Die Regel Paul Valérys

Die meisten dieser Fehler sind stilistisch unerheblich, wobei der sich übergebende Blumenfreund schon ein Problem hatte. Dennoch stimmt: Beim Stil kommt es auf jedes Wort an. Nicht auf jedes einzelne, wir wollen nicht übertreiben, nicht auf die kleinen Helferlein, auch wenn sie sich oft querstellen, aber auf das sinntragende. Nur wie sie auswählen? Die falschen oder

Diese Umsicht ist nicht nur bei Veganern aus der Mode gekommen. Wie also sonst entscheiden, ganz ohne Schaf? Der französische Dichter Paul Valéry stellt dazu in seiner berühmten Notizensammlung Tel quel einen einfachen Grundsatz auf: Zwischen zwei Wörtern wähle man das geringere: Entre deux mots, il faut choisir le moindre.

Valéry berührt dabei jenes Schein-Paradox des Stils, daß sich die Wörter nicht nach vorne schieben sollen. Wie recht er hat, zeigt sich daran, daß man die schlechten Romane oder Glossen auch daran erkennt, daß sie immer das etwas zu starke, das etwas zu knallige Wort verwenden statt des blasseren, gewöhnlichen – das blassere ist auch das transparentere; es ist durchsichtiger für das gemeinte Ding, die Sache, die sich in der Vorstellung des Lesers formt und zusammenfügt.

Valérys Regel ist gut, obschon nicht immer gültig. Wenn man sie leicht umformulieren darf: Entweder du nimmst das gebräuchliche, schlichte Wort. Oder du findest das ganz speziell passende, den Pfeil, der zitternd ins Schwarze trifft. Schlecht ist die Mittellage: das vom Gewöhnlichen abweichende Wort, das nur aufhübschen oder distinguieren soll, es aber auch nicht besser trifft. Die Regel gilt für alle Wörter, für Verben, Substantive, vor allem auch für Fremdwörter.

Was die letzteren betrifft: Fremdwörter benutze man nur, wenn sie wirklich präziser sind, eine andere Nuance haben als das deutsche Pendant oder sich klanglich oder rhythmisch besser einfügen. Nie als Bildungsprunk und nach Möglichkeit nicht die abgegriffenen latinisierten. Oft ist das Fremdwort unsinnlicher. Der

Und bei den Substantiven überhaupt? Hier ist die Sache verzwickt, trotz der Regel Paul Valérys. Sehr gut beschreibt diese Verzwicktheit der strenge Stilmeister Peter Hacks. Einerseits verteidigt er die Joyce-Schule des Sprachreichtums, des Sprach-Urwalds, des vollständigen Deutsch, wie er es anerkennend nennt. Sein Beispiel ist Arno Schmidt, den Hacks, neben seiner Wenigkeit, für den besten deutschen Epiker bzw. Dramatiker der zweiten Jahrhunderthälfte hält. Für Arno Schmidt sei jedes deutsche Wort, das seit Luther erfunden ist, Gegenwartssprache. Wenn er Unterschiede mache, dann zwischen guten und schlechten Wörtern, nicht zwischen seltenen und gebräuchlichen, nicht zwischen alten und neuen.

Einerseits. Andererseits wird es für den Stilisten hier heikel. Hacks beklagt im selben Essay, der Autor im Niedergang beschränke seinen Wortschatz auf die paar Wörter, die der kleinste passive Wortschatz noch enthalte. Er selbst, Peter Hacks, sei von diesem Stilfehler nicht frei. Sonst hätte er – er sprach von der hysterischen Angst vor dem Jahrtausendwechsel – statt Weltbrand «Ekpyrose» geschrieben. Oder vielleicht auch nicht?

Oder vielleicht auch nicht. – Zur Kunst gehört, daß man sich weniger gelehrt gibt, als man ist; denn Kunst ist nicht gelehrt, sondern erzogen. Zum Beispiel das Fremdwort Fomentation läßt man besser nicht drucken, auch wenn man weiß, was es bedeutet. (Es bedeutet: warme Umschläge.) Aber wenn man soweit ist, für warme Umschläge ‹Bähung› zu sagen, hat man einen Grad der Einfachheit gefunden, dem jeder ansieht, daß er gesucht war.

Aus der Sicht des Schreibenden ist es ganz einfach: Der ernsthafte Autor, die seriöse Autorin spürt es, wenn ein Wort zu der Sache paßt, die sie sich vorstellt; es macht unhörbar «Klick», wenn es gefunden ist, und bis zu diesem Klick wird weitergesucht.

Aber wir hatten ein Beispiel für ein Substantiv angekündigt, welches den ganzen Satz versaut. Nachdem er eigentlich so gut anfing.