Jeremias Gotthelf. Die schwarze Spinne

Dann heißt der Pfarrer auch noch Gotthelf! Eigentlich hieß er ja Albert Bitzius, aber er suchte sich sein Pseudonym gottesfürchtig nach seiner ersten Romanfigur aus. Jeremias Gotthelf galt noch dem alten Muschg als einziger deutschsprachiger Erzähler, der sich mit Dostojewski, Balzac oder Dickens vergleichen lasse; freilich könne nur ein Schweizer die Fülle seiner – interessantes Kompliment – barbarischen Sprache ermessen. Gotthelfs halb fromme, halb barbarische Schauergeschichte Die schwarze Spinne, 1842 publiziert, ist ein Kleinod der Novellenkunst, ein dunkles Juwel der Schweizer Literatur. Der Verfasser des Doktor Faustus bewunderte die Geschichte des Teufelspakts «wie kaum ein zweites Stück Weltliteratur». Gotthelfs an den Höllen-Brueghel erinnernde Phantastik ist das eine; aber auch als Stilist können ihm nur wenige Zeitgenossen das Weihwasser reichen, von seinem helvetischen Kollegen Keller immer abgesehen.

Die Handlung, kurz umrissen: Ein armes Bauerndorf, durch einen despotischen Ritter und Schloßherrn in Bedrängnis geraten, wird vom Teufel, genannt der «Grüne», zu einem Pakt ermuntert. Der Grüne hilft den Dorfbewohnern bei ihrer unerfüllbaren Aufgabe, als Lohn dafür verlangt er – aber hören wir selbst, was er den Bauern auf ihre Frage erklärt, hören wir Gotthelfs knurrigen Legendenton:

Nicht mehr also als – ein Babyopfer. Zur Besiegelung des Vertrags gibt der Teufel der wagemutigen Christine, der emanzipierten Frau im Dorf, einen Kuß auf die Wange. An dieser Stelle zeichnet sich auf ihrem Gesicht bald ein Teufelsmal ab, das später zur schwarzen Spinne maligniert.

Was folgt? Der Teufel ist vertragstreu, aber das Dorf drückt sich um den vereinbarten Lohn. Bei der ersten Geburt wird der Teufel durch Abwehrzauber und rasche Taufe des Neugeborenen geprellt. Nach dem zweiten Mal, bei dem ihm das Neugeborene weggepascht wird, erinnert er diskret an die Erfüllung des Vertrags. Das Vieh stirbt in den Ställen, das Dorf verzweifelt. Nun liegt wieder eine Frau in den Wehen. Und diesmal, so hat das Dorf sich stillschweigend geeinigt, soll der Grüne seinen Lohn erhalten. Man läßt zwar den Pfarrer holen, aber setzt alles daran, daß er zu spät kommt und der Säugling ungetauft überstellt werden kann. Kaum hat die arme Schwangere, die das Komplott ahnt und sich verbarrikadiert, in ärgsten Wehen und Ängsten entbunden, kaum wimmert das erste Lebenszeichen durch die Tür, fliegt diese «von wüthendem vorbereiteten Stoße» auf: «wie auf seinen Raub der Tiger stürzt, stürzt Christine auf die arme Wöchnerin» und raubt ihr das Kind.

Das alles weiß Hans, der Ehemann der armen Frau, der sich viel Zeit nimmt bei seiner Heimkehr von der Feldarbeit, um den Dingen ihren Lauf zu lassen. Was Gotthelf so unnachahmlich beschreibt und ins wechselnde Geh-Tempo übersetzt, ist der innere

Dann juckte er vorwärts, rasche Schritte that er, einen Ansatz zum Springen nahm er; es war etwas in ihm, das ihn jagte, das ihm die Haare auf dem Kopfe emportrieb; es war das Gewissen, das ihm sagte, was ein Vater verdiene, der Weib und Kind verrathe; es war die Liebe, die er noch hatte zu seinem Weibe und seiner Leibesfrucht. Aber dann hielt ihn wieder ein anderes, und das war stärker als das erste, es war die Furcht vor den Menschen, die Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu dem, was dieser ihm nehmen konnte. Dann ging er wieder langsamer, langsam wie ein Mensch, der seinen letzten Gang thut, der zu seiner Richtstätte geht. Vielleicht war es auch so; weiß doch gar mancher Mensch nicht, daß er den letzten Gang thut; wenn er es wüßte, er thäte ihn nicht, oder anders.

Es läßt sich nicht mit der Pinzette herauszupfen, was genau den Rang dieser Passage ausmacht; es ist alles zusammen, Rhythmus, Wortwahl, Detailreichtum, Überraschung und Psychologie, dabei ein Anklang von Predigerton. Das lakonisch korrigierende «oder anders», mit dem Gotthelf die Conclusio beendet, ist in seiner Redlichkeit entzückend.

Um den Pfarrer vom Eingreifen abzuhalten, inszeniert der Teufel nun ein Unwetter. Hier ist es mehr als nur ein Anklang von Prediger-Timbre, das Gotthelf aufbietet. Hier erklingt der volle Orgelton.

Ein wahres Teufelsgewitter, eine Wolkenschlacht und metaphysische Entbindung, nach der physischen zwei Seiten zuvor: Hier donnern nicht nur die Elemente, hier donnert der Prediger, daß es eine Art hat, mit allen rhetorischen Pedalen, die ihm zur Verfügung stehen.

Allein es hilft nichts, der Pfarrer wird sich dennoch durchs Unwetter durchkämpfen und opfert sich fürs gerade noch notgetaufte Kind. Was allerdings dann passiert, schildern wir nicht; es ist zu schaurig und muß selber nachgelesen werden. Das erste Ausbrechen der Spinne auf Christines Wange war noch gar nichts dagegen:

Unterdessen aber hörte der Schmerz nicht auf, jedes Bein ward ein Höllenbrand, der Spinne Leib die Hölle selbst, und als des Weibes erwartete Stunde kam, da war es Christine als umwalle sie ein Feuermeer, als wühlten feurige Messer in ihrem Mark, als führen feurige Wirbelwinde durch ihr Gehirn. Die Spinne aber schwoll an, bäumte sich auf, und zwischen den kurzen Borsten hervor quollen giftig ihre Augen.

Gotthelfs moralische Schauergeschichte ist dabei in einen idyllischen Rahmen eingespannt. Es ist die epische – Thomas Mann nannte sie sogar «homerische» – Schilderung einer traditionellen Kindstaufe. Hier zeigt der Autor, daß er auch andere Töne anschlagen kann. Sehr einfühlsam versetzt er sich in die Notlage der Taufpatin auf dem Weg zur Kirche: Sie hat des Säuglings Namen vergessen, den sie dem Pfarrer vor dem heiligen Akt einflüstern muß. Und so schildert Gotthelf ihre Erleichterung, als der Pfarrer den Namen ausnahmsweise selber weiß: «[…] da war der Gotte [der Taufpatin] als ob nicht nur sämmtliche Emmenthaler Berge ihr ab dem Herzen fielen, sondern Sonne, Mond und Sterne, und aus einem feurigen Ofen sie Jemand trage in ein kühles Bad; aber die ganze Predigt durch bebten ihr die Glieder und wollten nicht wieder stille werden.»

Es ist das Stilmittel der Hyperbel, das Gotthelf gerne verwendet, und das Humoristische daran liegt ihm durchaus nah. Ein «junges Weibchen» – auch das typisch für Gotthelf – weint bei ihm «gar bitterlich, daß man unter seinen Augen die Hände hätte waschen können». Im Wirbelwind splittern Bäume am Hause «wie Speere auf einer Ritterbrust». Die Bauern, vom Teufel befragt, was ihnen fehle: «Haltet es nicht für ungut, aber das, worüber wir weinen, nimmt kein Jägersmann uns ab, und wenn das Herz einmal im

Canetti war mit seiner Mutter in heftigen Streit geraten über den Wert oder Unwert des Dialekts. Gotthelfs Sprache sei die des Emmentals, hatte er ihr erklärt, manches verstünde man kaum, ohne den Dialekt sei Gotthelf aber undenkbar, aus diesem beziehe er seine ganze Kraft. Seine Mutter hielt dagegen und führte ihre Freunde an, die alle versicherten, Die schwarze Spinne sei ungeschickt geschrieben: «Es wäre gut, sie in ein literarisches Deutsch zu übersetzen, damit sie allgemein zugänglich wäre.»

Recht hatte natürlich der Sohn. Das literarische Deutsch Gotthelfs lebt genau von der kleinen Differenz. «Die Zeit ist noch nicht da, wo man es erkennt, daß der Trotz das Unglück aus dem Boden stampft. Der Jubel zog sich über Berg und Thal in alle Häuser, und wo noch eines Fingers lang Fleisch im Rauche hing, da ward es gekocht, und wo noch eine Hand groß Butter im Hafen war, da wurde geküchelt.»

In der Linguistik nennt man die kleinen Abweichungen, die dem Nicht-Muttersprachler bei bester Beherrschung des fremden Idioms noch unterlaufen, den «charmanten Rest». Das hochdeutsche Schweizerische sprudelt damit wie aus tausend klaren Gebirgsquellen. Es ist der Charme der kleinen Abweichung: Wenn es etwas zu feiern gibt und sich noch eine «Hand groß Butter» im Hafen findet, was passiert dann? Dann wird selbstredend geküchelt.

Schweizer Einsprengsel machen es dabei nicht allein. Gotthelfs Verleger Julius Springer übte, ganz im Sinne der Mutter Canettis, sanften Druck auf den Autor aus, die Helvetismen doch bitte auszudünnen, das erleichtere die Verbreitung in Norddeutschland. Gotthelfs Stil verlor dadurch nicht an Prägnanz. Es ist fast unmöglich, diesen Stil zu imitieren, außer im Predigerton; er schlägt

Ein letztes Beispiel aus der Schwarzen Spinne. In der Rahmenhandlung wird auf dem Weg zur Kirche hin und her geplänkelt, die Patin beharrt darauf, das Kind auf ihren Armen zu tragen und es sich nicht abnehmen zu lassen; ihr Seitenblick gilt dabei dem feschen «Götti», was auf schweizerisch der Taufpate ist.

Das war eine gar zu gute Gelegenheit dem schönen ledigen Götti zu zeigen, wie stark ihre Arme seien und wie viel sie erleiden möchten. Starke Arme an einer Frau sind einem Bauer viel anständiger als zarte, als so liederliche Stäbchen, die jeder Bysluft, wenn er ernstlich will, auseinander wehen kann; starke Arme an einer Mutter sind schon vielen Kindern zum Heil gewesen, wenn der Vater starb, und die Mutter die Ruthe allein führen, alleine den Haushaltungswagen aus allen Löchern heben mußte, in die er gerathen wollte.

Indem die Patin ein Auge auf den potentiellen Vater ihrer späteren Kinder wirft, begründet sie die Attraktivität ihrer starken Arme mit dessen vorzeitigem Ableben – das ist alles zugleich: derb, witzig, schrullig, subtil, und mit dem Schlußbild vom «Haushaltungswagen» rumpelt der Satz mit Karacho in die Kirche zur dann doch noch glückenden Kindstaufe. Der Bysluft, by the way, ist ein kalter Nordostwind.