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12. Lua

Am nächsten Morgen wachte ich, wie fast jeden Tag in den letzten sieben Wochen, in Caelums Armen auf. Es war der schönste Moment des Tages. Sein Geruch nach Sandelholz, seine Nähe, die Geborgenheit und die Abwesenheit von Angst und Sorge – all das verlieh mir jeden Morgen die Kraft, in einen neuen Tag zu starten.

Es schien mir wie ein Wunder, dass der Abend gestern ohne jeden Zwischenfall seinen Abschluss gefunden hatte, aber vielleicht fühlten sich Dämonen in dieser Stadt wirklich nicht wohl. Was im Hinblick auf die Suche nach dem Stein der Hölle auch irgendwie blöd wäre, aber ich hatte keine Lust, mich jetzt mit diesem Dilemma auseinanderzusetzen.

Ich war mir nicht mehr sicher, wie ich es vor lauter Müdigkeit nach dem Duschen gestern ins Bett geschafft hatte. Irgendwie kamen in meiner Erinnerung zwei starke Arme vor. Ich hatte noch Caelums sanfte, kühlende Hände auf meiner Wunde gespürt, die Augen hatte ich zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr öffnen können.

Jetzt konnte ich es. Zum ersten Mal seit Tagen hatte ich das Gefühl, halbwegs ausgeruht zu sein. Dennoch verspürte ich kein Verlangen, mich heute in einer neuen Stadt auf die Suche zu machen.

Als ich meine Augen aufschlug, sah ich in seine. Er war, wie immer, vor mir wach. »Hey, ausgeschlafen?«

»Könnte ausnahmsweise mal sein.« Die Antwort gefiel ihm eindeutig. Und ich vermutete, dass er über Nacht mit seiner Energie nicht gerade wenig zu diesem Zustand beigetragen hatte. Ein Blick auf die kleine Wanduhr verriet mir, dass es bereits Mittag war. »Müssten wir vielleicht mal los?«, schlug ich unwillig vor.

Seine Augen ruhten auf meinen und er strich mir meine zerwühlten Haare aus dem Gesicht. »Ich denke, wir haben noch ein wenig Zeit. Oder hast du ein störendes Klopfen an der Tür gehört?«

Oh, Kieron hatte ich tatsächlich für einen Moment verdrängt. Caelum funkelte mich an und zog mich fest in seine Arme. Dann raunte er mir in meine Haare: »Ich denke nicht, dass wir auch nur eine Sekunde ohne ihn ungenutzt lassen sollten.«

Das sah ich durchaus genauso. Leider war die Zeit ohne Kieron nach bereits fünf Minuten vorbei. Sein Timing machte mich irgendwann noch mal wahnsinnig.

»Komm rein«, brummte Caelum.

Ich hatte bis jetzt nicht gewusst, dass das auch ohne Schlüssel ging, aber offensichtlich hatten die beiden da so ihre Möglichkeiten.

Kieron stand in der Tür mit einer Tüte voller Backwaren und einem Coffee to Go. Als er uns im Bett entdeckte, grinste er von einem Ohr zum anderen. »Ich kann gerne noch mal gehen, falls ihr noch nicht fertig seid.«

Caelum nahm eins der Kissen und warf es nach ihm, dabei ergoss sich der Kaffee aufs Kierons Shirt. Der verdrehte genervt die Augen. »Das war frisch, du Penner.« Dann setzte er sich auf den einzigen Stuhl in dem winzigen Zimmer. »Jetzt kann ich natürlich nicht mehr gehen.«

Unmittelbar darauf öffnete er die Tüte und begann zu frühstücken. Ich schälte mich mühsam aus den Decken und ging ins Bad. Als ich an ihm vorbeikam, klaute ich ihm ein süßes Teilchen. »Allein frühstücken macht fett.«

Sprachlos schaute er mir nach. Erst eine Minute später hörte ich ihn durch die geschlossene Badezimmertür. »Schön, dass du wieder ganz die Alte bist.« Doch reaktionsverzögert.

Ich musste schmunzeln. Es könnte seit langem mal wieder ein guter Tag werden.

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San Sebastian war nach allem, was wir in den letzten Wochen durch hatten, sehr übersichtlich. Nicht einmal zweihunderttausend Einwohner. Da hingen bei Lima und Kairo noch ein paar Nullen dran. Außerdem war Winter, es waren nicht einmal viele Touristen hier. Jetzt, wo die Feierlichkeiten vorbei waren, war es also sehr beschaulich. Und auch bei Tageslicht so schön, wie ich es gestern Abend vermutet hatte.

Wir hatten uns überlegt, direkt bei der Statue mit der Suche zu beginnen, was für mich gleich die erste Herausforderung des Tages darstellte. Wie so viele dieser Statuen lag sie auf einem Berg und den kam man nur zu Fuß hoch. Da Fliegen am helllichten Tag als Option ausfiel, blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit Caelums Hilfe den schmalen, bewaldeten Weg hinaufzuquälen. Vor ein paar Wochen hätte ich das im Dauerlauf erledigt, heute war ich froh, dass ich immerhin so ausgeruht war, ihn im Schneckentempo zu erklimmen.

Zu allem Überfluss waren weder der Stein noch Gorzata dort oben. Wir tummelten uns eine Weile zwischen den Touristen und ich versuchte, zumindest den Ausblick zu genießen, aber viel zu schnell stellten sich wieder Frust und Resignation ein, die ich gestern Abend so gut hatte vergessen können. Ich war nicht hier, um die Aussicht zu genießen.

Vor lauter Enttäuschung machte ich den Vorschlag, dass Caelum und Kieron vielleicht ihre Präsenz mal ein wenig durchblitzen lassen könnten, um Gorzata anzulocken. In meinen Augen hätte das die Suche deutlich abkürzen können. Leider sahen meine beiden Dämonen das anders und begannen ziemlich unverhohlen an meinem Geisteszustand zu zweifeln. Mein darauffolgendes Schmollen animierte Caelum überraschenderweise zu leicht ausufernden Zärtlichkeiten, die mich sehr erfolgreich von meiner schlechten Laune ablenkten. Dabei wies Kieron uns viel zu schnell und sehr vehement darauf hin, dass wir Gorzata mit wilden Knutschereien sicher nicht herbeizaubern würden, und so machten wir uns nach einer knappen Stunde unverrichteter Dinge wieder auf den Weg zurück in die Stadt.

Der Plan war, jetzt zunächst die Strände abzusuchen. Gorzata beherrschte das Wasser, vielleicht würde er sich in dessen Nähe aufhalten. Wir nahmen uns zuerst die halbmondförmige Bucht vor, die westlich des Flusses lag, dessen Namen ich mir beim besten Willen nicht merken konnte. Aber weder in dieser Bucht noch an irgendeinem anderen Strand waren wir erfolgreich. Längst waren wir wieder auf unseren Mietwagen umgestiegen, weil meine Erschöpfung es nicht zuließ, dass wir die Stadt zu Fuß erkundeten. Dadurch sank meine Stimmung dann auch endgültig ins Bodenlose.

Ich hasste diese stundenlange sinnlose Rumkurverei, zumal sie uns schnell in die äußeren Bezirke der Stadt brachte, die nicht mehr ganz so attraktiv waren wie das Zentrum. Caelum und Kieron schien es heute ähnlich zu gehen, denn unsere Fahrt wurde lediglich von Schweigen oder genervten Bemerkungen begleitet. Als es zu dämmern begann, fuhren wir deshalb zurück Richtung Pension, um in einer der Bars etwas zu essen und uns einen neuen Plan zu überlegen.

Wenig später schaute ich irritiert auf Caelums Teller. »Und du bist sicher, dass man das essen kann?«

»Wir sind in einem Restaurant und das hier stand auf der Speisekarte. Und es wurde auf einem Teller serviert, ich denke nicht, dass der Kellner die Deko aus der Küche geklaut hat«, erwiderte er ironisch.

Ich wusste nicht, ob es an meiner schlechten Laune lag oder wirklich an seinem Gericht, aber ich war heute nicht bereit, außergewöhnliche Dinge zu probieren. Auf Caelums Teller prangte ein aufgeschnittener Seeigel mit irgendeiner gelben undefinierbaren Pampe darin, die entweder hochgradig lecker sein könnte oder schon mal verdaut. Er bot mir einen Löffel davon an, woraufhin ich instinktiv den Kopf schüttelte. Meine Risikobereitschaft war im Gegensatz zu gestern etwas abgeflacht. »Nein, danke«, wehrte ich seinen Fütterungsversuch ab. »Vergiften hebe ich mir für später auf.«

Anstatt über meine Bemerkung zu lachen, sah er mich besorgt an. Okay, es war wirklich besorgniserregend, dass wir übers Essen stritten, dennoch brachte seine Mimik das Fass bei mir zum Überlaufen. »Guck mich nicht so an. Ich bin nicht krank, ich will nur nicht mit Seeigelstacheln in der Speiseröhre verenden.«

»Du probierst sonst immer alles.«

Puuuuh. »Ja, aber heute ist halt nicht sonst«, entgegnete ich schärfer als beabsichtigt. Caelum zog die Augenbrauen zusammen und durchbohrte mich mit seinem Blick. Vielleicht sollte ich ein bisschen einlenken. »Ich bin müde, Caelum. Da legt sich manchmal sogar meine Neugier schlafen.«

»Specki, deine Neugier schläft nie«, warf Kieron trocken ein.

Caelum war jedoch nicht bereit, seine Bemerkung als Scherz einzuordnen. »Da stimme ich dir voll und ganz zu. Und genau deshalb brechen wir für heute ab.«

Ich verschluckte mich an meinem Schinkenbaguette. »Wie bitte?«

»Wir brechen die Suche ab. Du musst schlafen.« Es lebe der Diktator.

»Sag mal, spinnst du?«, fuhr ich ihn an und war froh, dass der Geräuschpegel in dieser Bar ziemlich hoch war. »Ich bin siebzehn Jahre alt und kann durchaus selbst entscheiden, wann ich schlafe und wann nicht. Wir brechen hier überhaupt nichts ab.«

»Doch, Würmchen. Ich werde dich in diesem Zustand ganz sicher nicht weiter durch die Stadt schleppen.«

»Ich bin schon in ganz anderen Zuständen durch irgendwelche Städte geschleppt worden«, giftete ich zurück. »Das hat bisher auch niemanden gestört.«

»Ich werde nicht eine Sekunde länger mit dir darüber diskutieren«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Verdammt, meine Bemerkung war unter der Gürtellinie gewesen. Natürlich hatte es ihn jedes einzelne Mal gestört, wenn es mir nicht gut ging, nur deshalb führten wir die Diskussion hier. Und es war sogar noch viel mehr als das. Es störte ihn nicht nur, es machte ihn rasend vor Sorge. Zugegebenermaßen war ich auf dem Weg in diese Bar auch noch im Auto eingenickt, was seinen Beschützerinstinkt bloß weiter befeuerte.

Ich rieb mir mit den Händen über mein müdes Gesicht. »Caelum, es tut mir leid, das war nicht fair. Aber Gorzata ist uns fast eine ganze Woche voraus, wir sollten eine Nachtschicht einlegen und keine Pause, ehrlich. Von mir aus kann ich mich eine Stunde ausruhen, bevor es weitergeht, aber wir können nicht so tun, als ob wir alle Zeit der Welt hätten.«

»Da hat sie recht«, stimmte Kieron mir zu, während er sich ein paar Fettreste aus dem Mundwinkel wischte. »Party war gestern, heute sollten wir einen Zacken zulegen.«

Caelums Miene war mörderisch, als er sich zu seinem besten Kumpel hinüberbeugte. »Wiederhol das noch mal.«

Scheiße, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich seine allgegenwärtige Besonnenheit gerade verabschiedete. »Hey, hör auf, dich wie Rambo zu benehmen«, fuhr ich dazwischen, bevor eine flapsige Bemerkung von Kieron die Sache noch verschlimmerte.

»Wie ich mich benehme, entscheide ich selbst.« Wenn da mal nicht die Nerven blank lagen.

Allerdings konnte ich auf seine Nerven bei der Aussage keine Rücksicht nehmen. »Ach ja?«, keifte ich etwas zu hysterisch. »Der Herr Dämon darf selbst über sein Handeln entscheiden, wie gut.« So viel Ironie hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr an den Tag gelegt. »Und das Ego reicht auch noch für meine Entscheidungen mit, ja? Da sind wir ja weit gekommen in den letzten Wochen.« Wäre ich ein Drache, wären jetzt die ersten Rauchwolken aus meinen Nasenlöchern aufgestiegen. »Caelum, ich habe keine Ahnung, was in deinem Oberstübchen heute passiert ist, aber ich werde –«

Ich sog scharf die Luft ein und krallte meine Finger in die abgewetzte Tischplatte. Von draußen wehte eine dermaßen mächtige Präsenz zu mir herüber, dass mir schwindelig wurde. »Ist das Lucifer?«, hauchte ich, denn anders konnte ich mir diese Macht kaum erklären.

»Nein, Specki. Das ist er leider nicht.« Mit diesen Worten schmiss Kieron einen Schein auf den Tisch, der mir deutlich zu groß vorkam, und verließ mit schnellen Schritten die Bar.

Ich wollte ihm folgen, aber Caelum hielt mich fest und nahm mein Gesicht in seine Hände. »Es tut mir leid, Würmchen. Ich –«

»Ich weiß«, unterbrach ich ihn. Ich hätte mich ebenfalls dringend bei ihm entschuldigen müssen, aber die Tatsache, dass er sich im Angesicht dieser Präsenz als Erstes mit mir versöhnen wollte, machte mir dermaßen viel Angst, dass mir jedes Wort im Hals stecken blieb. Wer war das da draußen? Und was erwartete uns in seiner Gegenwart?

»Bleib in meiner Nähe.« Ich nickte stumm. Caelum zog mich zu sich heran und legte seine Lippen auf meine Stirn. »Bitte.«

Ich schluckte. Dass ausgerechnet jetzt sein Befehlston einer Bitte wich, beruhigte mich in keiner Weise. Dennoch löste ich mich von ihm und nahm seine Hand. Ich würde es ohne seine Nähe heute nicht mehr weit schaffen. »Ich verspreche es.«

Wir hetzten Kieron hinterher, der weit hinten am Ende der schmalen Gasse angekommen war. Die mächtige Präsenz hatte sich bereits um einiges von uns entfernt, deshalb konnte ich wieder freier atmen. Dennoch war der Weg, den sie nahm, sehr eindeutig. Er führte bergauf.

An Caelums Hand ging ich zum zweiten Mal an diesem Tag den unebenen Pfad entlang. Ich stolperte mehr, als dass ich lief, zumal es mir die Dunkelheit zusätzlich erschwerte, Steine und Wurzeln zu erkennen und rechtzeitig auszuweichen.

»Wer ist das?«, versuchte ich trotz meiner aufkeimenden Atemnot flüsternd herauszufinden.

»Akula«, brummte Caelum. »Ein sechstausend Jahre altes Arschloch und ganz bestimmt nicht auf unserer Seite.«

Ausnahmsweise verzichtete ich darauf, weitere Fragen zu stellen. Meine Lunge gab das ohnehin nicht mehr her. Mein Kopf hingegen schon. Auf dem Weg vor uns war ein bösartiger Dämon, dessen Stärke ziemlich nahe an die meiner Begleiter heranreichte. Das war vielleicht noch nicht einmal allzu beängstigend, schließlich waren sie stärker und zu zweit. Die Frage war vielmehr, warum er uns auf diesen Berg lockte. Gorzata war heute Mittag nicht hier gewesen und ich konnte ihn auch jetzt nicht spüren. Verstohlen zog ich den Himmelsstein aus meiner Jackentasche. Er gab nicht den kleinsten Schimmer von sich.

Ich überredete meine Lunge zu einem letzten Kraftakt. »Warum folgen wir ihm? Vielleicht ist er nur zufällig hier und hat mit der ganzen Sache gar nichts zu tun. Eure Präsenz ist bei null, er kann gar nicht wissen, dass ihr hier seid.«

»So viele Zufälle gibt es nicht, Specki.« Kieron seufzte.

Schade, war aber einen Versuch wert gewesen. »Und wenn es eine Falle ist?«

»Das ist es sogar mit ziemlicher Sicherheit«, gestand Caelum flüsternd. »Aber wir haben schon ganz andere Fallen überlebt.«

Okay, keine weiteren Fragen. Nicht mal mehr in meinem Kopf.

Wir rannten einer sechstausend Jahre alten Macht hinterher, die uns mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit in eine Falle lockte und bauten mit unerschütterlichem Vertrauen darauf, dass es trotzdem gut gehen würde. Klang für mich nach einem Himmelfahrtskommando. Hätte ich noch Luft gehabt, hätte ich über das Wortspiel gelacht. Hatte ich aber nicht.

Es reichte inzwischen nicht einmal mehr, dass Caelum meine Hand hielt, also legte er seinen Arm um mich und schob mich weiter hinauf. »Ich meine das ernst«, versuchte er mich erneut zu beruhigen. »Wir sind nicht nur stärker als die anderen Hohedämonen, sondern auch schlauer. Gorzata ist gewieft, und wenn er Akula mit im Bunde hat, wird er auch einen ganz guten Plan haben. Aber wir werden diesen Plan schon durchkreuzen. Vertrau mir.«

Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, aber verrückterweise tat ich es tatsächlich. Ich hatte gesehen, wie sie ganze Nester vernichtet hatten, und sie hatten am Machu Picchu trotz der Anwesenheit von Skaslegurs Essenz die Dämonen besiegt. Sie würden es auch dieses Mal schaffen.

Trotz meiner Zuversicht konnte ich kurze Zeit später endgültig nicht mehr. Ich stolperte über eine Wurzel und hatte es allein Caelums Reflexen zu verdanken, dass ich nicht lang auf den Waldboden aufschlug, was er offensichtlich als Aufforderung betrachtete, mich zu tragen. Mit einer einzigen schnellen Bewegung nahm er mich auf den Arm.

»Nein, Caelum, bitte. Du brauchst das nicht, ich schaffe das. Gib mir nur fünf Minuten.«

»Halt den Mund.«

Ich dachte eigentlich, das Stadium der Befehle hätten wir vor zwei Monaten hinter uns gelassen, doch heute war wohl der Tag der großen Rückschritte. Inzwischen wusste ich allerdings, wie er es meinte. Ich spürte seine Liebe vermischt mit unendlich großer Sorge zu mir fließen und ignorierte den Kommandotonfall. Für ihn war es nicht anstrengend. Also legte ich meinen Kopf an seine Brust und sog seinen Geruch und seine Kraft in mich auf. Ich würde sie vermutlich gleich noch brauchen.

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Etwa zehn Minuten später waren wir da.

»Meinst du, es geht wieder?«, flüsterte Caelum leise. Ich nickte.

Er ließ mich vorsichtig runter und stellte mich wieder auf meine Füße. In diesem Moment verschwand Akulas Präsenz. Stattdessen wehte sehr schwach eine zu uns herüber, die ich mittlerweile sehr gut kannte: Gorzata.

Ich hatte keine Kapazitäten mehr, um daraus wirklich erhellende Schlüsse zu ziehen. Dennoch waberte der Gedanke durch mein Hirn, dass wir tatsächlich bewusst hierher gelockt worden waren. Nur der Grund wollte sich mir nicht erschließen. Warum führte Gorzata uns absichtlich auf seine Fährte?

Wir sortierten uns, indem wir die Umgebung mit unseren Sinnen scannten. Wir standen unterhalb der Plattform, auf der sich die hell erleuchtete Christusstatue erhob. Die Plattform wiederum war auf ein rundes, aus alten Steinen gemauertes Gebäude gesetzt worden. Es war mal ein Kloster gewesen, wie ich heute Mittag gelernt hatte.

Für einen winzigen Moment gönnte ich mir den Blick auf die Stadt und die Bucht. Sie war im Mondlicht wunderschön. Dann konzentrierte ich mich wieder. Wir spürten tatsächlich nur Gorzata. Es gab hier keinen zweiten Dämon mehr. Kieron und Caelum sahen sich an und nickten sich zu. Ich hasste ihre stillschweigenden Übereinkünfte, nie wusste ich, was sie vorhatten. Dieses Mal klärte mich Caelum jedoch netterweise flüsternd auf.

»Direkt hinter der Statue ist ein Portal. Kieron wird es sichern, damit Gorzata uns nicht erneut entwischt und uns niemand einen Besuch abstattet. Wir beide werden ihn uns jetzt schnappen.«

Mit Caelums Ansage kam die Angst. Ich wusste, dass Kieron an das Portal musste, trotzdem hatte ich, geschwächt wie ich war, wenig Lust, einen feindlichen Dämon aufzustöbern. Allerdings stellte ich ziemlich schnell fest, dass ich es gar nicht zu tun brauchte.

Er zeigte sich von selbst.

Langsam, fast provokant schlenderte er hinter der Statue hervor. Die Büsche unterhalb der Plattform warfen durch die hellen Strahler tiefe Schatten auf sein Gesicht, sodass ich es nicht erkennen konnte. Was ich stattdessen sah, war der Stein der Hölle. Gorzata hielt ihn gut sichtbar in seinen Händen – einen schwarzen kreisrunden, glänzenden Stein.

»Schön, euch zu sehen«, vernahm ich plötzlich seine Stimme. Sie war schneidend und troff nur so vor Sarkasmus. Und sie ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. »Ich denke, wir sind alle ein bisschen zu alt, um Schnitzeljagd zu spielen, nicht wahr?«

Caelum schob mich ein wenig hinter sich. Warum er Gorzata nicht einfach von dieser verdammten Plattform fegte, war mir ein Rätsel, aber vermutlich waren Kieron und er noch damit beschäftigt, die Falle hinter der ganzen Situation aufzudecken. Irgendetwas würde passieren, wenn sie ihn töteten, dessen war ich mir sicher, sonst würde er sich uns nicht so offen mit dem Stein zeigen.

»Ich finde Schnitzeljagd ziemlich cool«, erwiderte Kieron süffisant. »Vor allem, weil ich die immer gewinne.«

Ich meinte, unter den Schatten einen abschätzigen Blick von Gorzata zu erkennen. »Ich denke nicht, dass auch nur einer von euch hierbei gewinnen wird«, ließ er uns wissen. »Das hier ist nichts für Kinder. Jetzt sind die Großen an der Reihe.«

Sein irres Lachen, das auf diese Aussage folgte, ließ mich erschaudern. In diesem Moment war ich mir sicher, dass auch er Skaslegurs Essenz in sich hatte.

Urplötzlich riss er die Hände nach oben und wie aus dem Nichts umgab ihn eine Wand aus Wasser. Sie erinnerte an einen feinen Wirbelsturm, dessen Zentrum er bildete und der im hellen Licht der Scheinwerfer an eine beeindruckende Lightshow in Las Vegas erinnerte. Aber wir waren nicht in Las Vegas.

Meine beiden Begleiter fuhren ihre Präsenzen hoch, sie erschlugen mich in meinem Zustand fast, so stark hatte ich sie lange nicht mehr gespürt. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte ich gegen meine Schwäche an und hielt mich auf den Beinen. Dennoch wurde ich plötzlich ruhig. Wir hatten ihn, ich war mir sicher. Das hier war keine Falle, das war ein besessener Irrer, der an gnadenloser Selbstüberschätzung litt. Es würde also ausgerechnet an einer Christusstatue zu Ende gehen.

Caelum war offensichtlich zu derselben Erkenntnis gelangt, denn er hob neben mir die Hände und streckte sie Gorzata entgegen. Rechts von uns in einiger Entfernung tat Kieron das Gleiche. Caelum nutzte den Wind, er lenkte die Wand aus Wasser um. Sie erhob sich in einem tosenden Sturm über Gorzatas Körper und legte diesen frei. Es interessierte längst niemanden mehr, ob Gorzata den Tag tot oder lebendig beendete. Kieron grinste siegessicher, bevor er eine Kugel aus Feuer auf den Weg schickte.

In genau dem Moment, in dem das Feuer seine Hände verließ, fegte ihn ein Sturm ungeahnten Ausmaßes von der Plattform.

Er stürzte.

Seine Feuerkugel verlor sich im Himmel.