Lua kniete auf dem Boden, die Arme um sich selbst geschlungen. Sie zitterte und ich spürte, dass das nicht nur an der Kälte ihrer nassen Klamotten lag. Ich hatte die winzige Hoffnung, dass es die Anwesenheit von Skaslegurs Essenz war, die sie in diesen Zustand versetzt hatte. Viel naheliegender war jedoch, dass Kieron und ich es selbst gewesen waren.
Vorsichtig ging ich auf sie zu, ich wusste nicht, wie sie auf mich reagieren würde. Also ging ich vor ihr in die Hocke und strich ihr behutsam ein paar nasse Strähnen hinters Ohr, die der Wind ihr immer wieder ins Gesicht wehte.
Sie sah mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. »Er hatte ihn in sich, oder?«
Ich nickte. »Leider ja. Möglicherweise ist er nicht mal selbst schuld daran, dass er den Stein gestohlen hat. Er war vielleicht schon sein Sklave, als er es getan hat.«
Lua wirkte nachdenklich, nach wie vor traute ich mich nicht, sie in den Arm zu nehmen. »Was hast du am Ende mit ihm getan? Wie hast du ihm solche Schmerzen zugefügt?«
Ich schloss die Augen. Ich wusste, dass sie meine Tat geschwächt hatte. Es war tatsächlich schrecklich gewesen. »Ich bin in seinen Geist eingedrungen.«
»Was ... wie ...« Sie holte tief Luft, um sich zu sammeln. »Was bedeutet das? Ist es wie bei uns beiden?«
»Nein, Würmchen, es ist etwas völlig anderes«, erklärte ich bestimmt. »Die Art und Weise, wie ich es tue, ist brutal und mit nichts von dem, was wir haben, vergleichbar.« Ich rang um Worte. Es fiel mir unendlich schwer, es ihr zu erklären. Sie sollte die faszinierende Fähigkeit, die wir teilten, nicht mit dem hier in Verbindung bringen. »Wir beide können unsere Erinnerungen und unsere Emotionen teilen. Wir geben sie uns freiwillig und entscheiden selbst, was wir dem anderen zeigen möchten. Es ist etwas unglaublich Intimes, etwas, das aus unserer Verbindung entsteht und das auf absolutem Vertrauen basiert.« Ich schluckte, meine Fähigkeit war nützlich, ohne Frage, dennoch war ich nicht sonderlich stolz darauf. »Das, was ich eben getan habe, ist ein Akt der Gewalt. Es ist brutal. Es verursacht unfassbare Schmerzen. Ich wühle mich ungefragt und unerwünscht durch sein Gehirn, auf der Suche nach einer speziellen Information. Ich fühle nichts, ich sehe nichts. Ich stelle eine Frage und warte, bis die richtige Antwort vorbeikommt. Und nur die kriege ich.«
Sie betrachtete mich endlos lange und versuchte, das Gesagte und Gesehene zu verstehen und einzuordnen. Versuchte mich einzuordnen.
Ich wusste, es war riskant. Vielleicht würde sie mich danach hassen und an mir zweifeln, trotzdem musste ich es riskieren. Ich nahm ihre Hände und legte meine Stirn an ihre. Dann schickte ich ihr all die Gefühle und Bilder, die unser Austausch in Portugal mit sich gebracht hatte. Das Verstehen und die Nähe, die unsere Fähigkeit hervorrief. Im Anschluss zeigte ich ihr, wie es bei meiner eben begangenen Tat in mir ausgesehen hatte. Dort hatten Scham, Ekel und Widerwillen vorgeherrscht. Lediglich die Angst um unsere Zukunft und mein unbändiger Zorn auf Gorzata hatten mich angetrieben, meine Fähigkeit einzusetzen.
Als ich fertig war, zog ich meinen Kopf zurück und sah sie vorsichtig an. Sie lächelte. Ich spürte ihre Entspannung, ihre Erleichterung und ihre Liebe. Sie hatte mich verstanden. Dann atmete sie tief durch. »Du hast eine Antwort gefunden.«
Ich nickte. »Ja, aber eine, die mir nicht gefällt. Ich –«
»Wer ist dieser Mossarev?«
Ich schmunzelte. Dass sie mich nicht ausreden ließ, war ein gutes Zeichen. »Ein Arschloch.«
»Welch Überraschung. Geht das etwas genauer? Und warum kann uns da niemand helfen?«
»Wie wäre es mit ein bisschen Geduld?« Sie guckte mich bockig an, was mich zum Lachen brachte. »Du könntest jetzt noch die Arme verschränken und die Unterlippe vorschieben, dann wäre das Bild vom schmollenden Kind perfekt.« Oh, oh. Wenn Blicke töten könnten. Endlich nahm ich sie in den Arm. »Jetzt mal im Ernst, wir müssen uns zuerst darum kümmern, dass dieser nasse Dreckskerl da auf dem Boot an meinen Vater übergeben wird. Dann gibt’s ’ne Fragestunde«, lenkte ich ein.
Ich konnte es noch nicht wirklich glauben. Da waren wir wochenlang erfolglos um die halbe Welt gejettet, Lua wäre bei der Suche fast gestorben und jetzt hatten wir Gorzata nach nur einem Tag dingfest gemacht. Es war ein Kinderspiel gewesen. Leider war die Suche damit nicht zu Ende.
Nachdem wir Kieron zusammen mit dem etwas lädierten Dämon an einem Portal bei einem der Fährhäfen abgesetzt hatten, setzte ich mich zu Lua ins Auto. Sie hatte die Augen geschlossen. Ich machte mir direkt wieder Sorgen, dass die Sache eben ihr viel zu viel Kraft geraubt hatte, als sie sie erneut öffnete. Wie ich es ihr vorhin aus Spaß vorgeschlagen hatte, verschränkte sie die Arme und schob die Unterlippe vor.
»Perfekt«, lobte ich sie nach einer Weile, wobei ich mir das Lachen nur noch schwer verkneifen konnte.
»Dann haben wir das ja geklärt. Also, wer ist Mossarev?«
Ich stöhnte. »Okay, Vorschlag zur Güte. Wir haben eine echt lange Fahrt vor uns. Bevor wir uns auf den Weg machen, halten wir in der Stadt an, um was zu essen. Dabei kann ich es dir erzählen, einverstanden?«
Sie kniff die Augen zusammen und überlegte. »Na gut, aber wenn ich es schaffe, vorher keine Fragen zu stellen, behauptest du nie wieder, dass ich ungeduldig bin. Deal?«
»Das ist kein Deal, das ist Erpressung.«
»Und? Bist du erpressbar?«, wollte sie wissen, wobei sich ihr Blick eindeutig von schmollend zu aufreizend wandelte.
Ich legte meine Hand in ihren Nacken und zog sie zu mir heran. Dann blickte ich ihr tief in die Augen. Unsere Lippen waren nur noch Millimeter voneinander entfernt. Abrupt drehte ich mein Gesicht jedoch von ihrem weg und raunte ihr ins Ohr. »Nein.«
Der Schlag kam schnell, aber ich war schneller. Grinsend startete ich den Motor und fuhr los.
Eine halbe Stunde später und mit frischer trockener Kleidung saßen wir in einem einfachen Steakrestaurant. Der Kellner kam und nahm unsere Bestellung auf. Lua bestellte ein riesiges Steak mit Pommes, es war so ziemlich das größte auf der ganzen Karte. Das beruhigte mich. Wenn ihr Appetit noch vorhanden war, konnte es ihr nicht allzu schlecht gehen.
Der Kellner musterte sie irritiert. »Haben Sie gesehen, dass es das gleiche Steak auch in einer kleineren Variante gibt?«
»Ja«, antwortete sie trocken.
Ich kämpfte mit meiner Beherrschung, während der Kellner um diplomatische Worte rang. »Ich dachte nur, also ... Es ist wirklich riesig. Es wäre schade, wenn Sie, also wenn Sie es nicht ...«
Lua sah den armen Kerl grübelnd an und ließ ihn noch eine Weile zappeln. »Oh, Sie glauben, dass es zu viel für mich ist?«, erwiderte sie schließlich, als wäre ihr die Erkenntnis tatsächlich gerade erst gekommen.
Erleichterung machte sich in seinem Gesicht breit. »Ja, das befürchte ich.«
Sie grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich befürchte das aber nicht. Keine Sorge.«
Seine Verzweiflung war zum Greifen nah, Hilfe suchend wandte er sich an mich.
»Sie schafft das«, half ich ihm aufmunternd weiter. Als er sich peinlich berührt entfernte, brachen wir in schallendes Gelächter aus.
Leider waren wir aber nicht hier, um einen lustigen Abend zu verbringen. Mein Mädchen wollte Antworten und sie begann direkt damit, sie einzufordern. »Also, zum dritten Mal. Wer ist Mossarev?«
Ich schloss die Augen und stöhnte. Mossarev war genau die Art von Person, von der ich wünschte, dass Lua sie niemals treffen würde. Dennoch blieb uns nichts anderes übrig, als genau das zu tun. Wir würden ihn treffen. Auf meine Wünsche wurde seit geraumer Zeit wenig bis gar keine Rücksicht genommen.
»Er ist ein artreines Arschloch.«
Sie sah mich genervt an. »Das erwähntest du bereits. Geht’s vielleicht etwas genauer?«
Er war auch die Art von Person, über die ich eigentlich nicht einmal gerne sprach, dennoch war es wichtig, dass Lua wusste, was uns erwartete. Also holte ich tief Luft und klärte sie auf. »Mossarev ist ein Mensch.« Sie schaute mich überrascht an, damit hatte sie nicht gerechnet. »Kannst du dich noch daran erinnern, dass wir dir mal erzählt haben, dass es Menschen gibt, die freiwillig ein Bündnis mit einem Dämon eingehen?«
»Ja, ich erinnere mich. Allerdings weiß ich nur, dass wir diese Art von Verbindung im Ruler’s Market nicht angetroffen haben. Mehr habt ihr mir damals nicht gesagt.«
Ich nickte schuldbewusst. Wir hatten ihr so vieles nicht gesagt. »Mossarev ist ein solches Bündnis eingegangen.«
Der Kellner brachte uns unsere Getränke, wobei die kurze Unterbrechung natürlich nicht dazu führte, dass Lua den roten Faden verlor.
»Warum? Was hat ein Mensch von so einer Verbindung?«, wollte sie genauer wissen, nachdem sie die Hälfte ihrer Cola mit einem einzigen Zug geleert hatte. Sie brauchte eindeutig Zucker.
Ich seufzte. »Wenn ein Mensch sich freiwillig mit einem Dämon verbindet, gehen sie einen Deal ein, bei dem jeder etwas gewinnt. Die Menschen erhalten für gewöhnlich einen Teil der Unsterblichkeit. Sie können dann, genau wie wir Dämonen, nicht mehr an Krankheiten sterben, sondern nur noch an Verletzungen oder eben doch irgendwann an Altersschwäche. Allerdings wird ihr Leben durch das Bündnis um einiges verlängert.«
»Um wie viel?«, fragte sie wissbegierig.
»Ungefähr um vierzig bis fünfzig Jahre. Das ist manchen Menschen eine Menge wert.«
Sie stutzte. »Sie bezahlen dafür?«
»Ja, und zwar nicht wenig.«
»Was hat der Dämon von der Verbindung?«, hakte sie grübelnd nach. »Nur das Geld?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das Geld ist für die meisten nicht wichtig. Sie haben genug davon.«
Lua kniff die Augen zusammen. Wie immer bemerkte sie schnell, wenn eine Sache einen Haken hatte. »Was hat ein Mensch, was ein Dämon nicht hat, aber unbedingt haben möchte?«.
Okay, das würde ein längeres Gespräch werden. »Träume«, eröffnete ich ihr ohne Umschweife.
»Wie bitte?« Erstaunen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Das ist alles?«
»Es ist sehr viel mehr, als du denkst.«
Als der Kellner erneut an unseren Tisch trat und Lua ihr etwa tellergroßes Steak in Empfang nahm, breitete sich ein Strahlen in ihrem Gesicht aus. Erleichterung machte sich bei mir breit. Ihre Erschöpfung auf dem Steg war tatsächlich nur vorübergehend gewesen. Zu meinem Erstaunen begann sie schweigend zu essen. Aber mein Mädchen wäre nicht mein Mädchen, wenn sie das Schweigen nicht genutzt hätte, um nachzudenken und ein weiteres Dutzend Fragen zu produzieren.
»Warum ist es euch so wichtig?«, bohrte sie schließlich nach. »Man kann doch auch ohne Träume ganz gut leben. Die meiste Zeit träumen wir uns ohnehin ziemlichen Mist zusammen oder können uns nicht mal daran erinnern.«
Ich musste grinsen. »Das mag schon sein, aber ohne Träume fehlt einem die Fantasie. Man kann sich nicht weiterentwickeln.«
Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe, woraufhin ich das Gespräch gerne beendet und angenehmere Dinge mit diesen Lippen getan hätte. Sie leider nicht. Ihr Wissensdurst war lange nicht gestillt. »Das verstehe ich nicht. Man kann sich doch auch durch logisches Denken entwickeln.«
»Nicht nur. Man braucht zunächst einen Impuls, eine Idee für etwas Neues«, erklärte ich ihr. »Danach kann man durch Nachdenken zu einer Lösung gelangen.« Sie runzelte weiterhin die Stirn. Ich versuchte es noch einmal. »Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ihr Menschen nie vom Fliegen geträumt hättet, dann gäbe es heute keine Flugzeuge.« Langsam schlich sich Erkenntnis in ihr Gesicht. »Wir Dämonen können immer nur Dinge nachahmen, die andere erfunden haben. Allein von uns geht also kein Fortschritt aus. Und Fortschritt bedeutet nicht selten Einfluss und damit Macht. Darauf waren Dämonen schon immer scharf.«
»Wow.« Sie brauchte ein paar Happen, um das zu verdauen. »Wenn die Menschen so ein Bündnis eingehen, können sie dann selbst trotzdem noch träumen?«
»Nein. Sie geben all ihre Träume an den Dämon ab.«
»Ich nehme alles zurück, was ich gesagt habe«, räumte sie jetzt bestürzt ein. »Ich finde es dann doch eine ziemlich furchtbare Vorstellung, ohne meine Träume leben zu müssen, so bekloppt sie manchmal auch sind.« Ihr nächstes Zögern dauerte so lange, dass ich hoffte, die Fragestunde wäre beendet. »Wie ist es für dich? Würdest du gerne träumen können?«, fragte sie schließlich leise.
Jetzt war es an mir, einen Moment zu zögern. »Ich habe mich früher oft gefragt, wie es sich wohl anfühlt oder was man dabei empfindet. Wirklich vermisst hatte ich es bislang nicht.«
»Wieso bislang? Hat sich das geändert?«
»Das hat es«, gab ich zu. »Jetzt würde ich es sogar sehr vermissen, wenn ich es nicht mehr könnte.«
Ihre Augen weiteten sich vor Verwunderung. »Wieso, kannst du es denn? Also träumen, meine ich? Bist du etwa auch so ein Bündnis eingegangen?« Die Vorstellung gefiel ihr nicht, das war sehr deutlich zu spüren.
»Nicht bewusst.«
»Wie kann man denn so ein Bündnis bitte schön unbewusst eingehen?«, warf sie mir empört vor und legte tatsächlich ihr Besteck zur Seite.
Ich schmunzelte. »Ich kann träumen, seit ich dich das erste Mal geküsst habe. Und nein, ich habe nicht gewusst, dass ich dadurch mit dir verbunden sein werde.«
Zu meinem Erstaunen hatte ich sie mit dieser Aussage allerdings nicht besänftigt, stattdessen war sie jetzt noch aufgebrachter als zuvor.
Wütend funkelte sie mich an. »Und du hast es bislang nicht für nötig gehalten, mich mal über diese wunderbare Entwicklung zu informieren?«
Ich fing laut an zu lachen, woraufhin eine Faust mit voller Wucht meinen Oberarm traf.
Dennoch fing auch sie jetzt an zu schmunzeln. »Elender Verräter!«
Ich zog sie in meine Arme und gab ihr einen Kuss. Dann sah ich sie noch einmal ernst an. »Ich habe gleich in der ersten Nacht nach dem Kuss geträumt. Es war wundervoll, aber ich konnte es nicht genießen, ich hatte furchtbare Angst, dass du deine Träume dadurch verloren hattest. In der zweiten Nacht hast du dann wieder geträumt. Allerdings war es ein Albtraum. Meine Sorge war danach nicht wirklich kleiner. Ich habe mich gefragt, ob ich dir vielleicht nur die guten Träume genommen habe und du jetzt auf ewig mit Albträumen gestraft sein würdest. Wirklich beruhigt habe ich mich erst ein paar Tage später. Du hast im Schlaf gelächelt, von da an war ich mir sicher, dass bei dir noch alles gut ist.«
Lua wirkte erstaunt und zweifelnd zugleich. »Aber ich habe seit den ersten beiden Nächten bei dir nie wieder schlechte Träume gehabt, solange wir zusammen waren. Es kann nicht sein, dass ich in der Nacht einen Albtraum hatte.«
Ich seufzte. Dies war wohl mal wieder ein Tag der Offenbarungen. »Doch, es kann sein. Ich weiß nicht wieso, aber ich kann sie dir nehmen, die schlechten Träume. Es funktioniert schon seit der allerersten Nacht, deshalb habe ich morgens bei dir am Bett gesessen, als du aufgewacht bist. Du hörst auf, schlecht zu träumen, sobald ich dich berühre. In den ersten beiden Nächten habe ich gezögert, habe es auch meist erst spät bemerkt, weil wir unsere Emotionen noch nicht so gut spüren konnten. Deshalb kannst du dich wahrscheinlich an die Träume erinnern. Sobald ich es gemerkt habe, habe ich deine Hand gehalten und du hast dich in kürzester Zeit beruhigt. Inzwischen registriere ich es sofort und bin ohnehin nah genug bei dir. Du wirst so schnell ruhig, dass dir der Traum vermutlich nicht mehr im Gedächtnis bleibt.«
Lua grübelte eine Weile, wie so oft nach einer neuen Erkenntnis. Dann schluckte sie. »Wie oft tust du das?«, hakte sie leise nach.
»Jede Nacht.«
Sie schnappte nach Luft. Nach einer ganzen Weile rang sie sich zu einer Reaktion durch. Sie lächelte. »Danke.« Dann zog sie mich in ihre Arme.
Wir verharrten eine Weile in dieser Position und genossen den friedlichen Moment und unsere außergewöhnliche und immer wieder unerklärliche Verbindung.
Irgendwann löste sie sich von mir. »Und wo liegt jetzt das eigentliche Problem mit Mossarev?«
Schade, ich dachte, den hätte sie über unser Gespräch vergessen. Damit waren wir jetzt beim wirklich unangenehmen Teil der Offenbarungen angekommen. Ich gab ihr einen schnellen Kuss. »Das erzähle ich dir während der Fahrt.«
Wir bezahlten, gingen zum Auto und fuhren los. Sie hatte das Steak tatsächlich geschafft.
Während der nächsten halben Stunde klärte ich sie über den Dreckskerl auf, dem wir schon bald begegnen würden.
Mossarev besaß eine Bar an der nördlichen Grenze von Nevada, in einem verschlafenen Nest namens Jackpot. Die Bar lag etwa fünfzehn Autominuten außerhalb der Stadt, mitten im Nirgendwo. Mossarev und sein verbundener Dämon sorgten dafür, dass in einem Umkreis von zweihundert Meilen kein einziges Portal erschaffen wurde. Das war der Grund, weshalb uns dort niemand helfen konnte. Sie verhinderten dadurch zum einen, dass unerwünschter Besuch sie aus dem Nichts überraschte, zum anderen war die nächste Fluchtmöglichkeit in jedem Fall fast drei Stunden Fahrt entfernt.
Es war die Sorte von Bar, in der man alles bekam. Drogen, Frauen und Alkohol unter einundzwanzig. Und es war die Sorte von Bar, die von der Polizei nicht kontrolliert wurde, weil Mossarev reich genug war, um entsprechende Schmiergelder zu zahlen. Leider war es auch die Sorte von Bar, die über einen großen Keller verfügte, und mit diesem Keller verdiente Mossarev ein Vermögen. Gegen gute Bezahlung gelangte man über eine Treppe in einem Hinterzimmer hinunter zu einer schweren Eisentür, hinter der sich gut verborgen eine Arena befand. Eine kreisrunde von hohen Gittern umzäunte Arena. Sie glich einem Käfig und war letztendlich der Namensgeber seiner Bar, The Cage.
Alles in allem war Mossarev ein ziemlich widerwärtiger Kerl ohne jede Vorstellung von Moral oder Ethik und mit nur sehr wenigen Prinzipien. Er war das Dämonenbündnis aus reiner Machtgier eingegangen. Er wollte beherrschen, besitzen und bestimmen.
Und das tat er, zumindest in seinem eigenen kleinen Imperium. Wer etwas von ihm wollte, musste eine Gegenleistung bringen. Und die war nie bloß finanzieller Art, ansonsten hätte ich mir wenig Gedanken gemacht. Er wollte als Gegenleistung einen Kampf – einen unfairen Kampf. Er suchte den Gegner aus. Und er genoss es, dabei die Entscheidung über Leben und Tod zu haben. Und der Tod war bei ihm fester Bestandteil eines Kampfes.
Für eine solche Gegenleistung verkaufte Mossarev alles. Den Höllenstein oder dessen Aufenthaltsort mit ziemlicher Sicherheit. Für ihn war es egal, ob sich die Prophezeiung erfüllte oder nicht. Da er mit einem Dämon verbunden war, würde er beide Szenarien überleben. Deshalb brauchte ich bei ihm auch nicht groß zu tricksen oder zu lügen. Ich musste lediglich über den Wert verhandeln. Und ich musste unter allen Umständen verhindern, dass er Lua in einen Kampf verwickelte. Aber ich befürchtete, dass mir genau das sehr schwer gelingen würde.
Ich predigte ihr wieder und wieder, dass sie sich, egal was passierte, nicht auf einen Kampf einlassen durfte. Sie stimmte zu, trotzdem versprach sie mir nichts. Ich ahnte warum.
Irgendwann schlief sie ein. Letztendlich nahm ich das zum Anlass, uns nach drei Stunden Fahrt gegen Mitternacht in ein Motel einzuchecken. Es würde uns beiden guttun, den Rest der Nacht in einem richtigen Bett zu verbringen. Einer Auseinandersetzung mit Mossarev sollten wir besser ausgeschlafen entgegentreten.
Gegen acht Uhr abends am nächsten Tag fanden wir uns in Mossarevs Büro wieder. Ich hatte mir während unserer Fahrt stundenlang den Kopf darüber zerbrochen, warum Gorzata ausgerechnet ihm den Stein überlassen hatte. Was ich mir definitiv nicht vorstellen konnte, war, dass er sich ebenfalls Skaslegur angeschlossen hatte. Die Herrschaft der Dämonen über die Erde hätte ihm keinen Vorteil gebracht.
Meines Erachtens gab es für Gorzatas Entscheidung zwei Erklärungen. Die eine war, dass wir den Stein hier niemals vermutet hätten. Mossarev war ein weiterer Gang in dem Labyrinth unserer Suche, denn ohne Gorzatas Information wären wir im Traum nicht darauf gekommen, dass er den Stein an einen Menschen übergeben hatte. Die zweite Erklärung war die, dass wir hier sterben konnten. Natürlich wusste Gorzata von dem Keller und den Kämpfen, die dort stattfanden, und er hatte vermutlich die Hoffnung, dass zumindest Lua dabei draufgehen würde, wenn sie in einen solchen Kampf verwickelt werden würde. Leider war diese Hoffnung nicht ganz unberechtigt, deshalb musste ich genau das verhindern.
Mossarev hatte uns keinen Platz angeboten. Ich stand direkt vor seinem Schreibtisch, Lua zwei Meter hinter mir. Ich wollte nicht, dass sie auch nur ansatzweise in seine Nähe kam.
Er war ein kleiner, feister und schmieriger Kerl in den Mittvierzigern mit wenig Haaren, die er durch fetten Goldschmuck wettzumachen versuchte.
Nachdem wir uns eine Weile gegenseitig gescannt hatten, eröffnete er die Verhandlungen. »Also, Sohn des Teufels, was verschafft mir die Ehre?«
Es hatte mir noch nie gelegen, Bittsteller zu sein, ich hasste diese Verhandlung schon jetzt. »Ich bin auf der Suche nach etwas und du könntest mir dabei behilflich sein, es zu finden.«
Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und lächelte abstoßend. »Du suchst den Höllenstein.« Ich nickte. »Warum?«, wollte er wissen.
Nachdenklich betrachtete ich den Widerling. »Weil mein Vater es wünscht. Er hat kein Interesse daran, dass sich die Prophezeiung erfüllt«, ließ ich ihn einen Teil der Wahrheit wissen.
Er lehnte sich in seinem hohen Schreibtischstuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Was für ein seltsamer Teufel er doch ist, wenn er nicht möchte, dass die Dämonen die Herrschaft übernehmen. Ich wüsste zu gerne, was in seinem schlauen, alten Köpfchen vorgeht.«
Ich stützte meine Hände auf seinen Tisch und beugte mich zu ihm hinunter. »Damit sind wir bereits zu zweit. Und jetzt lassen wir den alten Herren in Ruhe und kommen zum Geschäft.«
»Ich habe den Stein nicht mehr«, gestand er mir offen. »So begehrte Dinge versuche ich schnell wieder loszuwerden. Es ist mir zu gefährlich, sie zu besitzen.«
Das konnte ich ausnahmsweise nur zu gut verstehen und es bestätigte meine Vermutung, dass Mossarev nur dazu diente, uns aufzuhalten und die Suche in die Länge zu ziehen. »Dann die Info, an wen du ihn verscherbelt hast.«
Er musterte mich herablassend. »Die ist aber ziemlich wertvoll, Prinzchen.«
Meine Selbstbeherrschung geriet spontan an ihre Grenzen. »Wie viel?«, grollte ich.
Er beugte sich ebenfalls vor, sodass seine miese Visage meiner jetzt eindeutig zu nahe kam. »Ich will einen Kampf. Das wirst du doch gewusst haben, oder?«
Ich nickte. »Ich werde kämpfen.«
»Nicht bloß du, mein Junge, sie auch«, forderte er hochmütig und nickte in Luas Richtung.
Ich verengte meine Augen. »Nein, sie nicht.« Er grinste mich weiter an. »Sie ist nur ein einfacher, zu klein geratener Mensch, sie hat mit der Sache nichts zu tun.«
Sein überhebliches Grinsen löste inzwischen einen kolossalen Brechreiz in mir aus. »Das kannst du ihrer Oma erzählen, aber nicht mir.«
»Sie hat keine Oma.«
»Hör auf, mich zum Narren zu halten«, zischte er mich wütend an. »Sie hat den Himmelsstein, das weiß jeder Dämon, der sich Skaslegur angeschlossen hat. Und das sind eine Menge. Sie ist wichtig. Ich weiß noch nicht welche, aber sie spielt eine Rolle bei der ganzen Geschichte. Also erzähl mir keinen Scheiß.«
Er erhob sich, ging zu einer Vitrine, die links vom Schreibtisch stand, und nahm eine Karaffe heraus. Nachdem er sich einen Drink eingeschenkt hatte, ging er langsam, das Glas in seiner Hand schwenkend, zum Fenster. Mit dem Rücken zu mir sprach er weiter, diesmal ruhiger, kontrollierter. Er wusste, dass er am längeren Hebel saß.
»Ihr werdet beide kämpfen«, stellte er unmissverständlich klar. Dann drehte er sich wieder zu uns um. »Keine Sorge, nicht gegeneinander, das wäre langweilig. Entweder wäre sie nach zwei Sekunden tot oder du würdest ihr nichts tun. Nein, ihr dürft gemeinsam kämpfen. Ein schöner ausgeglichener Kampf, zwei gegen zwei.«
Ich atmete tief durch. »Nehmen wir doch einen unfairen Kampf«, versuchte ich weiter zu verhandeln. »Die liebst du doch so. Ich allein gegen zwei Gegner.«
Er überlegte kurz. »Das klingt reizvoll, allerdings nicht reizvoll genug.«
Okay, ich traute mir noch ein bisschen mehr zu.
»Drei Gegner.«
Er lachte. »Es wird immer interessanter. Aber nein, ich habe von ihr gehört, ihr Ruf eilt ihr voraus, auch wenn ich durchaus ein etwas robusteres Menschlein erwartet hatte und nicht so einen Winzling. Eine viertel Million. Und ihr kämpft beide. Zwei gegen zwei. Sie darf ihr Messer benutzen, alle anderen ohne Waffen und ohne den Einsatz der Elemente. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Keine Zeitvorgabe. Er ist dann zu Ende, wenn eine Partei ihr Leben ausgehaucht hat.«
Ich schüttelte den Kopf. »Dann kommen wir nicht ins Geschäft. Auf Wiedersehen.«
»Doch, kommen wir.« Nein. Nein, Lua, tu das nicht, bitte. »Ich werde kämpfen.«
Ich schloss die Augen, um Mossarevs triumphierendes Grinsen nicht zu sehen. Ich hätte es wissen müssen. Nie würde sie wegen eines Kampfes aufgeben, nie ihr eigenes Wohl als Erstes im Blick haben. Wie hatte ich nur jemals glauben können, sie hier rauszuhalten?
Ich öffnete abermals die Augen. Am liebsten hätte ich ihm sein Grinsen direkt aus seiner fiesen Visage geschlagen. Lua war neben mich getreten. Ich betrachtete sie flehend. »Du musst das nicht tun, wir finden einen anderen Weg.«
Langsam schüttelte sie den Kopf, bevor sie flüsternd erwiderte: »Nein, den finden wir nicht.«
Hätte ich ihre Zerrissenheit nicht ohnehin spüren können, hätte ich sie spätestens jetzt in Luas Augen erkannt. Sie wollte nicht kämpfen. Allerdings nicht um ihrer selbst willen. Sie wollte es um meinetwillen nicht. Sie wollte mich nicht übergehen, sie wusste, dass ich mir Vorwürfe machen würde, wenn etwas schiefging, sie wusste, dass ich es hasste, wenn sie kämpfte. Aber sie wusste auch, dass sie recht hatte.
Dennoch versuchte ich ein letztes Mal, sie umzustimmen. »Würmchen, wir können ins Auto steigen und einfach wegfahren. Du kannst einen Rückzieher machen, das ist kein Problem. Wir kommen auch anders an diese Scheißinfo.«
Sie lächelte mich gequält an. »Nein, Caelum. Kommen wir nicht. Aber ich werde das schaffen, bestimmt.« Ihr Lächeln wurde ehrlicher. »Ich hatte einen guten Trainer.«
Ich seufzte resigniert. Sie würde ihre Meinung nicht ändern. Also nahm ich ihre Hand in meine und nickte Mossarev zu.
Er hatte sich inzwischen wieder gesetzt und nahm nervenaufreibend langsam einen Schluck von seinem Drink. »Also, das ist der Deal. Eine viertel Million und ein Kampf zwei gegen zwei. Die Gegner bestimme ich.«
Damit hatte ich gerechnet. »Erst die Überweisung, dann die Info, dann der Kampf.«
Er lächelte uns boshaft an. »Ganz sicher nicht. Die Reihenfolge lege ich hier fest. Kampf, Info, Geld. Und das ist schon mehr als entgegenkommend.«
Lua reagierte schneller als ich. »Einverstanden. Wann geht es los?«
Verdammt, warum hatte ich dieses Mädchen bloß nicht ansatzweise im Griff? Wie sollte ich sie jemals beschützen, wenn sie mir ständig einen Strich durch die Rechnung machte?