I ch saß auf unserem Balkon in Manly und flocht eingeweichte Ästchen von Eukalyptusbäumen mit Hibiskuszweigen zusammen. Der markante Duft umspielte meine Nase, während ich Wermutkraut in kleinen Büscheln dazwischenwebte. Ein paar Minuten später bildete ich aus dem Zopf einen Kreis und stimmte eine kurze Melodie an.
Funken tanzten über die beiden Enden und verschmolzen den Strang zu einem Talisman. Pfeifend – ohne den Tönen Magie beizumischen – griff ich nach dem Himalajasalz und den kleinen Jaspis. Hellrot durchzogen mit dunkleren Flecken leuchteten sie in der Abendsonne. Ich zerrieb das Salz und streute es auf den Talisman. Danach legte ich drei Jaspis ins Zentrum und pfiff eine Melodie, deren letzten Ton ich hielt. Feuer flammte aus meinem Mund, und ich blies es so lange auf die Steine und das Salz, bis sie fest mit dem Schmuckstück verschmolzen.
»Du bist so talentiert, mein Kleiner.«
Ich schreckte hoch, wobei mir der Talisman auf den Tisch fiel. Meine Ma lächelte mich fürsorglich an.
»Und du vergisst die Welt um dich, sobald du Sachen erschaffst.«
Damit hatte sie recht. Es war meine Art der Meditation. Immer wenn ich nicht mehr nachdenken wollte, bastelte ich magische Artefakte, Talismane und andere kleine Konstrukte.
»Dein Onkel wäre stolz auf dich«, flüsterte sie und seufzte. »Er war ebenso ein begnadeter Bastler. Wie unsere gesamte Familie. Wobei ich nicht gut im Konstruieren bin.«
Leise lachte ich auf und grinste. »Nicht gut ist eine Untertreibung.«
»Och, du kleiner Fiesling.« Meine Mutter schlug verspielt mit einem Küchentuch nach mir.
»Deine Tränke, Salben und Tees sind dafür in ganz Sydney beliebt.«
Während das Konstruieren mir in die Wiege gelegt worden war, hatte meine Mutter das Talent für Alchemie erhalten. In Kombination erschufen wir lauter Waren, die Menschen und Hexen zu gleichen Teilen begehrten. Unser Laden lief ordentlich. Zwar waren wir keine reichen Schnösel, aber wir vollbrachten etwas Gutes und davon ließ sich leben.
Meine Mutter betrachtete den Talisman, dann lachte sie laut. Ich zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.
»Ein Liebestalisman zur Steigerung der Lust und Potenz?«
Verwundert sah ich zu dem roten Jaspis. Mist. Der Plan war es gewesen, Bernstein zu verarbeiten, da dieser Entscheidungen erleichterte und Ängste nahm. Wieso hatte ich die Sexsteine genommen, wie wir Jaspis scherzhaft zu Hause nannten?
»Denkt da jemand an einen attraktiven Sohn unserer Präsi–«
»Nein, denkt er nicht!«
Doch, total. Andauernd. Das war ja mein Problem!
»Wolltest du nicht Bernsteintalismane herstellen?«
Mehr oder weniger unauffällig schob ich den Sack voller Bernsteine unter den Tisch.
Meine Mutter lachte so laut, dass sie sich vornüberbeugte. Ich stimmte ein, und für ein paar Minuten genoss ich diesen Moment mit ihr.
»Er macht mich wahnsinnig«, gab ich zähneknirschend zu. »Ich hasse ihn, wirklich, und dennoch … geht er mir nicht aus dem Kopf.«
»Er ist halt ein McQueen – so war das schon immer. Die Ingrams hatte seit jeher eine Schwäche für sie.« Meine Mutter lächelte mir zu und tätschelte meine Schulter. »Es gab eine Zeit, da herrschte eine Fehde zwischen den beiden Gründerfamilien. In einer anderen Epoche, beinah einer anderen Welt, mein Junge.« Sie setzte sich ins Innere in Bewegung. »Da wärt ihr als Romeo und Julius bekannt geworden.«
»Romeo und Julius, Ma? Wirklich?«
»Eine dramatische Liebe.« Sie blieb stehen, sah noch einmal zu mir. »Ein Tipp: Schluck kein Gift, bevor du nicht seinen Puls gecheckt hast.«
Mit offenem Mund stand ich da und sah ihr hinterher.
»Ach, es gibt übrigens Essen. Wenn du gleich auf eurer Party trinkst, brauchst du eine Grundlage.«
Langsam trottete ich ihr hinterher in unser Wohnzimmer und weiter in die Küche. Dort lehnte ich mich in den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich gehe da eh nicht hin.«
»Jax Ingram, natürlich gehst du da hin!«
»Mit drei Vornamen wie beim großen Harlow hätte das definitiv bedrohlicher geklungen. Blöd, dass wir nur entfernte Verwandte der Gründerfamilie Ingram sind und keine direkten Nachfahren«, scherzte ich und lachte. Erwartete ich, dass sie mit einstieg, irrte ich mich jedoch. »Ma?«
»Es gibt Lasagne, die liebst du doch.«
»Äußerst subtil.«
Seufzend drehte sie sich zu mir. In ihren Augen lag die Last von all dem Mist, der uns widerfahren war.
»Ach Jax.« Sie kam zu mir herüber und fuhr mit der Hand durch mein Haar. »Ich wollte es dir ohnehin nach dem Abschlussfeuer sagen. Irgendwann erfährst du es eh.«
»Was meinst du?«
»Dein Geburtsname ist Jax Gunnar Baldwin Ingram. Wir sind keine von den Ingrams, die nur entfernt in diese Familie eingeheiratet haben.«
»Aber ich dachte, dein verstorbener Mann …«
»War kein Ingram, ich bin eine. Und nicht nur irgendeine. Gunnar und ich sind Kinder der ersten Ingrams. Du bist ein direkter Nachfahre. Es … tut mir leid. Ich hatte geplant, es dir … Na ja, einfühlsamer zu beichten? Aber es gibt Gründe …« Ma kräuselte die Nase und Sorge blitzte in ihren Augen auf.
»Das ist unmöglich.« Ich schüttelte den Kopf. »Das hätte sich herumgesprochen nach … nach der Sache mit Bruce King.«
Meine Mutter setzte sich auf einen Stuhl und bedeute mir, mich ebenso hinzusetzen.
»Sie haben mir alles genommen, aber wenigstens die Familienehre haben sie uns Ingrams gelassen. Nur die Obersten Hexen der Gründerfamilien wissen darüber Bescheid. Und Bruce. Aber er wurde mit einem Schweige-Belcanto belegt. Alle anderen Hexen mit einem Vergessens-Belcanto. Durch den Belcanto wurden meine ganze Identität, Alter und Herkunft in allen offiziellen Dokumenten geändert, und jeder glaubt, ich sei eine eingeheiratete Ingram. So blieb der Familienname makellos.«
Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. »Hatte er deswegen eine Affäre mit dir?! Um ein Ingram zu werden?«
Ma nickte traurig. »Als ich ihm sagte, dass wir bei einer Heirat seinen Namen annehmen würden, ließ er uns sitzen.«
»Aber wieso wolltest du seinen Namen?«
»Weil er schon zwei Kinder hatte.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das wirst du. Wir vier Gründerfamilien von Sydney und ebenso die anderen acht großen Blutlinien der Welt haben viele Geheimnisse. Eines sind die Blutgaben. Die Ingrams besitzen die Gabe des Konstruierens.« Sie lächelte mir milde zu und deutete zu einem Talisman, der auf dem Küchentisch lag. »Es ist kein Zufall, dass wir Gegenstände so gut herstellen können. Die McQueens beherrschen das Erwecken. Dubois die Hellsicht. Und Rinaldi das Umformen.«
Ich sah sie weiterhin fragend an, denn ich verstand nichts.
»Nur die unmittelbaren Nachfahren der alten Blutlinien besitzen Gaben, alle anderen Hexen mit vermischten oder schwächeren Blutlinien beherrschen ausschließlich Belcantos als Magie, mein Kleiner.« Müde lächelte sie mir erneut zu. »Deswegen konnten Ruby und Oliver nicht den Namen Ingram annehmen – die Kinder der alten Blutlinien müssen von einer Hexe des alten Bluts geboren werden. Es ist kompliziert. Viele Regeln, uralte Belcantos und Sitten sorgen für die Einhaltung. Eine Hexenhochzeit verändert dein Blut. Heiratest du einen direkten Nachfahren einer alten Blutlinie, wirst du einer von ihnen. Dein Blut verwandelt sich in das der jeweiligen alten Linie. Dieser Transformationszauber wirkt aber nur, wenn du bisher keine Kinder gezeugt und dein Blut nicht vererbt hast – was Bruce durch Oliver und Ruby schon getan hatte. Wie du weißt, heiraten wir Hexen hauptsächlich aus Vernunft und nur selten aus Liebe. Es dient zur Stärkung der Macht und des Einflusses. Und eine Hexenehe ist nur erlaubt, wenn du kinderlos bist. Nur war ihm das nicht klar, bis ich es ihm sagte. Du hingegen wurdest von mir geboren und hast deswegen das reine Ingram-Blut in dir.«
»Der Hundesohn hat dich ausgenutzt und dann fallen lassen, als er nicht bekam, was er sich zu erschleichen versuchte!«
»Er ist immer noch dein Vater«, flüsterte sie.
»Nein, ist er nicht.« Ruckartig erhob ich mich. »Ein Vater wäre für seinen Sohn da gewesen und hätte unsere Familie nicht ruiniert!«
»Jax, Süßer. Bitte.«
»Nein, Ma. Es reicht. Du musst ihn nicht in Schutz nehmen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte ich mich um und stürzte aus der Wohnung.
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* * *
Eine halbe Stunde rannte ich ziellos durch die Gegend, steckte ein paar Büsche in Brand und jagte Mülltonnen in die Luft. Nun stand ich wieder vor unserer Haustür. Ich hatte zwar weiterhin keine Lust auf die Feier, aber ich wollte meine Gedanken betäuben – und dafür benötigte ich Alkohol. Und den gab es in Massen bei der Feier. Keine sonderlich intelligente Lösung, meine Gefühle damit zu betäuben, aber definitiv eine effektive. Was ich außerdem brauchte: Ablenkung. Nur deswegen machte ich mich schließlich auf den Weg zum Abschlussfeuer.
Zum Glück lag Shelly Beach, an dem es stattfand, nur ein paar Gehminuten von unserer Wohnung entfernt. Genervt begab ich mich in den Durchgang, der neben dem Laden meiner Mutter zu dem mittleren Teil von Manly Beach führte. Einzelne Sonnenstrahlen fanden ihren Weg in die enge Gasse. Sie klammerten sich an die Oberflächen von Müllcontainern und Sperrmüll, als würden sie der Nacht keinen Platz machen wollen.
»Hey, Stinker, herzlichen Glückwunsch!«, erklang es von der Promenade am nördlichen Ausgang der Gasse. Das Licht umspielte die gut trainierte Statur einer ansonsten zierlichen Frau.
Grinsend näherte sich mir Eliss, die ich nun besser erkannte, wo mich die Sonne nicht mehr blendete. Ihr blaues kurzes Haar leuchtete so grell wie eine Neonreklametafel und stand zu einem Iro gestylt gen Himmel. Sie hatte die dreifach gepiercte Augenbraue in die Höhe gezogen. In ihrer Nase wackelte ein Septum und hing beinah hinab bis zu den Piercings in ihrer Oberlippe. An ihrem Oberarm klebte Folie.
Eliss folgte meinem Blick und grinste breit.
»Frisch gestochen. Gleiches Motiv wie auf dem Shirt.« Stolz straffte sie ihr grellgelbes Top mit der Aufschrift Fuck The System .
»Ein Wunder, dass du überhaupt noch einen Platz findest, der tätowiert werden kann«, antwortete ich eine Spur zu scharf und bereute es unmittelbar darauf. Sie konnte nichts für den Sturm, der in mir tobte. Zwar hatten die Mülleimer, die ich hochgejagt hatte, meine Laune etwas gebessert, aber dennoch kochte die Wut weiterhin in mir. Und das wiederum nervte mich ungemein. Der Arschking war es nicht wert, dass ich nur einen Gedanken an ihn verschwendete.
»Hey, ich habe nur …« Eliss zog die Nase kraus. »Zehn, na ja, elf Tattoos. Was hat dir die Laune verhagelt?«
»Bruce King!«
»Yikes!«
»Ja, genau!«
»Willst du drüber reden?«, fragte sie mit schief gelegtem Kopf.
»Eher nicht. Alternativplan: Wir trinken den reichen Säcken ihren Alk weg.«
»Deal! Vielleicht finde ich da eine Bettpartnerin oder einen Partner für heute Nacht.« Abwechselnd hob und senkte sie die Augenbrauen, und ich kommentierte es mit einem Grunzen. »Was denn? Ich bin nicht so wählerisch wie du und schmachte direkt den Sohn –«
»Nicht.«
»Schon gut. Du bist heute echt empfindlich.« Sie hob entschuldigend die Arme.
»Ma hat eine Bombe über mein Leben platzen lassen. Können wir nicht drüber reden?«
»Oh!« Ihre Augen weiteten sich und ihre Wangen erblassten.
»Eliss?« Ich musterte meine Kindheitsfreundin. »Du … wusstest es.«
»Zur Urmutter«, antwortete sie brummend und trat nach einem Pappkarton am Boden. »Ja, Stinker. Ich wusste es. Schon immer.«
»Wie konntest du es mir verschweigen?«, donnerte ich.
»Fuck!«, brüllte sie in den anbrechenden Abend. »Weil es meine Aufgabe ist, dich zu beschützen. Verdammt, hätte deine Mutter mich nicht vorwarnen können?«
In meinem Kopf verknoteten sich die Gedanken. Kein einziger ergab Sinn.
»Deine Aufgabe?«
»Bevor wir hier einen auf großen Hollywoodfilm-Streit machen und du dramatisch davonstürzt: Unsere Freundschaft ist echt. War sie immer. Ich habe dir nie etwas von den Gefühlen vorgespielt.«
»Wovon redest du?« Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
Eliss seufzte. Für einen Moment sah sie mir fest in die Augen, dann drängte sie mich tiefer in die Gasse.
»Ich bin in deiner Welt, um dich zu beschützen. So eine richtige Bad-Ass-Aufpasserin. Nur in supercool.« Sie lächelte gekünstelt. Bevor ich etwas antwortete, führte sie eine Handbewegung aus und …
»Shit!« Mit geweiteten Augen sprang ich einen Satz zurück.
An einigen Stellen durchbrachen verwelkte Apfelblüten und morsche Zweige Eliss’ aschgraue Haut. Grünliche Adern schimmerten wie kleine Wurzeln hindurch. Ihr Gesicht wirkte abgemagert, als hätte sie monatelang kaum gegessen. Der Geruch von Äpfeln, verbrannter Asche und verrottetem Holz stieg mir in die Nase, während sie mich aus pechschwarzen Augen musterte.
»Überraschung, ich bin eine Banshee.« Trotz der Situation grinste ich, als sie einen Tanz mit Jazzhänden zur Unterstreichung der Aussage vollführte.
»Was geht hier ab? Träume ich?«
»Wacher, als du es je warst, Stinker.«
»Mutig, mich Stinker zu nennen, wenn du selbst wie ein vergammelter Komposthaufen riechst.«
Eliss blinzelte einmal. Ein zweites Mal. Dann lachte sie schallend los.
»Touché, mein Lieber.« Sie vollführte eine übertriebene Verbeugung. »Aber mal im Ernst, es gibt vieles, was du nicht weißt. Was aus guten Gründen vor dir geheim gehalten wurde.« Gerade als ich etwas erwidern wollte, legte Eliss eine Hand auf meine Schulter und schüttelte den Kopf. »Nicht hier. Ich verstehe, dass du Fragen hast, aber hier draußen ist es zu gefährlich, darüber zu reden. Wir sollten rein–«
Ihr Blick wurde plötzlich glasig. Schwarze Schatten wirbelten in ihren Augen umher. Dann flatterten ihre Lider.
»Eliss?« Ich rüttelte sie besorgt. Mein Puls hämmerte laut und pumpte das Blut schnell durch meine Adern. »Eliss, komm schon! Das ist nicht witzig.«
Keine Reaktion. Shit!
Auf einmal flog ihr Kopf in den Nacken und sie murmelte Worte in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ihr Körper zitterte und verkrampfte. Hilflos sah ich meine Freundin an. So plötzlich, wie ihr Anfall gekommen war, verebbte er wieder. Die Schatten in Eliss’ Augen wichen. Mein Atem ging stoßweise.
»Was zur Urmutter war das?« Ich legte eine Hand an ihren Oberarm.
»Wir müssen zum Feuer!«
»Was? Du hattest einen Anfall und willst feiern?«
»Jetzt, Jax. Die Hexenkönigin und der Wald von Salem haben den Befehl erteilt, zwei Hexen aus der Lichtwelt zu holen.« Elias drehte sich um und zerrte mich mit sich zur Strandpromenade.
»Ich verstehe kein Wort!« Es kostete mich große Mühe, nicht zu stolpern, so fest hielt sie ihren Griff und zog an mir.
»Lange Geschichte.« Ihre Stimme klang flatterig und weiterhin atemlos. »Kurzform: Ich habe eine Verbindung zum Wald, und wenn er seine Kinder ruft, höre ich den Befehl.«
»Aha. Welcher Wald? Und was hat das mit mir zu tun?«
»Er will deine Geschwister, Ruby und Oliver.«
Mit diesen Worten drehte sich die Welt deutlich schneller um mich, geriet aus ihren Fugen, während Panik seine kalten Klauen in meinen Geist stieß.