G enervt brummte ich vor mich hin, während die magische Schneiderin die letzten Anpassungen an meinem verdammten Smoking tätigte.
Phoebe saß amüsiert und mit übergeschlagenen Beinen auf meiner Kommode. Sie trug ein wallendes Kleid in unterschiedlichen Grautönen mit einer engen Korsage, komplett besetzt mit silbernen und hämatitfarbenen Strasssteinen. Es wirkte elegant und leicht an ihr, perfekt geschneidert und nahtlos an sie angepasst. Ihre Lippen hatte sie schwarz geschminkt und die Augenlider in einem tiefen Dunkelrot. Der Farbton fand sich ebenso in allen Accessoires wie der wuchtigen Kette, der Kreolen und den zwei dolchartigen Nadeln in ihren hochgesteckten Haaren wieder.
Kurzum: Phoebe sah umwerfend und gefährlich zugleich aus. Das perfekte Abbild einer Reaperin mit großer Klappe, die ich voller Stolz meine Partnerin nannte, und die durch die Tatsache, dass Eliss plötzlich von der Bildfläche verschwunden war, zu meiner besten Freundin geworden war.
Alle Gargoyles trugen auf dem Ball Grau, ebenso wie alle Dämonen Schwarz. Bei uns Hexen gestaltete es sich etwas anders. Auch wir würden in Schwarz erscheinen – alle Männer im gleichen Anzug und die Frauen im gleichen Kleid. Während des Sommersonnenwende-Walzers enthüllten sich dann jedoch die Designs und Farben unserer Blutlinien.
Dieser Belcanto, der auf den Walzer reagieren würde und meinen schwarzen Smoking in einen mitternachtsblauen Festanzug der Ingrams verwandeln würde, stickte die Schneiderin soeben in die Nähte. Und das, obwohl ich nicht tanzen wollte. Dennoch hatte Gunnar darauf bestanden, dass sich wenigstens mein Smoking nach dem Walzer wandeln würde, damit ich Farbe zur Familie bekannte.
Widerwillig musste ich zugeben, dass das extra für mich angefertigte Design, das ich bisher nur als Entwurf auf Papier gesehen hatte, großartig war. Mein Smoking würde zu einem Zweiteiler aus einem dunklen, schimmernden Blau werden, dessen Revers aus lebendigen schwarzen Schatten bestehen würde. Plus eine Krawatte und ein Einstecktuch aus sich bewegenden Schattengespinsten. Die Ingrams besaßen Stil, das musste ich ihnen lassen.
»Macht der Goldjunge weiterhin einen auf Harlow McFly?«, fragte Phoebe grinsend.
»Manchmal schwebt er mit leuchtenden Augen im Schneidersitz direkt unter der Decke«, erwiderte ich. »Überhaupt nicht unheimlich.«
»Binde eine Schnur an sein Handgelenk und geh mit ihm spazieren wie mit einem Luftballon.«
Ich grunzte. »Richtig, weil ich scharf drauf bin, dass er mir einen seiner Flüche an den Kopf schmeißt. Mit Ausschlag oder einem zweiten Hintern zum Sommersonnenwendeball zu gehen steht nicht auf meiner Bucketlist.«
»Auch wieder wahr.« Sie nickte nachdenklich. »Seit seinem Krankenhausaufenthalt nimmt er die Sache sehr ernst, oder?«
»Das ist eine Untertreibung. Er trainiert beinahe bis zur Bewusstlosigkeit, meditiert stundenlang und trifft sich mit den Obersten Hexen der Blutlinien, um Allianzen zu formen. Politisches Gehabe eben. Auf dem Ball will er dann einige dieser Bündnisse festigen.«
»Hörte ich schon. Die einzigen, die sich noch nicht geäußert haben, sind die Rinaldis. Was mich nicht wundert.« Phoebe grunzte abfällig. »Ihr oberstes Familienmitglied ist ein widerlicher, egoistischer Kerl. Und zudem sehr abfällig zu uns Gargoyles und Dämonen.« Sie ballte eine Faust und sah zur Decke. »Wow, das wurde nun aber schnell bedrückend. Zurück zu dem schönen Thema: Was dein Geliebter wohl trägt?« Als ich aufstöhnte, streckte Phoebe mir die Zunge raus.
»Den gleichen Smoking wie alle«, gab ich gleichgültig zurück, denn niemals würde ich zugeben, dass ich mich schon den ganzen Tag fragte, was Harlow tragen würde.
»Ich meine nach der Enthüllung, Bumsbirne!«
Die Schneiderin sah pikiert auf und schnalzte mahnend mit der Zunge. Das brachte mich zum Lachen. Ich liebte Phoebe für ihre ehrliche, teils unangebrachte Art. Hier auf dem Ingram-Anwesen, in einer Welt voller Hexenpolitik war das durchaus erfrischend.
»Fertig, Sir. Sobald der Belcanto Ihrer Familie ertönt, verwandelt sich Ihr Smoking von allein.«
»Vielen Dank.« Ich lächelte der Schneiderin unbeholfen zu. Für einen Moment musterte sie mich, dann lächelte auch sie, drehte sich um und eilte aus dem Raum.
Phoebe sprang von der Kommode, was die mehrlagigen Stoffe im unteren Teil des Kleides in Wallung versetzte. Sie nahm die schwarze, mit Federn und Spitze besetzte Maske von meinem Bett, kam zu mir herüber und sah mich fragend an. »Bereit?«
»Nein.«
»Dachte ich mir«, antwortete sie schmunzelnd. »Beug mal deinen Kopf etwas vor.« Ich tat, wie mir geheißen. Geschickt streifte sie mir die Maske über und rückte sie auf meiner Nase zurecht.
Ich seufzte. »Wozu der ganze Zirkus?«
»Traditionen, junger Ingram, Traditionen«, imitierte sie eine ältere Stimme, die verdächtig wie eine Persiflage auf die Herrin der Oper klang.
»Nach dem Walzer weiß doch eh jede Person, wer die anderen sind. Vermutlich schon davor, so eine komische Maske verbirgt kaum etwas.«
»Die erste Stunde ist nun einmal anonym, Jax. Es symbolisiert, dass ihr Hexen alle gleich seid – egal aus welcher Blutlinie ihr stammt.«
Ich lachte abfällig. »Aber ihr Gargoyles und Dämonen seid von Anfang an erkennbar und tragt keine Masken.«
»Weil wir unter euch stehen und das nie vergessen sollen.«
»Findest du das fair?«
»Jax, weder die Lichtwelt noch die Schattenseite ist fair.« Phoebe strich mir über das Revers. »Mir reicht es, wenn Hexen wie Harlow und du mich ebenbürtig behandeln. Das ist besser als nichts.«
»Das ist doch scheiße!«
»Warum, glaubst du, haben Harlow und du in den letzten Wochen so viel Sympathien im Reapers Den und bei den Dämonen gewonnen?«
Verwundert sah ich sie an. »Haben wir das?«
Lachend schüttelte meine Partnerin den Kopf. »Ach, mein liebes, liebes, naives Kind …«
»Du bist gerade mal paar Jahre älter!«
»Die Gargoyles und die Dämonen haben einen Narren an Harlows offenen, toleranten Art gefressen, ebenso an dir. Für viele seid ihr das nächste Königspaar, auf das sie ihre Hoffnung für eine bessere Zukunft setzen.«
»Macht den ganzen Druck jetzt wirklich besser«, sagte ich ironisch.
»Ha, das ist noch nichts. Du hast ja keine Ahnung, was dich gleich erwartet.«
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* * *
Phoebe behielt recht.
Wir stiegen kurze Zeit später aus der Limousine aus, Phoebe hakte sich bei mir unter und eine Wand aus Blitzlichtgewitter traf mich voll ins Gesicht. Fernsehkameras, Fotografen, Reporter – Dutzende davon, und alle riefen sie nach mir.
»Shit«, flüsterte ich, doch Phoebe lachte lediglich.
»Lächeln und winken«, antwortete sie mit einem breiten Lächeln für die Kameras.
Alle möglichen Fragen prasselten auf mich ein.
»Jax, was werden wir heute sehen? Welchen Anzug tragen Sie?«
»Jax, steigen Sie in den Ingram-Coven ein?«
»Jax, wie läuft Ihre Reaper-Ausbildung?«
»Jax, ein Statement für den Guardian , wieso Sie nicht mit einer Hexe, sondern mit einer … von denen … zum Ball erschienen?«
Ich verkrampfte mich, musste an mich halten, dem Typ nicht ins Gesicht zu schlagen.
»Weiterlächeln und nicht stehen bleiben«, drängte Phoebe und ignorierte den diskriminierenden Kerl.
»Wieso tragen wir die Masken, wenn die wissen, wer ich bin?«, presste ich zwischen gebleckten Zähnen hervor.
»Tradition. Eine unsinnige, aber sie gehört halt dazu.«
Wir kämpften uns zum Eingang der Festhalle durch. Kurz vor der Tür verstummten alle Schreie. Eine weiße Limousine kam an der Straße zum Stehen.
»Immerhin kommt er nicht in einer Kutsche«, flüsterte ich Phoebe zu.
»Sehr zur Enttäuschung von Constance McQueen vermutlich.« Sie lachte.
Ausnahmslos alle Blicke weilten auf der Limousine, die leise vor sich hin schnurrte. Der Fahrer stieg aus, eilte um das Auto herum und öffnete die Tür.
Albertine LeBlanc verließ die Limousine und richtete ihr elegantes schwarzes Kleid. Es glitt geschmeidig wie Öl an ihrem Körper hinab und lief ebenso den Boden entlang. Auf ihrem Kopf thronte eine aufwendig geflochtene Frisur mit Perlen, Federn und von einem Haarband durchzogen.
Lächelnd betrachtete sie die offene Tür der Limousine. Wachsam verließ Teagan das Auto, gefolgt von Harlow in einem schwarzen Smoking. Sein rotes, nach hinten gegeltes Haar glänzte in dem Blitzlichtgewitter, das sofort einsetzte. Auf der goldenen Maske über seinem Gesicht, die mit frischen Blumen versehen war, funkelten die Kamerablitze wie kleine Sterne. Harlow sah zu mir herüber und zwinkerte. Dann reichte er Albertine seinen Arm und sie betraten den roten Teppich.
Dachte ich, dass mich schon viele Fragen ereilt hatten, explodierten die Reporter in purer Euphorie, als sich Harlow ihnen näherte.
»Harlow, was wird Ihre erste Amtshandlung als Königin sein?«
»Welches Outfit tragen Sie unter der Illusion?«
»Harlow, war Ihre Rückkehr von langer Hand geplant?«
»Stimmt es, dass Sie und der Ingram-Erbe ein Liebespaar sind?«
»Weiß Angelina von allem?«
»Ist es wahr, dass der Fluch Sie rasend vor Wut macht und Sie die Reaper im Training verfluchen?«
»Hast du unter dem Einfluss des Fluchs schon getötet?«
»Harlow, wer sagt uns, dass du nicht schlimmer wirst als deine verdorbene Mutter?«
Bei den letzten Fragen zuckte Harlow zusammen, als hätte jemand ihm einen heißen Dolch in den Rücken gerammt. Seine Hände zitterten, und Albertine murmelte ihm etwas zu, was ich nicht verstand – doch Harlows Augen schienen plötzlich leer, als wäre er in Gedanken ewig weit weg.
Mit nur fünf Schritten war ich bei ihm, zog Harlow an mich und flüsterte ihm ins Ohr: »Wehe, du glaubst diesen Arschlöchern!« Er sah mich aus geweiteten Augen an, und ehe er etwas erwidern konnte, gab ich ihm einen liebevollen Kuss. Blitzlichtgewitter blendete mich beinah, so euphorisch waren die Reporter.
Langsam kehrte Leben in Harlows Augen zurück, er blinzelte und eine einzelne Träne lief seine Wange hinab. In diesem Moment veränderte sich sein ganzes Verhalten. Sein Kiefer wirkte angespannt, während er künstlich zu lächeln versuchte, den Augen fehlte jegliche echte Freude, und ich konnte förmlich sehen, wie er einen Teil seiner Seele abschirmte.
»Kommt, wir gehen rein«, sagte Phoebe, die neben uns erschien und uns ins Innere geleitete.
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* * *
Fünfzehn Minuten später wirkte Harlow wieder gefasst. Mehr noch, er hatte seine Maske übergestreift, die er an der St. Andrew täglich getragen hatte. Verschwunden war der Junge, den ich auf der Schattenseite kennen- und lieben gelernt hatte – ersetzt durch den Eisprinzen in der Version 2.0, Sonderedition Schattenseite.
Der ganze Prunk im Ballsaal hätte mich an jedem anderen Tag in ehrfürchtiges Erstaunen versetzt, nicht aber in diesem Moment. Weder die acht großen Kronleuchter noch die Bäume aus Glas mit Diamanten besetzt, die den Weg zur Tanzfläche säumten, oder die edel bestückten Tische lenkten mich davon ab, dass Harlow nicht er selbst war.
»Es geht mir gut«, flüsterte er eindringlich, als er meinen Blick bemerkte.
»Erzähl keinen Scheiß!«
»Jax, nicht jetzt. Achte auf deinen Ton. Wir repräsentieren hier nicht nur unsere Familien, sondern suchen Verbündete für den Kampf gegen Casiopaia. Entweder du spielst das politische Spiel mit oder wir sehen uns im Anwesen wieder. Deine Wahl.« Seine Stimme klang freundlich, durchdrungen von reiner Diplomatie und Berechnung. Der Sohn der Präsidentin gab sich die Ehre und verfiel in seine antrainierten Muster. Ein winziger Funke meines Harlows blitzte in seinen Pupillen auf, verblasste jedoch, als ich mit meiner Antwort haderte.
Er drehte sich wortlos um, stolzierte davon und ließ Phoebe und mich zurück.
Geschockt stand ich da und sah ihm mit offenem Mund hinterher. Passierte das gerade wirklich? Und was bedeutete es für uns beide?
»Du weißt, ich bin immer auf deiner Seite«, sagte Phoebe.
»Aber?«, brummte ich.
»Er hat recht. Das hier ist größer als ihr beide oder die Ehre eurer Familien. Wir brauchen Verbündete, um Casiopaia zu besiegen. Heute sind alle Blutlinien hier, ein Fauxpas würde Brücken für immer zerstören.«
»Aber Harlow ist nicht er selbst.«
»Und das aus gutem Grund. Er ist das, was die Familien in ihm sehen wollen: stark, gefasst, höflich und über alles erhaben. Das Abbild einer echten Königin.« Sie klopfte mir auf die Schulter. »Zeit, dass du an seiner Seite den Partner gibst. Er braucht dich, selbst wenn er es nicht so gesagt hat.«
Mit einem sachten Schubs von Phoebe lief ich meinem Freund hinterher. Als ich bei ihm ankam, nahm ich seine Hand und schenkte ihm ein Lächeln. Sosehr ich ihn am liebsten von dieser Veranstaltung und all den negativen Einflüssen wegzerren wollte, hatten Phoebe und er recht: Die Blutlinien gierten danach, eine Hexenkönigin zu sehen – und diese Person stand in diesem Augenblick an meiner Seite und schenkte mir einen liebevollen, dankbaren Blick.