Wer heute an einem »Rittermahl« teilnimmt, sollte vorher seine Körperwaage an einem unzugänglichen Ort deponieren, denn sie wird ihm am Folgetag eine unerfreuliche Mitteilung machen. Das kann im Mittelalter auch passieren, wenn man denn die Chance hat, an einem Festmahl teilzunehmen. Normal ist das aber nicht. Vielmehr ist man stets von der Gefahr des Hungers bedroht. Es gibt Legenden, wie im Kloster die Lebensmittel ausgegangen sind und dann im allerletzten Augenblick ein Wunder geschieht und neue Nahrung ankommt. Das ist aber eben Legende, und etliche kleine Klöster, von denen niemand berichtet, dürften buchstäblich verhungert sein. Vor allem vom 14. Jahrhundert an, als sich das Klima deutlich verschlechtert (»kleine Eiszeit«), ist die Ernährungslage prekär. Aus allen Teilen Europas und des Vorderen Orients gibt es Berichte über Hunger-Kannibalismus. Auf diese durch Hunger und Krankheiten bereits geschwächte Bevölkerung trifft dann mit voller Wucht die Pest des Schwarzen Todes.
Ist es da verwunderlich, dass man, wenn man genug zu essen hat, sich diesem Vergnügen ungehemmt hingibt? Die Mengen, die da genannt werden, vor allem die Mengen an alkoholischen Getränken, sind schwer nachzuvollziehen; freilich wissen wir oft nicht, auf wie viele Personen sie sich jeweils beziehen. Im Übrigen gilt dick zu sein als ein Zeichen von Reichtum und auch sonst einer gehobenen Stellung; nicht von ungefähr regierten in Frankreich Karl III. der Dicke († 888, wahrscheinlich an einem Schlaganfall) und Ludwig VI. der Dicke († 1137). Auch Luthers Landesherr Kurfürst Friedrich der Weise ist für seine Körperfülle bekannt. König Sancho I. von León, zubenannt El Craso, ist schließlich so dick, dass er nicht mehr aufs Pferd steigen kann. Er wird 958 abgesetzt, kann aber nach Córdoba fliehen; dort wird er einer Kur unterzogen, die es ihm 960 erlaubt, zurückzukehren und seinen Thron wieder einzunehmen.
Von alledem kann das einfache Volk nur träumen. Abgesehen von den Mengen: Was aß man überhaupt im Mittelalter? Wir müssen alles weglassen, was vom 16. Jahrhundert an aus der Neuen Welt nach Europa kam, wie Kartoffeln, Paprika, Tomaten, Mais, Tabak und Truthähne. An pflanzlicher Nahrung gibt es vor allem Getreide (Weizen, Einkorn, Emmer, Dinkel, Gerste, Hafer, in Deutschland auch Roggen), ferner Reis und Buchweizen. Für das allerfeinste Weizenmehl gibt es übrigens den lateinischen Ausdruck simile; davon kommt das deutsche Wort ›Semmel‹; eine ›Roggensemmel‹ ist also ein Widerspruch in sich selbst. Dazu kommen Bohnen, Erbsen, Kichererbsen (lateinisch cicer, daher der antike Beiname ›Cicero‹), Salat, Lauch, Rettiche, Möhren, Zwiebeln, Kürbisse, Gurken, Fenchel, Spinat und Mangold, ferner jegliche Art von Obst. Das Gemüse wird, wie sein Name heute noch sagt, meist zu Mus verkocht. Überhaupt wird im Mittelalter alles lange gekocht und gebraten, sodass die Zerstörung der Vitamine zuverlässig gewährleistet ist.
Aus dem Bereich der Fauna isst man Rind, Lamm, Ziege, Hase, aber auch Meerschweinchen und Murmeltiere, vor allem aber Schweine, seltener wohl Pferde. Erwünscht ist ein möglichst fettes Fleisch. Die Schweine werden in den Wald getrieben, wo sie Eicheln und Bucheckern fressen. Die mittelalterlichen Schweine sahen etwas anders aus als die heutigen, etwas urtümlicher im Körperbau, das Fleisch etwas dunkler: Das ist leicht erklärlich, denn im Wald kam es immer wieder einmal zu einem Fehltritt mit einem echten Wildschwein. Dazu kommen vor allem als Fastenspeise die Fische, wobei der im Wasser lebende Biber ebenfalls als Fisch gilt.
Außerdem wird selbstverständlich Geflügel gegessen, so Hühner, Enten und Gänse, die zusätzlich noch Eier, Daunen und Schreibfedern liefern, ferner Fasanen, Pfauen, Schwäne, Reiher, Kraniche, Tauben und Singvögel. Letztere werden mit Leimruten gefangen; daher heute noch unser Sprichwort »jemandem auf den Leim gehen«.
Der Adel hat außerdem Zugang zum jagdbaren Wild, also Hirsch, Reh, Wildschwein, Auerochse, Bär usw. Die Jagd wird im Hochmittelalter zu einer ausgeklügelten ritterlichen Kunst verfeinert. In Gottfrieds von Straßburg Versroman Tristan und Isolde (um 1210) kann der Titelheld seine ritterliche Herkunft dadurch beweisen, dass er die Jagdregeln perfekt beherrscht. Im Spätmittelalter tritt aber für die »armen Ritter«, die frierend und hungernd auf ihren Burgen hocken, wieder die schiere Nahrungsbeschaffung in den Vordergrund.
Wie aber war das Verhältnis von pflanzlicher und tierischer Nahrung? Im frühen Mittelalter steht eindeutig der Fleischkonsum an erster Stelle, und zwar in allen Schichten der Bevölkerung. Als sich etwa vom 11. Jahrhundert an das Klima verbessert und die Anbauflächen ausgeweitet werden, was eine starke Bevölkerungszunahme ermöglicht, ändert sich das. Das Fleisch wird zur Sonntags- und Herrenspeise; an Werktagen und in der Fastenzeit ist die Nahrung pflanzlich. In den Klöstern ist der Genuss vierbeiniger Tiere verpönt; es wird also nur Geflügel gegessen. Konsequente Vegetarier sind die Zisterzienser, denen Papst Honorius III. 1218 in einer eigenen Urkunde bestätigt, dass auch hochgestellte Gäste wie etwa päpstliche Legaten von ihnen keine fleischliche Nahrung verlangen dürfen.
Wenn es aber etwas zu feiern gibt und genügend Nahrung vorhanden ist, biegen sich die Tische, und es gilt geradezu als unanständig, dann nicht herzhaft zuzugreifen und nicht nach dem Essen durch Rülpsen und Furzen sein Wohlgefallen auszudrücken. Ein mittelalterliches Benimmbuch, eine »Tischzucht«, empfiehlt, beim Betreten des Speisesaales den Gürtel zu lockern.
Beim Krönungsmahl Innozenz’ VI. am 30. Dezember 1352 in Avignon, bei dem freilich die halbe Stadt mitaß, wurden verzehrt:
2000 Weißbrote, 52 588 Semmeln, 325 Lämmer, 100 Ziegen, 4 Kraniche, 18 Hasen, 4 Füchse, 2 Hirsche, 131 Kapaune, etliche Zentner Fisch, 1 Schwan (der wohl dem Papst selbst serviert wurde), 6000 Äpfel, 1500 Birnen, 150 Hammel, 216 Pfund Gewürze, 9000 Zwiebeln, 7800 Eier, 5 Zentner Blutwurst, 17 Zentner Wildpastete, 24 Zentner Pökelfleisch, 1432 Perlhühner, 1560 Kaninchen, 2400 Hühner, 16 Schweine, 26 Kälber und 25 Rinder.
Und wie sah es mit den Getränken und den Gewürzen aus? Wer nur Wasser zum Trinken hat, ist arm dran. Und zwar schon allein aus hygienischen Gründen, denn nicht überall und jederzeit steht klares Quellwasser zur Verfügung. Das gewöhnliche Getränk ist daher der Wein, nicht selten mit Wasser gemischt, das dadurch desinfiziert wird. Wir wissen allerdings nicht, wie der mittelalterliche Wein wirklich geschmeckt hat, denn 1863 wurde der traditionelle Weinanbau in Europa durch die aus Amerika eingeschleppte Reblaus vernichtet. Übermäßig süß war er wohl nicht; ein Sprichwort sagt: »Glückliches Bayern, wo der Essig, den man anderswo mühsam herstellen muss, gleich auf der Rebe wächst!« Und weil der Wein so häufig getrunken wird, wird er von den Städten auch saftig besteuert. Der Nürnberger Steuertarif von 1386 unterscheidet für dieses »Ungeld« vier Steuerklassen: 1. Franken, Neckar, Tauber und Bergstraße; 2. Elsass; 3. Italien, Reinfäller und Veltliner; 4. Rumänien, Malvasier, Griechenland und Muskateller. Dabei steigt die Steuer von 2 fl. pro Fuder bis auf 8 fl. Das Bier ist dagegen ein Festgetränk, das beispielsweise aus Einbeck am Harz nach Bayern importiert wird; dabei wurde ›Beck‹ über ›Böck‹ zu ›Bock‹.
Wie wird gewürzt? Gewöhnlich wohl gar nicht, so dass alles ziemlich fade geschmeckt haben muss, zumindest für die heutigen, überwürzte Speisen gewöhnten Gaumen. Wer es sich leisten kann, verwendet Pfeffer – und macht damit die »Pfeffersäcke« fett und reich – oder andere exotische Gewürze, von denen 99 % der Bevölkerung nur träumen können. Gesüßt wird vor allem mit Honig, nur selten mit Zucker, der ebenfalls importiert werden muss und entsprechend teuer ist (noch im 19. Jahrhundert gab es verschließbare Zuckerdosen, zu denen nur die Hausherrin den Schlüssel hatte).
Aus (Ziegen)milch, Mandeln, Reis, Hühnerbrust, Schmalz und Zucker sowie Veilchen zur Verzierung:
Wie man sol machen einen blamenser: Man sol nemen zigeninmilich, vnde mache mandels ein halp phunt, einen vierdunc ryses sol man stözzen zů mele, vnde tů daz in die milich kalt, vnde nim eines hůnes brust die sol man zeisen, vnde sol die hacken dorin, vnde ein rein smaltz sol man dor in tůn, vnde sol ez dor inne sieden, vnde gibs im genůc, vnde nime ez denne wider, vnde nim gestözzen violn, vnde wirfe den dorin, vnde einen vierdunc zuckers.