Der Fall Wollschläger: Ein Schüler Arno Schmidts, wohl neben Reinhard Jirgl der einzige; ein hingebungsvoller Verehrer von Schopenhauer, Nietzsche, Freud, Karl Kraus, Thomas Mann und Theodor W. Adorno, ein profunder Karl-May-Versteher und noch profunderer Hörer und Exeget Gustav Mahlers und Bachs; ein Rhetor und Rezitator von Qualtingerschen Graden; ein Polemiker und begnadeter Pamphletist, dessen Philippiken gegen die Schinderei unserer Mitgeschöpfe («Tiere sehen dich an» oder das Potential Mengele), gegen die Katholische Kirche (Die Gegenwart einer Illusion) und die Bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem ihm den Ruf des wortgewaltigen, wenn auch sachlich umstrittenen Weisen vom Berg, genauer Bamberg eintrugen, indes sein 1982 erschienener Faust-Roman Herzgewächse oder Der Fall Adams (achten Sie auf den Doppelsinn) ihn Jahrzehnte lang als deutschen Joyce und geheimen Shaolin-Meister der Gegenwartsliteratur gelten ließ – ebenso viele Jahrzehnte lang, wie die respektvoll gespannte Öffentlichkeit mit der Ankündigung eines Zweiten Herzgewächse-Bandes auf die Folter gespannt oder genarrt wurde –: dieser Fall Wollschläger, ein Über-Stilist, der seine Nachmittage zwischen Sanskrit, Quantenphysik und dem Muret-Sanders aufteilte, sich als Präzeptor der deutschen Sprache und nach dem Tod Arno Schmidts als deren Statthalter ausrief und doch nie ganz aus den Schatten trat, den die Über-Ichs auf seinen Schreibtisch warfen, vielleicht weil ihm zum eigenschöpferischen Ingenium dann trotz aller Eleganz und Sagazität doch ein paar Moleküle fehlten: Dieser Fall des genialischen, groß gedachten, groß gewollten und dann doch too clever by half-artig irgendwie pathetisch versandeten Wollschläger-Œuvres hat etwas entschieden Tragisches. Was nicht hindert, daß ihm, dem Werk, was jedenfalls die Übersetzungen und den deutschen Ulysses betrifft, durchaus auch etwas Hochstaplerisches eignete. Wie Harry Rowohlt, der, anders als Hans Wollschläger, Englisch sprach und an Witz ihm schwer überlegen war, aufs beißendste zu demonstrieren pflegte.
Wenn es ein schlagendes Beispiel dafür gibt, wie Manier in überraschungslosen Manierismus umschlägt, dann ist es das Werk Hans Wollschlägers. Einen Wollschläger-Satz erkennt ein Blinder mit Krückstock. Der typische Wollschläger-Satz zeichnet sich durch eine überschaubare Anzahl immer gleicher aufmerksamkeitsheischender Stilmittel und Autoritätsformeln aus. Dazu zählen –: der vom Doppelpunkt gefolgte Gedankenstrich; die Worttrennung mitten im Einzelwort – das «Merk-Mal» der «Hand-Werker des Wegschaffens»; die «Ur-Sache» der «Lebe-Wesen», die man «selbst-verständlich» nicht «aus-denken» kann; das pathetische Großschreiben (die Erhabene Aufgabe für die Guten Leser der Guten Bücher); das «Dieser»-und-«jener»-Verwirrspiel, um nur nicht das gemeinte Substantiv noch einmal hinzuschreiben und es dem Leser ordentlich sauer zu machen; der nie erlahmende «Zuletzt»-Gestus, andeutend, jetzt endlich, nachdem man der Sache tief genug auf den Grund geschaut und alles zu Ende meditiert habe, belohne man, in diesen geistfernen Zeiten, den Guten Leser unterm Gestirnten Himmel mit dem Finalen Weisheits-Schluß … Die hypotaktische Syntax –: frei oder unfrei nach Karl Kraus (trotz dessen «Einzig-Art»), mit Wiesengrund unterlegt – –
Von Kraus auch die Gepflogenheit, Sprichwörter, Volksmund oder Sentenziöses aufzugreifen und auf den Kopf zu stellen: «Auch Rom ist nicht an einem Tage zerstört worden», sehr hübsch, und sehr hübsch auch der Nachruf auf Vladimir Nabokov, in dessen Gegenwelten «eine Schwalbe einen Sommer macht»; ein Nachruf übrigens, in dem Wollschläger ausgerechnet den Lolita-Verfasser mit Freud traktiert; was nicht viel taktvoller ist, als wenn ein Priester sich ans Sterbebett eines Atheisten schleicht. Etwas Priesterhaftes war dem Pastorensohn dabei nie ganz fremd.
In diesem Krausschen Sinne: Er, Wollschläger, war, nehmt alles nur in allem –: zuletzt der Hans im Pech. Dies alles gesagt habend, muß der Verfasser bekennen, daß er den Menschen hinter der persona Hans Wollschläger geliebt hat und sehr vermißt.