Die Perlenkette. Die Sachen und die Namen

Die Metapher ist das Überraschende, das Unerwartete, das aus dem Vorherigen nicht Ableitbare. Ihr Gegenteil ist die bloße Aufzählung. Bei der Aufzählung springt nichts forellengleich aus dem Textfluß heraus, hier reiht sich Kiesel an Kiesel oder Perle an Perle in schönster Gleichförmigkeit. Überraschungen sind unerwünscht. Die Wiederholung, die Aufzählung, die Liste sollen den Blutdruck senken.

Spätestens seit dem Alten Testament und Homer sind Aufzählungen ein ehrwürdiges, oft wuchtiges, manchmal auch einschläferndes rhetorisches Mittel. So wie die Tierpaare hintereinander in die Arche Noah einziehen, folgt in der Aufzählung geruhsam eins aufs andere, bis alle einträchtig im Kasten versammelt sind. Die Aufzählung sorgt für Ruhe, schafft Ordnung in der Vielfalt und suggeriert Vollständigkeit. Wer es nicht auf die Arche geschafft hat, tant pis.

Es sind Tierpaare oder eben Perlen, mit Perlen, die sich voneinander unterscheiden müssen (mit Ausnahme der sprachlichen Rosenkette Gertrude Steins). Der Faden, auf dem diese Perlen eingefädelt werden, ist ein Thema oder gedachter gemeinsamer Oberbegriff. Im Alten Testament, Buch Nehemia, 7. Kapitel, ist dieses Thema der Auszug und die Heimkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft:

Und so geht es noch 55 Abschnitte weiter bis zum Resüme:

Eine klassische Aufzählung, die trotz der Sänger und Sängerinnen wohl eher unter die Rubrik einschläfernd fällt.

Das folgende Beispiel handelt ebenfalls von Flucht und Völkerauszug. Es ist eine sehr lockere Aufzählung, keine Enumeratio im strengen Sinn, wie der Fachbegriff heißt. Anna Seghers zählt in ihrem Roman Transit auf, wer 1940 alles in Frankreich vor den heranrückenden deutschen Truppen flieht:

Aus den nördlichen Dörfern ergoß sich noch immer ein stummer Strom von Flüchtlingen. Erntewagen, hoch wie ein Bauernhaus, mit Möbeln beladen und mit den Geflügelkäfigen, mit den Kindern und mit den Urahnen, mit den Ziegen und Kälbern, Camions mit einem Nonnenkloster, ein kleines Mädchen, das seine Mutter auf einem Karren

Das ist das Gegenteil einer einschläfernden Aufzählung; eine so starke Passage, mit ihren von Kühen gezogenen Pelzdamen und den toten Kindern, daß man nicht mehr gelesen haben muß, um zu erkennen, welches Format die Autorin hat.

Die noch stärkere, wenn nicht überhaupt allerstärkste Aufzählung der klassischen Literatur findet sich in Unverhofftes Wiedersehen von Johann Peter Hebel; wir kommen darauf zurück.

Die schlichteste Möglichkeit der Aufzählung ist die Liste, wie sie schon das Buch Nehemia vorführte. Sie kann auch in erzählender Prosa einigen Effekt erzielen. Gilbert Keith Chesterton schätzte am meisten die nackte Aufzählung der Werkzeuge, die Robinson Crusoe von seinem Schiff auf die Felseninsel rettet. Die bloße Liste der aus dem Wrack geborgenen Gegenstände (neben der Axt eine Bibel) sei das Beste am ganzen Buch.

Bei manchen Aufzählungen spielt stark die Magie des Namens hinein. Das merkwürdige ist, daß selbst Namen, die überhaupt nichts bedeuten, jedenfalls nicht dem Sprachunkundigen, in der Aufzählung großen Reiz entfalten können. In Lernets Baron Bagge gibt es eine Auflistung ungarischer Ortsnamen, die so suggestiv wirkt wie leise wirbelnde pentatonische Musik. In derselben Novelle wird der Erzähler einer Unzahl von Leuten vorgestellt: «Zrinys, Marschallowskis, Leutzendorffs, Türheims, Rabattas, Langemantels, Halleweyls und vielen andern.» Vermutlich ist das die Nußschale, in der eine Soziologie der Habsburgermonarchie steckt; das ist aber ganz gleichgültig. Wir werden die Figuren nie näher kennenlernen, ihre Namen alleine genügen, klingende vitale Namen allesamt.

Ein ganzer Blumengarten blüht uns durch die Liste auf, die Rudolf Borchardt in seinem Leidenschaftlichen Gärtner anlegt. Borchardt gelingt mit dieser Liste dabei etwas ganz Seltenes. In der Regel, von der schon Der Schwedische Reiter abwich, sind Namen Namen; und Wörter sind Wörter. Herr Schmidt hatte als Urahn einen Dorfschmied, die Herren Bauer, Schäfer, Schneider, Müller, Fischer, Weber, Wagner und Armbruster analog, aber der Name verdrängt alsbald den Bedeutungsursprung. Borchardt kitzelt diese Bedeutung wieder aus den zu bloßen Namen eingesunkenen Florilegia heraus. Er haucht dem Omen im Nomen wieder Leben ein. Weit über die Hälfte der Namen aller heimischen Blumen, belehrt er uns, seien die süßen Erfindungen Verliebter – «eine Geheimsprache für Glückliche und Unglückliche, Getrennte und Getrenntgehaltene, Gefangene und Strengbewachte». Als Beweis dafür listet er die nun plötzlich sprechenden, wispernden Blumennamen auf; die sinnlichste Aufzählung der erotisch-floralen Literatur:

Tausendschön, Gedenkemein, Vergißmeinnicht, Brennende Liebe, Tränende Herzen, Heartsease, Jelängerjelieber, Pensée, Herzgespan, Liebstöckl, Mannstreu, Maßlieb, Wendunmut, Ehrenpreis, Braut im Haar, Belle de Nuit, Ringelblume, Love lies bleeding, Rührmichnichtan, Fair maids of France, – und die

Eine bloße Liste als Gedicht – vielleicht hätte selbst der prüde Chesterton seine Freude daran gehabt.