Alexander in Lindau | 28. Mai, sieben Jahre früher
Nach dem bitterbösen Streit folgte Schweigen. Lisa zog sich zurück und verweigerte jedes Gespräch. Alexander war verzweifelt. Seine große Liebe bedeutete ihm alles. Um einen Weg zu finden, ihr die beste Behandlung zu ermöglichen, recherchierte er umfangreich im Internet. Erneut nahm er einen Termin bei der Onkologin wahr, um sich die Details zu Lisas Fall erklären zu lassen. Die Ärztin empfahl eine Mastektomie, damit Lisa wieder vollständig genesen konnte.
„So schlimm das auch klingt, Herr Blumenthal, es handelt sich dabei heutzutage um einen Routineeingriff“, als sie sein konsterniertes Gesicht sah, reagierte sie sofort darauf. „Ach, ein schreckliches Wort. Bitte entschuldigen Sie. Es handelt sich um eine Operation, die häufig durchgeführt wird – leider. Dadurch liegen
umfangreiche Erfahrungswerte vor. Ein Eingriff ist immer ein Risiko, aber die Alternativen rauben Ihrer Frau meines Erachtens viel eher Lebensqualität.“
„Eine Chemo?“
„Eine Chemotherapie belastet den Körper außerordentlich. Natürlich reagiert nicht jeder gleich. Ihre Frau ist jung und kräftig. Trotzdem wird es ihr mit großer Wahrscheinlichkeit erst einmal schlecht gehen. Möglicherweise sterben nicht alle bösartigen Zellen ab. Die Mastektomie ist die sauberste Lösung. Da es keine Metastasen gibt, der Krebs also nicht gestreut hat, bin ich optimistisch, dass Ihre Frau ganz gesund wird.“
„Sie will keine Amputation ihrer Brüste.“
„Hat sie das begründet?“
„Ja, sie meint, dann keine vollständige Frau mehr zu sein.“ „Wie ist Ihre Einstellung dazu?“ Die Ärztin versuchte, sich vorsichtig voranzutasten, das spürte Alexander genau.
„Dr. Borck, ich liebe meine Frau über alles. Sie ist die Liebe meines Lebens, da bin ich mir ganz sicher. Mir geht es nicht um den Verlust der Brüste. Ich habe große Angst, meine Lisa zu verlieren.“
Alexander sah, wie die Onkologin erleichtert nickte.
„Gut, okay. Sind Sie bereit, sich mit einer Psychologin zu unterhalten? Sie kann sie unterstützen, eine Strategie zu entwickeln, wieder mit Ihrer Frau ins Gespräch zu kommen. Sie sollten sie nicht zu einer Mastektomie überreden. Es muss Lisas Entscheidung sein, das ist sehr wichtig. Aber Sie können Argumente sammeln, die sie mit professioneller Unterstützung vielleicht besser präsentieren.“
Zum ersten Mal huschte ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht. Alexander fragte sich, wie oft sie wohl Gespräche dieser Art führte. Onkologie war nicht gerade ein einfaches Fachgebiet.
„Können Sie mir eine Kollegin empfehlen, die mit dieser
Thematik bereits Erfahrung gesammelt hat?
“
„Ja, natürlich. Die Kollegin betreut zahlreiche Brustkrebspatientinnen. Sie ist sehr empathisch, ohne gefühlsduselig zu sein. Stimmen Sie einen zeitnahen Termin ab, weil es dringend ist. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Erwähnen
Sie dabei meine Empfehlung.“
Nachdem Alexander sich verabschiedet hatte, fühlte er sich ein kleines bisschen
besser.