Bei dem zweiten Literaturquiz, das auf Sie wartet, würden Sie bei der folgenden Stelle leicht auch b) Goethe oder c) Adalbert Stifter hätten ankreuzen können, stimmt’s?
Ringsum ins Unabsehbare, Horizont hinter Horizont; das unglaublichste Lichterspiel, von Dunkel und Hell, auf Kornfeldern, der Schwächat, die wie ein Thier das Thal beroch, und sich wand, auf Dörfern und Besitzungen ohne Zahl, auf dunkeln, eigensinnigen Bergen. Schafe weideten, Holz wurde gefällt in den Bergwäldern, und lag reinlich, todt und duftend da; auch einen Gewitterschlag hörten wir, aus einer zum Platzen verdrießlichen, dunkeln, sich senkenden Wolke. In manchem Thalfleck im Gebirge war’s so still, daß man nichts, und nur Vögel hörte; denn auch wir, all die Nationen, schwiegen auch.
Die Beschreibung mit ihren starken Bildern und der verdrießlichen Wolke ist aus einem Brief Rahel Varnhagens. Stilistisch hält er mindestens die Höhe der b)- und c)-Kandidaten. Rahel Varnhagens Briefe sind oft, das hätte nicht nur Jean Paul gefunden, literarischer als Goethes Wanderjahre. Aber sie fielen nicht ins literarische Fach, nicht ins Fach der Kunstprosa und der Fiktion, sie waren Briefe, kein Roman. Und was konnte Rahel dafür? (Wir nennen sie, wie Hannah Arendt in ihrem Rahel-Buch, beim Vornamen, weil es noch der festeste Bestandteil ihres Namens ist, auch ihr Salon hieß nach ihm.) War es die Schuld der Frauen, daß man ihnen vielleicht noch die Führung eines literarischen Salons zutraute, nicht aber das Versepos oder den Roman? Der Roman war damals noch nicht unbedingt Frauensache, auch wenn er schon immer mehr Leserinnen als Leser hatte; selbst im fortschrittlicheren England wird er das erst allmählich mit Jane Austen, den Brontë-Schwestern, die alle zuerst unter männlichen Pseudonymen veröffentlichten, und Mary Anne Evans, die auch nur unter dem Männernamen George Eliot berühmt werden konnte. Noch die Schöpferin Harry Potters veröffentlichte auf Anraten des Verlegers unter dem Namen J. K. Rowling, dem man die Verfasserin Joanne nicht ansah.
Dennoch, manches hatte sich mit der Zeit gebessert. Seit dem neunzehnten Jahrhundert gab es immer mehr Autorinnen, die jenes Zimmer für sich allein hatten, A Room of One’s Own, das ein berühmter Essay Virginia Woolfs forderte (plus jährlich fünfhundert Pfund, wie sie jedesmal hinzufügte). Der wachsende Wohlstand und die Emanzipation erlaubten immer mehr Frauen, vom Schreiben zu leben. Früher war es nur in Nischen möglich: wenn das Kloster fürs Auskommen und die Sekretärin sorgte wie bei Hildegard von Bingen; wenn man wohlhabende Witwe war wie Madame de Sévigné oder halbwegs gutsituiert und kinderlos wie Jane Austen oder Annette von Droste-Hülshoff. Oder wenn man wie George Sand, auch eine Frau in Männerkleidern, einen Roman in vier Tagen schrieb – wenn sie nach Mitternacht einen beendet hatte, fing sie rasch noch den nächsten an; behauptet jedenfalls ihr Liebhaber Théophile Gautier.
Wie war es in Deutschland zur Zeit der Klassik und Romantik? Auch hier gab es einige wenige durchgesetzte Autorinnen. Es gab Johanna Schopenhauer, die Mutter Arthurs, die erfolgreiche Reisebücher und Romane schrieb. Ab 1806 führte Johanna in Weimar einen literarischen Salon, den auch Goethe besuchte. Johanna Schopenhauer war aber, wie Sophie von La Roche oder Sophie Mereau, als populäre Autorin die Ausnahme. Üblicherweise wichen die Literarinnen dieser Epoche aufs Tagebuch oder aufs Briefschreiben aus. Sie zeigten dort nicht weniger Stil als die Herrschaften vom Roman, schon gar nicht weniger Esprit.
Und vor allem Rahel nicht. Der Salon in ihrer Berliner Dachstube ging dem Weimarer Salon voraus; schon in ihm war Goethe der – in Rahels Fall unsichtbare – Dauergast. Reale Gäste waren alle Geistesgrößen der Romantik. Sie alle versammelten sich im Stübchen bei Rahel, das zum Palast des Klatsches wurde: der Prinz von Preußen mit seiner Geliebten, die Brüder Humboldt und Schleiermacher, Friedrich Schlegel und Brentano, Chamisso und Fouqué, die Brüder Tieck und Jean Paul; später, als der Salon zerfallen war, hatte sie engen Kontakt mit Heinrich Heine. «Und sie kam, sprach und siegte», wie es von ihr hieß – Rahel war offenbar eine superbe Gesprächspartnerin.
Geboren 1771 als Rahel Levin, verstorben 1833 als Antonie Friederike Varnhagen von Ense – der Namenswechsel erzählt ihr Leben. Es war das Leben des Parias an der Seite des Parvenus August von Varnhagen, wie Hannah Arendt es schildert, das Schlemihl-Leben einer assimilationshungrigen Frau, die, «nicht reich, nicht schön und jüdisch», unter beständigen Demütigungen litt, gegen die sie sich nicht anders wehren konnte als mit den Waffen des Geists.
Von dem aber hatte sie übergenug. Die hier nicht nachzuweisende Wahrheit ist, daß Rahel Levin, «dies große, kühne, göttlich-teuflische Geschöpf», wie ihr Freund Friedrich von Gentz sie nannte, an Klugheit, Originalität, Selbstironie, Quecksilbrigkeit und Stil die meisten Romantiker in die Tasche steckte. Sie war die deutsche Virginia Woolf, nur noch freier und wilder und witziger.
Der Ehemann August teilt ihr mit, taktlos genug, was ihr Salongast Clemens Brentano über sie verbreitet. Rahel antwortet:
Er spricht ja mit einem wütenden Wünschen von meinem Tod, als wär’ ich eine böse alte Kaiserin, die ein Serail von jungen Schönheiten hätte totmartern lassen, worunter ihm eine Geliebte war. Er ist ein Esel; und weiter nichts. Und sag mir um Gottes willen, wo nimmt er das her, daß ich so sehr ambitioniere, unglücklich sein zu wollen? Hunger wünscht er mir auch, sous cape. Ich habe mich sehr geärgert – nachher die Ursach – aber zweimal mußt’ ich doch lachen; als er sagte, «ich sei sitzen geblieben» – und «ich sei nicht schön», damit meint er häßlich.
Sehr häßlich von Brentano! Was Rahel wirklich unglücklich macht, ist etwas anderes: Wenn sie nicht auf der Höhe ihrer Gefühlskraft lebt. «Lieben ist ein außerirdisches Verhältnis; eine Empfindung. Ein Glück», erklärt sie dem frisch verliebten Friedrich de la Motte Fouqué:
Alles Übrige, was sich auf Besitz, außer dem Herzen, bezieht, Verhältniß; schlecht, und peinigend. Ich tadle hier niemand: ich bedaure uns Alle! Ich gönne Ihnen diese helle Sonne im Leben, die das Graue, erstickend-tödtende, verscheucht und die zum Erstaunen weckenden Kinderfarben wieder hervorruft; das Herz zum neuen Umschwung alles Lebens und Seins berührt! Es hängt von Ihnen ab, ob Sie es verliebt nennen wollen, das erfrischte Sein; ich beneide es Ihnen; ich gönne es Ihnen. Ich möchte es auch haben; ich freue mich, daß Sie von dem Zauber getroffen sind. Ohne das Glück, namenlos zu lieben, ist die Erde mir ein unverständlicher, ängstlicher Klumpen; entweichender himmelaufsteigender Dunst alles Denken!
Sie beneidet, und sie gönnt. Das sind keine Widersprüche, oder sie fallen in ihrer Freidenkerei zusammen. Rahel war ein Freigeist, auch in ihrer spinozistisch angehauchten Religiosität. «Wer nicht in der Welt wie in einem Tempel umhergeht, der wird in ihr keinen finden.» Wem die Welt aber zur Hölle wird, der soll sie auch verlassen dürfen. Rahel war eine der wenigen, die Kleists Selbstmord im November 1811 nicht verurteilten: «Es ist und bleibt ein Muth. Wer verließe nicht das abgetragene, inkorrigible Leben, wenn er die dunklen Möglichkeiten nicht noch mehr fürchtete?»
Ich mag es nicht, daß die Unglückseligen, die Menschen, bis auf die Hefen leiden, denn wahrhaft Großen, Unendlichen, wenn man es konzipirt – kann man sich auf allen Wegen nähern; begreifen können wir keine, wir müssen hoffen auf die göttliche Güte; und die sollte grade nach einem Pistolenschuß ihr Ende erreicht haben? – Unglück aller Art dürfte mich berühren? Jedem elenden Fieber, jedem Klotz, jedem Dachstein, jeder Ungeschicklichkeit sollte es erlaubt sein, nur mir nicht? Siechen auf Krankheits- und Unglückslagern, sollt’ ich müssen, und wenn es hoch und schön kommt, zu achtzig Jahren ein glücklicher imbécile werden; und von dreißig an schon mich ekelhaft deteriorieren? Ich freue mich, daß mein edler Freund – denn Freund ruf’ ich ihm bitter und mit Thränen nach – das Unwürdige nicht duldete: gelitten hat er genug.
Gelitten hat auch sie genug, aber sie verliert nie die Ehrfurcht vor dem Rätsel des Seins. An Ihre Freundin Pauline schreibt sie: «Der Gedanke des Existirens – nicht als Pauline, oder Rahel – überhaupt, das Dasein irgendeines Dinges, oder einer uns möglichen Vorstellung, ist so groß, so überragend kolossal, daß ich in der Grübelei und Anschauung untergehe in Ruhe.» So eben beginnt und endet Philosophie, schon vor Heidegger. «Ein Gedanke hämmert mir jetzt bald den Kopf entzwei», klagt sie einmal ihrem Mann. «Der nämlich, daß die Zukunft uns nicht entgegen kommt, nicht vor uns liegt, sondern von hinten uns über das Haupt strömt. Da wehre sich einmal einer!» Rahels zerhämmerter Kopf ist ein philosophischer; auch das kein Frauenberuf der Zeit.
Das freie Denken schlägt sich nieder im freien, klischeefreien Stil. Sie selbst erkennt das Besondere dieses Stils – es ist wieder die kleine Differenz, die gar nicht so kleine Distanz. Als junges Mädchen schrieb Rahel ihre Familienbriefe noch in hebräischen Lettern. Ihr Deutsch war noch schütter. Später schreibt sie, die Sprache stehe ihr nicht zu Gebote, «die deutsche, meine eigene nicht; unsere Sprache ist unser gelebtes Leben; ich habe mir meines selbst erfunden, ich konnte also weniger Gebrauch, als viele Andere, von den einmal fertigen Phrasen machen, darum sind meine oft holperig und in allerlei Art fehlerhaft, aber immer ächt».
Wie wahr! Auch daß sich dieser Stil nicht ändert, weil er im Charakter wurzelt, ist ihr klar. Typisch für ihren aphoristisch zugespitzten Stil der Anfang dieses Briefes aus dem Jahr 1824: «Ich lebe noch. Nun wissen Sie alles.»
Da Sie doch auch wissen, daß man sich, umgekehrt wie gesagt wird, nicht ändert – garstig werden u.dgl. abgerechnet –. Was aber schlimmer ist, unser Schicksal ändert sich auch nicht: denn, woraus besteht es, als aus uns selbst!
Das war der Gedanke, aus dem Johanna Schopenhauers Sohn eine eigene Schrift gemacht hat, betitelt Transzendente Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen. Rahel fährt fort:
Und nun wissen Sie noch Einmal alles: und noch obenein, daß sich unser Stil auch nicht ändert; dies zeigt uns das still- und tiefere Studium Goethens, und aller andern Menschen; und dann noch Einmal, ich.
Und dann noch einmal: sie. Rahel Varnhagen, geborene Levin, wußte, sie war extraordinaire.
Ihre Briefe galten als kostbar und wurden früh gesammelt. Varnhagen rühmt sich Jean Paul gegenüber, er besitze an die dreitausend Briefe von ihr. Auch Goethe, um den Rahel einen Kult betrieb, bekam ein Konvolut des Paares zugeschickt. Die Briefpartner waren nur mit einem Buchstaben bezeichnet. Und siehe, selbst Goethe konnte sich irren. Er hielt Varnhagen für die Frau und Rahel für den Mann.
Auch Bettine von Arnim, geborene Brentano, Schwester des Esels Clemens, war in ihren Briefen stilistisch zuzeiten dem von ihr vergötterten Goethe gewachsen. Der trug es Bettinen allerdings nach, daß sie bei einem gemeinsamen Ausstellungsbesuch seine Frau Christiane eine «toll gewordene Blutwurst» nannte. Goethe brach den Kontakt daraufhin ab.
Als sie noch brieflich miteinander verkehrten, schwang Bettine von Arnim sich zu langen poetisch-bildreichen Reiseschilderungen auf. Sie streift am Rhein entlang durch die Weinanlagen am Fuß des Johannisbergs, auf den Prozessionen klettern, um den Weinbergen Segen zu erflehen. Der Abendwind weht die weitfaltigen Chorhemden der Geistlichkeit auf, die sich in der Dämmerung «wie ein rätselhaftes Wolkengebilde den Berg hinabschlängeln. Im Näherrücken entwickelt sich der Gesang; die Kinderstimmen klingen am vernehmlichsten; der Bass stößt nur zuckweise die Melodie in die rechten Fugen, damit sie das kleine Schulgewimmel nicht allzu hoch treibe» –
Nachdem der Herr Kaplan den letzten Rebstock mit dem Wadel aus dem Weihwasserkessel bespritzt hat, fliegt die ganze Prozession wie Spreu auseinander, der Küster nimmt Fahne, Weihkessel und Wadel, Stola und Chorhemd, alles unter den Arm, und trägt’s eilends davon, und als ob die Grenze der Weinberge auch die Grenze der Audienz Gottes wär, so fällt das weltliche Leben ein, Schelmenliedchen bemächtigen sich der Kehlen, und ein heiteres Allegro der Ausgelassenheit verdrängt den Bußgesang, alle Unarten gehen los, die Knaben balgen sich und lassen ihre Drachen am Ufer im Mondschein fliegen, die Mädchen spannen ihre Leinwand aus, die auf der Bleiche liegt, und die Burschen bombardieren sie mit wilden Kastanien; da jagt der Stadthirt die Kuhherde durchs Getümmel, den Ochs voran, damit er sich Platz mache; die hübschen Wirtstöchter stehen unter den Weinlauben vor der Tür und klappen mit dem Deckel der Weinkanne, da sprechen die Chorherren ein, und halten Gericht über Jahrgänge und Weinlagen, der Herr Frühmeßner sagte nach gehaltner Prozession zum Herrn Kaplan: Nun haben wir’s unserm Herrgott vorgetragen, was unserm Wein nottut: noch acht Tage trocken Wetter, dann morgens früh Regen und mittags tüchtigen Sonnenschein, und das so fort Juli und August! Wenn’s dann kein gutes Weinjahr gibt, so ist’s nicht unsre Schuld.
So also wird die Wunschliste beim Allmächtigen eingereicht. Das ist mehr als ein Brief, mehr als eine Prosaskizze, es ist ein Aquarell, wie es Gottfried Keller nicht hübscher hingetupft hätte. Und es ist erst der Anfang. Bettine Brentano malt dieses Genrebild nur aus, um auf den eigentlichen Handlungskern vorzubereiten; der Brief ist fast novellistisch angelegt. Zuerst also die Atmosphäre: die Weinberge, die Prozession, ihr heiteres Nachspiel. Am nächsten Tag wandert die Ich-Erzählerin, wie man sie nennen darf, hinauf nach dem Kloster.
Da oben auf der Höhe war große Einsamkeit; nachdem auch das Geheul der Hunde, die das Psalmieren obligat begleitet hatten, verklungen war, spürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das sinkende Treiben des scheidenden Tags; ich blieb in Gedanken sitzen, – da kam aus dem fernen Waldgeheg’ von Vollratz her etwas Weißes, es war ein Reiter auf einem Schimmel; das Tier leuchtete wie ein Geist, sein weicher Galopp tönte mir weissagend, die schlanke Figur des Reiters schmiegte sich so nachgebend den Bewegungen des Pferdes, das den Hals sanft und gelenk bog; bald in lässigem Schritt kam er heran, ich hatte mich an den Weg gestellt, er mochte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und schwarzer Mütze sah ich nicht grade einem Mädchen ähnlich.
Ein Brief? Eine Erzählung! Und voller Motive, bis hin zum Androgynen, die Goethe und seiner Leserin Bettine wohlvertraut waren. Der Reiter fragt sie nun nach dem Weg; sie leitet ihn den Berg herab, der Schimmel haucht sie mild an. Und es entgeht ihr nicht des Reiters schwarzes Haar, seine erhabene Stirn. Wird etwas daraus werden? Nutzt er die Gelegenheit für einen Flirt? Leider nein: «was er von mir zu denken beliebte, schien keinen großen Eindruck auf ihn zu machen, ich aber entdeckte in seinen Zügen, seiner Kleidung und Bewegungen eine reizende Eigenheit nach der andern.» Doch der Prinz bekommt nichts davon mit, wie er angehimmelt wird, er sitzt «bewusstlos, naturlaunig» auf seinem Schimmel – und dann ist er auch schon weg:
Dorthin flog er im Nebel schwimmend, der ihn nur allzubald mir verbarg; ich aber blieb bei den letzten Reben, wo heute die Prozession in ausgelaßnem Übermut auseinander sprengte, allein zurück: ich fühlte mich sehr gedemütigt, ich ahndete nicht nur, ich war überzeugt, dies rasche Leben, das eben gleichgültig an mir vorüber gestreift war, begehre mit allen fünf Sinnen des Köstlichsten und Erhabensten im Dasein sich zu bemächtigen.
Bettine grübelt, wie Goethes Tasso grübelt, wie später Tonio Kröger grübeln wird; die andern genießen das rasche köstliche Leben. Es folgt der eigentliche Zweck des Briefes, der Liebesappell an Goethe, den sie als alles verstehenden Beichtvater reklamiert. Noch vor dem Zwischenfall mit der Blutwurst dürfte er bei derlei rabiatem Zugriff, derart scharf gerittener Attacke geschaudert haben:
Und nun vertraue ich Dir schmucklos meinen Reiter, meine gekränkte Eitelkeit, meine Sehnsucht nach dem lebendigen Geheimnis in der Menschenbrust. Soll ich in Dir lebendig werden, genießen, atmen und ruhen, alles im Gefühl des Gedeihens, so muß ich, Deiner höheren Natur unbeschadet, alles bekennen dürfen was mir fehlt, was ich erlebe und ahne; nimm mich auf, weise mich zurecht und gönne mir die heimliche Lust des tiefsten Einverständnisses. […]
Wo ich mich hinlagere am grünenden Boden, von Sonne und Mond beschienen, da bist Du meine Heiligung.
Bettine.
Die wahre Heiligung erfuhr Bettine von Arnim nicht durch Goethe, sondern durch Hofmannsthal. Durch die Aufnahme dieses Briefes in sein Deutsches Lesebuch zog sie unter anderem an Schelling und Merck vorbei, denen Hofmannsthal den Eintritt in sein Prosa-Schatzhaus verwehrt hatte; selbst Hegel und Fichte nahm er erst nach langem Zögern auf.