Stilsünde Variation. Der edle Kruster

Die Metapher ist das Überraschende, die reine Aufzählung das Erwartbare. Zwischen diesen Polen spielt sich alles ab zwischen Wiederholung und Variation. Und wieder gibt es hier keine Regel, was vorzuziehen sei. Schönheiten und Stilsünden gibt es hier wie dort. Auch bei den Sünden gilt das Aptum. Geiz ist eine Sünde, aber Völlerei angeblich auch. Auf den Stil übertragen: Zuviel desselben kann ein Fehler sein, zuwenig desselben aber ebenso. Der eine der beiden Fälle ist offensichtlich. Das Immergleiche kann uns auf die Nerven gehen. Bei Goethes Wahlverwandtschaften bäte man auf Knien darum, daß bei den Dialogen ein Mal etwas anderes da stünde als «versetzte sie», «versetzte er» – nur ein Mal! Seine silberne Taschenuhr versetzte man dafür.

Was aber noch mehr auf die Nerven fällt, ist das Gegenteil. Noch schlechterer Stil ist fast immer: das naheliegende schlichte Verb aus Scheu vor der Wiederholung zu variieren. Marcel Proust hob ausdrücklich als eine Qualität Flauberts hervor, daß er das solide Verb «haben» ständig an Stellen gebrauche, wo ein Schriftsteller zweiten Rangs feine Abstufungen gesucht haben würde. Wo es nicht wichtig ist, genügt das einfachste Verb, das gilt gerade für Dialoge. Über das einfache Verb liest man hinweg, und genau das soll man auch in den meisten Fällen, wenn nicht gerade ein Schrei die Luft zerreißt oder ein heiseres Flüstern Unaussprechliches

Noch ärger als das gesuchte Nicht-Wiederholen des naheliegenden Verbs ist dessen Ersetzung durch illustrierende Halbsätze. Die Sprachwissenschaft spricht hier von einer direkten Rede ohne Inquit-Formel und davon, daß die direkte Rede grammatisch nicht in den Kontext integriert sei. Kann man sich darunter etwas vorstellen?

Mechtilde Christiane Marie Gräfin von und zu Arco-Zinneberg, heute bekannt oder halb vergessen als Mechtilde Lichnowsky, hat dieser Unsitte ein schönes stilkritisches Stück gewidmet. Sie zitiert darin einen unbenannt bleibenden Freund, der ihr Beispiele aus der Zeitung geschickt hatte. «‹Was soll der Unsinn›, sah Weber argwöhnisch über die Brille.» – «‹Nichts, gar nichts steht drin›, sah sein Gesicht zerknitterter noch als zerknülltes Papier aus.»

Jener unbekannte Freund führte als Regel an: Solche Verbindungen seien nur zulässig, wenn die Aussage den Begriff der Mitteilung enthalte oder wenigstens durch eine vorherrschende Begleiterscheinung andeute, also zum Beispiel: «‹Ja›, seufzte er» – das gehe noch. Aber niemals: «‹Nein›, wand er sich zur Tür hinaus.»

Wer Lichnowsky nicht studiert haben dürfte, ist Navid Kermani. In seinem Roman Sozusagen Paris findet sich eine eindrucksvolle Galerie des von Lichnowsky beschriebenen Sprachphänomens. Auch Kermani verwendet am Anfang noch «antwortete sie» und «fragte ich». Aber bald empfindet er das als zu schmucklos und hätte es gern packender. Er schreibt nicht mehr «sagte sie» oder «wird der Lektor erwidern». Statt dessen:

Die Gespräche, die der Erzähler mit seinem Lektor über das entstehende Buch führt, finden in einer imaginierten Zukunft statt. Die «Sagen»-Vermeidung liest sich etwa so:

«wird der Lektor in die gleiche Kerbe schlagen» – «werde ich mit der Frau auch meine Sehnsucht und sei es unbewußt den Roman verteidigen, den ich schreibe».

Wird einer der beiden Gesprächspartner jemals einfach «antworten» oder «erwidern»? Sie müssen ja nicht gleich in Goethes Namen «versetzen»? Nicht in diesem Roman. Auch im Gespräch mit der weiblichen Hauptfigur Jutta wuchern die Inquit-Vermeidungen. Sie werden dabei immer barocker.

«Wie arschig ist das denn? wird Jutta nicht glauben können, was ich aus ihrer Eifersucht folgere, die sie nicht leichten Herzens zugegeben hat.» – – «Ja, und? merkt Jutta nicht, worauf ich hinauswill.»

Genug; die Leser haben gemerkt, worauf es hier hinaussoll: die Demonstration eines von Lichnowsky angeprangerten – und hier offenbar sehenden Auges begangenen – stilistischen Mißgriffs. Der nicht das geringste ändert an den Verdiensten des großartigen Redners und Börne-Nachfahren Navid Kermani.

Ein Gegenbeispiel findet sich in Doderers Wasserfällen von Slunj. Finy und Feverl, die gutmütigen Prostituierten vom Lande, werden von der feinen Dame, deren Töchterchen sie vorm Ertrinken gerettet haben, zu Besuch gebeten, was besonders Finy einschüchtert.

«Mir gengan», sagte Feverl.

«I mag net», sagte Finy.

«Sei g’scheit», sagte Feverl.

«Gehma baden», sagte Finy.

Und genau so ist es richtig. Fünfmal hintereinander «sagte». Und nicht: «‹I geh net›, versuchte Finy ihr Unbehagen hinter einer schroffen Ablehnung zu verbergen.» – «‹Mir gengan›, überlegte Feverl, wie sie die Widerstandsfront zermürben konnte» … Aber die geneigte Leserin hat längst verstanden.

Der Wunsch, die Wiederholung zu vermeiden, ist fast immer schlimmer als die Wiederholung selbst. Diese Regel gilt auch für Substantive. Wehe dem, der das Fahrrad im nächsten Satz durch den Drahtesel ersetzt! Harry Rowohlt, einer der wachsamsten und witzigsten Stilkritiker, hat zu dieser Synonymsucht alles Nötige gesagt; der Auslöser war ein Brief des armen Uwe Tellkamp, den er auch noch eine Pappnase nennt. Harry Rowohlt erklärt: Wenn es im ersten Satz «Peru» heiße, müsse es im Folgesatz «Andenrepublik» heißen. Auf «Japan» folgen «Nippon» und «Land der aufgehenden Sonne» oder, noch besser, «Land des Chrysanthementhrons», bevor es dann wieder mit «Japan» weitergehen dürfe. Warum also, wenn doch Lübeck noch nicht einmal genannt worden war, muß Tellkamp eine Einladung zum Grass-Treffen damit beantworten, daß er gern «an die Trave geeilt» wäre?!

Auch Mechtilde Lichnowsky, die nicht minder wachsame Stilkritikerin, nicht umsonst eine enge Freundin von Karl Kraus, hatte auf dieses, nennen wir es das Trave-Syndrom, schon ein Auge geworfen. Sie zitiert den Fall eines Naturforschers, der von den Feinden des Krebses schreiben wollte, insbesondere von der Heimtücke des Barsches, indessen, «mehr als einmal wollte er weder Krebs noch Barsch nennen und erbat sich die Hilfe eines

‹Vor Barschen ist die Krebsbrut ebenfalls nicht sicher, aber auch in reiferen Jahren wird der edle Kruster gern von dem erwähnten Stachelflosser gefressen.›»

Fast schon überflüssig, daß Lichnowsky anfügt: «Lieber zehnmal Krebs als einmal ‹edler Kruster›, vom Stachelflosser ganz zu schweigen.»

Selbst ein Stilist wie Doderer tupft gelegentlich an diese Sünde des Trave-Syndroms – nur ganz zart. Das Kuriose dabei ist, daß er es just mit dem Wort oder der Sache, oder noch genauer: dem Schalentier tut, das Lichnowsky in ihrer Stilkritik als Beispiel anführt. Auch in seinen Wasserfällen von Slunj sind die Krebse nicht sicher, denn sie werden von Robert Clayton und dessen Schwiegertochter Monica in einem Teich gefangen. Zuerst traut sich Doderer und wiederholt die «Krebse» zwei, drei, vier Mal, und dann wird er schüchtern.

Jeder hielt vergleichend seinen gefangenen Krebs empor und die beiden Tiere, wütend mit geöffneten Scheren in der Luft umhertastend, schlugen jetzt mit den kräftigen Schwänzen, so daß Monica und Clayton beide besprüht wurden.

Einmal Krebs, dann zur Abwechslung Tier? Bitte, nichts dagegen zu sagen. «Chwostik hatte sein Erstaunen vergessen und betrachtete mit wirklichem Interesse die Tiere, vielleicht sah er zum ersten Mal einen lebenden Flußkrebs aus nächster Nähe.» Wer wollte hier protestieren? Und ganz sicher ist «Tiere» besser als edle Kruster.