Am Beiwort sollt ihr sie erkennen

Es geht auch ohne sie! Genau darum sind sie wichtig. Gilbert Keith Chesterton, kolossal auch in seinem Witz, hat das künftige Scheitern des Sozialismus schon 1910 anhand eines Beispiels erläuternd vorhergesagt. Es gäbe den Regenschirm und den Spazierstock. Jener sei nützlich und notwendig, der Spazierstock hingegen nicht. Aber wen oder was vergesse man und lasse man regelmäßig stehen? Den Regenschirm. Der Mensch hänge am Überflüssigen, und darum werde der Sozialismus scheitern.

Das Adjektiv ist der Spazierstock unter den Wörtern. Man käme notfalls auch ohne es aus. Auch darum ist es eine alte Regel und Schulweisheit, die nicht ganz falsch ist: Meide die Adjektive! Wer als Lektor mit vielen Texten auch von Anfängern zu tun hat, wird kaum einmal ein fehlendes Beiwort monieren, aber ganze Bleistifte aufbrauchen, um die überflüssigen zu streichen. Im Zweifelsfall eines weniger – das ist nicht nur für Debütanten eine sinnvolle Regel. Ein schönes Beispiel dafür gibt der Stilkritiker Wolf Schneider: Hätte der Dichter des ‹Lindenbaums› geschrieben,

Bekannt gemacht und am wirkungsvollsten verbreitet hat diesen Stil-Purismus Ernest Hemingway. Er kam aus dem Journalismus, wo man sich knapp zu halten hatte. Jedes Wort zählte, jedes mußte beim Telegraphieren bezahlt werden, jedes nur schmückende und nicht informative Beiwort konnte man streichen. So sagt man es über ihn. Dennoch, zu seiner Zeit schrieb man noch blumiger. In The Torrents of Spring hatte Hemingway diese Blumigkeit sogar noch parodiert. Sein Stilideal erwuchs aus der schockartigen Erfahrung der Greuel im Ersten Weltkrieg und einem verschrobenen Männlichkeits-Ideal. Du kannst verlieren, aber du stehst dazu als ein Mann und wirst nichts durch wispernde Beiwörter überspielen – ungefähr so.

Die Revolution, die diese Schreibart für Romane bedeutete, läßt sich heute kaum noch nachvollziehen. Aber alle angelsächsischen Autoren sind diesem Erbe verpflichtet, ob sie wollen oder nicht – F. Scott Fitzgerald, John Cheever, Raymond Carver oder Richard Ford. Dieser Schule ferngeblieben sind allein die großen Adjektivler Vladimir Nabokov und John Updike sowie deren Schüler Nicholson Baker. Auch der Argentinier Borges, der Leser mit dem unfehlbaren Urteil, hat sich von Hemingway nicht anstecken lassen; schon gar nicht haben es die vier Ruderer Humboldts aus der Vermessung der Welt, Julio, Carlos, Mario und Gabriel – Kehlmanns versteckte Hommage an die große lateinamerikanische Literatur.

Auch im deutschen Sprachraum gab es schon früh den Vorbehalt gegen üppigen Beiwortgebrauch. Karl Kraus verspottet seinen Lieblingsgegner Heinrich Heine mit der Bemerkung, er sei von

Im Journal des französischen Dichters, Diplomaten und delikaten Stilisten Paul Claudel heißt es darum sehr richtig, die Furcht vor dem Adjektiv sei der Beginn des Stils. («La crainte de l’adjective est le commencement du style.»)

Manche sind in dieser Hinsicht erstaunlich furchtlos. Wer sich durch den Heinrich von Ofterdingen auf der Suche nach einem originellen Adjektiv quält, der kann auch in der Sahara nach blauen Blumen suchen. Wo man aufschlägt, ist alles anmuthig, unbeschreiblich, reizend, romantisch, mannigfaltig, himmlisch, ewig; oft nach einem Satz schon wiederholt – nichts, aber auch gar nichts ist gesehen, gehört, individuell empfunden. Für eine Schule des Stils wäre Novalis ein abschreckendes Beispiel.

Aber dann gibt es die andern. Streiche die Adjektive bei Stifter oder Keller, bei Proust oder Virginia Woolf, bei Joseph Roth oder Doderer, bei Borchardt oder Thomas Mann, und das Werk ist tot. Das richtige, nämlich die Erwartung unterlaufende, in Friktion zum Hauptwort stehende Beiwort kann das kleine glitzernde Perlchen sein, das den Satz erst attraktiv macht. Auch zum Hervorkitzeln von Komik gibt es nichts Besseres als das richtige Adverb oder Adjektiv.

Zwei winzige Beispiele. Zum Höhepunkt der Mannschen Joseph-Tetralogie hat Joseph, inzwischen rechte Hand des Pharaos, seine Brüder, die ihn in den Brunnen geworfen hatten, zu sich

Oder nehmen wir die Erklärung, die Borges davon gibt, warum er dann doch seine fernöstlichen Studien abgebrochen habe. 1916 hatte er mit ihnen begonnen und war dabei auf die englische Übersetzung eines chinesischen Philosophen gestoßen. Der Passus lautete: «Einem zum Tode Verurteilten macht es nichts aus, am Abgrund zu wandern, denn er hat mit dem Leben abgeschlossen.» Ein Sternchen am Ende des Satzes verwies den enthusiastischen Leser auf eine Fußnote. Dort wurde ihm mitgeteilt, diese Übersetzung sei unbedingt der eines rivalisierenden Sinologen vorzuziehen, der folgendermaßen übersetzt habe: «Die Diener zerstören die Kunstwerke, um nicht ihre Schönheiten und Mängel beurteilen zu müssen.» Da hörte der junge Borges auf zu lesen. «Ein mysteriöser Skeptizismus hatte sich in meine Seele geschlichen.» Hier ist es das «mysteriös», was die Komik hervorblitzen läßt oder erst erzeugt.

Aber auch auf dem Gebiet des eigentlich Poetischen entstünde eine große Öde, wenn man die Adjektive herauszupfte. Probieren wir es an einem Beispiel aus. Stellen wir uns vor, der folgende Abschnitt aus Joseph Roths Hiob, eine Kindheits-Reminiszenz des Helden Mendel, wäre Hemingway in die Hände gefallen. Er hätte seines strengen Amtes gewaltet. Das Ergebnis läse sich so:

«Mendel erinnerte sich an den Schnee, der das Pflaster des Bürgersteigs in Zuchnow um diese Jahreszeit säumte, an die

Und hier nun die originale Fassung von Joseph Roth:

Mendel erinnerte sich an den alternden, grauen Schnee, der das hölzerne Pflaster des Bürgersteigs in Zuchnow um diese Jahreszeit säumte, an die kristallenen Eiszapfen am Rande der Spundlöcher, an die plötzlichen, sanften Regen, die in den Dachrinnen sangen, die ganze Nacht, an die fernen Donner, die hinter dem Föhrenwald dahinrollten, an den weißen Reif, der jeden hellblauen Morgen zärtlich bedeckte, an Menuchim, den Mirjam in eine geräumige Tonne gesteckt hatte, um ihn aus dem Wege zu räumen, und an die Hoffnung, daß endlich, endlich in diesem Jahre der Messias kommen werde.

Es ist keine Frage, daß die Originalfassung die bessere ist; höchstens die «geräumige» Tonne hätte man ändern können, um die unfreiwillige Doppelung mit dem «räumen» in der nächsten Zeile zu vermeiden. Jedes einzelne Beiwort macht das Erinnerungsbild genauer, mit jedem zoomt es Roth noch etwas schärfer heran. Hölzerne Gehsteige lassen eine ganze Epoche auferstehen; plötzlicher sanfter Regen und hellblauer Morgen eine ganze Kindheitsstimmung; das wiederholte «endlich» drückt die allmählich lang werdende Wartezeit aufs Kommen des Messias aus.

Ein anderer Satz aus dem Hiob, der Mendels Blick auf die Leuchtreklamen des nächtlichen New York beschreibt, besteht überhaupt nur aus Adjektiven. Möchte man eines davon missen?

Im Radetzkymarsch, der einen anderen Tonus als der Hiob hat, verwendet Roth die Beiwörter ebenso verschwenderisch, aber humoristischer; in ihnen liegt überhaupt sein komisches Salz. Der Tisch, auf dem der frisch geadelte von Trotta in seiner Amtsstube vergeblich einen Brief an seinen Herrn Vater entwerfen will, bevor er die unfruchtbare Feder ans Tintenfaß lehnt – diesen Tisch beschreibt Roth als einen «von spielerischen Messern gelangweilter Männer reichlich zerschnitzten und durchkerbten». Und so geht das dreihundert Seiten lang – ein schäumendes Fest der Beiwörter, die Saturnalien der Attribute.

Ein anderer Beiwortschwelger ist Robert Walser. Im Gehülfen wird am Schweizer Nationalfeiertag die Stadt beflaggt:

Von Josephs Turm herab flatterte eine schöne große Fahne. Je nachdem der Wind wehte, machte sie mit ihrem leichten Leib einen kühnen, stolzen Schwung, oder sie bog sich beschämt und müde zusammen, oder sie kräuselte und schwang sich kokett um die Stange, wobei sie sich in ihren eigenen, graziösen Bewegungen zu sonnen und zu spiegeln schien. Und dann auf einmal wieder wehte sie hoch und breit und weit empor, einer Siegerin und starken Beschützerin ähnlich, um allmählich von neuem rührend und liebkosend in sich selbst zusammenzusinken.

Kann man besser ausmalen, was eine Fahne so alles macht im wechselnden Wind? Der Auszug ist ein Beispiel für einen

Als Gegenbeispiel ein Autor, der eine starke Gemeinde hat und die Beiwörter ebenfalls liebt:

Die Kuckucksrufe waren nun längst verstummt, doch in den höchsten, wipfeldürren Zweigen waren unsichtbar die Sprosser aufgezogen, köstliche Sänger, deren Stimme die kühle Feuchte inniglich durchdrang. Dann stieg mit grünem Schimmer, wie aus Grotten, der Abend auf. Den Geißblattranken, die aus der Höhe herniederhingen, entströmte tiefer Duft, und schwirrend stiegen die bunten Abendschwärmer zu ihren gelben Blütenhörnern auf. Wir sahen sie leise zitternd und wie im Wollusttraum verloren vor den Lippen der aufgereckten Kelche stehen, dann stießen sie vibrierend den schmalen und leicht gekrümmten Rüssel in den süßen Grund.

Inniglich, tief und süß: Will man da weiterlesen? Eher weniger. Ernst Jünger möge alleine wollustwandeln auf seinen Marmorklippen; in diesem Fall hielten wir es doch lieber mit Hemingway. Das gilt übrigens, was die Adjektive betrifft, auch für den Autor, den seine Verächter den Erwerbs-Zweig nennen. Nur ein Beispiel aus der Novelle Phantastische Nacht:

In einer fanatisch monotonen Art stampften die Orchestrions harte Polkas und rumpelnde Walzer, dazwischen knatterten dumpfe Schläge aus den Buden, zischte Gelächter,

Jeder beliebig gewählte Satz Franz Kafkas schubst diese knatternde Prosa in den Orkus.

Starke Adjektive hatte in seinem reichen Werk Gottfried Benn, darunter das von ihm geschöpfte «rauschbereit». Der vierte Absatz in seinem Gedicht Epilog lautet:

Es ist ein Garten, den ich manchmal sehe

östlich der Oder, wo die Ebenen weit

ein Graben, eine Brücke, und ich stehe

an Fliederbüschen, blau und rauschbereit.

Ein unfreiwilliger Kalauer ist es nur, wenn man das «rauschbereit» grammatisch falsch aufs «Ich» bezieht; sehr schön, wenn man sich das plötzliche üppige Erblühen der blauen Fliederknospen denkt.

Ein letztes Beispiel führt weg vom Poetischen ins Elend einer geschundenen Persönlichkeit. Herta Müller läßt in der Schlußkadenz der Atemschaukel den deportierten und durchs sowjetische Lager seelisch verstümmelten Oskar Pastior sich im Alter so charakterisieren:

Meine stolze Unterlegenheit.

Meine zugemaulten Angstwünsche […]

Meine trutzige Nachgiebigkeit, in der ich allen recht gebe, damit ich es ihnen vorwerfen kann.

Mein verstolperter Opportunismus.

Mein höflicher Geiz.

Mein matter Sehnsuchtsneid, wenn Leute wissen, was sie vom Leben wollen. […]

Ohne die Adjektive wäre diese zerklüftete Seelenlandschaft, dieses Trümmer- und Karstfeld nicht zu beschreiben gewesen. Pastior wurde als Mensch wohl nie genauer getroffen, und es sind die Adjektive, aus denen sich sein Psychogramm zusammensetzt. Jedes einzelne steht in Spannung zum Hauptwort und gibt ihm eine andere Drehung, genauer gesagt: Das Adjektiv bewirkt überhaupt erst, daß man das Substantiv drehen kann, es macht es gewissermaßen dreidimensional.