XV. Sir Miles fasst einen Entschluss

Jim Salter faltete eine von Mylords Westen und legte sie sorgfältig in einen offenen Koffer. Dann nahm er einen Rock und breitete ihn auf dem Bett aus, um sich so die heikle Arbeit des Zusammenlegens zu erleichtern. Im ganzen Zimmer waren Kleidungsstücke seines Herrn verstreut: Handkrausen aus Brabanter Spitze und Krawatten zierten einen Stuhl, Seidenstrümpfe einen anderen. Prachtvolle Röcke hingen fein säuberlich auf ihren Bügeln; Schuhe aller nur erdenklichen Arten mit roten und weißen Absätzen, Reitstiefel und Pantoffeln standen in Reih und Glied bereit und harrten der Pflege. Perücken thronten auf allen möglichen Vorsprüngen, und aus einer fast fertig gepackten Reisetasche lugten Stöße weißer Batisthemden.

Während Jim den Rock behutsam in den Koffer gleiten ließ und ihn liebevoll zurechtzupfte, überlegte er, wo sein Gebieter wohl bleiben mochte. Er war den ganzen Morgen verschwunden gewesen, und als er endlich auftauchte, hatte er so schlecht ausgesehen, dass Jim sich Sorgen machte und wünschte, sie würden mit ihrer Abreise aus Horten Manor noch eine Weile warten. Vor einer knappen Stunde hatte sich Mylord zu Mr. Beauleigh begeben, um sich mit ihm unter vier Augen zu unterhalten, und Jim vermutete, dass die Unterredung noch andauerte. Gerade als er die Hand nach dem nächsten Rock ausstreckte, hielt er mitten in der Bewegung inne und hob lauschend den Kopf. Von der Treppe her kam das Geräusch hastiger, ungestümer Schritte, die sich gleich darauf in einem wütenden Stakkato durch den Gang näherten. Die Tür wurde aufgerissen, und Mylord stand auf der Schwelle. Jim musterte beunruhigt das müde Gesicht, und als er sah, dass die blauen Augen funkelten, die schlanke Hand am Türknauf zitterte und die Lippen sich zu einem harten, verbissenen Strich zusammenpressten, sank ihm das Herz. Offensichtlich befand sich Mylord in einer sehr unberechenbaren Stimmung:

»Bist du fertig?«, schnappte er.

»Noch nicht ganz, Sir.«

»Nimm gefälligst zur Kenntnis, dass ich noch heuer abzureisen gedenke!«

»Ja, Sir. Ich hab nicht gewusst, dass Sie's so eilig haben.«

Keine Antwort. Mylord trat ins Zimmer und streifte das Durcheinander mit einem mürrischen Blick.

»Wo ist mein Reitanzug?«

Jim sah fahrig auf.

»Ich – äh – eingepackt, Sir. Möchten Sie ihn?«

»Natürlich, oder soll ich mich vielleicht in meiner jetzigen Aufmachung aufs Pferd setzen?«

»Ich habe eigentlich gedacht, Sie würden die Kutsche nehmen, Euer Gnaden.«

»Nein. Den roten Anzug, und zwar schnell, wenn ich bitten darf.«

Er warf sich in einen Stuhl vor dem Toilettentisch und griff nach einer Nagelfeile.

Salter sah seinen Herrn an und machte keine Anstalten zu gehorchen.

»Was stehst du da noch herum?«, fuhr Mylord ihn an. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«

»Doch, Sir, aber – Verzeihung, Sir – halten Sie es für klug, heute zum ersten Mal zu reiten?«

Die Feile knallte auf den Tisch.

»Ich reite heute Nachmittag nach Horley!«, sagte Seine Lordschaft mit drohendem Unterton.

»Euer Gnaden, das sind ungefähr fünfzehn Meilen. Sollten Sie nicht lieber –«

»Sei still, Jim, verdammt noch mal!«

Salter resignierte.

»Sehr wohl, Sir«, meinte er seufzend und beförderte das verlangte Kleidungsstück wieder ans Tageslicht. »Ich werde also das Gepäck der Kutsche mitgeben und die Stute und Peter satteln.«

»Peter nicht. Du nimmst die Kutsche.«

»Nein, Sir.«

»Was?«

Mylord starrte ihn an. Jims Weigerung hatte zwar respektvoll, aber endgültig geklungen. Mylord wurde eisig.

»Du vergisst dich, Salter.«

»Ich bitte um Vergebung, Sir.«

»Du wirst auf meine Habseligkeiten aufpassen wie gewöhnlich.« Jim verstaute mit verkniffener Miene einen Schuh in der Tasche.

»Hast du mich verstanden?«

»Ich verstehe Sie sehr gut, Sir.«

»Dann ist die Angelegenheit also erledigt.«

»Nein, Sir.«

Mylord ließ sein Monokel fallen.

»Was zum Teufel soll das heißen?«

»Entschuldigen Sie bitte, Sir, wenn ich anmaßend bin, aber ich kann und will Sie mit Ihrer frisch verheilten Wunde nicht allein reiten lassen.« Die Bemerkung wirkte weder trotzig noch frech, nur sehr entschlossen.

»So, du willst nicht, wie? Bildest du dir vielleicht ein, ich sei ein Kind?«

»Nein, Sir.«

»Oder hältst du mich für unfähig, auf mich selber achtzugeben?«

»Ich glaube, Sie sind schwächer als Sie denken, Sir.«

»Oh, was du nicht sagst!«

Jim trat auf ihn zu.

»Sir, erlauben Sie mir, Sie zu begleiten! Ich werde Ihnen bestimmt nicht lästig fallen. Ich kann mich ja hinter Ihnen halten, aber ich lasse Sie einfach nicht allein losziehen. Sie könnten ohnmächtig werden –«

»Ich werde aber sicher kein angenehmer Gefährte sein!«, sagte Carstares mit einem zynischen Lachen.

»Aber, Sir, ich weiß doch, dass Sie etwas bedrückt. Darf ich nun mitkommen?«

Mylord blickte finster zu ihm auf, dann gab er plötzlich nach.

»Von mir aus, wenn du unbedingt willst ...«

»Danke, Sir.« Befriedigt ging Salter wieder an die Arbeit, verschnürte eine Tasche und stellte sie neben die Tür, packte dann rasch die nächste. Die Wäschestöße wurden zusehends kleiner, bis sie schließlich ganz verschwanden. Nun tauchte Salter in einen Schrank und kam mit einem Arm voller Jacken und Hosen wieder zum Vorschein.

Geraume Zeit saß Mylord schweigend da und starrte ins Leere. Dann ging er zum Fenster, schaute hinaus, wandte sich endlich um und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Jim beobachtete ihn verstohlen und stellte fest, dass der harte Glanz in seinen Augen erloschen war. Er wirkte erschöpfter denn je.

Carstares betrachtete ein paar Sekunden lang versonnen seine Nägel. Dann sagte er plötzlich:

»Jim.«

»Ja, Sir?«

»Ich werde in Kürze – wieder ins Ausland gehen.«

Jim hätte nicht weniger Überraschung zeigen können, wenn sein Herr eine Bemerkung über das Wetter gemacht hätte.

»Wohin gehen wir zuerst, Sir?«

John blickte ihn an. Die Spur eines Lächelns huschte über sein Gesicht.

»Du kommst mit, Jim?«

»Ich folge Ihnen, wohin Sie wollen, Sir.«

»Und was wird aus dem Mädchen in Fittering?«

Salter wurde krebsrot.

»Mein lieber Freund, seit wann bin ich denn blind? Hast du geglaubt, ich wüsste das nicht?«

»Nun, Sir – ich – äh – ja, Sir!«

»Selbstverständlich war ich im Bilde! Kannst du sie meinetwegen verlassen?«

»Ich könnte Sie ihretwegen nicht verlassen, Sir.«

»Bist du sicher? Ich will auf keinen Fall, dass du deinem Gefühl zuwiderhandelst.«

»Frauen sind nicht alles, Sir.«

»Findest du? Ich glaube, sie sind ... sehr viel«, sagte Mylord gedankenvoll.

»Ich hab meine Mary ja schrecklich gern, Sir, aber sie weiß, dass ich mit Ihnen gehen muss.«

»So? Aber ist es auch anständig ihr gegenüber? Und ich habe eigentlich auch keine Lust, dich wieder quer über den Kontinent zu schleppen.«

»Sir, Sie werden mich doch nicht im Stich lassen? Das können Sie nicht tun! Sie – Sie haben doch nicht die Absicht, allein zu reisen? Das – das – das dürfen Sie nicht!«

»Ich kann dich leider nicht entbehren. Aber falls du deine Meinung ändern solltest, sag es mir. Einverstanden?«

»Ja, Sir. Falls ich meine Meinung ändere.«

»Ich bin so selbstsüchtig, zu hoffen, dass du bei deinem jetzigen Entschluss bleibst, denn ich glaube, niemand anders würde meine Launen mit so viel Gleichmut ertragen. Und nun hilf mir aus diesem Rock, ja?«

»Ach, Sir, auf mich können Sie immer zählen. Und was Ihre Launen betrifft – als ob mir die was ausmachen würden!«

»Ich weiß, Jim – du bist wunderbar. Meine Hosen – so, danke.«

Die Beinkleider aus Satin glitten zu Boden, und Mylord stieg stattdessen in Reithosen aus weißem Wildleder. »Nein, nicht diese Stiefel, die anderen.« Er lehnte sich an den Tisch und trommelte mit den Fingern auf der Stuhllehne.

In diesem Moment klopfte es an die Tür. Mylord runzelte die Stirn und befahl Jim mit einem leichten Wink zu öffnen.

»Ist dein Herr da?«, fragte eine wohlbekannte Stimme, bei deren Klang sich Carstares' Gesicht erhellte. Salter trat zur Seite. »Komm herein, Miles!«

Der große Ire folgte der Aufforderung, warf einen raschen Blick auf die Unordnung und Johns Reitstiefel und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Mylord bot ihm einen Stuhl an.

»Setz dich, Alter! Ich dachte, du bist in London?«

»War ich auch. Ich brachte Molly gestern Nachmittag nach Hause und dann hörte ich, dass du heute von hier fortwillst.«

»Ah?«

»Jawohl, und da ich nicht zulasse, dass du einfach wieder so mir nichts, dir nichts verschwindest, hielt ich es für besser, dich höchstpersönlich in Gewahrsam zu nehmen. Was bleibt mir denn bei einem Kerl wie dir anderes übrig?«

»Aber ich hätte dich doch unter allen Umständen einmal besucht.«

»Natürlich. Deshalb besuchst du mich vorsichtshalber gleich jetzt – auf längere Zeit.«

»O nein!«

O'Hara legte Hut und Reitgerte auf den Tisch und streckte seufzend die Beine aus.

»Gott, bin ich steif! Jim, draußen steht eine Chaise für euer Gepäck, du kannst es also sobald du willst hinunterbringen.«

»Nein, Jim, lass es stehen. Miles, das ist wirklich reizend von dir, aber –«

»Keine Einwände, lieber Freund. Mein Entschluss steht fest.«

»Und meiner ebenfalls. Ich kann unmöglich –«

»Hör zu, mein Junge, du kommst jetzt mit und bleibst bei uns, bis du dich vollständig erholt hast, und wenn ich dich an den Haaren nach Hause schleifen muss!«

Johns Augen begannen vergnügt zu glitzern.

»Lieber Himmel, wie brutal! Aber mach doch nicht ein solches Getue wegen eines kleinen Kratzers! Mich erholen, dass ich nicht lache!«

»Du siehst noch immer krank aus. Ja, ja, du kannst mich noch so finster ansehen, das hilft dir nichts. An meinem Entschluss ist nicht zu rütteln.«

Während Carstares den Kopf schüttelte, zog Jim leise die Tür hinter sich zu.

»Ich kann nicht, Miles, das musst du doch einsehen.«

»Kein Mensch, der bei uns verkehrt, kennt dich oder weiß etwas von dir. Außerdem brauchst du meinetwegen überhaupt niemand zu sehen, aber kommen musst du!«

»Aber, Miles –«

»John, sei kein Narr! Ich will dich bei uns haben, und Molly auch. Es ist keine Falle, also sieh mich nicht so verschreckt an.«

»Ich glaube dir ja, und ich bin dir wirklich sehr dankbar, aber – ich kann nicht. Ich reise nämlich demnächst ins Ausland.«

»Was?«

»Ja. Es ist mir Ernst damit.«

O'Hara setzte sich auf.

»Also ist es passiert! Ich habe es kommen sehen!«

»Was meinst du?«

»Du hast erkannt, dass du Mistress Di liebst.«

»Unsinn!«

»Und sie dich.«

John blickte ihn an.

»Oh, ich weiß, ich bin ein Lümmel mit schlechten Manieren, weil ich versuche, die Mauer, die du um dich aufgerichtet hast, zu durchbrechen. Aber eines sage ich dir, John, es tut verdammt weh, so auf Distanz gehalten zu werden! Ich will mich dir bestimmt nicht aufdrängen, aber behandle mich um Gottes willen nicht wie einen Fremden!«

»Entschuldige, Miles. Wenn man sechs Jahre lang allein war, fällt es einem verdammt schwer, sich jemand anzuvertrauen.« Er schlüpfte in seinen Rock und rückte die Krawatte zurecht. »Wenn du die Wahrheit wissen willst – ich gehe wegen Diana.«

»Natürlich. Du bist in sie verliebt?«

»Es scheint fast so, oder?«

»Ja, meine Güte, warum bittest du sie dann nicht um ihre Hand?«

»Warum? Weil sie keinen Namen tragen soll, an dem ein Makel haftet! Weil ich sie so sehr liebe, dass –« Er lachte wütend auf. »Wie kannst du mich überhaupt so etwas fragen? Ich bin wohl eine begehrenswerte Partie, was? Nom d'un nom! Wofür hältst du mich?«

O'Hara blickte auf und musterte gelassen das zornige Gesicht.

»Ach, du galanter Ritter!«

Die Antwort war ein kurzes, ärgerliches Lachen.

»Liegt es denn so nahe, dass ich sie bitten soll, mich zu heiraten? ›Mademoiselle, vor Ihnen steht ein leichtsinniger Narr: In jungen Jahren betrog er beim Kartenspielen, und seit damals –‹ Oh, bald werde ich es selbst glauben! Ich scheine es schon so vielen Leuten gesagt zu haben. Und ich setze mich den Frechheiten von –« Er riss sich zusammen, dachte an das Gespräch, das er mit Mr. Beauleigh geführt hatte.

»Unsinn, John.«

»Nein, das ist kein Unsinn. Ich habe eine Empfehlung – eine einzige.«

»Das ist ja enorm! Und die wäre?«

Mylord lachte bitter.

»Ich kleide mich ziemlich gut.«

»Und fichtst noch besser, soviel ich mich erinnere.«

»Dazu habe ich auch allen Grund, und das ist ein weiterer Punkt, mich zu verdammen. Welche Frau würde einen Fechtmeister heiraten? Oh, mein Gott, was für ein verpfuschtes Leben!« Diesmal misslang ihm das Lachen.

»Ich könnte mir vorstellen, dass Mistress Di nicht abgeneigt ist.«

»Sie wird keine Gelegenheit haben, sich derart zu erniedrigen«, lautete die stolze Antwort.

»Mein lieber John, du vergisst offenbar, dass du der Earl of Wyncham bist.«

»Ein feiner Earl! Nein, danke, Miles. Richards Sohn wird den Titel erben – nicht mein Sohn.«

O'Haras Faust landete krachend auf dem Tisch.

»Zum Teufel mit Richard und seinem Sohn!«

Mylord nahm eine juwelenbesetzte Nadel, ging zum Spiegel hinüber und steckte sie an seine Krawatte. Miles musterte ihn mit durchdringendem Blick.

»Na, wieder zurück im Schneckenhaus?«

Carstares prüfte mit leicht schräg geneigtem Kopf die Wirkung des Schmuckstückes. Dann wandte er sich seinem Freund zu.

»Mein lieber Miles, der langen Rede kurzer Sinn ist der, dass ich ein unverbesserlicher Nörgler bin. Ich habe mir mein Bett gemacht, und nun muss ich wohl auch darauf liegen.«

»Und willst du mir nicht verraten, wer dir so erfolgreich dabei geholfen hat?«

Carstares setzte sich und machte sich ächzend daran, einen Stiefel anzuziehen.

»Ich sehe schon, wir werden einander in Kürze an die Gurgel fahren«, prophezeite er fröhlich. »Habe ich dir übrigens erzählt, dass ich Mr. Beauleigh heute über meinen – äh – Beruf aufgeklärt habe?«

Miles vergaß vor Überraschung seinen Ärger.

»Du hast ihm doch nicht gesagt, dass du ein Straßenräuber bist?«, rief er entsetzt.

»Aber sicher. Warum nicht?«

»Warum nicht? Warum nicht? Mein Gott! Bist du übergeschnappt? Willst du das vielleicht überall ausposaunen? Anscheinend bist du wirklich total verrückt!«

Carstares seufzte.

»Ich fürchtete schon, du würdest mich nicht verstehen.«

»Nur ein Verrückter könnte das! Zweifellos hat dich wieder eine deiner galanten Anwandlungen dazu getrieben?«

»Gal –! Nein. Ich brachte es nur nicht übers Herz, ihn in dem Glauben zu lassen, ich sei ein ganz normaler, feiner Gentleman. Alles in allem hat er es verhältnismäßig ruhig aufgenommen und behandelt mich jetzt zwar frostig, aber immerhin höflich.«

»Höflich! Na, das will ich hoffen! Schließlich hast du ihm seine Tochter gerettet! Hat er dich so wütend gemacht?«

Carstares lachte.

»Ja, aber bis zu einem gewissen Grad war es meine Schuld. Er hielt mir eine Moralpredigt über meine Verfehlungen – oh, nein, nein, er war dabei sehr freundlich –, aber es störte mich trotzdem.«

»Nun, wie die Dinge momentan liegen, kannst du ebenso gut zu mir kommen.«

Mylord öffnete den Mund, erntete einen zornigen Blick und schwieg lieber.

»Irgendwas zu bemerken?«, fragte O'Hara scharf.

»Nein, Sir«, erwiderte John demütig.

»Du kommst also?«

»Ja, bitte.«

O'Hara sprang erfreut auf.

»Na, endlich! Himmel, war das ein schweres Stück Arbeit! So! Du ziehst dir möglichst schnell deinen zweiten Stiefel an, und ich sehe nach, wo dein Diener steckt.« Er eilte aus dem Zimmer, um Jim zu suchen, der in weiser Voraussicht bereits damit beschäftigt war, das Gepäck in der Chaise zu verstauen.

Eine halbe Stunde später hatte Mylord den peinlichen Abschied hinter sich und befand sich mit O'Hara auf dem Weg nach Thurze House.

Eine Weile ritten die beiden schweigend dahin. Nur ab und zu fiel eine flüchtige Bemerkung über das prachtvolle Wetter und die gute Verfassung der Stute. Carstares war, wie sein Freund wohl wusste, in Gedanken noch bei all dem, was er hinter sich ließ. Sein Abschied von Diana war völlig alltäglich verlaufen, zumindest hatte man ihr in keiner Weise anmerken können, dass er ihr mehr bedeutete als eine zufällige Bekanntschaft, ja ihre Haltung erschien ihm sogar eine Spur reserviert, als habe sie sich ein wenig in sich selbst zurückgezogen. Als er ihre Hand küsste, lagen ihre Finger leblos und kalt in den seinen, und ihr Lächeln wirkte zwar liebenswürdig, doch kühl. Er wusste, dass er ihre Hand ein paar Sekunden länger festgehalten hatte, als es die guten Manieren erlaubten, und fürchtete, sich höchst aufdringlich benommen zu haben, als er diese Hand leidenschaftlich an seine Lippen drückte. Während er sich jetzt fragte, ob es Diana aufgefallen war, konnte er natürlich nicht ahnen, dass sie noch lange, nachdem er seinem Pferd die Sporen gegeben hatte, in der Erinnerung an diese Berührung erschauderte, und hätte er sehen können, wie sie aus Angst, ihre Lippen könnten die Stelle verfehlen, auf die er seine gedrückt hatte, jeden Finger einzeln zärtlich küsste, wäre sein Herz bestimmt leichter gewesen.

Es stimmte, dass sie sich, verletzt durch seine Halsstarrigkeit, in ihr Schneckenhaus zurückgezogen hatte. Sie hatte ihr Herz vor ihm offenbart und sich ihm unmissverständlich angeboten, weil sie ohne Rücksicht auf das Gebot mädchenhafter Scheu verzweifelt um ihr Glück kämpfte. Als ihr später ihr Benehmen bewusst wurde und sie sich vorstellte, was er nun von ihr denken musste, erfüllte sie tiefe Scham über ihren Mangel an Stolz. Der Gedanke, er könnte sie für aufdringlich halten, überwältigte sie derart, dass sie ihn mit größerer Kälte behandelte, als ursprünglich beabsichtigt. Doch wie sehr hatte sie dabei gehofft, er würde ihre Liebe fühlen und all das verstehen, was sie nicht aussprechen durfte!

Wie aber sollte der mit weiblicher Logik keineswegs vertraute John ihre zwiespältigen Gefühle erraten? Er wusste nur, dass er sie verletzt hatte, und glaubte sie unwiderruflich verloren. Wie konnte er hoffen, sie zu begreifen, wenn sie sich selbst über ihre Empfindungen im Unklaren war ...

Wenn er daran dachte, wie rasch sie sich ineinander verliebt hatten, konnte er sich einreden, dass wenigstens Diana ebenso rasch über die Enttäuschung hinwegkommen würde, und er sagte sich, dass diese Lösung bestimmt die beste für sie wäre. Gleichzeitig aber gestand er sich ein, dass dies das Letzte sei, was er sich wünschte. Bei der bloßen Vorstellung, er könne ihr gleichgültig sein oder sie könnte gar einen anderen Mann heiraten, biss er sich heftig auf die Unterlippe.

O'Hara warf so manchen verstohlenen Blick auf die düstere Miene seines Begleiters und fragte sich, ob Seine Lordschaft den anstrengenden Ritt durchstehen würde. Er kannte Carstares' Energie gut genug, um es ihm zuzutrauen, doch er fürchtete, es würde sich als eine zu große Belastung für seinen geschwächten Gesundheitszustand erweisen.

Er hütete sich, ihn aus seiner Versunkenheit aufzuschrecken, und ritt schweigend neben ihm her, vorbei an Wiesen, auf denen kniehohes Gras die Heuernte erwartete, an Feldern mit Klee und Mohn, an hohen Hecken, über Berg und Tal – alles in tiefem Schweigen.

Plötzlich blieb O'Hara ein wenig zurück, um seinen Freund unauffälliger beobachten zu können. Er hatte John noch nie so schlechter Laune gesehen. Zwei scharfe Falten teilten die düster gerunzelten Brauen über der Nase, der Mund war ein blutleerer Strich, das Kinn ragte ein wenig vor, und die Augen, die über Jennys nervös spielende Ohren vorausblickten, erinnerten an die eines Blinden. Eine Hand umfasste, in die Hüfte gestützt, seine Reitgerte, die andere lenkte völlig automatisch die Stute.

Unwillkürlich bewunderte O'Hara Johns Anmut, seine Sicherheit und die vorbildliche Haltung, mit der er im Sattel saß.

In diesem Moment wandte Mylord den Kopf, als spürte er den prüfenden Blick. Er zuckte unmerklich die Achseln und schien damit seine bedrückte Stimmung abzuschütteln. Der düstere Ausdruck verschwand von seinem Gesicht und machte einem Lächeln Platz.

»Entschuldige bitte, Miles. Ich bin kein guter Reisebegleiter.«

»Wahrscheinlich schmerzt deine Schulter«, kam ihm O'Hara taktvoll zu Hilfe.

»N-nein, ich spüre sie kaum. Es sind eindeutig meine schlechten Manieren und meine noch schlechtere Laune.«

Damit begann er seinen Freund zu unterhalten, und wenn sein Lachen auch manchmal etwas gezwungen klang, so reichte sein Witz doch, O'Hara eine Zeitlang in vergnügte Stimmung zu versetzen.

Als sie Thurze House erreichten, war Carstares verdächtig bleich um die Nase. Doch er war noch imstande, Lady O'Hara gebührend zu begrüßen und sie mit drei geschmackvollen Komplimenten zu erheitern, ehe ihn O'Hara mit eisernem Griff am Arm nahm und ihn in sein Zimmer führte, wo er sich vor dem Dinner noch ein wenig ausruhen musste.

Kurz danach traf auch Jim ein. Er war hochzufrieden mit seiner neuen Umgebung und Jennys Unterkunft. Nachdem er seine anfängliche Eifersucht überwunden hatte, akzeptierte er O'Hara nun als Freund und war erfreut, dass sein Herr hier ein Dach über dem Kopf fand, statt, wie beabsichtigt, kreuz und quer durch das Land zu streifen.

Mit dem Gongschlag um fünf Uhr schwebte Mylord in einem Gedicht aus Goldbrokat und Silberborten die Treppe herunter. Er war fest entschlossen, so fröhlich und beschwingt zu sein, wie es der Anlass erforderte, als hätte es niemals eine Diana gegeben, deren Existenz dazu angetan war, so viel Unruhe in seinem Leben zu stiften.

Die vergangenen sechs harten Jahre waren nicht ohne Nutzen für ihn gewesen, denn sie hatten ihn gelehrt, seine Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske von Nonchalance und Geist zu verbergen, keine Sekunde lang zu verraten, dass etwas ihn verletzte und unter keinen Umständen einen anderen Eindruck zu erwecken, als den eines Mannes, den auch nicht die geringste Sorge quälte. Diese mühsam erworbene Beherrschung kam ihm nun sehr zustatten, und selbst O'Hara wunderte sich, ihn nach allem, was geschehen war, so strahlender Laune vorzufinden. Lady Molly dagegen war entzückt von ihrem Gast, seiner eleganten Erscheinung, seinen erlesenen Umgangsformen, und erlag im Handumdrehen seinem unwiderstehlichen Charme.

O'Hara stellte mit Genugtuung fest, dass seine kapriziöse Frau von Mylord restlos begeistert war – eine hohe Ehre, da etliche seiner Bekannten keine Gnade vor ihren Augen fanden. Am Ende der Mahlzeit zog sie sich mit den Worten zurück, sie sollten nicht zu lange bei ihrem Wein sitzen bleiben, und Miles solle Seine Lordschaft nicht ermüden.

O'Hara schob seinem Freund die Karaffe zu.

»Ich habe eine Neuigkeit für dich, die dich sicher interessieren wird.«

Carstares blickte ihn fragend an.

»Ja. Seine Gnaden, der Herzog von Andover, beehrt nun Paris mit seiner Anwesenheit.«

Mylord hob eine Braue.

»Ich nahm an, dass er nach unserem kleinen Zusammenstoß das Bedürfnis verspüren würde, sich ein Weilchen im Hintergrund zu halten.«

»Steht ihm jemals der Sinn nach einer so bescheidenen Rolle?«

»Du kennst ihn wahrscheinlich besser als ich – nun, was meinst du?«

»Nein, der verfluchte Kerl muss sich immer in der vordersten Reihe hervortun!«

Mylord war überrascht.

»Warum regst du dich so auf? Hat er sich womöglich in deine Angelegenheiten gemischt?«

»In meine nicht, aber in die meines besten Freundes, und zwar mit Erfolg.«

»Ich fürchte, der Fall liegt umgekehrt.«

»Nun, ich weiß zumindest, wie er mit Dick umspringt.«

Carstares stellte sein Glas nieder.

»Was ist mit Dick?«

O'Hara schien seine letzte Bemerkung zu bedauern.

»Nun, wenn du mich fragst – mir tut er nicht leid.«

»Was hat ihm Tracy angetan?«

»Ach, nichts von großer Bedeutung – nur dass er und sein nichtsnutziger Bruder versuchen, ihn auszusaugen.«

»Robert?«

»Andrew. Robert kenne ich kaum.«

»Andrew! Aber er war noch ein Kind –«

»Nun, jetzt ist er jedenfalls erwachsen und ein ausgesprochener Verschwender. Dick scheint ihre Schulden zu bezahlen.«

»Verdammt noch mal, wie kommt er denn dazu?«

»Weiß der Himmel! Vermutlich steckt Lavinia dahinter. Wir wussten alle, dass Tracy es nur aus diesem Grund arrangierte, dass ihr beide sie kennengelernt habt.«

»Unsinn! Wir gingen von uns aus hin. Sie war gerade erst von der Schule zurückgekehrt.«

»Genau. Und wer hat das so schön eingefädelt?«

Carstares riss die Augen auf, stützte beide Arme auf den Tisch und drehte den Stiel seines Weinglases zwischen den Fingern.

»Sind die Schulden hoch?«

»Das kann ich dir nicht sagen, weil ich es nur einem Zufall verdanke, dass ich der Sache überhaupt auf die Spur gekommen bin. Die Belmanoirs haben ja noch nie einen bescheidenen Lebensstil gehabt.«

»Ebenso wenig wie wir. Sei nicht so hart mit ihnen, Miles! ... Ich wusste natürlich, dass ihr Gut mit Hypotheken belastet ist, aber ich hatte keine Ahnung, bis zu welchem Ausmaß.«

»Ich weiß es leider auch nicht, aber Dicks Geld dient nicht dazu, die Hypotheken abzutragen. Es wird samt und sonders am Spieltisch und für Weiber vergeudet.«

Mylords Blick verfinsterte sich.

»Ja. Ich glaube, ich werde mit Tracy diesbezüglich ein Hühnchen rupfen müssen – eines Tages.«

Miles schwieg.

»Aber wie kommt Dick mit all dem zurecht, wenn er mein Geld nicht anrührt?«

»Was weiß ich!« O'Haras Ton gab deutlich zu verstehen, dass es ihm auch ziemlich gleichgültig war.

»Ich hoffe, er hat selbst keine Schulden gemacht«, grübelte Carstares. »Ich könnte mir vorstellen, dass er in Schwierigkeiten ist. Wenn ich ihn doch bloß überreden könnte, die Einkünfte aus den Ländereien anzunehmen.« Er trommelte stirnrunzelnd mit den Fingern auf den Tisch.

»Ja, das sähe dir ähnlich!«, explodierte O'Hara. »Lass ihn um Gottes willen in Frieden und zerbrich dir nicht den Kopf über einen erbärmlichen Kerl, der dir mehr Schaden zugefügt hat, als –«

»Miles, ich kann dir nicht erlauben, so von Dick zu sprechen! Du verstehst das nicht!«

»Oh, ich verstehe sehr gut. Du bist einfach viel zu anständig. Und hör endlich auf, mir diese Komödie vorzuspielen! Ich weiß genauso gut wie du, dass Dick damals falschgespielt hat, und ich sage, es ist geradezu widernatürlich, dass du ihm nun auch noch dein Geld in den Rachen werfen willst, nachdem du seinetwegen deine Ehre und alles andere verloren hast!«

Carstares nahm ruhig einen Schluck von seinem Wein und wartete gelassen, dass Miles' Ärger verflog, was auch kurz darauf der Fall war. Dann blickte er sein düster vor sich hinbrütendes Gegenüber belustigt an und sagte lachend: »Ach, Miles, lass mich doch meinen eigenen Weg gehen! Ja, ich weiß, es mag schwer zu ertragen sein. Aber ich will nicht«, fügte er plötzlich ernst hinzu, »dass du so schlecht von Dick denkst. Du kennst ihn gut genug, um zu begreifen, wie das alles geschehen konnte. Du weißt, wie verschwenderisch er war, und wie oft er tief in Schulden steckte – kannst du denn die Eingebung eines verrückten Augenblicks nicht verzeihen?«

»Das schon – aber was ich ihm nicht verzeihe, ist die unaussprechliche Gemeinheit, zuzulassen, dass du die Schuld auf dich nahmst.«

»Miles, er war in Lavinia verliebt –«

»Du auch.«

»Bei mir ging es nicht so tief, es war eher eine Jugendschwärmerei, aber ihm war es ernst.«

O'Hara enthielt sich einer Antwort. Sein Gesicht hatte einen ungewöhnlich verbissenen Ausdruck.

»Versetz dich doch in seine Lage«, bat John. »Wenn du –«

»Danke!« Er stieß ein unangenehmes Lachen aus. »Nein, John, in diesem Punkt werden wir nie einer Meinung sein, also lassen wir das Thema lieber fallen. Aber zu deiner Beruhigung – ich glaube nicht, dass du dir seinetwegen Sorgen zu machen brauchst. Ich nehme nicht an, dass er verschuldet ist.«

»Hat er Glück mit seinen Rennpferden und beim –«

O'Hara lächelte bitter.

»Dick hat sich sehr verändert, John. Er hält keinen Rennstall mehr, und er spielt auch nicht, außer, um die Form zu wahren.«

»Dick rührt keine Karten an? Was tut er denn dann?«

»Er verwaltet deine Güter und führt seine Frau auf Abendgesellschaften. Und wenn er in der Stadt ist« – die Stimme klang bitter – »bewohnt er dein Haus.«

»Nun, es gibt ja sonst niemand, der davon Gebrauch machen könnte. Aber ich kann ihn mir nicht als rechtschaffenen, besonnenen Familienvater vorstellen!«

»Wenn das Unrecht einmal geschehen ist, fällt es leicht, den Biedermann zu spielen.«

Mylord überhörte diese Bemerkung. Ein seltsames Lächeln zuckte um seinen Mund.

»Ach, Miles, ist es nicht komisch! Ich, der einstmals Anständige, bin jetzt das gesellschaftsunfähige Subjekt: Ich würfle, spiele und raube. Und Dick, der Tunichtgut, ist ein Heiliger. Er – führt ein gottesfürchtiges und ordentliches Leben und wird – von den Verwandten seiner Frau ausgenommen. Im Grunde genommen beneide ich ihn nicht allzu sehr.«

»Zumindest genießt du dein Leben entschieden mehr als er«, sagte O'Hara grinsend. »Denn du brauchst dich nicht mit deinem Gewissen herumzuschlagen.«

Carstares' Miene war unergründlich. Er tupfte sich mit der Serviette die Lippen ab und lächelte.

»Was das Erstere betrifft, so gebe ich dir recht – in Bezug auf das Letztere bin ich nicht ganz deiner Meinung.«

O'Hara lehnte seitlich in seinem Stuhl, ließ einen Arm über die Lehne baumeln und warf John einen prüfenden Blick zu.

»Bist du beleidigt, wenn ich dich jetzt etwas frage?«

»Natürlich nicht.«

»Gut, dann – beabsichtigst du, dich wieder als Straßenräuber zu betätigen?«

»Nein.«

»Was willst du dann tun?«

»Um dir die Wahrheit zu sagen, Miles«, erwiderte Mylord lachend, »darüber bin ich mir noch nicht im Klaren. Das wird das Schicksal entscheiden – nicht ich.«