Was Pastiches betrifft, die sich der unbemerkten Parodie nähern, so beherrschte sie Robert Gernhardt schon als Gymnasiast. Aus seinem Deutsch-Abitur ist die Anekdote überliefert, daß er seinen Lehrer durch die Interpretation des folgenden Trakl-Gedichts beeindruckte:
Die Pendel brauner Uhren nicken leise.
Der Abendmond verläßt sein bleiches Bett.
Ein Jäger einsam bei dem Hasel steht.
Die schwarzen Vögel ziehen leichte Kreise.
Was der Lehrer nicht ahnte: Der Verfasser dieser Zeilen war nicht etwa Trakl, sondern der junge Abiturient selbst. Im Vergleich hierzu ein beliebig herausgegriffener echter Trakl:
Am Abend wieder über meinem Haupt
Saturn lenkt stumm ein elendes Geschick
Ein Baum, ein Hund tritt hinter sich zurück
Und schwarz schwankt Gottes Himmel und entlaubt
Merkt man dann doch einen Unterschied, die Pranke des Original-Löwen? Doch, schon. Aber hier ein echter Gernhardt, ein klassisches Sonett.
Das Rom der Foren, Rom der Tempel
Das Rom der Kirchen, Rom der Villen
Das laute Rom und das der stillen
Entlegnen Plätze, wo der Stempel
Verblichner Macht noch an Palästen
Von altem Prunk erzählt und Schrecken
Indes aus moosbegrünten Becken
Des Wassers Spiegel allem Festen
Den Wandel vorhält. So viel Städte
In einer einzigen. Als hätte
Ein Gott sonst sehr verstreuten Glanz
Hierhergelenkt, um alles Scheinen
Zu steingewordnem Sein zu einen:
Rom hat viel alte Bausubstanz.
Das ist das typische Gernhardt-Prinzip: Kunstvoll baut er aus Karten ein turmhohes Gebilde, und im letzten Moment zieht er die unterste weg. Er kann den hohen Ton, und er konterkariert ihn mit dem letzten Wort; der komische Einsturz als Stilprinzip.
Robert Gernhardt sah sich in der Tradition des von ihm so benannten Siebengestirns: Heine, Busch, Morgenstern, Ringelnatz, Tucholsky, Brecht und Jandl; wobei man Brecht doch eher zu den, nach Gernhardts Wortschöpfung, Ernstlern gezählt hätte.
Es gibt aber auch von Gernhardt stille und todernste Gedichte, die nicht auf die Pointe zielen. Aus der Zeit seiner letzten Erkrankung stammen die beiden folgenden Beispiele oder Exempla.
Beim Tomatenpflücken bleibt
mein Hemd an einer der Stangen
hängen und reißt.
Ritsch.
Beim Ausziehen bleibt
mein Blick am Etikett des Hemdes
hängen und liest: «Eterna.»
Ratsch.
Das doppelte Hängenbleiben, das Ritsch – Ratsch, gibt dem Gedicht die formale Klammer. Das stillschweigend Mitgedachte – anders als das bügelfreie Hemd wird er, der Krebskranke, es nicht ewig machen – gibt ihm die grimmige Grundierung.
In helleren Zeiten hatte Gernhardt einmal ein Gedicht geschrieben, dessen wuchtiges stilistisches Mittel die Wiederholung eines einzigen Wortes war. Er wird dieses Gedicht später zurücknehmen, wenn man so will.
Von allem viel. Viel Birne, viel Zwetschge. Viel
Traube, viel Pfirsich. Viele Tomaten. Viel
Rascheln der vielen trockenen Blätter. Viel
Haschen der vielen kleinen Katzen. Viel
Duft von viel Harz der vielen Pinien. Viel
Wind in den vielen Oliven. Viel Silber. Viel
Rauschen. Viel Blau in den vielen Hügeln. Viel
Glanz. Viel Wärme. Viel Reife. Viel Glück.
Die vielen Viels greift Gernhardt in dunkleren Zeiten wieder auf. Jetzt sind es die gleichmäßig marschierenden Schritte auf einer Brücke, die dadurch ins Vibrieren und endlich zum Einsturz gebracht wird.
Ich bin viel krank.
Ich lieg viel wach.
Ich hab viel Furcht.
Ich denk viel nach:
Tu nur viel klug!
Bringt nicht viel ein.
Warst einst viel groß.
bist jetzt viel klein.
War einst viel Glück.
Ist jetzt viel Not.
Bist jetzt viel schwach.
Wirst bald viel tot.