Torge in SPO | Donnerstag, den 07. September
Erst am Donnerstag wurde Torges Hartnäckigkeit belohnt. Der Garten vor dem Süßholz´schen Bungalow war mittlerweile der Gepflegteste der gesamten Ferienanlage. Noch hatte die Lessing von seinem Übereifer nichts mitbekommen, sonst wäre er auf jeden Fall mit anderen Aufgaben betraut worden.
Endlich gegen 18 Uhr tat sich etwas. Beide Frauen erschienen aufgebretzelt vor der Tür. Als Marlene Torge entdeckte, winkte sie ihm fröhlich zu. Er interpretierte die Geste als Aufforderung, sich zu nähern.
„Guten Abend, Torge. Schön Sie wiederzusehen. Heute ist es soweit. Ich habe es geschafft, meine Tochter von einem Restaurantbesuch zu überzeugen. Wir haben uns ein Taxi bestellt, um ins Dorf zu fahren. Ich glaube, es geht bergauf.“
„Guten Abend, die Damen. Das klingt wundervoll. Da wünsche ich Ihnen einen nordischen
Appetit.“
„Danke, ich denke, den werden wir haben“, entgegnete Marlene von Hofstetter bestens gelaunt. Ihre Tochter ignorierte den Hausmeister komplett.
Gemütlich schlenderten sie in Richtung Rezeption. Eine Fahrt ins Dorf! Das war ja besser als gewünscht, denn es öffnete ihm ein ausreichend großes Zeitfenster, um das Ferienhaus in Ruhe zu durchsuchen. Seine Haut begann zu kribbeln. Schnell packte er die Gartengeräte auf Henriettes Ladefläche und stellte sie so auf dem Grundstück ab, dass sie vom Weg aus nicht sofort zu sehen war.
Mit etwas weichen Knien gelangte er zu dem Objekt des Begehrens. Vor der Haustür stehend, wurde er von Zweifeln übermannt. Genau genommen war er im Begriff, in den Bungalow einzubrechen. Wenn es herauskam, verlor er vielleicht seinen Job. War das die Sache wert?
Die Gedanken an den toten Michael Schwertfeger ließen die Bedenken wieder schrumpfen. Torge konnte seine Ahnung nicht konkretisieren, aber da war etwas. Er musste noch einmal in diesen Bungalow! Ach, was sollte es. Es war eben ein Rauchmelder angesprungen, weswegen er gezwungen war, nach dem Rechten zu schauen. Eben ein Notfall. Marlene würde das verstehen.
Kurz entschlossen streifte Torge die mitgebrachten Handschuhe über, um dann die Tür zu öffnen. Dieses Mal wurde er von Helligkeit empfangen. Das erleichterte sein Unternehmen, obwohl er an eine Taschenlampe gedacht hatte. Nach kurzer Überlegung beschloss er, im Wohn-Esszimmer mit seiner Suche zu beginnen. Er schätzte, mindestens eineinhalb bis zwei Stunden Zeit zur Verfügung zu haben, bis die Frauen zurückkehrten.
Im Gegensatz zu seinem Besuch vor einigen Tagen war es dieses Mal picobello aufgeräumt. Torge sah sich um. Viele Möglichkeiten, etwas zu verstecken gab es nicht. Er bewegte sich langsam durch den Raum, um erst einmal an den Plätzen zu schauen, die offen einsichtig waren. Das
Messer hatte ja auch einfach in der Obstschale gelegen. Jeden Tag schaute er es sich mehrmals an, aber es klickte nicht. Trotzdem brachte er etwas damit in Verbindung, was noch im Dunkeln lag.
Der erste Raum gab nichts her. Selbst in die Küchenschränke warf er einen Blick. Wieder fragte Torge sich, ob der Mord hier auf der Halbinsel ihm den Verstand vernebelte. Einen Moment war er versucht, die Aktion abzubrechen, einfach nach Haus zu fahren, um das freie Wochenende mit Annegret zu genießen. Es wurde Zeit, sich wieder um den eigenen großen Garten zu kümmern. Der war sein ganzer Stolz!
Unschlüssig blieb er in der Tür des Schlafzimmers stehen, das eindeutig von Margarete Süßholz genutzt wurde. Bis hierhin hatte die ordnende Hand ihrer Mutter es offensichtlich nicht geschafft. Klamotten lagen in großen Stapeln auf den Sesseln. Torge fragte sich unwillkürlich, ob die Schränke leer waren. Befand sich dazwischen etwas von Bedeutung? Nur ungern würde er sich durch die Kleidung wühlen.
Gehen oder weitersuchen? Torge gab sich einen Ruck. In die Nachttische wollte er eben noch gucken. Er nahm sich zuerst den auf der von Frau Süßholz benutzten Seite vor. Langsam zog er die Schublade auf. Taschentücher, Medikamente, Streichhölzer von Restaurantbesuchen, Süßigkeiten und sogar eine Bibel lagen neben anderem Krimskrams in der Schublade. In dem offenen Fach darüber befand sich nur ein Roman. Torge konzentrierte sich wieder auf das Sammelsurium. Er legte die Streichholzschachteln oben drauf, um das erste Foto zu knipsen. Während er in der Schublade kramte, entdeckte er ganz unten eine Mappe. Er zog sie hervor und klappte sie auf.
Darin befanden sich Zeitungsartikel. Torge begann zu lesen. Es handelte sich um einen Kunstfehlerprozess ihres Mannes, des Schönheitschirurgen Maximilian Süßholz. Warum hob sie das hier in ihrer Nachttischschublade
auf?
Schon wollte Torge die Mappe wieder zurücklegen, da stutzte er plötzlich. Der Mann auf dem Foto hatte große Ähnlichkeit mit Michael Schwertfeger!
Eine Gänsehaut prickelte ihm von den Unterarmen bis zu den Schultern. Die Bildunterschrift lautete: der Kläger Alexander Blumenthal mit seinem Anwalt Harald Bodenstecker.
Enttäuscht ließ Torge die Mappe sinken. Einen Moment hatte er geglaubt, dass seine Ahnung doch richtig gewesen sei und er nun etwas Wichtiges entdeckte. Die Gedanken kreisten. Er holte die Taschenlampe heraus, um das Foto genauer zu betrachten. Erstaunlich! Der Mann auf dem Foto war stattlicher, wog bestimmt zwanzig Kilo mehr als Schwertfeger. Außerdem trug er einen kurzen Bart und die Haare anders, ebenfalls kürzer. Aber die Ähnlichkeit war groß.
Eine neue Aufregung erfasste Torge. Seine Handflächen wurden feucht. Hastig blätterte er weiter in der Sammlung, die den Fortschritt des Prozesses dokumentierte. Der letzte Artikel berichtete von dem Sieg Blumenthals gegen Süßholz. Wieder gab es ein Foto mit dem Rechtsbeistand, welches den Kläger mit unbewegter Miene zeigte. Freude über den positiven Ausgang war ihm nicht anzusehen. Torges Interesse war geweckt. Um die Einzelheiten zu lesen, fehlte ihm die Zeit. Kurz überlegte er, die Mappe einzustecken, verwarf diese Idee jedoch schnell wieder. Vor seinem geistigen Auge waren sofort die mahnenden Gesichter der Lessing, der Kommissarin Wiesinger aus Hamburg und sogar das von Knud erschienen. Schnell holte er sein Handy aus der Tasche, um die Artikel zu fotografieren. Besonderen Wert legte er dabei auf Erscheinungsdatum sowie Quelle, dann konnte er sich die Originale im Internet besorgen. Als das erledigt war und er die Mappe wieder unter den Kram in der Schublade schieben wollte, entdeckte er dort noch ein gefaltetes Blatt Papier
.
Als er es auseinanderfaltete; folgte der Gänsehaut ein eiskalter Schauer über den Rücken: Ein Erpresserbrief!
100.000 EURO FÜR MEIN SCHWEIGEN!
DEPONIEREN SIE DAS GELD IN KLEINEN UNNUMMERIERTEN SCHEINEN BIS ZUM 31. AUGUST IN DAS
SCHLIESSFACH 313 AM HAMBURGER HAUPTBAHNHOF. ANSONSTEN ÜBERGEBE ICH DEN FILM AN DIE PRESSE!
Torge stockte der Atem! Einen Moment war er unfähig, sich zu bewegen. Eine Erpressung? Hatte die etwas mit dem Mord an Schwertfeger zu tun? Am liebsten hätte er sofort Knud angerufen, doch was sollte er ihm sagen?
„Hey alter Kumpel, ich bin gerade in das Ferienhaus der Süßholz eingebrochen. Stell dir vor, sie sind erpresst worden.“ Was für ein Schlamassel!
Schnell fotografierte er den Brief, bevor er alles wieder in der Schublade verstaute. Sah es so aus wie vorher? Torge war sich nicht sicher, wollte jetzt aber nur noch aus diesem Bungalow heraus. Seine Ahnung hatte ihn also nicht getrogen! Nun brauchte er Zeit, um über die nächsten Schritte nachzudenken. Wer konnte ihn unterstützen, mehr herauszufinden, bevor er seine Ermittlungsergebnisse Knud und der Wiesinger präsentierte?
Wieder ruhiger auf dem Weg nach Hause in seinem Auto sitzend, kam ihm die Idee! Wenn einer wissen musste, ob Blumenthal und Schwertfeger ein und dieselbe Person waren, dann Hinnerk Liesenfeld. Torge fuhr rechts heran, um die Mobilnummer des Bekannten herauszusuchen. So richtig dick waren die beiden nicht, aber neulich in Büsum hatte Hinnerk ja bereitwillig Auskunft gegeben. Vielleicht schaffte Torge es noch einmal, ihm Informationen zu entlocken. Erfreulicherweise erreichte er ihn auf Anhieb.
„Liesenfeld.“
„Moin
, Hinnerk. Torge hier. Sag mal, wo bist du? Ich muss ganz dringend mit dir schnacken!“
„Worum geht es denn?
„Es geht um den Mord an Michael. Ich habe neue Informationen, aber da ist etwas unklar.“
„Ich kann dir nicht mehr zu dem Fall sagen“, versuchte Liesenfeld Torge abzuwimmeln.
„Ich glaube doch.“
„Wie meinst du das?“
„Hast du eine halbe Stunde Zeit? Ich möchte dir etwas zeigen und deine Meinung dazu hören“, wich Torge aus, indem er gleichzeitig versuchte, seinen Gesprächspartner beim Ego zu packen.
„Na, wie es aussieht, werde ich dich doch nicht los. Ich bin wieder auf dem Weg nach Büsum, das Schiff vorzubereiten, um morgen mal einen Turn zu segeln. Komm auf ein Bier
dorthin, dann schnacken wir.“
„Bin schon
auf dem Weg.“