PROLOG
Es war bitterkalt in der engen Zelle, die feuchte meterdicke Mauern umschlossen. Ratten und Mäuse huschten umher und suchten nach Resten des groben Kommissbrotes, das der Gefangene täglich samt einem Krug Wasser erhielt. Es stank nach Salpeter und Kalk. Freiherr Friedrich von der Trenck, einst stolzer Offizier der Garde du Corps und erklärter Liebling König Friedrichs II. von Preußen, drückte sich mit dem Rücken gegen die unebene, glitschige Wand, an der das Schwitzwasser herabrann. Er war erschöpft, seine Glieder schmerzten von rheumatischem Fieber. Mühsam hatte er gerade mit einem Kreidestein einen neuen Strich in die Wand gekerbt, um das Zeitgefühl nicht ganz zu verlieren. Wenn das passierte, würde er ganz sicherlich verrückt werden. Aber vielleicht würde es auch so geschehen – schleichend, unauffällig. Wenn er nicht vorher starb. Das Halseisen drückte auf seine Adern, die angeschmiedeten Handgelenke waren wundgescheuert und die Fußfesseln mit der Eisenkette klirrten bei jeder Bewegung seiner schlurfenden Füße. Er fiel auf seinen Leibstuhl zurück, die einzige Sitzgelegenheit in der dunklen Zelle, die nur ein schmales, einer Schießscharte ähnelndes Oberlicht erhellte. Auf dem Boden lag sein Leichenstein, auf dem ein grinsender Totenschädel mit seinem Namen eingemeißelt war. Nur das Datum fehlte noch. Was hatte er bloß getan, um solch ein Schicksal zu verdienen? Und wie lange musste er es noch ertragen? Das Grübeln darüber hatte er längst aufgegeben, denn er wusste, dass es mehr als nur einen Grund gab, der für sein grausames Schicksal verantwortlich war. Er war blutjung, leichtsinnig und vor allem viel zu hitzig gewesen und hatte verhängnisvolle Fehler begangen. Aber er wollte ja das Leben zwingen, es mit beiden Händen zu seinen Gunsten packen, auch da, wo dies unmöglich schien. War es ihm nicht zu Kopf gestiegen, dass der König ihn Matador de la jeunesse prussienne, Matador der preußischen Jugend, genannt, ihn gelobt, gefördert und vielfach ausgezeichnet hatte? Das alles war ihm jedoch nicht genug gewesen. Immer mehr hatte er gewollt – Ruhm, Ehre und dazu die edelsten und schönsten Frauen erobern! Und dann hatte ihm die eine, die Einzige, so lieblich zugelächelt. Ihn verzaubert. Die Frau, die ihm von Rang niemals bestimmt sein konnte! Prinzessin Amalie! Nichts hatte seitdem seinen brennenden Ehrgeiz mehr stillen können, nur von ihr begehrt und wiedergeliebt zu werden. Für sie würde er alle Widerstände überwinden, für sie gegen die ganze Welt kämpfen. Welche Ideale hatte er gehabt! Welcher Schimäre war er nachgejagt! Alles erreichen oder nichts! Den Tod – oder das volle, pralle Leben! War das sein Fehler gewesen? Alles war ihm damals offen gestanden im Glanz seiner siebzehn Jahre. Die Gunst König Friedrichs – eine blendende Karriere. Sein Ehrgeiz hatte ihn zu den Sternen greifen lassen, anstatt auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Aber der Liebe konnte man nicht befehlen und er war für sie bis zum Äußersten gegangen.
An der Tür rasselte der Schlüsselbund der Wache. Die schwere Eisentür öffnete sich knarrend und mit Nägeln beschlagene Stiefelschritte hallten auf dem Boden. »He, Trenck! Euer Essen!« Der Wärter legte das grobe dreipfündige Brot auf den Tisch und stellte den üblichen Krug Wasser dazu. Mit einem verstohlenen Blick auf den Kollegen, der hinter der Tür wartete, ließ er ein Stück Hartwurst in Trencks ausgestreckte Hand gleiten.
»Ich danke Euch!« Der Gefangene lächelte seinem Wärter zu, in dessen Augen er Mitleid las. Beinahe alle seine Bewacher waren auf seiner Seite, aber kaum einer wagte es, den Fluchthelfer zu spielen. Darauf hatte der unerbittliche König die Todesstrafe gesetzt. Trenck rückte vorsichtig an seinem Halseisen, das ihm bei jeder falschen Bewegung die Luft abschnürte. Irgendwann musste die Wahrheit ans Licht kommen, auch wenn Friedrich alles tat, um ihn mundtot zu machen. Er würde es aufschreiben – mit seinem eigenen Blut, das er sich, weil Tinte und Feder fehlten, mit einem Stück Draht aus dem Finger ritzte. Für die Nachwelt – um seine Unschuld zu beweisen, seine reinen Absichten, seine Liebe aus tiefstem Herzen und seine Ehrlichkeit. Dann sollten andere darüber urteilen, frei von Eifersucht, Ränken und Neid. Er rückte den Leibstuhl vorsichtig an das einfache Holzregal heran, auf dem Bücher und Papier nebst einem brennbaren Schwamm und einem Schwefellicht standen, das er jetzt mit zitternder Hand entzündete. Vor Schmerz zuckte er zusammen, als er nach dem Stapel mit Bindfaden zusammengehefteter Blätter griff und das Eisen über das rohe Fleisch an seinen Handgelenken glitt. Er las noch einmal den Titel, den er selbst gesetzt hatte. Des Friedrich Freiherrn von der Trenck merkwürdige Lebensgeschichte. Er fügte die Jahreszahl hinzu, 1755. Und nach längerem Nachdenken begann er zu schreiben.
»Ein Lehrbuch für Menschen geschrieben, die wirklich unglücklich sind.«
Mit unendlicher Anstrengung tauchte er jetzt die abgenutzte Feder in sein eigenes Blut und begann zu schreiben:
»Dem König gewidmet, den ich im Leben am meisten verehrte und bewunderte: Friedrich der Große, ein edler, kluger und gerechter Monarch …«