Gospel Assembly organisiert. Was hätte man auch sonst tun können? Es war voll. Dann gingen wir von einer Feuerwache zur anderen. Wir sahen die Feuerwehrleute voll von weißem Staub bedeckt zurückkommen. Die Leute hatten schon – ach, es geht mir schon nahe, nur davon zu sprechen – hatten Schreine errichtet, Blumen und so weiter mitgebracht, Kerzen angezündet. Das war beeindruckend.

PERRY WEDEN, Los Angeles:Ich war seit sechs Monaten mit jemandem zusammen und wusste nicht so recht, wohin die Beziehung führte. Dieser normalerweise ruhige, gefasste Mann war nun erschüttert und unruhig, verstört wegen der vielen Toten und besorgt, dass womöglich auch L. ‌A. ein Anschlagsziel war. Wir gingen zum Santa Monica Pier, der für so einen warmen Septembertag fast ausgestorben wirkte. Wir wollten der Angst trotzen. Er sagte etwas, was ich nie vergessen werde: Wenn heute die Welt unterginge, dann wäre er froh, dass er den Tag mit mir verbracht hatte.

RICHARD KOLKO, Special Agent, FBI: Ich begann den Tag im FBI-Büro in Atlanta, wo ich der Joint Terrorism Task Force zugeteilt war. Gegen Mittag fuhr ich nach Washington, D. ‌C. Ein New Yorker Agent, der in Atlanta festsaß, sprang zu mir ins Auto. Die Straßen waren leer. Es war Abend, und wir fuhren auf der I-95 viel zu schnell durch North Carolina. Plötzlich blitzte es im Rückspiegel auf, als sich ein North Carolina Trooper hinter mich setzte. Ich fuhr rechts ran. Der Trooper kam vorsichtig an mein Fenster. Er überprüfte uns sorgfältig und professionell. Er fragte, ob ich wisse, wie schnell ich gefahren war, und warum ich es denn so eilig hätte. Ich wies mich als FBI-Agent aus und erklärte, dass wir auf dem Weg nach D. ‌C. waren. Da trat er einen Schritt vom Auto weg, zeigte die Straße entlang nach Norden und sagte nur noch: »Schnappt sie euch!«

* * *

LT. JOSEPH TORRILLO, Direktor für Brandschutzaufklärung, FDNY: Acht Stunden später bin ich aufgewacht und wusste nicht, wo ich war. Ich befand mich in einem Zimmer im siebten Stock eines Krankenhauses, aber das verstand ich nicht, weil ich nichts sehen konnte. Ich weiß nicht, ob ich tot bin oder lebe, dachte ich. Am Abend fanden sie meinen Wagen hinter der Feuerwache und erklärten mich für tot.

LT. MICKEY KROSS, Engine 16, FDNY: Der Tag war vorüber. Ich weiß nicht mal, was ich gemacht habe. Ich weiß, dass ich zu Fuß unterwegs war. Ich habe mit Leuten gesprochen. Wir haben ein bisschen gesucht. Auf der West Street fanden wir einen Polizisten. Tot. Verschüttet. Wir halfen, wo wir konnten, und der Tag ging rum.

Ich ließ mich von einem Feuerwehrwagen mit nach Norden nehmen. Wir fuhren wohl so mit vierzig Mann außen dran mit. Sie ließen mich an der Ecke Third Avenue, 29th Street abspringen, und ich ging zur Feuerwache. Als ich reinkam, war meine Freundin Christine da, das weiß ich noch. Auch ein paar Kollegen waren da und ein paar Ehefrauen. Ich erfuhr, dass Ladder 7 vermisst wurde – das ist die Kompanie, die mit uns zusammen untergebracht ist: 16 und 7. Alle Kollegen von der 7 waren verschollen. Sie sind alle umgekommen.

CHRIS MULLIN, Feuerwehrmann, Ladder 1, FDNY:Es war eine niedergeschlagene, deprimierte, schlimme Stimmung. Hunderte Feuerwehrleute, Tausende Zivilisten ausgelöscht, wie wenn man ein Streichholz auspustet. Tot.

CAPT. JAY JONAS, Ladder 6, FDNY: Ich ging schließlich zu Fuß vom World Trade Center zur Feuerwache an der Canal Street. Es war ziemlich ruhig. Ich war in voller Montur unterwegs. Ich habe wahrscheinlich ausgesehen wie Pig Pen von den Peanuts, der immer von so einer großen Staubwolke umgeben ist. Ein paar chinesische Anwohner folgen mir, und einer löst sich aus der Gruppe und spricht mich an: »Sind Sie okay?« »Ja, wenn ich einfach weiterlaufe, geht's. Ich darf nur nicht anhalten, dann komme ich nicht mehr hoch.« Sie sind dann mitgegangen, damit ich heil an der Wache ankomme.

TRACY DONAHOO, Verkehrspolizistin, NYPD: Als ich am Abend nach Hause kam, setzte ich mich bei meiner Mutter in den Garten – es war einfach nur ein wunderschöner Tag. Ich saß da und sagte meiner Mutter: »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich weiß nicht, ob ich den Job noch ertrage.« Am nächsten Morgen stand ich auf und ging zur Arbeit. An dem danach auch und danach genauso, und ich sagte mir: »Ich lebe einfach von einem Tag zum anderen und schaue, wie es mir geht.« Mit der Zeit ging es wieder.

PASQUALE BUZZELLI, Statiker, Port Authority, Nordturm, 63. Stock: Ich lag auf einer Trage im Saint Vincent's Hospital, und sie schoben mich von Raum zu Raum, zum Röntgen und so weiter. Mein Freund Phil kam. Sie gaben mir neue Klamotten, weil sie mir die alten hatten vom Leib schneiden müssen. Es waren irgendwelche Mickey-Mouse- oder andere Disney-Sachen, die mir nicht passten. Ich zog sie trotzdem an.

Draußen stand ein Polizist mit einem Kleinbus, und er fragte: »Wo wollen Sie hin?« Wir gaben ihm die Adresse von einem anderen Freund. Als wir zu ihm in die Wohnung kamen, konnte ich das Ganze zum ersten Mal im Fernsehen sehen. Ich konnte nicht fassen, dass ich das überlebt hatte.

Dann stiegen wir ins Auto. Wir fuhren nach Norden und über die Tappan Zee Bridge, und ich war um acht Uhr abends zu Hause. Meine Familie und alle Freunde waren da. Das war schön. Es tat gut, zu Hause zu sein – meine Mutter, meinen Vater und meine Frau Louise zu sehen.

LOUISE BUZZELLI, Ehefrau von Pasquale Buzzelli, Port Authority, Nordturm: Ich weiß noch genau, was meine italienische Schwiegermutter als Allererstes sagte, als wir ihn endlich im Haus hatten: »Du hast bestimmt Hunger! Setz dich hin, ich mache dir jetzt erst mal ein leckeres Sandwich.«

/////// Während die Evakuation Lower Manhattans langsam auslief, wandten sich die Boote, die den ganzen Tag Menschen aus New York weggebracht hatten, einer neuen Mission zu: der Anlieferung von Hilfsgütern und Rettungskräften nach Lower Manhattan.

LT. MICHAEL DAY, U. ‌S. Coast Guard: Man gab uns durch, dass Material in New Jersey ankam, die Brücken nach Manhattan aber alle gesperrt waren. Dann hieß es: »Hey, kommt mal einer von euch vorbei und holt ein paar Sachen ab?« Ich gab die Anfrage weiter, ob jemand bereit wäre, Hilfsgüter aus New Jersey abzuholen, und sofort kamen tausend Antworten. »Klar, ich bin dabei.« »Ich auch.« »Ja, kein Problem!«

Feuerwehrleute kamen zu uns und sagten: »Wir brauchen Wasser. Wir haben kein Wasser.« Wir funkten jemanden in New Jersey an. Dann haben wir den Kontakt mit dem Office of Emergency Management dort drüben hergestellt. Die Leute liefen in die Supermärkte und kauften Wasser. Das brachte dann jemand rüber. Bald kam alles Mögliche – Unmengen Eis, viele Restaurants schickten Essen. Was eben kam, war nicht weiter abgestimmt. Als wir die ersten Sachen geliefert hatten, bekamen wir immer mehr Anfragen. »Wir brauchen Acetylen für den Stahl. Wir brauchen Sauerstoff. Wir brauchen Hakenschlüssel.« Wir forderten die Sachen an, und bald kamen sie. Es gab die ganze Nacht über zu tun.

/////// Am Ground Zero schwärmten immer noch Feuerwehrleute und Rettungskräfte über die Trümmer und suchten nach Überlebenden. Eine Armee Freiwilliger suchte teils ohne offiziellen Auftrag auf gut Glück. Und tatsächlich machten die einzige Entdeckung ausgerechnet Jason Thomas und Dave Karnes, zwei U. ‌S. Marines, die auf eigene Faust zum Ort des Geschehens gekommen waren.

SCOTT STRAUSS, Einsatzbeamter, Notfalleinheit ESU, Truck 1, NYPD: Wir wollten alle sofort wieder rein und Zivilisten finden, unsere Freunde, egal wen. Sergeant Timothy Adrat rief ein paar von uns zusammen, und wir legten los, aber weil sie uns noch nicht wieder auf den Haufen ließen, haben wir erst mal an der Südseite gesucht, in den Gebäuden südlich der Liberty Street, die bei den Einstürzen beschädigt worden, aber nicht vollständig eingestürzt waren. Die Trümmermassen waren unvorstellbar.

DETSTEVEN STEFANAKOS, Notfalleinheit ESU, Truck 10, NYPD: Wir wollten jeden möglichen Hohlraum aufspüren und dann soweit möglich Rettungs- und Bergungsaktionen starten. Als der Abend dämmerte, waren wir da schon ziemlich gut unterwegs.

WILLIAM JIMENO, Polizist, PAPD: Es war etwa gegen acht Uhr abends, als ich aus der Ferne zwei Stimmen hörte. »United States Marine Corps, kann uns jemand hören?« Ich konnte kaum glauben, dass ich wieder Stimmen hörte. Ich brüllte, so laut ich konnte. »PAPD Officers am Boden! PAPD Officers am Boden!« Dann sagten sie: »Ruf weiter, wir können dich hören!« Sie kamen näher, und jetzt konnte ich drei Personen hören. Sie fragten: »Wer ist da unten?« Ich sagte: »Port Authority Police, Officer Jimeno, mein Sergeant ist außer Gefecht. Wir haben hier noch mehr Männer. Manche sind gestorben.« »Halt aus, Kumpel«, sagten sie.

SCOTT STRAUSS: Ein Feuerwehrmann kam auf uns zu. Er sagte: »Hey, ich habe hier ein paar Verletzte auf der anderen Seite.« Also liefen wir mit in die Richtung. Wir kletterten über verbogene Stahlträger – teilweise noch verdammt heiß –, sprangen von einem zum anderen. Wir rutschten im Staub aus. Eine gefährliche Tour. Durch den Staub und den Rauch sahen wir dann jemanden mit einer Taschenlampe winken. »Was habt ihr hier?«, fragte ich. »Zwei Mann, zwei Polizisten hier in dem Loch.« Ich schaue hin, und das Loch ist gerade mal ein bisschen größer als der Einstieg in einen Kanalschacht. Ich ließ mich reinrutschen, vielleicht zwei Meter tief. Es war wie in einem verdammt engen Schrank. Paddy McGee, ein Kollege von mir, sprang auch mit runter, und dann noch Chuck Sereika, ein ehemaliger Rettungssanitäter.

WILLIAM JIMENO: Die Jungs von Truck 1 kamen und hatten noch einen Zivilisten dabei, Chuck Sereika, einen Sanitäter.

PADDY MCGEE, Einsatzbeamter, Notfalleinheit ESU, Truck 1, NYPD:Jetzt ging es um jede Minute.

SCOTT STRAUSS: Mit dem Kopf voran zogen wir uns wohl knapp zehn Meter schräg nach unten, um einen Doppel-T-Träger herum, durch winzige Spalten. Dann kamen wir in den kleinen Hohlraum, schauten nach links, und dort fanden wir Dominick [Pezzulo]. Etwa drei Meter weiter war Will Jimeno. Von ihm konnten wir nur den Kopf, den rechten Arm und ein bisschen von der rechten Seite sehen. Der Rest – es sah aus, als wäre er mit dem Schutt vom Laster gekippt worden.

WILLIAM JIMENO: Er fragte: »Wie heißt du?«, und ich sagte: »Jimeno.« »Scott Strauss NYPD ESU Truck 1.« Ich sagte: »Jimeno, Bus Terminal. Port Authority Police.« Dann sagte er: »Hör zu, du musst aushalten – du darfst nicht jetzt noch aufgeben.«

SCOTT STRAUSS: Dann bin ich reingekrochen, auf der Seite, die Hände über dem Kopf. Ich habe mich vorangezogen und mit bloßen Händen im Schutt gewühlt. Was ich losbekam, schob ich an der Brust vorbei zu Paddy und Chuck, die es dann den Fahrstuhlschacht runterwarfen, damit wir Platz hatten.

WILLIAM JIMENO: Die konnten sich da drinnen kaum bewegen. Ich konnte nur ihre Glatzen sehen.

SCOTT STRAUSS: Wir mussten würgen. Vor Rauch bekam man kaum Luft. Von oben brüllten die Feuerwehrmänner: »Kommt da raus!« Will sagte: »Ihr lasst mich doch nicht zurück?« »Nein, auf keinen Fall, Will«, sagte ich. Wollte ich raus? Natürlich, aber das war eben nicht drin. Dabei ging es mir nicht mal um irgendwelches Machozeug. Sondern um die Selbsterhaltung. Ich hätte ihn nicht einfach zurücklassen und dann in dem Wissen nach Hause gehen können, dass er da unten verreckt wäre. Also sind wir drei da unten geblieben – Chuck, Paddy und ich.

WILLIAM JIMENO: Die nächsten drei Stunden über haben sie an mir gearbeitet, und es tat verdammt weh. Sie wollten mein rechtes Bein freikriegen, und dann haben sie ewig versucht, mich unter der Wand rauszuholen.

SCOTT STRAUSS: Chuck, Paddy und ich, wir waren alle fertig. Wir waren hundemüde. Es ging uns wirklich nicht gut, und die Umgebung machte es natürlich noch schlimmer.

WILLIAM JIMENO: Ich weiß noch, dass ich sagte: »Ich habe einen Partner, der ist auch hier«, und sie dachten, ich meine Dominick. Sergeant McLoughlin war hinten ziemlich still. Ich glaube, das war, weil ich einmal ziemlich laut gebrüllt habe, als sie das erste Mal mein Bein angefasst haben, das tat schrecklich weh. Da war Scott zurückgeschreckt. Und ich dachte mir: Du musst jetzt das Maul halten und den Schmerz runterschlucken, und das hat dann auch geklappt. Ich glaube, das hat Sergeant McLoughlin auch verstanden und wollte die Jungs nicht stören, damit sie uns so schnell wie möglich draußen haben.

SCOTT STRAUSS: Dabei erzählt Will die ganze Zeit von seinem Partner. Wir hatten keine Ahnung – in dem Loch hat außer ihm die ganze Zeit keiner mit uns gesprochen. Dominick Pezzulo war ja tot. Aber Will redet weiter: »Ihr müsst zuerst zu meinem Partner. Holt ihn hier raus.« Und ich denke mir: Er weiß noch nicht, dass der andere tot ist.

WILLIAM JIMENO: Die Nacht war der absolute Albtraum.

SCOTT STRAUSS: Er sagt also: »Macht hin! Macht hin! Ihr müsst ihn hier rauskriegen, sonst stirbt er.« Und ich sage: »Will, wir müssen hier unsere Sache durchziehen. Wir holen erst mal dich raus und dann ihn.« Wir kratzen und kratzen, und auf einmal hören wir die Stimme von Sergeant McLoughlin, und er fragt: »Hey, wie läuft's da bei euch?« »Wer ist das denn?«, frage ich. Und Will sagt: »Mein Partner«, und das klingt wie: Ihr Deppen, was meint ihr, von wem ich hier die ganze Zeit rede? Also sagen wir: »Wir dachten, der hier ist dein Partner.« »Nein, das ist Dominick, der ist tot.« Oh Gott!, denke ich. Jetzt haben wir hier noch einen zu retten.

DET. STEVEN STEFANAKOS, Notfalleinheit ESU, Truck 10, NYPD: Die Rettungseinsätze der beiden eingeschlossenen Polizisten von der Port Authority liefen an. Männer von Truck 1 arbeiteten an der Freilegung. Wir anderen sahen uns all die Bereiche genauer an, wo sich womöglich Hohlräume befanden, in die man einsteigen konnte. Jedes einzelne Gebäude in einem perfekten Quadrat um das World Trade Center war zerstört oder schwer beschädigt. Sie brannten immer noch. Wenn man hochschaute, dachte man sich: »Jedes von denen kann jederzeit einstürzen.«

SCOTT STRAUSS: Will schreit vor Schmerzen, und Sergeant McLoughlin ist mal bei Bewusstsein, mal nicht. Wir reden mit McLoughlin, der ist Ire, und Paddy McGee – irischer als der geht's nicht mehr, geboren am St. Patrick's Day, spielt in der Polizei-Dudelsackkapelle –, Paddy sagt: »Hey, Irish Eyes, bist du noch bei uns?« Manchmal hat er geantwortet, manchmal nicht. Wenn nicht, regte Will sich auf. »John, Sarge, komm schon, Sarge, halt durch, Sarge!« Dann hörte man ihn wieder mit müder Stimme: »Ich bin da. Ich bin da.«

WILLIAM JIMENO: Sie kriegten mich schließlich auf eine Trage, und ich weiß noch, dass ich McLoughlin sagte: »Halt durch, Sarge!«

SCOTT STRAUSS: Wir legten ihn in den Schleifkorb und schickten ihn hoch – nach draußen.

WILLIAM JIMENO: Als sie mich auf der Trage hochzogen, durch das Loch, habe ich mich umgesehen und gefragt: »Wo ist denn alles?« Ich konnte den Mond sehen, ich konnte Rauch sehen, aber keine Gebäude. Dann hat ein Feuerwehrmann gesagt: »Ist alles weg, Kumpel.« Da habe ich zum ersten Mal an dem Abend geweint.

OMAR OLAYAN, Polizist, NYPD:Wir hörten Stimmen, Aufregung – ein Schleifkorb mit einer Person kam hoch, einem der Polizisten von der Port Authority, die gerade geborgen wurden. Wir zogen ihn raus. Das war spannend – ein toller Moment. Wir waren schon den ganzen Tag da und hatten bisher nichts gefunden.

SCOTT STRAUSS: Ich krieche wieder runter ins Loch. Ich bin körperlich am Ende. Es ist jetzt elf, halb zwölf abends. »John, ich kann nicht mehr. Sie schicken dir jetzt ein frisches Team runter. Alles wird gut. Die Jungs holen dich hier raus.« Und er sagt: »Danke, Scott. Wir sehen uns oben.« »Auf jeden Fall«, sage ich. Ein Kollege von der Emergency Service Unit kommt runter, Steve Clifford, und ich weiß nicht, warum, aber ich halte ihn an und sage: »Steve, das da unten ist ein persönlicher Freund von mir. Holt ihn bitte heil raus.«

WILLIAM JIMENO: Mein Sergeant kam dann am nächsten Morgen gegen sieben Uhr raus.

SCOTT STRAUSS: Die Rettungskräfte, Polizisten, Feuerwehrleute von überall her – ganz Nassau County, Connecticut, New Jersey und so weiter – Leute vom Strom- und Gasversorger, Bauarbeiter stehen an der Seite und helfen mir, uns allen dreien, vom Trümmerhaufen runter.

WILLIAM JIMENO: Als wir beim Krankenhaus ankamen, musste ich daran denken, dass da drinnen Tausende von Menschen liegen. Da habe ich zum zweiten Mal geweint. Als sie mich aus dem Krankenwagen holen, sehe ich all die Ärzte und Schwestern rumstehen. »Wo sind denn alle?«, fragte ich. »Sie sind der Einzige«, hieß es dann.