Charlie in SPO | Freitag, den 08. September
Da die letzten beiden Tage so ereignislos vor sich hindümpelten, stellten sich bei Charlie Zweifel ein, den Fall jemals aufzuklären. Ständig rechnete sie mit einem Anruf von ihrem Chef Matthias aus Hamburg, der sie wieder mit Vorhaltungen überhäufte, weil sie keine Ergebnisse lieferte.
Doch nicht einmal das passierte.
Als sie beim Klingeln ihres Smartphones dann seine Nummer erkannte, war sie fast erleichtert.
Moin Matthias! Ich weiß, ich hätte mich mal melden sollen...“
„Hallo, Charlie. Na, du scheinst ja angekommen zu sein. Moin – nett. Hör zu, ich habe keine Zeit für langes Geplänkel. Wir haben hier einen Mordfall.“
Charlies Herz machte einen Satz. Ein Mordfall in Hamburg! Matthias hatte endlich seinen Fehler, sie auf diese Halbinsel zu verbannen, eingesehen. Nun wollte er sie zurück in das Team in der Hansestadt! 
Doch seine nächsten Worte gaben dem Gespräch eine andere Richtung.
„Der Tote scheint mit eurem Fall in Verbindung zu stehen. Naja, es ist nicht sicher, aber nimm´ die Angelegenheit unter die Lupe. Du hast doch Kapazitäten frei, oder?“
Charlie hätte fast laut losgelacht – oder geweint. Ob sie Kapazitäten frei hatte? Die letzten beiden Tage waren eher von Langeweile geprägt gewesen. Die Recherchen hatten sie nicht weitergebracht. Aus diesem Grund hielt sie die Sehnsucht nach Hamburg kaum noch aus. Die Versuchung sich einfach ins Auto zu setzen, war so übermächtig gewesen, dass sie alle Kraft benötigte, zu widerstehen. Ohne Knud hätte sie der Versuchung nachgegeben.
„Charlie? Bist du noch dran?“
„Ja, natürlich. Ich kann mich darum kümmern, kein Problem. Welche Fakten hast du für mich?“
„Der Tote heißt Rudolf Schmidt, wohnhaft in Köln. Wir haben seine Leiche am Hamburger Hauptbahnhof gefunden. Über die Todesursache kann ich noch nichts Genaues sagen. Es gibt aber eine Einstichstelle und wie ein Junkie sieht er nicht aus. Die Kollegen in Köln haben die Witwe aufgesucht.“
„Ich verstehe nicht so ganz, was das mit unserem Fall hier zu tun hat. Schwertfeger wurde erschlagen. Hamburg. Köln. Wo siehst du da eine Verbindung?“
„Schmidt und seine Frau haben ihren Sommerurlaub in der Ferienanlage Weiße Düne verbracht“, Matthias war geradezu euphorisch bei dem letzten Satz.
„Das ist alles? Weil sie hier Urlaub gemacht haben, steht sein Tod in Verbindung mit unserem Mord?“
„Ich bin fest davon überzeugt, dass Schmidt ermordet wurde.“
„Das kann aber auch ein Zufall sein.“
„Ja, möglich“, räumte ihr Chef ein. „Erfahrungsgemäß gibt es keine Zufälle. Schmidt hat laut seiner Witwe keine Verbindungen nach Hamburg, keine Freunde, keine Verwandten. Sie kann sich überhaupt nicht erklären, was er dort wollte. Sein Radius ist wohl sehr klein gewesen. Der Nordseeurlaub war ein Gewinn in einem Preisausschreiben, sonst wäre es finanziell gar nicht möglich gewesen, sich so eine Reise zu leisten. Und dann liegt er tot am Bahnhof in Hamburg. Das stinkt doch zum Himmel!“
„Aber es braucht doch trotzdem überhaupt gar nichts mit unserem Fall zu tun zu haben!“
„Charlie, wenn ich die Fakten richtig interpretiere, hast du nicht gerade eine heiße Spur. Fordere bitte den Bericht aus Köln an. Wenn es sich lohnen könnte, fahr zu der Witwe, um selbst ein Gespräch zu führen.“
„Wenn mein Bauchgefühl es mir sagt?“
„Charlotte Wiesinger, du bewegst dich auf dünnem Eis. Also verarsch mich nicht. Lös den Fall, indem du tust, was dafür nötig ist. Ich schicke dir gleich eine Mail mit allen Fakten, die mir bisher vorliegen. Wenn es Neuigkeiten gibt, sende ich die hinterher. Halte mich im Gegenzuge auf dem Laufenden. Tschüss.“
Ohne eine Erwiderung abzuwarten, hatte Matthias aufgelegt. Charlie starrte vor sich hin, bis Knud sie aus ihren Überlegungen holte.
„Schlechte Nachrichten?“
„Wie man es nimmt. Mein Chef aus Hamburg hat einen Fall, bei dem er eine Verbindung zu Schwertfeger vermutet.“
„Tatsächlich?“ Knud reagierte ebenfalls überrascht. „Erzählen Sie!“
Charlie wiederholte die Informationen aus dem Telefonat. „Er schickt gleich eine Mail, aber ich glaube, mehr weiß er auch noch nicht.“
„Und Sie sollen nach Köln fahren?“
„Hhm, ja. Ich bin von der Idee nicht überzeugt. Würden Sie mich begleiten?“
Bevor Knud antworten konnte, betrat Trulsen die Polizeistation. „Ich muss euch unbedingt sprechen. Es ist unglaublich!“, tönte es bereits von der Tür.
Knud und Charlie warfen sich einen Blick zu .
„Wissen Sie, was Trulsen zu berichten hat?“
„Nein, ich bin genauso ahnungslos wie Sie, Charlotte. Aber wenn Torge so aufgeregt ist, kann es eigentlich nichts Gutes bedeuten.“
„Vermutlich im doppelten Sinne“, murmelte Charlie vor sich hin. Schon hatte Trulsen ihre Schreibtische erreicht. „Das werdet Ihr nicht glauben!“ Bevor er weiterredete, musste er erst einmal tief Luft holen. „Wie es aussieht, hat Schwertfeger den Schönheitschirurgen Maximilian Süßholz aus Hamburg erpresst. Deshalb ist er im Watt erschlagen worden.“
„Waaaas?“ Knud und Charlie bekundeten ihre Ungläubigkeit wie aus einem Mund. „Sind Sie jetzt komplett übergeschnappt? Wie kommen Sie denn auf so eine Theorie?“ Charlie hätte den Hausmeister am liebsten sofort aus dem Büro geworfen.
„Torge, du kanntest Michael. Das wäre überhaupt nicht seine Kragenweite. Wie kommst du eigentlich darauf?“, versuchte er, wieder ein bisschen sachlicher zu werden. „Lasst mich doch berichten! Dann erfahrt ihr die Einzelheiten. Schwertfeger hieß nicht immer Schwertfeger! Bei der Hochzeit nahm der den Namen seiner Frau an, die Blumenthal hieß. Als sie starb, verklagte er Süßholz wegen eines Kunstfehlers. Das ist allerdings schon ein paar Jahre her. Jetzt hat er ihn erpresst.“
Nicht nur Charlie, sondern auch Knud war fassungslos über den zusammenhanglosen Redefluss.
„Ob er was genommen hat?“, fragte Charlie ihren Kollegen. Vergessen waren der Anruf von Matthias und der Mord in Hamburg.
„Eine andere Erklärung fällt mir gerade nicht ein.“
„Ich kann euch hören!“ Trulsen schien etwas beleidigt zu sein, weil er nicht ernst genommen wurde.
„Nun mal ganz langsam!“ Wieder war es Knud, der versuchte, Ordnung in die Situation zu bekommen .
„Schwertfeger hat also den Namen geändert. Das ist selten, kommt aber vor. Woher weißt du das eigentlich?“
„Von Hinnerk Liesenfeld“, gab Torge die knappe Antwort.
„Dachte ich es mir doch, dass Liesenfeld mehr über Schwertfeger weiß“, schaltete sich Charlie wieder in das Gespräch ein. „Ihnen hat er es erzählt? Das wundert mich. Er erweckte nicht den Eindruck, als würde er mehr preisgeben.“
Als Torge nun schwieg, ergriff Knud wieder das Wort. „Das ist doch nicht alles. Jetzt mal Butter bei die Fische . Hier hereinstürmen, um uns mit Halbwahrheiten abzuspeisen, ist nicht fair.“
„Hast ja recht“, murmelte Torge schuldbewusst. „Ihr müsst mir aber versprechen, nicht auszuflippen.“
„Du hast wieder über die Stränge geschlagen.“
„Hhm, ja, so könnte man es wohl ausdrücken.“
„Liesenfeld hat Ihnen die Info also nicht gegeben?“ Charlie wollte endlich Genaues wissen.
„Er hat es bestätigt“, gab Trulsen zu.
„Jetzt erzähl die Geschichte von vorne. Setz dich hin, wir sind ganz Ohr.“
Torge tat wie ihm geheißen. Er berichtete von dem Auftauchen der Marlene von Hofstetter; des Messerfundes, der ihn animierte in diese Richtung weiter zu forschen. Als er bei dem Notfall mit dem Rauchmelder angelangt war, weswegen er gezwungen war, in den Bungalow einzudringen, verdrehten Knud und Charlie die Augen. Die Kommissarin setzte zu einer beißenden Bemerkung an, doch Knud brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. 
Trulsen setzte seinen Bericht mit dem Fund der Zeitungsartikelmappe sowie dem Erpresserbrief fort. 
„Letzte Nacht habe ich mir die Zeitungsartikel im Internet herausgesucht. Es gab dazu einen Hintergrundbericht, der nicht in der Mappe war. Lisa-Marie Blumenthal, also Schwertfegers Frau, ist an Brustkrebs erkrankt. Glücklicherweise ist er sehr früh erkannt worden. Weil es keine Metastasen gab, führte eine Brustamputation zu einer vollständigen Genesung. Da die psychische Belastung jedoch groß war, entschied sie sich mit der Unterstützung ihres Mannes für eine kosmetische Aufbauoperation.“
„Und da kommt Süßholz ins Spiel“, unterbrach Charlie den Redefluss des Hausmeisters.
„So ist es!“ Wie, um die Stimmung zu verbessern, fügte er hinzu, er wäre am liebsten gleich zu den Ermittlern gekommen, habe sich aber aufgrund der halbgaren Begehung des Ferienhauses nicht getraut. Deshalb ist er erst einmal zu Liesenfeld, der nach einigem Sträuben bestätigte, Schwertfeger und Blumenthal seien dieselbe Person.
„Immerhin ist Ihnen bewusst, die Grenzen einmal wieder überschritten zu haben.“ Charlie tat entrüstet, war insgeheim jedoch beeindruckt über die Abgebrühtheit, mit der Trulsen an sein Ziel gekommen war. „Trotzdem ergibt die Geschichte keinen Sinn. Wenn der Prozess bereits über fünf Jahre her ist, warum sollte Schwertfeger Süßholz jetzt erpressen, und womit? Haben Sie den erwähnten Film gefunden?“
„Nein, mehr war da nicht.“
„Wir bekommen aufgrund dieser Sachlage auf keinen Fall einen Durchsuchungsbeschluss für das Ferienhaus“, sinnierte Charlie als Knud sich in das Gespräch einschaltete: „Wieso hast du eigentlich das Messer mitgenommen? Was ist daran besonders?“
„Als ich das Messer gesehen habe, hat etwas Klick gemacht. Ich habe es einfach eingesteckt, ohne lange zu überlegen. Es weist eine spezielle Gravur auf.“
„Hast du es dabei?“
„Ja.“ Torge zog es aus der Tasche. „Ich habe es sofort, als ich in meinem Büro war, in diese Tüte gesteckt. Vielleicht sind verwertbare Fingerabdrücke darauf.“
So unbedarft schien der Hausmeister gar nicht zu sein, „Das ist gut, Trulsen. Geben Sie es Petersen, damit er es sich genauer anschauen kann.
Knud brauchte nur einen Blick auf das Messer zu werfen. „Das gehörte Schwertfeger, da bin ich mir sicher“, kommentierte er spontan.
„Wie kommen Sie darauf?“
„Sehen Sie die Gravur?“ Er reichte es an Charlie weiter.
„MS. Das kann auch Maximilian Süßholz gehören.“
„Schauen Sie genauer hin. Das M ist ursprünglich einmal ein A gewesen, da ist ein feiner Querstrich in dem halben
M.“
„Tatsächlich.“
„Ich habe dieses Messer bei Schwertfeger gesehen. Wir haben einmal darüber gesprochen. An den Zusammenhang kann ich mich nicht mehr erinnern, aber er zeigte es mir, wobei mir diese besondere Gravur auffiel.“
„Schwertfeger war also in dem Bungalow?“ Während sie es aussprach, versuchte Charlie, eine Erklärung dafür zu finden. „Was könnte er dort gewollt haben? Ein spätes Gespräch mit Süßholz, um irgendetwas zu klären?“
„Fünf Jahre nach dem Prozess? Das halte ich für unwahrscheinlich“, gab Knud seine Meinung kund. 
Charlie nickte. „Wir müssen auf jeden Fall auch in dieses Ferienhaus. Wie stellen wir das an?“
„Vielleicht gibt der Rauchmelder noch einmal Alarm. Die Biester sind recht instabil“, schlug Torge konstruktiv vor.
„Trulsen, wir sind Polizisten. Wir können nicht einfach in einen Bungalow hineinmarschieren, um ihn zu durchsuchen. Wenn wir wirklich etwas Interessantes finden, ist es nicht verwertbar, wenn es illegal beschafft wurde. Aber für einen Durchsuchungsbeschluss haben wir zu wenig.“
„Das Messer ist recht aussagekräftig“, gab Knud zu Bedenken.
„Ja, aber wie kam es zu Trulsen?“
„Bei meinem ersten Aufenthalt war ich in den Bungalow eingeladen worden“, stellte Torge klar.
„Wie gut kennen Sie den Richter?“, wollte Charlie von Knud wissen .
„Ich kann es gerne versuchen.“
„Okay, obwohl die Geschichte einfach nicht schlüssig ist.“ Sie wandte sich wieder an Trulsen. „Wo hat das Ehepaar Blumenthal denn gewohnt? In Hamburg?“
„Nein, das ist mir auch aufgefallen. Sie haben in Lindau am Bodensee gelebt.“
„Dort gibt es doch ebenfalls eine bekannte Klinik für Schönheitschirurgie, oder?“
„Ja, ich habe gestern Nacht weiter recherchiert.“
„Warum sagen Sie das nicht gleich?“, fragte Charlie aufgebracht.
„Es ging ja gerade um das Messer. Ich erzähle es Ihnen doch“, verteidigte Torge sich. „Schwertfeger alias Blumenthal war in Lindau eine bekannte Persönlichkeit. Schon damals war er an dieser Forschung dran. Es gab also weitere Artikel in der lokalen Presse. Seine Frau Lisa-Marie stammte aus Hamburg. Schwertfeger war gerade in einer wichtigen Projektphase und hatte zu wenig Zeit für sie, deshalb entschied sie sich, die Operation in der Hansestadt durchführen zu lassen, um dort Unterstützung von ihrer Mutter zu erhalten.“
„Das haben Sie alles aus der Presse?“
„Ja, ich habe umfangreich recherchiert.“ Der Stolz war Torge anzuhören. 
„Brutal, was alles in der Zeitung steht, wenn man prominent ist.“
„Es gibt noch mehr: Nachdem Schwertfeger den Prozess gewonnen hatte, versuchte er, weiterzumachen wie vorher. Doch das gelang ihm nicht. Zwei Jahre später nahm er sich eine einjährige Auszeit. Ich habe ein Interview gefunden, indem er sehr offen berichtet. Er warf sich vor, seine Frau zu der ersten Operation überredet zu haben. Als dann der kosmetische Aufbau bevorstand, war er nicht ausreichend für sie da. Das konnte er sich nicht verzeihen. Wäre sie in der Klinik am Bodensee behandelt worden, würde sie vermutlich heute noch leben. Wie gesagt, zwei Jahre nach dem Prozess unterbrach er seine Arbeit, um auf Reisen zu sich selbst zu finden. Er wollte in Australien starten, wo er gelebt hatte, bevor er Lisa-Marie kennenlernte.“
„Nach einem Jahr kehrte er jedoch nicht nach Lindau zurück, sondern fing mit geändertem Namen in Cuxhaven an.“
„Ja, er nahm wieder seinen Geburtsnamen an. Michael war sein zweiter Vorname.“
„Optisch verändert versuchte er einen Neustart, doch der erste Versuch misslang. Er tauchte wieder eine Weile unter, um dann hier in Westerhever seine Forschung fortzusetzen.“
„Was bedeutet dann der Liebesbrief, den wir im Turm gefunden haben?“ Weil der Brief bei Knud einen so großen Eindruck hinterlassen hatte, erinnerte er sich als Erster wieder daran.
„Vermutlich hat sie ihn geschrieben, als sie bereits wusste, dass sie sterben würde.“ Charlie lief bei diesem Gedanken eine Gänsehaut über die Arme. „Was für eine Tragödie! Und trotzdem klärt es unseren Fall nicht auf.“
„Ob der Mord in Hamburg wirklich im Zusammenhang mit unserem Fall steht?“, erinnerte Knud an das Telefonat mit Matthias.
„Keine Ahnung.“, gab Charlie ehrlich zu.
„Ein Mord in Hamburg?“, fragte Torge interessiert.
„Ja, am Hauptbahnhof ist ein Toter gefunden worden. Er hat hier im Sommer Urlaub gemacht – in der Weißen Düne. Der Chef der Kommissarin glaubt an einen Zusammenhang.“
„Tatsächlich? Glauben Sie das auch, Kommissarin Wiesinger?“ 
„Klingt etwas weit hergeholt, finde ich“, gab Charlie zurück.
„Wo sollte da ein Zusammenhang bestehen? Haben Sie Ideen dazu?“
Bei Anblick der beiden Männer, die sich sichtbar den Kopf zerbrachen, musste sie an sich halten, um nicht breit zu grinsen.
„Denken Sie ein bisschen weiter. Ich hole uns mal Kaffee.“ Schon auf dem Gang fügte sie murmelnd hinzu „Dieser Fall macht mich fertig.“ Dabei überlegte sie, ob es sinnvoll war, nach Köln zu fahren. Auf der einen Seite war es der ersehnte Ausflug in die Großstadt, auf der anderen Seite vermutete sie darin eher eine Zeitverschwendung. Gerade sah es so aus, als würden sie hier ein wenig Licht ins Dunkel bekommen. Wusste Frau Süßholz etwas, was sie der Aufklärung näherbrachte? Wenn sie sich richtig erinnerte, verbrachte die Frau des Schönheitschirurgen wegen einer Depression den ganzen Sommer hier an der Nordsee. Wäre ein Gespräch mit ihr hilfreich oder würde sie bei dem Paar nur schlafende Hunde wecken? Gab es etwas, das die beiden vertuschen konnten, wenn sie sie zu früh konfrontierte? Was war auf dem Film, mit dem der Erpresser Schweigegeld von Süßholz forderte? Charlie kam nicht weiter und war gespannt, ob die Männer Ideen entwickelten. Nachdem sie die dampfenden Kaffeepötte vor sie hingestellt hatte, guckte sie sie erwartungsvoll an.
„Vielleicht gab es wieder einen Kunstfehler. Auf dem Film könnte ein Gespräch zwischen den beiden Süßholz sein, das jemand mitgeschnitten hat. Aber passt es zu Schwertfeger? Hat er das Paar beobachtet?“ Torge sprach seine Gedanken aus, wie sie ihm durch den Kopf gingen, etwas unsortiert und unausgegoren.
„Aber wozu?“, nahm Knud den Faden auf. Er hatte den Prozess ja gewonnen. Süßholz´ Schuld stand fest. Wie ist eigentlich das Urteil ausgefallen?“
„Es gab lediglich eine Bewährungs- sowie eine Geldstrafe, da es sich natürlich nicht um Vorsatz handelte. Komplikationen sind möglich, deshalb können die Mediziner nicht gleich in den Knast gesteckt werden“, teilte Torge sein Wissen mit den anderen .
„Für Schwertfeger bestimmt ein unbefriedigender Abschluss. Kein Grund, nach so vielen Jahren plötzlich zum Stalker der Süßholz zu werden und sie dann zu erpressen. Schließlich sah es ja so aus, als würde er wieder Fuß fassen, indem er seine Forschung fortsetzte. Hier scheint er ja den richtigen Rahmen dafür gefunden zu haben.“ Charlie überlegte, welche Mosaikteilchen außerdem in das Bild passten. „Nur mit der Beziehung zu Marina Lessing war er wohl noch überfordert.“
„Wer wäre das nicht?“, murmelte Trulsen vor sich hin.
„War der Grund für seine schlechte Laune im Sommer, das Bewusstsein, sich nach mehreren Jahren noch nicht wieder auf eine Frau einlassen zu können?“ Knud war skeptisch.
„Ich glaube, da steckt mehr dahinter!“
„Der Mord in Hamburg?“
„Ich sehe zwar keinen Zusammenhang, aber vielleicht sollten wir wirklich nach Köln fahren, um die Witwe zu befragen. Ist eine Sechs-Stunden-Fahrt. Zu verlieren haben wir nichts.“
Charlie freute sich insgeheim über Knuds Aussage, an dem Ausflug teilzunehmen. Matthias hatte es quasi angeordnet. Damit lag die Verantwortung für die Kosten bei ihm. Wenn nichts dabei herauskam, war es nicht ihre Schuld. 
„Gut, nehmen Sie Kontakt mit der Witwe auf. Wir fahren morgen früh.“ Als sie Torges erwartungsvollen Blick sah, ergänzte sie nüchtern: „Sie können auf keinen Fall mitfahren, Trulsen. Behalten Sie die Süßholz-Frauen im Auge, aber vermeiden Sie es, wieder in den Bungalow einzubrechen. Wir müssen die Beweismittel auf legalem Weg beschaffen.“
„Ja, das habe ich jetzt verstanden“, gab Torge ein wenig kleinlaut zu, obwohl Charlie sicher war, dass er schon wieder etwas im Schilde führte.