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JAX

DREIZEHN TAGE BIS ZUM BLUTMOND

I n einem Moment brüllte ich wüste Beschimpfungen in Giannos Richtung, im anderen verklang die Wut, als wäre sie nie da gewesen. Ich sah zu Teagan, die knapp mit den Schultern zuckte. War ja klar, dass sie mit den abebbenden Emotionen zu tun hatte. Ihr Gesicht leuchtete in einem merkwürdigen Kupferton.

Ich folgte dem Schein und blickte in Harlows Augen. Das Gold seiner Magie mischte sich mit dem tiefen Rot der Flüche. Sein Kehlkopf vibrierte, während er sich bedächtig zu den Rinaldis drehte. Nur um dann einen subharmonischen Gesang zu entlassen, der einem wütenden Schrei einer Banshee glich. Die Töne kämpften miteinander, schief und verzerrt. Wie ein Insektenschwarm flogen rote Funken aus Harlows Mund, als er die Melodie beendete. Seine Augen strahlten für einen weiteren Moment in diesem bedrohlichen Kupferton, dann nahmen sie das übliche Grün an, während sich der Fluch in Giannos Stirn einbrannte.

»Womit hast du ihn verflucht?«, flüsterte ich Harlow zu.

Gleichzeitig bellte Gianno: »Was hast du Schwu-«

Seine Worte wurden durch seinen lauten Schmerzensschrei unterbrochen. Harlow kratzte sich gelassen am rechten Oberarm und hob eine Augenbraue, während einige Gäste fassungslos zu uns starten und Fotografen Fotos von der Szene schossen.

»Oh, verstehe«, raunte ich.

»Unser guter Rinaldi-Erbe erleidet von nun an immer höllische Schmerzen, wenn er etwas Diskriminierendes von sich gibt.« Zuckersüß grinste Harlow in Richtung Gianno und dessen Vater.

»Was kostet dich der Fluch?«, fragte ich.

»Ein kleiner Ausschlag am Oberarm, der immer juckt, wenn ihn der Fluch quält. Ist es definitiv wert.«

»Das wird du –« Erneut schrie Gianno aus vollem Hals vor Schmerzen.

»Das könnte ich Stunden beobachten«, flötete Harlow und drehte sich zu Eduardo. »Ich hoffe, dein Sohn spricht nicht für eure gesamte Blutlinie?« Harlow formulierte es zwar als Frage, aber seine Augen, die erneut erstrahlten, verdeutlichten seine Drohung.

»Ich habe es dir gesagt, Eduardo, er ist wie seine verkommene Mutter«, zischte Isabella Rinaldi, während sie zu ihrem Sohn eilte.

»Mitnichten, meine Beste.« Harlows Worte trieften vor Hohn. »Dann würde ich gerade sein schlagendes Herz in meiner Hand halten. Aber du hast recht, ich bin ein McQueen, meine Mutter ist unser aller Königin und ich der Erbe des Fluchs.« Er sah ihr tief in die Augen, und ihr Gesicht erstrahlte im Glanze seiner Magie. Dann erhob Harlow die Stimme, für alle im Saal hörbar: »Und dieses Erbe stellt mich laut des alten Hexengesetzes aus Salem über jede hier anwesende Hexe! Ich hätte nie gedacht, es zu sagen, aber wer nicht an meiner Seite kämpft, ist offiziell mein Gegner. Morgen beginnt der Bau meines Palastes im Darling Harbour, was ich laut meiner Großmutter förmlich ankündigen sollte. Da aber der Umgang der Rinaldis jeglicher mir bekannten höflichen Form spöttisch ins Gesicht lacht, kann ich es auch einfach so verkünden. Sollte ich in der Schlacht siegreich sein, werde ich die neue Hexenkönigin. Ihr hab die Wahl, ob ihr Verbündete oder Feinde seid.«

Gemurmel und Geflüster huschten durch den Raum, während Harlows Worte eisig und schwer in der Luft hingen.

Isabellas Kehlkopf vibrierte kaum merklich, und vereinzelte silberne Funken formten sich an ihrem Mund. Bevor ich wusste, was ich tat, griff ich nach dem Metallstück in meiner Tasche und Verderbnis erschien in meiner Hand. Ich hämmerte den Stab der Sense auf den Boden und das Echo erinnerte an einen Donnerschlag, während die Klinge freudig summte. Ich stimmte einen Canto an und mein Schatten formte sich zu einem Wolf, der die Rinaldis bedrohlich anknurrte.

»Jax, nicht!«, hörte ich Gunnar, ignorierte ihn jedoch.

»Wir sollten uns beruhigen. Natürlich wissen alle, dass wir Ihnen dienen, Harlow McQueen«, gab Eduardo lachend von sich. Nichts daran wirkte ehrlich. Sein aufgesetztes Lächeln voller weißer Zähne erinnerte mehr an eine Wachsfigur als an ein echtes Lebewesen. »Mein Sohn ist ein Hitzkopf. Könnten Sie seinen Fluch bitte lösen?«

»Kann ich leider nicht«, antwortete Harlow und spielte den Bedauernden. »Ich bin kein Fluchbrecher. Dein Sohn wird so lange verflucht bleiben, bis sich die Bedingung erfüllt.«

»Und die wäre?«

»Eigentlich recht simpel.« Harlow schien es zu genießen, die Familien Rinaldi in ihre Schranken zu weisen und dabei höflich zu bleiben. »Sobald er gelernt hat, toleranter zu sein und niemanden mehr zu diskriminieren, endet der Fluch von selbst.«

»Also ein ewiger Fluch«, nuschelte ich vor mich hin.

»Ein simpler Lernprozess, so wie bei dem Tier hier«, setzte Harlow fort, ignorierte meinen Kommentar und tätschelte den Kopf des Schattenwolfes. »Jeder Hund kann lernen, stubenrein zu werden und nicht in die Ecke zu pinkeln. Da sollte es für Gianno doch ebenso möglich sein, sich weiterzuentwickeln, ohne dass wir meine Großmutter bemühen müssen, den Fluch zu brechen, oder?« Jedes von Harlows Worten klang schmerzhaft freundlich und so übertrieben unschuldig, dass mir verwundert der Mund offen stand.

Harlow hatte es geschafft, den Rinaldi-Erben mit einem Hund zu verglichen, und zusätzlich gesagt, dass seine Großmutter den Fluch nicht lösen würde – und das alles mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen.

Ohne Frage, das war beeindruckend, und ich verliebte mich in diesem Moment etwas mehr in ihn. Außerdem wollte ich ihn sofort in die Garderobe zerren und unanständige Sachen mit ihm anstellen.

»Nun, dann sei es so«, verkündete Eduardo. Sein Unmut war kaum aus seiner Stimme herauszuhören, doch seine Augen verrieten diesen deutlich.

Mit einem abfälligen Grunzen packte Isabella ihren Sohn, drehte sich um und stürzte mit ihm davon. Ihr Mann sah ihnen kurz hinterher, atmete tief durch und richtete penibel seinen Anzug. »Wir sind etwas schlecht miteinander gestartet.« Er zupfte seine Fliege gerade und zeigte die übertrieben weißen Zähne. »Ich nehme an, Sie können reiten?«

An der Antwort interessiert beäugte ich Harlow, der langsam nickte. »Selbstverständlich.«

Ich schloss die Augen und grinste. Natürlich konnte Harlow reiten – wieso auch nicht? Vermutlich besaß er in der Lichtwelt sogar eigene Pferde. Warum wunderte mich noch irgendetwas, wenn es um ihn ging?

Er schenkte mir einen flüchtigen Seitenblick und unmittelbar darauf hörte ich: »Was? Hör auf, so selbstgefällig zu grinsen! Ist nicht so, dass ich es freiwillig gelernt hätte.«

»Ich möchte Sie einladen, morgen an der alljährlichen Jagd zur Sommersonnenwende teilzunehmen«, durchbrach Eduardo unsere stille Kommunikation. »Es ist eine alte Rinaldi-Tradition, zu der wir ausschließlich exklusive Gäste von höchstem Stand und Ansehen einladen. Und wie Sie gerade für alle Anwesenden gezeigt haben, besitzen Sie nach Ihrer Mutter den höchsten Rang in der Hexenwelt.«

So ein Schleimscheißer! Also ob Harlow töricht genug wäre, dieses Angebot anzunehmen, um fröhlich mit einem Haufen Rinaldis Zeit zu verbringen. Nur damit sie einen Reitunfall fingieren und dadurch zufällig ihren größten Widersacher loswerden könnten.

»Wie großzügig, danke. Ich nehme gern an.«

Meine Kinnlade hing bis zum Boden, während ich Harlow am Arm griff.

»Jax«, setzte Harlow an. Dafür, dass er es schaffte, ein einzelnes Wort derart wohlwollend, geradezu belehrend zu sagen, wollte ich ihn unmittelbar danach boxen. »Es wäre sehr unhöflich, diese Einladung abzulehnen.« Harlows Blick sagte: »Lass und später darüber reden«.

Eduardo, die Ratte, nickte eifrig. »Ja, sehr unhöflich. Ganz unpassend für einen so noblen McQueen.«

Igitt, widerlich! Ich hasste diesen Typ und hoffte inständig, dass er an seinen Worten erstickte.

»Dann komme ich mit«, sagte ich mit trotzig verschränkten Armen vor der Brust.

Unmut spielte für eine Sekunde über Eduardos Gesicht, dann grinste er und breitete die Arme aus. »Natürlich, welch eine Freude. Ihr Onkel lehnt seit Jahren die Einladung ab.«

Sein Verhalten war keine große Überraschung, denn mit Sicherheit war ihm bewusst, was für ein Arschloch den Rinaldis vorstand.

»Ich sende noch heute Abend einen Boten mit allen Details zum Ingram-Anwesen. Jetzt sollten wir aber den Ball genießen.« Übertrieben höflich verbeugte sich Eduardo und schenkte uns erneut ein unehrliches Lächeln, als er sich aufrichtete. »Genießen Sie den Abend, und eine frohe Sommersonnenwende.«

Mit diesen Worten huschte die Ratte davon und ich starrte Harlow grimmig an.

»Wir klären das später, Jax. Glaub mir, gerade willst du nicht mit mir diskutieren.«

Jegliche aufgesetzte Freundlichkeit war aus Harlows Gesicht gewichen. Purer Zorn und Hass tanzten in seinen Augen einen düsteren Walzer. Schwerfällig atmete er mehrfach ein und aus, schloss die Lider, und nachdem er sie wieder öffnete, saß erneut das diplomatische Lächeln auf seinen Lippen. So unehrlich und falsch, wie ich es drei Jahre lang an der St. Andrew aus der Ferne betrachtet hatte.

»Dann wollen wir mal Kontakte knüpfen, nicht wahr? Außerdem muss ich wieder etwas gut Wetter machen, da ich gerade allen gedroht habe, dass sie meine Feinde sind, wenn sie uns nicht unterstützen. Das war durchaus unbedacht. Ich hätte lieber ehrliche Unterstützung als eine aus Angst.« Er reichte mir einen Arm. Widerwillig hakte ich mich unter und folgte ihm missmutig. »Willkommen in der Welt der McQueens. Nicht mehr so leicht und beneidenswert, wenn man selbst ein Teil dieses Lebens ist und es nicht nur verurteilen kann, oder? Und jetzt lächele, wie ich es tue, und friss die Wut in dich hinein«, flüsterte er mir so leise zu, dass nur ich ihn hörte, während er übertrieben freundlich anderen Gästen zunickte. Ich sah genervt gen Boden – und stockte. Einige halbmondförmige kleine Wunden befanden sich in Harlows Handinnenfläche, fünf davon frisch. Eine von ihnen blutete leicht, während sich die anderen vier feuerrot von seiner blassen Haut abhoben. Gut ein weiteres Dutzend verblasste Narben in derselben Form säumten sie.

Langsam schloss er seine Hand zu einer Faust, weshalb ich ertappt aufsah. Noch immer thronte dieses strahlende falsche Lächeln auf seinen Lippen, diese perfekte Maske auf seinem Gesicht.

»Ich habe Emotionen. Hatte sie schon immer, ich zeige sie nur selten, wenn ich in der Elite unterwegs bin« , hörte ich ihn in meinem Kopf traurig sagen.

»Die waren nicht alle frisch?« , fragte ich.

»Manche sind über zehn Jahre alt. Es passiert manchmal, wenn ich unbewusst meine Faust vor Wut zu sehr balle – ich mache es nicht absichtlich. Dennoch sind es Narben, die mich daran erinnern zu lächeln. Können wir das Thema bitte lassen?«

»Natürlich. Es tut mir leid.«

»Mir auch.«

Was genau ihm leidtat, erörterte er nicht. Vermutlich alles. Seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft als Hexenkönigin. Wie hatte ich je glauben können, dass ihm alles egal gewesen war in der Lichtwelt? Dass sein Leben einfach gewesen war? Dass er alles gehabt hatte, was man sich nur wünschte?

»Guten Abend, Madame Lachance, ich habe schon so viel von Großmutter über sie gehört«, begrüßte Harlow die Oberste Hexe der Blutlinie aus Monaco freundlich – so als hätte unser Gespräch über seine mentalen und physischen Wunden nicht existiert. Als hätte er keine Narben, verursacht durch Jahre der Einsamkeit. Dieser junge Mann neben mir war ohne Frage für die Politik und das Glatteis der High Society geboren. Ich hoffte nur inständig, dass ihn das nicht irgendwann gänzlich zerbrechen ließ.

Für mich war der Abend so was von gelaufen – und das, obwohl wir noch gut drei Stunden vor uns hatten. Auch wenn es mir schwerfiel, versuchte ich in der Zeit zu lächeln und mich an Gesprächen zu beteiligen, die ich allesamt kaum registrierte. Ein Familienoberhaupt nach dem nächsten wickelte er um seinen Finger, plauderte und scherzte mit ihnen, und abgesehen von den Rinaldis fraß ihm eine jede alte Blutlinie aus der Hand.

Ich hingegen konnte nur wenig beisteuern und blieb Harlow zuliebe an seiner Seite, damit er verstand, dass er sein erneutes Rampenlicht in der politischen Hexenwelt nicht allein zu bewältigen hatte. Dieses Mal hatte er jemanden an seiner Seite, der ihm Halt gab. Ich hoffte nur, dass er es realisierte.

* * *

Schweigend stiegen wir in die Limousine ein. Harlow, Phoebe, Teagan, mein Onkel und ich hatten hinten Platz genommen, während Declan vorn beim Fahrer saß.

Harlows Anspannung war greifbar. Wie ein Gewitter hing sie schwer und schwül über der Atmosphäre und drohte, jeden Moment auf uns niederzuprasseln. Mit dem Bein wippte er nervös auf und ab, während er seine zitternden Finger knetete. Seine Iriden loderten vor Zorn. Er konnte das goldene Sonnenfeuer kaum im Zaum halten und kleine Flammen stoben aus seinen Augen.

Ebenso wie ich musterte Teagan ihren Schützling und warf mir einen flüchtigen Blick sowie ein erzwungenes Lächeln zu. Mein Onkel räusperte sich. Alle Köpfe drehten sich zu ihm, und ich griff vorsichtig nach Harlows Hand. Im ersten Moment verkrampften sich seine Finger, sein Blick suchte meinen und wurde dann milder. Er entspannte die Finger und verschränkte sie behutsam mit meinen. Ein ehrliches, wenn auch schwaches Lächeln legte sich auf seine Lippen.

»Was gedenkst du in Bezug auf die Rinaldis zu tun?«, fragte Gunnar. Seine Stimme war freundlich, aber geschäftsmäßig.

Harlows Lächeln verflog. Er lachte finster, drehte seinen Kopf zum Fenster und starrte eine gefühlte Ewigkeit hinaus. Gerade als ich besorgt etwas in die Stille sagen wollte, ergriff er das Wort. Jedes davon gefährlich leise.

»Sie sind bereit, Leben zu opfern. Anstatt uns freiwillig zu helfen, erpressen sie mich. Die Familie Rinaldi hat keine Würde.« Für eine Sekunde schloss er die Lider und öffnete sie erneut. Das Gold strahlte hell und eindringlich aus seinen Augen. »Hätten sie Anstand, würden sie uns ohne Bedingung helfen, so wie die Dubois’ und einige andere. Meine Entscheidung steht: Ich werde Eduardos Tochter nicht heiraten!« Dabei drückte er meine Hand, wie um mir ein stummes Versprechen zu geben.

»Aber –«, setzte mein Onkel an, wurde jedoch sofort von Harlow unterbrochen.

»Gunnar, du meinst es gut und bist nur um deine Leute, zur Urmutter, um alle Hexen in Sydney besorgt, das verstehe ich. Aber hör mir genauestens zu, denn ich werde mich nicht wiederholen …«

Die Luft war zum Zerreißen gespannt. Geräusche von draußen drangen nur gedämpft ins Innere, und der Motor klang nach einem unheiligen Omen, während Harlow meinem Onkel direkt in die Augen starrte.

»Solltest du versuchen, mich dazu zu überreden oder zu zwingen, die Rinaldi-Tochter zu heiraten, dann ist der wackelige Frieden zwischen den Ingrams und den McQueens erneut in Gefahr.«

»Drohst du mir?« Keine Emotion spielte über Gunnars Züge.

»Oh, das siehst du falsch. Ich drohe nicht, sondern verspreche es dir und deiner ganzen Blutlinie.« Harlow sah zu mir. »Fast der ganzen Blutlinie.«

»Bist du fertig?«, fragte Gunnar tonlos.

»Bin ich.«

»Gut, dann kann ich nun vielleicht ausreden.« Die Mundwinkel meines Onkels zuckten. »Erstens wollte ich nicht vorschlagen, dass du ihr Angebot annimmst. Zweitens wollte ich dir davon abraten, morgen zu der Jagd zu gehen. Drittens hoffe ich, dass du irgendwann Jax heiratest. Und viertens bist du ganz deine Mutter … Angelina. Sie ist genauso impulsiv und hat voller Leidenschaft zu ihren Überzeugungen gestanden.« Gunnar lächelte, wodurch seine Gesichtszüge weicher wurden. Behutsam streckte er eine Hand aus und legte sie auf Harlows Knie. »Unsere Familien hatten genug Streit. Wir halten jetzt zusammen und ich unterstütze dich in deinen Entscheidungen. Das bin ich Angelina schuldig.«

»Danke, Gunnar.« Harlow nickte meinem Onkel zu. »Und entschuldige, dass ich so –«

»Entschuldige dich niemals für Emotionen, mein Junge.« Gunnar wandte seinen Blick zu mir. »Oder deine Gefühle.«

Betretene Stille legte sich über uns. Alle Anwesenden schienen die Luft anzuhalten.

»Na dann, das war doch ein überaus unangenehmes Gespräch«, durchbrach Teagan den Moment und stupste meinen Onkel an. »Du hast es sogar geschafft, eine Hexenhochzeit zwischen Jax und Harlow zu thematisieren, die drei Jahre gebraucht haben, um sich zu küssen. Respekt, Gunnar! Möchtest du mit deinem Neffen noch das Gespräch über Bienchen und Blümchen führen?«

Mein Onkel, der Anführer der Ingrams und Mitglied des Hexenrats, lief feuerrot an und stöhnte auf. Dann vergrub er sein Gesicht in den Händen.

»Zur Urmutter. Jax, müssen wir darüber reden? Hast du … noch nicht?«, fragte er gedämpft.

»Ich kenne sowohl Bienchen als auch Blümchen!«

Neben mir lachte Harlow in seine Hand und versuchte es vor uns zu verstecken. Teagan zwinkerte ihm liebevoll zu und er erwiderte es.

»Gut, gut.« Mein Onkel sah erleichtert auf und drehte sich zu Harlow. »Lass mich raten, ich kann dich nicht davon abbringen, morgen zur Jagd zu gehen?«

»Stimmt! Ich möchte wenigstens aktiv versuchen, die Rinaldis umzustimmen.«

»Dachte ich mir. Ich sagte es bereits, du bist ganz wie Angelina«, raunte er. »Dann stelle ich dir gleich jemanden vor, der ohnehin wegen des Balls angereist ist – und keine Widerrede, er wird dich begleiten.«

* * *

Eine Viertelstunde später saßen wir im Wohnzimmer des Anwesens. Teagan war zu Bett gegangen, dafür hatte sich aber Declan zu uns gesellt und übernahm ihren Job.

Die Tür öffnete sich und ein Mann kam herein, vermutlich Mitte zwanzig, mit schwarzem, mittellangem Haar und ebenso dunklen Augen. Seine braune Haut glänzte im Licht des Kronleuchters.

Mein Onkel erhob sich lächelnd und eilte zu ihm, ehe er den neuen Gast umarmte.

»Soo-Ri, schön, dich endlich wiederzusehen. Wie lange ist es her?«

Der junge Mann strahlte, doch sein Blick huschte wachsam durch den Raum. Dann blieb er an Declan hängen und etwas Undefinierbares spielte über seine Züge.

»Vier Jahre, seit ich Sydney nach meiner Ausbildung verlassen habe und anfing, für die Seoul-Division des Ordens zu arbeiten.«

Gunnar drehte sich zu uns. »Das ist Soo-Ri, Ausbilder der Reaper der Seoul-Division. Und wie alle aus der alten Yoon-Blutlinie ist er ein Animalist.«

Ich stutzte einen Moment. Bisher hatte ich nur davon gehört, aber keine Hexe getroffen, die mit Tieren kommunizieren konnte und sie im Kampf an ihre Seite rief.

»Ja, ich bin ein Tierflüsterer«, scherzte Soo-Ri, der offensichtlich meinen Blick wahrgenommen hatte. Meine Wangen erhitzten sich.

»Ich denke, du bist nicht hier, um über deine Blutgabe als Erbe von Salem zu reden, Soo«, presste Declan hervor, die Augen zu Schlitzen verengt.

»Dec.« Der Animalist nickte dem Gargoyle mit einem gefährlichen Lächeln zu. »Immer noch sauer, dass ich besser bin als du?«

Ich zog scharf die Luft ein bei diesen überaus mutigen Worten. Declans Muskeln spannten sich an und er erhob sich langsam. Dann pirschte er förmlich auf Soo-Ri zu und baute sich vor ihm auf.

»Besser? Im Angeben vielleicht.«

»Und im Aufreißen, was dein Aussehen betrifft, im Trinken, in der Magie und im Bett – jedenfalls sagen das die Leute.«

Stille. Komplette, alles einnehmende Stille.

Popcorn wäre cool , dachte ich.

Dann lachten die beiden Männer los und umarmten sich herzlich.

»Ihr könnt später über alte Zeiten reden«, sagte Gunnar freundlich, aber mit Nachdruck. »Harlow, Soo-Ri wird dich morgen begleiten. Durch seine Gabe wird er die meisten Gefahren des Waldes und der nahen Natur vorhersehen können.«

»Falls die Rinaldis dich in einen Hinterhalt locken, in dem die Kinder des Waldes auf dich warten, werden mich die Tiere warnen«, sagte Soo-Ri ernst. »Bin ich allein oder kommt Reina Flores ebenso?«

»Wer?«, fragte ich.

»Die Erbin der Flores-Blutlinie aus Spanien«, erklärte Soo-Ri. »Die Flores-Blutgabe ist die Verbindung zu den Pflanzen und der Natur, so wie wir Yoon mit den Tieren verbunden sind.«

»Reina ist noch in Madrid, teilte mir ihre Mutter auf dem Ball mit. Sie kann euch leider nicht begleiten.«

»Verstehe. Es sollte auch so alles sicher sein.« Soo-Ri nickte selbstsicher. »Selbst die Rinaldis können nicht so töricht sein, die nächste Hexenkönigin anzugreifen und durch ihren Verrat eine Fehde auszulösen.«

»Sehr gut«, sagte mein Onkel. »Jax, Harlow, ihr solltet euch hinlegen.«

Das war kein Vorschlag, sondern ein Befehl. Jedoch einer, der mir gelegen kam. Meine Füße schmerzten von den engen Schuhen, und Harlows müdes Nicken bestätigte mir, dass auch er müde war. Nicht einmal Kraft für Widerworte gegen eine zweite Leibwache hatte er übrig – und das hieß bei ihm schon einiges.