Genau hingehört: Die Resel der Freifrau, Werfel, Canetti

Die Kunst der wörtlichen Rede beherrschen aus irgendeinem Grund besonders gut die Österreicher. Wenn sie nicht gerade Stifter heißen.

Besonders stark ist die Freifrau Marie von Ebner-Eschenbach. Ihre Erzählung Die Resel besteht fast ausschließlich aus einem langen Dialog. Nach der Schnepfenjagd im Revier Fichtenberg wird der Herr Oberförster von Graf und Gräfin zum Abendessen eingeladen. Die Gräfin erkundigt sich beim Förster nach einem am Waldrand gelegenen Grabhügel, den sie von ferne gesehen hat. Ihr Forst-Begleiter, ein recht unheimlicher Mann mit trotzigen Augen, habe auf ihre Frage nur etwas gebrummt und an seinem Schnurrbart gerissen. In dem Grab ruht, wie der Förster ihr erklärt, eine junge Selbstmörderin, die Resel des Titels, deren Geschichte sich durch das folgende Frage-und-Antwort-Spiel entfalten wird. Der sprachliche Reiz liegt in der sozialen Kluft zwischen dem Förster und der «Hochgräflichen Gnaden», wie er sie nennt. Der Förster spricht ein starkfarbiges, dialektales, kultiviertes und bilderreiches Deutsch, die zigarrerauchende Gräfin hält mit ihm mit, macht sich bei ihrem Gatten aber auf französisch über den Förster lustig. Der erzählt nun von der Resel, deren Onkel er war. Die Eltern waren schon alt, als sie geboren wurde.

«Das Kind wird wohl kränklich gewesen sein?»

«Gesund wie ein Fischerl von ihrer Geburt an. – ‹Wenn die zwei Alten ein Kind kriegen, kommt’s mit graue Haar’ auf die Welt›, hat es immer geheißen. Indessen bringt das Mädel einen Kopf voll dunkle Locken mit, und wie ihr die ausgegangen sind, wachsen noch dunklere nach. Die Augen waren schwarzbraun, ich hab mein Lebtag keine so schönen mehr gesehen.»

Die Gräfin zuckte die Achseln, erhob sich und sagte mit komisch-naiver Entrüstung zu ihrem Gatten: «Comme il est bête!»

Der Graf schlummert bald ein, und die Gräfin holt den Förster immer mehr über das traurige Schicksal der Resel aus.

«War die Resel groß, klein, wie hat sie ausgesehen?»

«Sie wird beiläufig eine Person gehabt haben wie Hochgräfliche Gnaden, nur nicht so mager da herum.» – Der Förster legte die Zigarre weg und griff mit beiden Händen an seine breite Taille. «Aber ein Feuerteufel. Man hat nämlich nie gewußt, wenn sie weg war, ob sie ihre geraden Glieder heimbringt.»

Die Gräfin lächelte: «Ja, ja, so wilde Hummeln gibt’s, ich habe auch eine gekannt.»

Die Gräfin, ebenfalls mit dunklen Haaren und Augen, spielt damit auf sich selber an, sie erkennt sich in Resel wieder, es waltet etwas wie geheime Identität. Ebner-Eschenbach gelingt es, dieses

Der Kanari mit dem Wagerl – ein Bild für Götter, wie unsere Großeltern gesagt haben würden. Warum aber endet es mit der Resel schlecht? Es hätte alles gut ausgehen können; die Eltern geben am Ende dem Wunsch der Tochter nach, ihren Toni zu heiraten, der ein rechter Stoffel ist, in den sich die Resel aber nun einmal verliebt hat. Resel steigt auf den Berg, um ihrem Toni die frohe Botschaft zu überbringen.

«Nun hätte ja alles gut werden können, Förster.»

«Zu dienen, ja – können, wenn nämlich der Toni ein ganzer Mann gewesen wäre und nicht ein halbeter, der sich einer üblen Angewohnheit aus seiner Bubenzeit noch nicht erwehren kann. Er ist, das hat er mir erzählt, wenn ich sage zwanzigmal, sage ich nicht genug, an dem Abend in seinem schlimmsten Humor gewesen, nämlich. Hat er einen Streit gehabt, hat er einen Waldfrevel entdeckt oder was – genug, wie ihm die Resel von weitem zuruft, tut er schon, als ob er nichts höret oder sehet.»

«Im vorigen Winter, wissen, ist der Toni von drei Kerlen mit berußten Gesichtern, wahrscheinlich abgestrafte Holzdiebe, im Schlaf überfallen, gebunden und geknebelt, aus dem Bett gerissen und in den Schnee geworfen worden. Einem puren Zufall, der mich zu ganz ungewohnter Zeit dort vorbeigeführt hat, hat er’s zu verdanken, daß er nicht völlig erfroren ist, zu drei Vierteln war er’s schon. Seit damalen hat er immer eine geladene Pistole an der Wand beim Bett hängen gehabt. Auf diese geht die Resel zu, nimmt sie vom Nagel und spannt: ‹Toni, ich muß heim, ich hab’s dem geistlichen Herrn versprochen, ich kann aber nicht kommen ohne dich. Kommst mit, Toni? – Willst?› […]»

Toni, oder der Teufel, der in ihm steckt, schreit «Nein», die Resel schießt sich in die Brust. «Jetzt ist dem Teufel seine Arbeit fertig, jetzt läßt er los.» Toni erwacht aus seinem Wahn, holt Decken und einen Polster und legt sie so vorsichtig darauf, «als ob sie ein bis zum Rand gefülltes Glas wäre, aus dem um Gottes willen kein Tropfen ausgeschüttet werden darf». Die Sterbende bittet um geistlichen Beistand aus dem Tal: «Und er fort. – Ein Felsstück, das von der steilen Wand abspringt, wäre nicht früher unten gewesen.» – Das letzte Bild hätte von Kleist sein können.

Kurz vorm Exitus verzeiht Resel ihrem Toni, statt sich um ihre eigene Versöhnung mit dem Schöpfer zu kümmern, wozu sie eindringlich ermahnt wurde. Den Pfaffenjargon kann

Und was ist aus ihrem unglückseligen Geliebten geworden, will die Gräfin wissen. «Lebt er noch? Ich möchte ihn kennen, den Toni.»

«Kennen ihn ohnehin», erwidert der Förster. «Ist derselbe, der Hochgräfliche Gnaden heute geführt hat auf der Jagd.»

Die Resel – prachtvoll erzählt vom Förster, geschickt gelenkt von der Gräfin, noch geschickter von der Freifrau, die alles Recht auf ein späteres Extra-Kapitel hat.

*

Ebenfalls stark in der wörtlichen Rede ist der heute ohnehin unterschätzte Franz Werfel. In seiner 1940 verfaßten Novelle Eine blaßblaue Frauenschrift gibt es drei wichtige Dialoge und einen ganz unwichtigen Monolog. Der unwichtige wird im Ministerrat gehalten, bevor es zur eigentlichen Besprechung kommt, die der Hauptfigur die Gelegenheit geben wird, für einen kurzen Moment über sich hinauszuwachsen. Als kleines Aside vor dem großen Auftritt läßt Werfel den Kabinettschef des Hauses, einen hohen, beschränkten und schlecht bezahlten Beamten, von seinem Sommerurlaub mit der ganzen Familie, «leider siebenköpfig», erzählen. Werfel faßt den Phänotyp in die paar Sätze:

«Am schönsten See des Landes, ich bitte, am Fuße unsres imposantesten Gebirgsstockes, ich bitte, der Ort wie ein Schmuckkästchen, keine Elegance, aber Saft und Kraft, mit Freibad und Tanzgelegenheit für die liebe Jugend, mit Autobus in jede Richtung, ich bitte, und mit gepflegten

Hört man es nicht vor sich? Ich bitte!

Auch bei Heimito von Doderer ist jeder Dialogsatz glaubhaft und könnte genau so gefallen sein. Auf den ersten Blick hat sein Duktus etwas Gravitätisches, eine Neigung zum Latinisieren. Er sucht eher das gehobenere oder altertümliche Wort, die etwas geschraubtere Wendung, den barocken Schnörkel eher als den neusachlichen Bauhaus-Stil. «Die Abwässer der literarischen Industrie», schrieb er selbst dazu, «verseuchen die Sprache. Ich selbst bin einer der letzten lebenden Flußkrebse, die in ihrer Not gegen den Strom wandern, den Quellen zu.»

Auf den zweiten Blick ist Doderer der Meister der gesprochenen Sprache. Er hat das feine Gehör für die Sozio- und Dialekte in all ihren Abschattierungen. Nicht nur seine wienerisch gefärbten Dialoge sind unübertrefflich lebendig und lebensecht. Setz ihn auf die Alm oder an den Schlachtensee, und er gibt dir chamäleonartig auch das Schwäbische und das Berlinerische (nämlich in seinem frühen Roman Ein Mord den jeder begeht).

Das Mündliche ist auch die große, vielleicht größte Stärke Elias Canettis. Manchmal genügt ein Satz, und die Figur steht vor uns. Etwa die ungarische Mutter des Bildhauers und engen Freundes Fritz Wotruba, die in der Küche nach ihrem Sohn mit Tellern wirft, wenn er zu spät kommt oder sie eine Wut hat. Als Canetti

Man glaubt sie zu hören, so wie man den Teller durch die Luft zischen zu hören glaubt.

Man hört bei Canetti alle Figuren, fiktive wie reale, es klingt nicht verkünstelt oder ausgedacht, zumal wenn er sie giftig charakterisiert. In seinem Roman Die Blendung, 1935 veröffentlicht, charakterisiert er die Figuren durch ihre akustischen Masken, wie er es nannte, durch schmalen Wortschatz und immer wiederkehrende eingeschliffene Floskeln. Die freilich, anders als Canettis Begriff es nahelegt, das geheime Innenleben der Figuren gerade nicht verhüllen, sondern im Gegenteil demaskieren. Schon als Kraus-Schüler war Canetti hochempfindlich für die Phrase und hatte das genaueste Ohr für die Wienerische Gemeinheit in all ihren Modulationen. Seine dreibändige Autobiographie, das eigentliche Hauptwerk neben Masse und Macht, lebt ganz vom Gehörten und Gesprochenen. Alma Mahler steht vor uns, in all ihrer gräßlichen Aufgedunsenheit, weil er sie bauchrednerisch sprechen läßt. Der eitle Emil Ludwig, ein von Canetti verachteter Vielschreiber, schmiert dem greisen Wenigschreiber Beer-Hofmann Honig ums Maul: «Wäre Shakespeare weniger Shakespeare, wenn er nur den ‹Hamlet› geschrieben hätte?» – man glaubt, dabei gewesen zu sein.

Bei den fiktionalen Figuren der Blendung setzt Canetti die akustischen Masken fester auf. Diese Masken sind oft abstoßend, und nicht selten sind sie misogyn. Es dürfte (nach Shakespeare) kaum eine schaurigere Frauenfigur geschaffen worden sein als die

Das Folgende ist ein innerer Monolog dieser Therese. Der Anlaß: Ihr frisch vermählter Gatte Kien hat nachts bei ihr geklopft, ohne jedoch, wie von ihr erwartet, endlich das nachzuholen, wozu er in der Hochzeitsnacht nicht imstande war. «Therese riß ihren Schal herunter, legte ihn schonungsvoll auf den Stuhl und warf die schwere Brust übers Bett.» Aber es wird wieder nichts. Und jetzt kriecht Canetti ins Hirn der bösen Frau und läßt sie denken:

Sind das Manieren? Tut man das? Man könnte glauben, ich steh’ drum. Was so ein Mann sich alles einbildet! Ist das ein Mann? Ich hab’ die schönen Hosen mit den teuren Spitzen an, und er rührt sich nicht. Das kann kein Mann sein. Da hätt’ ich ganz andere Liebschaften gehabt. Was war das für ein stattlicher Mann bei der frühern Herrschaft, der immer zu Besuch gekommen ist! Bei der Tür hat er mich am Kinn gefaßt und jedesmal gesagt: «Sie wird von Tag zu Tag jünger!» Das war ein Mensch, groß und stark, der hat was vorgestellt, nicht so ein Skelett. Wie der einen angeschaut hat! Ich hätt’ nur muh sagen brauchen.

Als Figurensprache ist das schlechterdings großartig. Allein für das «muh» hätte Canetti die Stockholmer Ehrung verdient. Thereses Gedanken mäandern weiter und verraten immer mehr ihre Verderbtheit und Spießer-Heimtücke:

Wegen einer Liebschaft darf man sich nichts verpatzen. Gescheit sein muß man. In unserer Familie werden alle alt. Ist das ein Wunder bei dem soliden Leben? Das macht doch

So die Tochter über ihre gutmütige Mutter, deren Hungerstod sie weder verhindern noch bedauern wird. Das ist die Welt der Blendung, bevölkert von Miststücken und Monstren und darum bis zum großen, prophetischen Schlußbrand, in dem Kien samt Bibliothek untergeht, schwer auszuhalten bei nicht zu bestreitender Kühnheit und Originalität. Das Scheusal hatte Talent, um ein Wort Thomas Manns über Brecht aufzugreifen. Derselbe Thomas Mann hatte Canetti 1931 das Manuskript der Blendung, damals noch Kant fängt Feuer genannt, ungelesen zurückgeschickt. Das gedruckte Buch las er dann und schrieb dem Verfasser im November 1935 einen wohlwollenden Brief, in dem er den Reichtum des