EPILOG

Jax

Sieben Wochen nach dem Fall der Abschirmung

I ch blickte in den Spiegel und konnte gar nicht glauben, was ich dort sah. Natürlich war das mein Gesicht, die gleichen dunklen Haare – zugegeben in einer untypisch spießigen Frisur, doch alles an dem Kerl vor mir war ich, und dennoch glich nichts mehr dem naiven, trotzigen Typ, der ich vor einem Vierteljahr gewesen war.

Meine komplette Welt hatte sich verändert, mehrfach um die eigene Achse gedreht und stand jetzt kopf.

»Shit.« Ich konnte das Lächeln nicht von den Lippen vertreiben. Anders als noch an der St. Andrew wollte ich es auch gar nicht mehr vertreiben. Immerhin hatte ich allen Grund, fröhlich zu sein, selbst wenn ich es nie für möglich gehalten hätte.

»Hoffen wir mal, dass Harlow nicht auch Shit sagt, sobald er dich sieht und direkt flüchtet.« Lachend kam Oli zu mir herüber und klopfte mir auf die Schulter. Aus seinen Haaren erblühte eine zierliche weiße Blume und an seinem Hals schimmerte ein Hauch von Borke. Ansonsten hatte er seine menschliche Form gänzlich zurückerlangt. Ruby war weiterhin im Sanatorium bei den Reyes-Hexen, würde sich aber hoffentlich bald vollständig erholen.

»Bereit, Geschichte zu schreiben, Bruder?« Er zwinkerte mir zu und legte einen Arm um meine Schultern, während er uns im Spiegel betrachtete. Fasziniert hatte ich die Rückwandlung über die letzten Wochen bezeugt und viel Zeit mit ihm verbracht.

»Nein, absolut und gar nicht. So was von nicht bereit!« Ich schüttelte den Kopf.

»Gut, immerhin heiratest du gleich meinen besten Freund und unsere neue Hexenkönigin. Man wird nicht jeden Tag zum nächsten Power Couple, das die Hexenwelt regieren wird. Wäre auch vermessen, wenn dir da nicht der Arsch auf Grundeis ginge.« Oli festigte seinen Griff und umarmte mich herzlich.

»Wow, das war mal eine beschissene Motivationsrede. Ich hätte doch Declan als Trauzeuge nehmen sollen«, antwortete ich lachend.

»Ich bin froh, dass Harlow dich an seiner Seite hat, Mate«, flüsterte Oli mir zu, bevor er sich von mir löste und meine Fliege richtete. »Einen besseren Kerl könnte er gar nicht heiraten.«

»Ach, ist das so? Der Covlo ist plötzlich der beste Kerl?« Ich zog eine Braue in die Höhe.

»Meh, ihr gründet gleich einen eigenen völlig neuen Coven, sobald euer Blut sich im Brunnen vereint hat. Du bist nur noch maximal eine halbe Stunde ein Covlo.« Oli zupfte ein weiteres Mal an meiner Fliege, strich über das Revers meines Smokings und nickte dann. »Fertig. Außerdem bist du mein Bruder, natürlich bist du cool.«

»Ich bin froh, dass wir dich zurückhaben.«

»Bin ich auch«, sagte er leise. »Die Stimme des Waldes in meinem Kopf war nichts, was man in Worte fassen kann. So wütend, zornig, voller Hass.« Er schüttelte sich. »Wie auch immer, heute geht es um euch. Los geht’s?«

»Los geht’s!« Ich nickte und deutete zur Tür.

»Dann wollen wir mal, bald Mister Ingram-McQueen von Vallhö!«

Mein Magen vollführte einen Salto bei dem Namen, den ich in wenigen Minuten mein Eigen würde, und erneut legte sich ein Lächeln auf meine Lippen. Niemals hätte ich in meiner Zeit an der St. Andrew damit gerechnet, und doch fühlte sich nichts richtiger an als genau das.

Harlow

Kannst du aufhören zu zappeln?«, fragte meine Mutter, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel in die Höhe wanderten. »Was hab ich dir über das perfekte Auftreten beigebracht?«

»Immer lächeln und den Kopf erhaben hochhalten.«

»Ganz genau, mein Sohn!« Sie sah mich mit wässrigen Augen an. »Ich bin stolz auf dich, das weißt du, oder?«

»Ich weiß, Mom.«

Angelina schluckte schwer bei dem Wort Mom, und eine Träne löste sich aus ihren Augen. »Ich liebe dich!«

»Ich dich auch. Tut mir leid, wenn ich -«

»Nein. Es gibt nichts, was dir leidtun müsste. Die letzten Jahre waren kompliziert, mein Liebster. Ich bin froh, dass wir in den vergangenen Wochen so viel aufgearbeitet haben.« Sie strich mir über die Wange. »Weißt du, was?«

»Hm?« Ich sah sie fragend an, während sie mein Gesicht zwischen beide Hände nahm.

»Du hast immer gelächelt und den Kopf erhoben gehalten, doch es war jedes Mal eine Lüge. Etwas, was du von klein auf gelernt hast. Etwas, zu dem ich dich erzogen und gezwungen habe.« Sie verzog für einen Moment den Mund, dann atmete sie schwer durch. »Doch hier, in diesem Moment sehe ich dich gefühlt das erste Mal ehrlich lächeln. Nein, nicht nur lächeln. Du strahlst! Spätestens jetzt wüsste ich, dass eure Hexenhochzeit echt sein wird und nicht lediglich ein politischer Akt ist. Er macht dich glücklich, und das ist mehr, als viele von uns Hexen über ihre Ehen sagen können.«

Ich nickte langsam. »Das macht er. Ich … liebe diesen grummeligen Kerl, auch wenn er mich selbst heute manchmal zur Weißglut treibt.«

In den letzten fünf Wochen war mir genau das zunehmend bewusst geworden. Ich war nicht nur verliebt, sondern Jax war die Liebe meines Lebens. Ich spürte es in dem Canto, der uns verband, in jedem Lächeln, das er mir schenkte, und in all den kleinen Gesten, die wir seit dem Fall der Abschirmung geteilt hatten.

»Darf ich bitten?«, fragte Mom, als die Musik in der Kapelle erklang.

Ich schluckte, versuchte den Kloß aus meinem Hals zu vertreiben und nickte. Langsam reichte ich ihr den Arm und sie hakte sich unter.

»Bereit?«, fragte sie dann mit Liebe in der Stimme.

»Jax zu heiraten?« Ich sah zu ihr. »Ja, so was von. Offiziell zur mächtigsten Person der Welt zu werden und durch den Hexenrat als Abschluss der Hochzeit feierlich zur Hexenkönigin ernannt zu werden?« Erneut schluckte ich. »Nein, das werde ich vermutlich nie sein.«

Und dennoch pochte die magische Tätowierung an meiner Stirn. Die Hexenkrone war anderer Meinung, der Fluch sah mich als würdig an, und ich würde alles tun, um mich als solches zu beweisen.

»Und das, mein Sohn, macht dich zu der besten Hexenkönigin, die sich unsere Welt nur wünschen könnte. Deine Demut, deine Hingabe und die Liebe, mit der du für das kämpfst, was dir wichtig ist.«

Bevor ich antworten konnte, traten wir durch die riesige Tür zur Kapelle. Hunderte von Gästen erhoben sich, Dutzende von Kameras richteten sich auf mich, Applaus brandete auf – ohrenbetäubend und erschlagend. Doch ich sah nur einen Mann – und das Lächeln, das heller strahlte, als meine Walkürenflügel es je vermochten.

Jax Ingram stand am Altar und sah aus wässrigen Augen zu mir, während wir uns ihm näherten. In diesem Moment begriff ich, dass ich mit ihm alle Widrigkeiten bewältigen und er aus mir das beste Oberhaupt der Hexenwelt machen würde. Er würde bei jeder richtigen Entscheidung an meiner Seite sein und bei den falschen nicht zögern, sie mir ehrlich um die Ohren zu hauen.

Wir beide würden die Zukunft der Hexen sein und mit allen Mitteln versuchen, das Chaos zu richten, das der Fall der Abschirmung angerichtet hatte.

Er und ich.

Wir beide.

Zusammen.

Als Jax und Harlow Ingram-McQueen von Vallhö.

Die ersten zwei einer neuen Blutlinie – und sicher nicht die Letzten.