6. KAPITEL
In der Küche widmete sich Anna mit fieberhafter Eile dem Spülen des Geschirrs und dem Reinigen der Küche. Ihr Herz klopfte dabei wie rasend, ihre Wangen brannten. Ein unsinniges Glück, eine seltsame Seligkeit erfüllte sie, dass Trenck ihr so viel Vertrauen schenkte. Heute war sie ihm so nahe gewesen wie noch nie. Sie hatte sein Gesicht ganz dicht neben ihrem gefühlt, seine Wärme, seinen Atem und seine Hand auf ihrem Arm, mit der er sie zu sich gezogen hatte, um ihr seine Skizze zu erklären. Mit aller Kraft hatte sie sich beherrschen müssen, nicht die Augen zu schließen und den Kopf an seine Schulter zu lehnen, sondern ihm stattdessen mit klarer Stimme zu antworten. Auf den ersten Blick hatte sie sich schon hoffnungslos in ihn verliebt, aber jetzt brannte sie lichterloh. Die Sinnlosigkeit dieser Liebe war ihr zwar in jeder Sekunde bewusst, dennoch gelang es ihr nicht, sie aus ihrem Herzen zu verbannen. Im Gegenteil, sie genoss die süße Qual, ihn jeden Tag zu sehen, für ihn da zu sein und von ihm zu träumen. Träume, die, wie sie wusste, niemals Wirklichkeit werden konnten. Nicht nur, weil der stolze Adjutant des Königs eine andere liebte, eine Prinzessin, der sie niemals das Wasser reichen konnte. Sondern weil ihr seine Liebe zu Amalie genauso aussichtslos schien wie ihre. Wegen ihres hohen Ranges war die Schwester des Königs selbst für einen adligen Offizier wie den Freiherrn Friedrich von der Trenck unerreichbar. Trotzdem hatte sie die Eifersucht in ihrem Herzen wie mit Nadelstichen gespürt, als sie das Bündel mit den Briefen entgegennahm. Aber sie durfte, nein, sie wollte sich nicht beschweren. Ihre Liebe zu Trenck würde auf ewig unerwidert bleiben, damit musste sie sich abfinden. Aber von ihm zu träumen, das konnte ihr keiner verbieten. Von seinem Lächeln, von seinem Blick, von den Minuten, in denen sie ihm so nahe war wie niemand sonst. Das allein war schon eine Seligkeit, die sie ganz trunken machte vor Glück. Dieses Gefühl wollte sie tief in ihrem Herzen verbergen, ihr Geheimnis niemanden wissen lassen, am wenigsten ihn selbst. Was sah er denn schon in ihr? Ein armes Dienstmädchen, eine Dahergelaufene, wie seine Mutter, die Gräfin, sich auszudrücken pflegte. Ein Mädchen, das nicht einmal richtig lesen und schreiben konnte – deren Mutter mit Betteln und Huren ihr Geld verdiente! Aber eines Tages würde das alles anders werden, das nahm sie sich fest vor. Sie hatte es geschafft, eine Stellung zu finden – und sicher würde sie auch noch mehr zuwege bringen. Eine gesellschaftliche Stellung! Aber wie sie dieses Ziel erreichen sollte, war ihr noch nicht ganz klar.
Die Köchin beobachtete sie misstrauisch. Das abwesende Lächeln auf Annas Lippen, ihre Versunkenheit, mit der sie einer fernen Vision nachzuhängen schien, während sie das Geschirr wusch, schien ihr verdächtig. Bestimmt handelte es sich hier wieder um eine dieser dummen Liebesgeschichten. Womöglich mit dem Diener Johann, mit diesem Filou, mit dem sie Anna neulich in einer eindeutigen Situation gesehen hatte. Sie würde die Augen offen halten und sich bei passender Gelegenheit bei der Gräfin darüber beschweren.
Als Anna sich die Schürze abband und ihr mitteilte, sie müsse einen Gang für den kranken Herrn von der Trenck zur Garnison tun, runzelte sie ärgerlich die Stirn. Zu widersprechen wagte sie jedoch nicht. Alles, was der junge Mann im Hause anordnete, wurde als unumstößlicher Befehl angesehen. »Dann beeil dich wenigstens«, murrte sie, die Stirn drohend in Falten gezogen. »Trödle nicht und bleib ja nicht zu lange aus. Wir haben eine Menge Arbeit. Heute gibt es gebratenen Fasan mit Mehlklößen zum Abendessen und ich möchte pünktlich servieren.«
Anna nickte. »Ich bin so schnell wie möglich zurück«, versicherte sie, hüllte sich in ihren wollenen Umhang und verließ das Haus. Sie schlug den Weg zum Großen Schloss ein, von dem es nicht allzu weit bis Montbijou war. Bei der Langen Brücke verharrte sie kurz im Schatten des Denkmals des Großen Kurfürsten und betrachtete ehrfürchtig den riesigen Schlossbau, vor dem die Wachen Spalier standen. Ihr Blick schweifte wie von selbst zum Torbogen in der Ferne, an dem sie mit der Mutter gesessen und gebettelt hatte. Heute war der Platz zum Glück leer. Wie oft hatte sie damals sehnsüchtig zu den exerzierenden Soldaten der Garde hinübergesehen – und jetzt stand sie hier und konnte ungehindert mit ihrem Passierschein an ihnen vorbeigehen. Sie straffte die Schultern, hob das Kinn und lief los. Nach dem Lustgarten überquerte sie die hölzerne Kavaliersbrücke, die über den Fluss führte, und lief an der Spree entlang. Es war kalt, ein scharfer Wind wehte. Der Regen begann langsam in leichte Graupelschauer überzugehen, und am Himmel ballten sich graue Wolken zusammen, die Schnee verhießen.
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Trenck humpelte indessen mit einem Buch, das er zu lesen begonnen hatte, zum Sessel in der Nähe des Feuers. Er hatte Anna durchs Fenster gespannt nachgesehen, so lange, bis sie im nassen Dunst verschwand. Nachdenklich zog er die Augenbrauen zusammen. Ich müsste mehr tun, um sie stärker an mich zu binden, überlegte er. Nur so wird sie in Zukunft den Mund halten und alles machen, was ich von ihr verlange. Er lächelte ein wenig abwesend in sich hinein. Es würde nicht schwer sein, denn bei den Frauen hatte er Glück und Anna war offensichtlich sehr verliebt in ihn. Ungeduldig wandte er die Seiten des Buches um, ohne seinen Sinn zu erfassen. Er konnte Annas Rückkehr kaum erwarten. Welche Nachrichten würde sie ihm von Amalie bringen?
fleuron
Der strömende Regen und die heftigen Windböen zwangen Anna dazu, nicht lange zu zögern, sondern mutig über den Vorhof des Schlosses Montbijou zu laufen. Mit klammen Fingern zog sie das Papier hervor, das ihr Trenck gegeben hatte, und hielt es dem Posten unter die Nase. Der Mann warf nur einen Blick auf das Siegel und trat dann höflich beiseite, um sie einzulassen. Die düstere Pracht des Eingangs schüchterte Anna ein wenig ein. Hohe Säulen erhoben sich zu beiden Seiten und ihr Fuß schritt hallend über den Steinboden. Längst verblichene Ahnen sahen aus kolossalen Gemälden von den Wänden auf sie herab. Sie blieb stehen und versuchte krampfhaft, sich den Plan in Erinnerung zu rufen, den Trenck für sie aufgezeichnet hatte.
»He, Mädchen, was suchst du denn hier?« Ein bärbeißig aussehender Wachsoldat trat mit seiner Hellebarde auf sie zu. »Scher dich raus, aber schnell!«
Anna schwenkte ihren Passierschein, der auch diesmal Wunder wirkte. Das Gesicht des Wachsoldaten erhellte sich, doch schien er immer noch nicht ganz geneigt, sie so einfach weiterzulassen. »Wohin willst du?«, fragte er. »Wie lautet dein Auftrag?«
»Das geht dich nichts an«, versetzte Anna ihm barsch, über ihre eigene Kühnheit erstaunt. »Ich habe eine geheime Meldung im Namen des erkrankten Leibgardeoffiziers von der Trenck zu überbringen.«
»An wen? An die Königin etwa? Oder die Prinzessin Amalie?«, fragte die Wache misstrauisch.
Anna antwortete nicht. Der Mann zögerte. Dann trat er wortlos zurück und gab den Durchgang frei. Anna durchschritt den Korridor und stieg die Treppen hinauf, bis sie glücklich die Salle Blanche erreichte, einen Saal, der in Wand und Boden ganz mit weißem Marmor ausgekleidet war. Dort wurde sie jedoch von einem weiteren Wachtposten angehalten. Das gleiche Spiel wiederholte sich, und sie folgte dem Mann, der vor ihr herging, zu den Appartements der Prinzessin. Als sich die Tür öffnete und Amalie plötzlich vor ihr stand, verschlug es Anna vor Aufregung fast die Sprache.
»Was willst du?« Die Stimme klang hell, kühl und abweisend. »Wer bist du und wer schickt dich?«
Anna hob langsam den Kopf und sah sie an. Die Prinzessin war in eine bauschige rostfarbene Taftrobe mit rosa Tülleinsätzen gekleidet, die ihre zarte Figur betonte. Um ihre elfenhaft schmale Taille schlang sich eine Schleife aus lila Spitze, die sich an Hals und Handgelenken wiederholte. Unter dem weiß gepuderten gelockten Haar blickte ihr ein schön geschnittenes, klares Gesicht mit funkelnden blauen Augen entgegen. Die ganze Gestalt glich der einer Porzellanpuppe, einem Wesen, das nicht aus Fleisch und Blut zu sein schien. »Sprich! Was willst du von mir?«, fragte sie noch einmal und Anna fühlte die hellen Augen der Prinzessin neugierig auf sich haften. Sie knickste und stammelte undeutlich das Wort »Maskenball«. Es wirkte tatsächlich wie ein Zauber, der alles veränderte.
Die Prinzessin stieß einen Laut aus, der wie ein Schluchzen klang. Hastig zog sie Anna mit sich ins Zimmer. »Du kommst von ihm«, flüsterte sie erregt und legte ihre gepflegte Hand, die, umschlossen von einer lila Spitzenmanschette, fast zerbrechlich wirkte, auf ihren Arm. »Sag mir schnell, wie geht es ihm – was hat er dir aufgetragen? Hat er Schmerzen? Was kann ich für ihn tun? Hat man ihn wenigstens zur Ader gelassen? Ach Gott!«, sie rang die Hände und schien verzweifelt. »Wenn ich doch bei ihm sein, ihm helfen könnte!«
Anna verwirrten diese vielen Fragen, mit der Amalie sie überfiel, und sie wusste nicht recht, worauf sie als Erstes antworten sollte. Sie sah sich im Raum um, in dem eine wohlige Wärme durch ein hoch entfachtes Kaminfeuer herrschte. Die Pracht des mit hellblauer Seide tapezierten Gemachs, die hübschen Möbel, die vielen Nippessachen, die die Regale füllten, gaben dem Raum eine weibliche Note. Kerzen in silbernen Leuchtern verbreiteten ein warmes Licht. Vor dem Kamin lag ein weicher persischer Teppich, ein Luxus ohnegleichen. Die Prinzessin sah sie weiter stumm an, mit einem erwartungsvollen Ausdruck in den blauen Augen. Schließlich fasste Anna sich, sie zog ganz einfach das Päckchen mit den Briefen hervor und hielt es Amalie hin. »Hoheit – dies soll ich Ihnen überbringen!«, sagte sie ganz ohne Schnörkel. »Der Freiherr lässt Sie von Herzen grüßen.«
»Er lässt mich grüßen«, wiederholte Amalie mit einem zärtlichen, fast verklärten Ausdruck. »Von Herzen! Also hat er mich nicht vergessen und denkt an mich.« Sie riss das Päckchen auf und küsste überschwänglich den Inhalt. Dann sah sie Anna forschend an. »Braucht er Geld? Sag es mir? Er soll die beste Medizin erhalten, damit er bald wieder ganz gesund ist.« Sie öffnete mit zitternden Fingern ihre Börse, die auf einem kleinen Sekretär lag, schüttete alle Münzen, lauter Golddukaten, in ihre Hand und hielt sie Anna hin. »Hier, nimm das. Es ist für ihn, für die besten Ärzte.« Sie zählte ein paar kleinere Münzen ab und wickelte sie in ein Spitzentaschentuch. »Und das ist für dich!«
Anna schüttelte den Kopf und machte eine abwehrende Bewegung. »Er hat mir nichts davon gesagt, dass er Geld braucht.« Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Ich weiß nicht, ob er möchte, dass ich das annehme. Und meine Dienste müssen Sie auch nicht bezahlen.«
Doch Amalie ließ nicht locker. »Nimm, nimm, man weiß nie, was geschieht! Und … warte«, sie eilte wieder an ihren Sekretär, öffnete eine geheime Schublade und nahm eine Schnupftabaksdose mit ihrem Porträt heraus. »Ein Geschenk für ihn. Ich habe es extra für ihn anfertigen lassen«, vertraute sie Anna an. Dann besann sie sich und holte aus einem anderen Fach einen schmalen Umschlag. »O je, das Wichtigste hätte ich in meiner Aufregung beinahe vergessen. Ein paar Worte an ihn. Ich wusste bis jetzt nicht, wie ich sie ihm zukommen lassen sollte. Es gibt ja so rasch Gerede. Bring ihm alles. Und sag ihm, dass ich ihn unendlich vermisse.« Tränen traten in ihre Augen, ihre feinen Züge verzogen sich vor innerem Kummer.
Anna steckte den Brief und die Dose ein. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als auch das Geld zu nehmen, so sehr drängte die Prinzessin sie dazu. »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie schließlich und wandte sich zur Tür. »Auf Wiedersehen!«
»Komm wieder – bald!«, hörte sie Amalie noch hinter sich herrufen. »Und bring mir Nachrichten von ihm!«
Der Posten vor der Tür ließ Anna ohne eine Regung passieren und sie nahm den gleichen Weg wie zuvor über die breite Treppe. Draußen blendete sie beinahe das helle Licht. Die Wolken waren kurz aufgebrochen und ließen ein paar winterliche Sonnenstrahlen durch. Ganz in Gedanken vertieft überquerte sie die Brücke. Als sie am Großen Schloss ankam und flüchtig über den Platz blickte, sah sie jemanden unter dem Torbogen sitzen. Die Mutter? Ihr schien, als winke ihr die Person, die dort in eine Decke gehüllt saß, und mache ihr Zeichen. Ein heilloser Schrecken ergriff sie, und sie begann so schnell zu laufen, wie sie nur konnte. All das Elend, das sie als Kind erleben musste, erhob sich in ihrem Innern wie ein Gespenst, das nach ihr greifen, sie zurückzerren wollte. Erst in der Nähe der Jägerstraße beendete sie heftig atmend ihren Lauf. Es war vorbei, niemand konnte sie jetzt mehr zum Betteln oder gar zur Hurerei zwingen. Sie hatte mit der Vergangenheit endgültig abgeschlossen. Und nichts sollte sie in ihrem zukünftigen Leben mehr an diese Zeit erinnern.
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Nachdem Trenck einige Male vom Kamin zum Fenster hin und her gehumpelt war, um zu sehen, wann Anna zurückkam, war er nahe daran, die Geduld zu verlieren. Was tat sie bloß so lange? Die Stunden zogen sich auf einmal unerträglich in die Länge. Er verwünschte seinen verletzten Fuß, der so langsam heilte. Mit Gewalt musste er sich zur Ruhe zwingen. Dann endlich! Er erblickte sie vom Fenster aus, wie sie sich schnellen Schrittes dem Haus näherte. Trotzdem musste er sich weiter bezwingen, denn Anna hatte versprochen, zuerst der Köchin zur Hand zu gehen, die einen Braten vorbereitete. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als bis nach dem Abendessen zu warten, denn erst dann würde er Anna in aller Ruhe über jede Einzelheit befragen können. Darüber, was sie mit Prinzessin Amalie gesprochen und was diese gesagt hatte. Unerwarteterweise kamen Henriette und Karl nach dem Abendessen noch zu einem kleinen Besuch vorbei und forderten ihn zum Trick-Track-Spiel auf. Unter dem Vorwand, er habe Kopfweh, lehnte er ab.
»Mutter hat auch Migräne«, sagte Henriette verständnisvoll. »Wahrscheinlich das Wetter.« Sie warf einen Blick aus dem Fenster, an dessen Scheiben trübe Graupelschauer perlten. »Sie ist gleich zu Bett gegangen.« Sie rückte ihren Sessel in die Nähe des Kamins. »Soll ich dir etwas vorlesen?«, fragte sie.
Trenck schüttelte den Kopf. »Lieber nicht, das würde mein Kopfweh nur verschlimmern. Ich denke, ich lege mich auch bald hin.«
»Sag mal, Fritz …« Karl, der nicht genug über das Soldatenleben erfahren konnte, hatte sich rittlings auf eine Sessellehne gesetzt und sah seinen Bruder fragend an. »Was wird eigentlich von einem Kadetten in der Garnison so verlangt? Und wie lange bleibt man es, bevor man wie du Kornett und Offizier wird?«
Trenck lächelte gequält. »Das habe ich dir doch schon so oft erzählt. Warte, bis du erst so weit bist, dann spürst du es am eigenen Leib. Und denk ja nicht, dass du da ein bequemes Leben hast. Man wird ganz schön herumgejagt. Der König wählt nur die Tapfersten und Härtesten zu seinen Offizieren aus. Und um Kornett zu werden, muss man sich besonders anstrengen.«
»Von den Härtesten bist du im Augenblick wohl weit entfernt, Brüderchen«, spottete Henriette, »solange du nur über dein Bein und deine Kopfschmerzen jammerst und zu nichts Lust hast. Mach doch einfach mal ein freundlicheres Gesicht.«
»Wenn man dich so reden hört, kann man einfach kein freundliches Gesicht machen«, gab der Bruder schlagfertig zurück. Er schob Karl energisch von der Sessellehne. »Bei einem Soldaten geht es um ganz andere Dinge. Es geht darum, siegen zu wollen! Um Zucht und Ordnung, Kraft und Ausdauer. Darum, das Leben im Feld zu lieben. Sich ohne Angst in die Schlacht zu werfen – Mann gegen Mann zu kämpfen!« Er schlug mit der Faust auf seinen Schreibtisch. »Ich kann es kaum erwarten, dass mein Fuß endlich heil ist. Dann bin ich sofort wieder auf dem Pferd. Wir werden es den Österreichern schon zeigen! Schlesien muss unser bleiben!«
Karl nickte fasziniert. Sein glühendster Wunsch war es, so bald wie möglich seine Alltagskleidung mit der rot-weißen Uniform vertauschen zu können. Und am liebsten bald mit in den Kampf zu ziehen. Aber er musste noch ein ganzes Jahr warten – und das erschien ihm unendlich lang. »Vergiss nicht, ein gutes Wort beim König für mich einzulegen«, bat er.
»Das habe ich längst getan. Du stehst auf der Liste der Bevorzugten.« Trenck nickte und gähnte dann auffällig. »Seid mir nicht böse, ihr Lieben. Aber lasst mich jetzt bitte allein. Ich möchte noch die neuesten Gedichte des Königs lesen, die er mir übersandt hat. Voltaire hat sie redigiert, und er will sicher wissen, wie sie mir gefallen.«
»Gedichte«, höhnte Karl respektlos. »Niemand versteht, warum ein König Gedichte schreibt. Das ist doch alles Quatsch.«
»Quatsch? Sag das bloß nicht so laut«, mahnte Trenck. »König Friedrich hat große musische Talente und pflegt sie selbst während eines Feldzugs. Kein Tag vergeht, ohne dass er Flöte spielt. Er hat sie immer dabei. Ich sag es dir gleich: Wenn du die Geisteswissenschaften ablehnst, wirst du es in seinen Diensten nie zu etwas bringen.«
Karl verdrehte die Augen und setzte sich wieder auf die Lehne. »Meinetwegen – wenn er es so wichtig findet«, murrte er, »dann werde ich mich wohl damit beschäftigen müssen.«
»Es ist wirklich peinlich, wenn der kleine Bruder so ungebildet ist«, stichelte Henriette. »Du solltest nicht so faul sein und mehr lernen.«
Karl sprang auf und schubste sie ärgerlich. »Das musst ausgerechnet du sagen. Du denkst doch nur an den nächsten Ball, dein Kleid und deinen Kavalier mit den gebrannten Locken, der angeblich so gut getanzt hat. Aber seitdem hat er wohl nichts mehr hören lassen, oder?«
»Was weißt du denn schon davon?« Wütend blies Henriette die Backen auf. »Du warst doch gar nicht so lange dabei. Kleine Jungen gehören um diese Zeit nämlich ins Bett …«
»Dein Schmalzlockenjüngling …«, grinste Karl boshaft«, »hat wohl das Weite gesucht, ha, ha!«
Trenck hielt sich die Ohren zu. »Könnt ihr euch nicht woanders streiten? Mein Fuß schmerzt. Ich muss mich jetzt ausruhen.«
»Dann gute Nacht, Fritz.« Schmollend zog sich Henriette zurück. Karl schnitt hinter ihrem Rücken eine Grimasse und flüsterte dem Bruder zu: »Dumme Gans – hat von nichts eine Ahnung! Nur ihre Verehrer im Kopf.« Mit diesen Worten folgte er ihr zur Tür.
»Einen Moment noch!«, rief Trenck den beiden nach. »Schickt mir bitte die Anna. Sie soll den Umschlag und den Verband um meinen Fuß erneuern. Ich glaube, er hat sich gelockert.«
Als Anna mit neuen Verbänden und kühlendem Essigwasser eintrat, winkte er sie rasch zu sich. »Sag, wie ist es dir gegangen?«, fragte er mit gesenkter Stimme erwartungsvoll. »Hat dich jemand aufgehalten?«
»Nein, es war alles so, wie Sie es mir erklärt haben …« Sie verstummte kurz, als müsste sie überlegen, wie sie die Worte setzen sollte.
»Und was hat Amalie gesagt?«, drängte Trenck ungeduldig. »Wie sah sie aus? Was trug sie? Warst du in ihrem Zimmer? So sprich doch!«
»Nun … sie war sehr nett zu mir.« Anna schlug die Augen nieder. Warum war sie plötzlich nur so schüchtern?
»Komm, Mädchen, trink etwas«, forderte Trenck sie auf, um ihr die Befangenheit zu nehmen. Angespannt, mit zitternden Fingern goss er ihr ein Glas Tokaier ein, der dunkel im Glas funkelte. »Das wird deine Zunge vielleicht ein wenig lösen. Du musst mir alles erzählen – in allen Einzelheiten. Und kein Wort und keine Geste auslassen.« Er legte den Arm leicht um ihre Schultern und hielt ihr das Glas hin.
Anna errötete vor Verlegenheit. Der Wein war delikat und sie trank das Glas auf einmal aus. Er schenkte ihr nach und ermunterte sie, es aufs Neue zu leeren. Ein süßer Schwindel umfing sie nach dem letzten Schluck und ihr wurde ganz leicht ums Herz. »Es war wirklich ganz einfach. Die Wachen haben den Passierschein akzeptiert und mich gleich durchgelassen«, begann sie mit glänzenden Augen. »Das Schloss war sehr prächtig und elegant ausgestattet und nach Ihrem Plan habe ich die Räume der Prinzessin Amalie auch gleich gefunden. Nach der Treppe und der Salle Blanche bin ich durch den Flur gegangen und habe an der Tür geklopft …«
»Und? Was hat die Prinzessin gesagt, als du kamst?«, unterbrach Trenck sie erwartungsvoll und hielt ihr ein neues Glas Tokaier hin. »War sie sehr überrascht?«
»Zuerst schon. Sie kannte mich ja nicht. Aber dann«, Anna nahm noch einen Schluck, weil sie merkte, wie locker ihr auf einmal die Worte über die Lippen gingen, »war sie ganz aufgeregt und wollte wissen, wie es Ihnen geht. Sie ist wirklich wunderschön! So zart und unwirklich. Wie eine Porzellanpuppe!« Sie lächelte selbstvergessen. Dann griff sie in ihre Schürzentasche. »Hier, das hat sie mir für Sie mitgegeben.« Sie hielt Trenck die Schnupftabaksdose mit dem Porträt Amalies und den voluminösen Brief hin, der mit einem rosa Band zusammengehalten war. »Ich glaube, sie war sehr glücklich, als sie hörte, dass es Ihnen den Umständen entsprechend gut geht. Sie wollte Ihnen schon ihren eigenen Leibarzt schicken …«
»Nein, nein«, wehrte Trenck ab. »Das ist nicht nötig.« Er betrachtete versunken das kleine Bildnis, küsste es und steckte es in die Tasche. Den Brief legte er auf seinen Schreibtisch. Für einen Moment war er glücklich und hatte sein Ungemach ganz vergessen. »Bei diesen erfreulichen Nachrichten fühle ich mich schon fast wieder gesund. Ich liebe sie so sehr.« Er seufzte. »Sag, ist sie nicht wunderschön? Beschreib mir jetzt genau, wie sie aussah, was sie trug, wie die Farbe ihres Kleides war! Das kleinste Detail ist wichtig.«
Anna versuchte sich, so gut es ging, an alles zu erinnern und wiederholte die gesprochenen Worte mehrmals. Doch Trenck wurde nicht müde, weiter zu fragen. »Wie klang ihre Stimme? Wie war ihr Ausdruck?« Er ergriff enthusiastisch ihre Hand, drückte sie und hielt sie fest in der seinen.
Anna stockte der Atem. Die plötzliche Berührung ließ sie fast den Kopf verlieren. »Sie hatte Tränen in den Augen«, stammelte sie wahrheitsgemäß, »als ich von Ihnen sprach.«
»Ist das wahr?«
Anna nickte. Da zog Trenck sie im Überschwang an sich und schloss sie fest in die Arme. »Du weißt gar nicht, wie glücklich du mich mit dieser Botschaft machst!«, rief er aus und drückte ihr in seiner Seligkeit einen Kuss auf die Wange. »Ich wusste, dass sie mich nicht vergessen hat und immer noch liebt.«
Völlig überrumpelt von der unerwarteten Umarmung, hielt Anna still. Ein Prickeln durchlief sie. Sie schloss die Augen und schmiegte sich, ohne groß darüber nachzudenken, an seine Brust. Es war ein überwältigendes Gefühl, ihm so nahe zu sein, und alles andere war plötzlich vergessen und unwichtig. Trenck hielt überrascht inne. Doch nach kurzem Zögern schien ihm die innige Umarmung nicht zu missfallen. Er ließ sie nicht los, streichelte sanft ihr Haar und flüsterte ihr leise ins Ohr. »Du bist ein bezauberndes Mädchen, Anna. Du könntest einen Mann leicht in Versuchung führen, weißt du das?«
Anna wünschte, dass dieser Augenblick nie vergehen würde. Sie war nicht imstande zu antworten, sondern vergrub ihr Gesicht nur noch tiefer an seiner rauen Uniformjacke, die nach herbem Rasierwasser, Tabak und Leder roch.
»Versprichst du mir, dass das alles unter uns bleiben wird?« Trencks Stimme klang rau und bewegt.
»Ich verspreche es«, erklärte Anna dumpf durch den Stoff seiner Jacke. »Und dass ich alles für Sie tun würde, um Ihnen zu helfen. Ich würde mein Leben für Sie wagen!«
Trenck brach in gedämpftes Lachen aus. »Du schmeichelst mir!« Er schob sie leicht von sich. »Immerhin hat das noch nie jemand zu mir gesagt. Aber sag mir doch, warum würdest du das tun?« Er sah sie amüsiert an. Eine kurze Pause entstand, während derer Anna ihm die Antwort schuldig blieb und nur verlegen den Kopf senkte. Trenck hob sacht ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen, in deren blauer Tiefe sie versank. Eine unausgesprochene Frage lag auf ihrem Grund. Mit einer impulsiven Geste schlang sie die Arme um seinen Hals und presste ihre Lippen auf seinen Mund. Trenck erwiderte ihren Kuss fast unbewusst, und Anna spürte, wie ein Feuersturm durch ihr Blut jagte, der ihr ganzes Wesen in Aufruhr versetzte. Sie bebte am ganzen Körper und drängte sich noch enger an ihn. Beinahe erschrocken befreite sich Trenck nach einer Weile aus ihrer Umklammerung. »Weißt du, was du da tust, Anna?«, fragte er mit belegter Stimme. »Und dass ein Mann in meiner Situation einem schönen Mädchen wie dir nur schlecht widerstehen kann?«
»Ich weiß nur, dass ich Sie über alles liebe«, stieß Anna wie von Sinnen hervor und ihre Augen füllten sich gleichzeitig mit Tränen. »Und dass mir alles andere gleichgültig ist.«
»Sag so etwas nicht«, antwortete Trenck, um sie zu beschwichtigen. »Und sei bitte vernünftig. Du wirst eines Tages einen guten Mann finden und es bereuen, dass du … nun, dass du …« Er hielt inne, weil er nicht gleich wusste, was er genau sagen wollte.
»Niemals würde ich das bereuen«, widersprach Anna heftig. Sie sah ihn mit funkelnden Augen an. »Niemals!« Sie schlang die Arme wieder um seinen Hals. »Ich liebe Sie!«
Trenck gab diesmal nach, halb überrumpelt, halb aus Begierde, und küsste sie. Zuerst sanft und dann immer leidenschaftlicher. »Ich habe ein großes Herz«, murmelte er, »warum sollte darin nicht auch ein Platz für dich sein?«
Anna vernahm seine Worte, ohne sie richtig zu verstehen. Sie sah nur ihn, fühlte seine Berührungen, seinen Atem, seine Küsse, und alles andere war weit weg. Nur die unerfüllte, lang gehütete Sehnsucht brannte in ihrem Herzen. Sie schien sich jetzt zu erfüllen und ließ ihr Blut heiß durch ihre Adern rinnen.
»Warte einen Augenblick«, flüsterte Trenck. Er humpelte zur Tür, drehte den Schlüssel im Schloss herum und zog die schweren Samtvorhänge vor die Fenster. Anna sah ihm zu, ohne sich von der Stelle zu rühren. War der Tokaier schuld, dass sich diese Leidenschaft in ihr so heftig und ohne Scheu Bahn brach? Eine süße Betäubung umgab sie wie ein undurchdringlicher Nebel, wie ein Wattebett, in das sich mit geschlossenen Augen hineinfallen zu lassen sie Lust hatte. Trenck legte leicht den Finger auf die Lippen, als er zu ihr zurückkehrte. Das Zimmer lag jetzt im Halbdunkel, und nur das Feuer im Kamin flackerte unruhig. Die Flammen warfen ein warmes Licht auf sein Gesicht, das wie in Bronze gemeißelt schien. Er rückte den Lehnstuhl ganz nahe ans Feuer und nahm darin Platz. »Komm her!«, sagte er mit sanfter Stimme, und Anna gehorchte, wie von einer hypnotischen Kraft gezogen. »Du brauchst keine Angst zu haben.« Seine Stimme klang rau und verführerisch. »Es geschieht nichts, was du nicht selbst willst. Lass uns den Augenblick genießen, ohne zu viel darüber nachzudenken.« Er sah sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. »Wer weiß schon, was die Zukunft bringt.« Mit diesen Worten zog er sie auf seinen Schoß und küsste sie. Sie sank ihm entgegen und fühlte, wie jeglicher Widerstand, wenn er überhaupt dagewesen war, in ihr dahinschmolz. Zärtlich glitten seine Hände unter ihr Mieder. »Leg das ab, mein Liebling. Dir wird warm werden vor dem Feuer.« Geschickt öffnete er die Haken ihres Kleides und zog ihr Brusttuch herab. Anna bedeckte erschrocken ihre nackten Brüste mit den Händen, doch Trenck schob sie behutsam fort und küsste ihre weiße Haut. »So etwas Schönes sollte man nicht verstecken«, murmelte er und löste dann mit einem leisen Seufzer ihren Gürtel. Langsam tasteten sich seine Hände über ihre Hüften und zwischen ihre Schenkel. Ein brennender Schauer lief durch Annas Körper und entzündete eine Glut in ihren Adern, die ihr bisher unbekannt gewesen war. Sie warf den Kopf in den Nacken und stöhnte leise auf. Trenck ließ sie vom Sessel auf das weiche Fell vor dem Kamin gleiten und folgte ihr. Von seinem plötzlich erwachten eigenen Begehren nach der langen Rekonvaleszenz mitgerissen, begann er ihren Körper wie ein unbekanntes Gebiet zu erkunden. Ungeduldig löste er ihre Röcke, zog sie herab und warf sie beiseite. Annas lang unterdrückte Gefühle brachen sich unter dem Einfluss des starken Tokaiers nun ungehemmt Bahn. Das ganze Geschehen erschien ihr wie ein Märchen, in einen feurigen Nebel der Wollust gehüllt. Eine unwirkliche Seligkeit hatte sie erfasst, das Schweben in einer schwerelosen Sphäre, die über dem Alltag stand. Ihr Idol, ihre aussichtslose Liebe, war nun so nahe, war ganz bei ihr, erfüllte ihre geheimsten Träume und Sehnsüchte. Ihr Verstand schien ausgeschaltet und nur dominiert von den lang aufgestauten Gefühlen, weit fort von Gut und Böse, von Sünde und Anstand.
Als Trenck sich wenig später atemlos von ihr löste, lag Anna, vor Seligkeit bebend, auf dem weichen Fell. Sie hatte die Augen geschlossen, denn wenn sie sie öffnete, drehte sich alles um sie. Trotz des anfänglichen Schmerzes des ersten Males, den sie für kurze Zeit empfunden hatte, spürte sie jetzt ein namenloses Glücksgefühl, beinahe eine Art Triumph. Sie streckte die Hand aus, um Trenck zu berühren, der neben ihr lag. Doch er wich aus, erhob sich und glättete sein Haar. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass er sich zu etwas hatte hinreißen lassen, das er vielleicht später bereuen würde. Ernüchtert griff er nach seiner Hose, stieg hinein und ordnete seine Kleidung.
»Entschuldige bitte, Anna!«, seine Stimme klang jetzt kühl und klar, »es tut mir leid, dass ich mich nicht beherrschen konnte. Ich wusste ja nicht, dass du noch Jungfrau warst.« Er reichte ihr die Hand, um sie hochzuziehen. »Deine Schönheit, dein besonderer Reiz haben mich einfach um den Verstand gebracht. Aber das darf nie wieder geschehen, hörst du? Du weißt doch, dass ich eine andere liebe.«
Seine Worte rissen Anna unsanft aus ihrer seligen Betäubung. Sie nickte. Ja, sie wusste es – und hatte sich ihm trotzdem hingegeben. Ganz freiwillig. Und sie bedauerte es nicht, keine Minute. Für ihn schien die Affäre jetzt allerdings zu Ende zu sein. Er erwiderte ihre Gefühle nicht – sein Herz gehörte einer anderen, einer, die schöner war als sie, höher im Rang. Einer Frau, mit der sie sich nicht vergleichen und niemals konkurrieren konnte. Damit musste sie sich abfinden, auch wenn es ihr jetzt noch schwerer fiel als vorher. Ganz automatisch griff sie nach ihren Kleidern und hielt sie vor ihren nackten Körper. Sie fror plötzlich, so als hätte sie ein kalter Luftzug getroffen. Hastig und an allen Gliedern zitternd begann sie sich anzuziehen.
Trenck stand mit gleichmütiger Miene vor dem Spiegel, um im Licht der Kerzen seinen Zopf neu zu binden. »Ich möchte dich bitten, mit niemandem über dieses … Geschehen zu sprechen.« Er fasste seine Haare im Nacken zusammen und schlang das gelockerte Samtband darum. »Es wäre nicht gut. Nicht für dich und auch nicht für mich. Am besten, wir vergessen, was zwischen uns geschehen ist. Wir wollen Freunde bleiben. Du bist die Einzige hier im Haus, zu der ich volles Vertrauen habe. Nimm das als Zeichen meiner Dankbarkeit.« Er wandte sich um, suchte nach seiner Börse, nahm ein paar Dukaten heraus und wollte sie ihr in die Hand drücken.
»Dankbar?« Zutiefst verletzt schob Anna seine Hand fort und das Geld fiel klirrend zu Boden. »Sie brauchen mir nicht dankbar zu sein. Und machen Sie sich keine Vorwürfe. Ich bereue nichts.« Mit bebenden Fingern hakte sie ihr Mieder zu und zog ihre Röcke zurecht. »Und ich bin keine Hure, falls Sie das angenommen haben.« Plötzlich war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie sank auf einen Stuhl und brach in leises Schluchzen aus.
»Natürlich bist du keine Hure«, tröstete Trenck sie. »Das hat doch niemand gesagt. Es war alles meine Schuld. Aber meine Mutter darf auf keinen Fall davon erfahren. Sie würde dich sofort entlassen.«
Bei dieser Bemerkung versiegten Annas Tränen. Ihre Entlassung wäre das Schlimmste, was ihr passieren konnte. In diesem Fall stünde sie wieder auf der Straße. Niedergeschlagen sah sie Trenck an. »Über meine Lippen kommt kein einziges Wort, das verspreche ich.« Sie streckte ihm die Hand entgegen und er ergriff sie ein wenig verlegen. »Wenn ich sonst noch etwas für dich tun kann …«, er brach ab und knöpfte verlegen seine Jacke zu, »dann sag es mir ruhig.« Er ging zum Fenster und zog die Vorhänge wieder beiseite. »Ich werde mein Bestes tun.«
Anna nickte. Das Feuer in ihr war plötzlich zu einem Häufchen Asche niedergebrannt, und ein unbestimmtes Bedauern, eine dumpfe Enttäuschung erfasste sie. Was sie getan hatte, war nicht mehr rückgängig zu machen, dessen wurde sie sich jetzt erst bewusst. Sie hatte sich Trenck an den Hals geworfen, ohne jegliche Bedenken. Doch ihre Sehnsucht war dadurch nicht gestillt worden, im Gegenteil. Es sollte nicht wieder vorkommen, hatte er gesagt, nie wieder. Neues Schluchzen stieg ihr in die Kehle. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, lief sie zur Tür, drehte den Schlüssel herum und ließ sie hinter sich ins Schloss fallen. Trenck sah ihr nach und seufzte. Sein Fuß, den er vorher kaum gespürt hatte, schmerzte jetzt wieder. Er war unzufrieden mit sich und spürte, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Immer wieder geschah es ihm, dass er sich zu unbedachten Handlungen hinreißen ließ, zu einer Liebschaft, einem Duell, einem jähzornigen Wortwechsel. Warum konnte er nicht ruhig, nicht treu sein und sich auf das Wesentliche in seinem Leben konzentrieren? Er ging zum Schreibtisch, nahm den langen Brief Amalies zur Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Sie darf nie erfahren, was in dieser Nachmittagsstunde geschehen ist. Und sie wird es niemals erfahren, sagte er sich, um sich selbst zu beruhigen. Keiner wird es erfahren. Was bedeutet mir dieses Mädchen schon – eine kurze Affäre mit einer Dienstmagd, wie es so oft geschieht. Es hat keine Bedeutung. Sie war schön und charmant gewesen – und er war schwach geworden. Punktum! Bald würde er wieder gesund sein, im Sattel sitzen und nicht mehr daran denken. Bald würde er Amalie endlich wieder in die Arme schließen, seine Amalie, die Königin seines Herzens. Er riss den Brief auf und vertiefte sich in die sehnsüchtigen und leidenschaftlichen Worte, die ihm die Prinzessin schrieb.
Von zwiespältigen Gefühlen gequält, war Anna in ihr Zimmer gestürzt und vergrub ihr Gesicht schluchzend in den Kissen. Die beiden Dienstmädchen Rosa und Minna, mit denen sie das Zimmer teilte, waren noch wach. Sie sahen sich vielsagend an, tuschelten miteinander und kicherten leise.