Wohl die härteste Zeit seines Lebens hatte Richard Wagner zwischen 1839 und 1842 in Paris durchzustehen. Nicht zu Unrecht wurden diese Jahre später „Hungerjahre“ genannt. Als knapp 30-Jähriger erfuhr er, wie aussichtslos es für einen deutschen Komponisten war, sich im Pariser Kulturbetrieb einen Platz zu erobern.
Diese Erfahrungen in der Fremde bewirkten in Wagner weitreichende Veränderungen. Zum einen sagte er sich endgültig los von der Gattung der Großen Französischen Oper und kehrte zurück zur deutschen Romantik, zum anderen begann er, sich engagiert für deutsche Politik zu interessieren. Nachdem er die Armut am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, begeisterte er sich für sozialistisches, ja kommunistisches Gedankengut.
Für den Fremden in der Fremde wirkten die Nachrichten, daß „Rienzi“ in Dresden sowie der „Fliegende Holländer“ in Berlin zur Uraufführung angenommen worden waren, wie eine Erlösung. Damit war es sicher: Die Rückkehr nach Deutschland und die Verbesserung seiner finanziellen Lage konnte nur noch eine Frage der Zeit sein.
In dieser Stimmung - es war März 1842 - brachte ihm sein Freund Samuel Lehrs Lektüre, nämlich die Volksbücher „Der Sängerkrieg auf Wartburg“ sowie „Der Venusberg“. Diese und andere Quellen entzündeten Wagners Phantasie. Die Grundzüge von „Tannhäuser“ entstanden.
Wenige Wochen später verließ Wagner Paris. Bei der Überquerung des Rheines überkamen ihn heimatliche Gefühle, und als er an der Wartburg und dem Hörselberg vorüberfuhr, fügten sich die Gedanken zu einem ersten Entwurf des dritten Aufzuges.
Am 12. April 1842 erreichte er mit seiner Frau Minna Dresden. Hier sollte er die folgenden sieben Jahre verbringen. Mit Dresden verbanden ihn viele Kindheitserinnerungen. Nur wenige Monate nach seiner Geburt in Leipzig war seine Mutter mit dem Stiefvater nach Dresden gezogen (1814), wo er auch Carl Maria von Weber kennengelernt hatte, der im hiesigen Opernhaus Kapellmeister geworden war. Zudem hatte Wagner hier (bis 1827) seine Schuljahre verbracht. Für Minna war Dresden ebenfalls kein fremder Ort. Ihre Eltern lebten hier.
Und doch fühlte sich der Sachse Wagner unter seinen Landsleuten nicht wohl, ja es wurden sogar sehr abfällige Äußerungen überliefert. Der Feuerkopf und angehende Revolutionär Wagner störte sich an deren bürgerlicher und reaktionärer Gesinnung. Die gleiche Meinung hatte er vom Hoftheater. Im durchaus hochrangigen Ensemble befanden sich zwar Berühmtheiten wie Wilhelmine Schröder-Devrient, die einst die erste Leonore in „Fidelio“ gewesen war und die noch immer Publikum und Kritik zu begeistern vermochte, aber rein künstlerisch gesehen war es eben doch ein recht biederes Haus, das auf Wagner keineswegs anziehend wirkte. Wagner wurde im Gegenzug als Querdenker und Phantast eher verspottet als bewundert. So kam es, daß Wagner - trotz Erinnerungen an Hunger und Elend und trotz Haß auf den französischen Kulturbetrieb - hin und wieder Sehnsucht nach Paris und seinen dortigen Freunden verspürte.
In Deutschland war Wagner zunächst mit den Vorbereitungen der „Rienzi“-Uraufführung beschäftigt. Zudem hatte er mit dem „Holländer“ zu tun, dessen Uraufführung in Berlin immer wieder verschoben wurde. Auch vertiefte er seine Freundschaft mit Franz Liszt, der sich in Weimar einen Namen als Kapellmeister machte.
Zu den wohl außergewöhnlichsten Unternehmungen Wagners zu dieser Zeit gehörte wohl sein mehrtägiger Ausflug zum Schreckenstein bei Aussig. „Tägliche Besteigung der ‚Wostrai‘, der höchsten Bergspitze der Umgebung, erfrischten mich, und die phantastische Einsamkeit regte meinen Jugendmut in der Art wieder auf, daß ich eine volle Mondnacht, in das bloße Bett-Tuch gewickelt, auf den Ruinen des Schreckensteins herumkletterte, um mir so selbst zur fehlenden Gespenstererscheinung zu werden, wobei mich der Gedanke ergötzte, von irgend jemand mit Grausen wahrgenommen zu werden. Hier setzte ich denn nun in mein Taschenbuch den ausführlichen Plan zu einer dreiaktigen Oper ‚Der Venusberg‘ auf, welchem vollkommen getreu ich später die Dichtung ausführte. Bei einer Ersteigung des ‚Wostrai‘ überraschte mich beim Umbiegen um eine Talecke die lustige Tanzweise, welche ein Hirte, auf einer Anhöhe gelagert, pfiff. Ich befand mich sogleich im Chor der Pilger, welche an dem Hirten vorbei durch das Tal ziehen, vermochte es aber in keiner Art, später die Weise des Hirten mir zurückzurufen, weshalb ich mir dafür auf die bekannte Art selbst zu helfen hatte.“ („Mein Leben“)
Doch die weitere Ausführung des Projektes verzögerte sich durch die Uraufführung von „Rienzi“ am 20. Oktober 1842. Sie geriet für Wagner zu einem derartigen Triumph, das sich der Intendant August von Lüttichau kurzum entschloß, auch den „Holländer“ in Dresden auf die Bühne zu bringen. Diese Uraufführung fand nur gut zwei Monate später am 2. Januar 1843 statt - noch vor der Berliner Erstaufführung.
„Der fliegende Holländer“ wurde zwar wegen seines weitaus ungewohnteren und „moderneren“ Stils nicht so beifällig aufgenommen wie zuvor „Rienzi“, aber die Intendanz blieb von Wagners Talent überzeugt und bot ihm die Kapellmeister-Stelle an. Wagner verhielt sich zunächst ablehnend, da ihn - wie geschildert - die biederen Zustände an diesem Theater nicht begeistern konnten. Doch auf Drängen Minnas, die sich nach sicheren finanziellen Verhältnissen sehnte, und der Witwe von Carl Maria von Weber, die Wagner als würdigen Interpreten der Opern ihres Mannes schätzte, willigte Wagner schließlich ein. Mit einem Jahresgehalt von 1500 Talern wurde Wagner am 2. Februar 1843 zum Königlich Sächsischen Hofkapellmeister auf Lebenszeit. August von Lüttichau ließ Wagner unverhohlen wissen, daß er sich von ihm eine Reformation des gesamten Dresdner Kunstbetriebes erwartete. Diesem Anspruch versuchte Wagner auch gerecht zu werden - allerdings in wesentlich progressiverem Sinne als von Lüttichau gewünscht, weshalb es später immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen kommen sollte.
Die neue Aufgabe kostete Wagner so viel Zeit, daß er erst am 22. Mai dieses Jahres (seinem 30. Geburtstag) die „Tannhäuser“-Dichtung beenden konnte. Den Kompositions-Beginn mußte er bis zur Sommerpause verschieben, und vielerlei Aktivitäten verhinderten auch in der Folgezeit einen kontinuierlichen Entstehungsprozeß: die Berliner Aufführung des „Holländer“, die Hamburger Aufführung von „Rienzi“, die feierliche Überführung der sterblichen Überreste von Weber von London nach Dresden, die Wagner betrieben und organisiert hatte und die im Dezember 1844 stattfand (dazu erklang Wagners „Trauermusik zur Beisetzung der Asche C. M. v. Webers nach Motiven aus ‚Euryanthe‘ B-dur“) und natürlich die alltägliche Theaterarbeit sowie die Streitereien mit der Intendanz und dem Ensemble.
Dies alles bewirkte, daß sich die Vollendung von „Tannhäuser“ bis April 1845 verzögerte.
Die fertige Partitur schickte er zunächst nach Berlin, da er sich von einer Uraufführung an der dortigen Bühne eine Steigerung seiner Popularität erhoffte. Doch Berlin lehnte ab, und Wagner mußte seinen „Tannhäuser“ in Dresden belassen. Die Uraufführung wurde für Herbst geplant.
In der Sommerpause wohnte Wagner einige Wochen in Marienbad, wo er die ersten Ideen zu „Lohengrin“, den „Meistersingern“ und bereits zu „Parsifal“ hatte, den er erst 35 Jahre später komponieren sollte.
Die „Tannhäuser“-Proben konfrontierten Wagner mit großen Problemen und bereiteten ihm bittere Enttäuschungen: Die Dekorationen, die in Paris angefertigt wurden, trafen erst knapp vor der Premiere in Dresden ein, von den Sängern hatte er zu viel an schauspielerischem Können erwartet. Wilhelmine Schröder-Devrient als Venus, Joseph Tichatschek als Tannhäuser (er hatte auch den Rienzi gesungen) sowie Johanna Wagner als Elisabeth (Wagners Nichte) waren zwar großartige Sänger, aber eben doch keine Schauspieler.
Zeit seines Lebens sollte Wagner daher das mangelhafte dramatische Darstellungsvermögen der Opernsänger beklagen.
Der Uraufführungserfolg am 19. Oktober 1845 war denn auch mäßig. Das Publikum war schockiert von der Darstellung der Venus-Grotte, applaudierte jedoch bei den eher konventionellen Passagen und gab sich schließlich bei Wagners experimentellen Musikdramen-Szenen verständnislos. Insbesondere das Finale, in dem in der ursprünglichsten Fassung weder Venus noch der Sarg Elisabeths erscheinen, überforderte die Vorstellungskraft der Zuschauer. Ein Kritiker namens Richard Wuerst urteilte sogar: „Wagners Musik hören zu müssen, kommt gleich nach der Zuchthausstrafe!“
Doch schon sehr bald wurden die Schönheiten des Werkes erkannt, wenngleich der Verstoß gegen die Moral noch sehr lange für eine gewisse Skepsis sorgte. Ab der dritten Aufführung strömte das Publikum ins Theater, um dieses gewagte Werk zu sehen. Zwei Jahre später überarbeitete Wagner das Finale, wodurch das Werk verständlicher und weniger symbolistisch wurde.
Erst eine exemplarische Aufführung in Weimar durch Franz Liszt verhalf „Tannhäuser“ zum endgültigen Durchbruch. Rasch verbreitete er sich auf nahezu alle deutsche Bühnen. Die Musik wurde bewundert, die Unmoral der Venus-Szene erregte die Gemüter.
In Berlin und Wien hatte man „Tannhäuser“ zunächst verboten. In Berlin brach man den Bann erst 1856, in Wien kam er 1857 lediglich im Thalia Theater heraus.
Dieses Sommertheater in der Wiener Vorstadt bot Platz für rund 3000 Zuschauer und wirkte wie ein Magnet auf die Kunstinteressierten. Trotz böser Kritiken wurde „Tannhäuser“ hier 40 mal gespielt und gefeiert. Johann Nestroy verleitete dieser Erfolg dazu, seine berühmte Parodie „Tannhäuser, Zukunftsoper mit vergangener Musik und gegenwärtigen Gruppierungen“ für sein Carl-Theater zu schreiben. Mit seinem typisch wienerischen Humor verlegte er die Geschichte nach Grinzing und zeichnete die Minnesänger als vertrottelte alte Meister mit Angst vor der „Zukunftsmusik“, die eine vergilbte Moral predigen, aber doch eigentlich neidisch sind auf Tannhäuser und seine Venus-Erfahrungen.
1859 durfte „Tannhäuser“ dann endlich im Hoftheater gegeben werden - allerdings von der Zensur verstümmelt.
Die wohl berühmteste „Tannhäuser“-Aufführung fand wenig später in Paris statt. Wagner wohnte seit Ende 1859 wieder in Paris - auf der Suche nach einer geeigneten Bühne für seinen „Tristan“. Aus Geldnot bemühte er sich auch um eine Pariser Erstaufführung von „Tannhäuser“. Über die Frau des österreichischen Botschafters in Paris, Fürstin Pauline Metternich, intervenierte er bei Hof und bewirkte schließlich, daß Kaiser Napoleon III. persönlich die Einstudierung befahl. Wagner ging sofort an die Überarbeitung. Ihm war bewußt, daß das französische Publikum eine Oper nur dann annehmen würde, wenn darin ein Ballett vorkäme. Wohlweislich fügte er sich dem Publikumsgeschmack, komponierte das exzessive Venusberg-Bacchanal und veränderte zudem einige andere Passagen des Werkes. Diese sogenannte „Pariser Fassung“ hatte nach 164 äußerst problematischen Proben am 13. März 1861 an der Großen Oper Premiere. Dirigent war übrigens ein gewisser Dietsch, der Wagners „Holländer“-Entwurf etliche Jahre früher ein zweites Mal vertont hatte.
Der Premieren-Skandal war bereits vorprogrammiert. Da Wagner das Ballett entgegen der französischen Sitte nicht in den zweiten, sondern bereits in den ersten Aufzug gelegt hatte, begannen Mitglieder des Pariser Jockey-Clubs auf Kommando die Aufführung mit einem Trillerpfeifen-Konzert zu stören. Mit Mühe konnte das Werk zu Ende gespielt werden. Bei der zweiten Aufführung jedoch, als sich die Tumulte noch steigerten, sah sich Wagner veranlaßt, um Ruhe zu bitten. Nach der dritten, die mehrmals unterbrochen werden mußte, zog Wagner schließlich sein Werk zurück und verließ die verhaßte Stadt.
Doch dieser Skandal hat den „Tannhäuser“-Erfolg eher gesteigert als geschmälert. Obwohl Wagner nie ganz zufrieden war mit dieser Oper und noch kurz vor seinem Tod meinte, er sei der Welt noch „Tannhäuser“ schuldig, wurde er zu einem seiner populärsten Werke. Ein Zeichen dafür sind die vielen Parodien, die man über ihn schrieb. Von Johann Nestroy war bereits die Rede. In jüngerer Vergangenheit verfaßte der berühmte Schelm Heinz Erhardt sein Gedicht „Tannhäuser oder Die Meistersinger in der Wartburg“:
„Es saß, laut Richard Wagners Werk,
Herr Tannhäuser im Hörselberg -
doch nicht allein, das war es eben:
die Dame Venus saß daneben...“