Als ich Stunden später noch einmal nach Lua sah, saß sie unverändert auf dem Bett und blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Der Brief lag geöffnet auf ihrem Schoß und über ihr regloses Gesicht flossen stumme Tränen.
Ich nahm ihr den Brief aus der Hand und zog sie fest in meine Arme. Ich wusste, dass kein Wesen in allen Welten Caelum für sie ersetzen konnte, dennoch konnte ich sie so nicht hier sitzen lassen. Vorsichtig wiegte ich dieses zarte Geschöpf in meinen Armen. Ich sprach beruhigend auf sie ein und versuchte ihr Hoffnung zu geben, dass er sich besinnen und zurückkommen würde.
Aber das würde er nicht. Ich kannte ihn. Er fühlte sich schuldig für ihren Zustand und für ihr Leid. Und nichts und niemand würde ihn vom Gegenteil überzeugen können. Ich hatte es probiert. Wir hatten stundenlang gestritten, ich hatte ihn angefleht, für sie zu bleiben, aber er hatte es nicht hören wollen.
Zu Lua drang ich ebenfalls nicht durch. Ich ahnte, dass etwas in ihr zerbrochen und ich ganz sicher nicht derjenige war, der diesen Bruch reparieren konnte. Trotzdem hielt ich sie weiter fest. So lange, bis sie irgendwann vor Erschöpfung einschlief.
Allerdings nur, um wenige Stunden später, von einem weiteren Albtraum heimgesucht, wieder aufzuwachen. Ich hatte gewusst, dass sie oft welche hatte. Ich hatte auch gewusst, dass Caelum sie ihr nehmen konnte. Allerdings hatte ich keine Ahnung gehabt, wie sehr es einen zerriss, wenn sie in der Stille der Nacht zu schreien begann. Und wenn sie sich erst endlose Minuten später von ihrer Panik erholte, um danach eine Ewigkeit wach zu liegen, weil die Angst vor dem nächsten Traum sie am Einschlafen hinderte.
Und so blieb es. Zwei Wochen lang. Tagsüber war Lua apathisch, sprach nur das Nötigste, aß viel zu wenig und weinte, wann immer sie glaubte, dass es keiner sah. Stundenlang saß sie in ihrem Zimmer und starrte in den Wald. Nachts wurde sie von Albträumen geplagt und lag voller Angst wach.
Sam und Stella drangen nicht zu ihr durch, manchmal fragte ich mich, was sie überhaupt noch um sich herum wahrnahm, die beiden jedenfalls nicht.
Ich versuchte ihr einen Hauch der Geborgenheit zu geben, die sie so dringend benötigte, hatte jedoch selten Erfolg. Es gab ein paar wenige Momente, in denen sie sich in meiner Gegenwart entspannte, die meiste Zeit kämpfte sie ums pure Überleben. Sie wollte stark sein, aber wo hätte sie diese Stärke noch hernehmen sollen?
Nach zwei Wochen waren Sam und ich uns sicher, dass sie es nicht schaffen würde. Sie hatte kein Gramm zugenommen und bekam viel zu wenig Schlaf. Anstatt sich hier zu erholen, hatte sich ihr Zustand dramatisch verschlechtert. Wenn wir nichts unternahmen, würde sie vor unseren Augen vor Schwäche und vor Kummer sterben.
Ich schrieb Caelum eine Nachricht nach der anderen. Er las sie nicht. Ich rief ihn immer und immer wieder an, doch er ging nicht ans Handy. Also traf ich schweren Herzens die Entscheidung, sie hier allein zu lassen.
Ich musste ihn holen, musste es schaffen, ihn davon zu überzeugen, dass sie ihn brauchte. Er musste sie retten. Die Sache mit der Menschheit war gerade Nebensache – ohne Lua würde sie ohnehin zugrunde gehen.