Dreißig Minuten später saßen wir geduscht, angezogen und höchst lebendig zu sechst in dem Schnellimbiss, den ich gestern nicht erreicht hatte. Neben meinem Vater und Kieron waren auch Sam und Stella zu unserem Treffen erschienen. Die gemeinsame Dusche, die Lua und ich uns eben noch schnell gegönnt hatten, hätte für meinen Geschmack gerne noch etwas ausgiebiger sein können, aber das würde ich wohl nachholen müssen. Zum Frühstück gab es Donuts für alle, außer für Lua. Sie hatte sich tatsächlich diesen seltsamen Käse bestellt.
Ich fragte mich kurz, ob mit ihren Geschmacksnerven irgendwas nicht stimmte, wobei es mir eigentlich völlig egal war. Von mir aus könnte sie auch Spargel mit Schokolade essen, Hauptsache sie war am Leben und hatte Appetit. Ich erinnerte mich nur sehr ungern an die Zeit, in der das anders gewesen war.
Unser aller Wiedersehen war deutlich emotionaler ausgefallen, als ich es mir gewünscht hätte. Allerdings war es inzwischen auch das fünfte Mal innerhalb von nur drei Monaten, dass wir drei dem Tod im absolut allerletzten Moment noch mal entkommen waren. Vermutlich waren wir inzwischen einfach etwas empfindlich geworden, was das Thema anging.
Abgesehen davon machte ich mir um Luas Leben andauernd Sorgen. Dass ich selbst dieses Mal beinahe der Auslöser für unseren Tod gewesen war, steigerte mein Selbstvertrauen nicht unbedingt, was die Sache mit dem Beschützen anging.
Ich atmete tief durch und schob alle Was-wäre-wenn-Gedanken weit von mir fort. Wir hatten Wichtigeres zu besprechen, mussten eine mögliche Schlacht planen. Und dafür brauchten wir Hilfe.
»Also, Dad. Wie du ja weißt, haben wir den Stein endlich gefunden. Soweit die gute Nachricht.« Ich zögerte und nahm noch einen Schluck Kaffee, keine Ahnung, warum es mir immer so schwerfiel, um Hilfe zu bitten. »Die schlechte Nachricht: Falls es zu einer Schlacht kommen sollte, sind wir etwas dünn besetzt.«
Lucifer ließ seinen Blick über unsere kleine Runde schweifen. »Das habe ich durchaus bemerkt«, entgegnete er, wobei seine Augen auffallend lange an Lua hängen blieben. »Machen wir es kurz.« Mit einem süffisanten Seitenblick auf mich fügte er hinzu: »Schließlich weiß ich, wie viel Überwindung es dich kostet, um Hilfe zu betteln.« Er nahm einen letzten Schluck Kaffee, dann begann er, uns seinen Plan darzulegen. »Also, ich kann zwei Dinge für euch tun. Das Portal zur Hölle ist von unserer Seite aus im Moment streng bewacht. Das wird auch so bleiben. Wir werden jeden Dämon aufhalten, der am Tag des Erwachens die Hölle verlassen will, um sich Skaslegur in der Schlacht anzuschließen. Es wird dort unten also eine zweite Schlacht geben, denn vermutlich werden insbesondere die niederen Dämonen in Scharen seinem Ruf folgen wollen.«
Wir nickten einstimmig. Damit war in der Tat zu rechnen.
»Ansonsten werde ich euch ein wenig Verstärkung schicken«, fuhr er nach einem weiteren Schluck Kaffee fort. »Ich habe keine riesige Armee zur Verfügung, insbesondere im Hohen Rat ist nicht viel zu holen. Die niederen Dämonen sind ohnehin raus. Sie sind zu dumm, um für das Gute zu kämpfen. Von den sechs Hohedämonen hat sich Dvozak, der Verräter, leider den Gegnern angeschlossen. Leto ist nicht auffindbar, wofür ich ihn vermutlich zur Rechenschaft ziehen werde. Allerdings habe ich nicht den blassesten Schimmer, welches Motiv bei ihm dahintersteckt. Bleiben noch vier. Ich werde sie unter uns aufteilen.«
Während Lucifer eine Weile aufmerksam in seinem Kaffee rührte, wurde mir mulmig. Zwei Hohedämonen, das würde nicht reichen, selbst wenn sie aus dem Hohen Rat stammten. Schließlich entschied er sich weiterzusprechen.
»Ich habe eine Reihe von Hohedämonen, die sich freiwillig in meine Kerker begeben haben, damit Skaslegur sie nicht erwischt. Sie stehen zu hundert Prozent hinter uns. Insgesamt werdet ihr auf acht bis zehn davon zu eurer Verstärkung kommen. Ich denke, das müsste reichen. Nach meinen Schätzungen dürften sie nicht allzu viele Hohedämonen in ihren Reihen haben. Aus dem Hohen Rat lediglich einen, höchstens zwei.«
Erleichtert atmete ich auf. »Das klingt ziemlich gut.«
Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Nur ziemlich?«
Jap, einen Wunsch hatte ich noch. »Fast perfekt«, nickte ich. »Aber lass Kieron zusätzlich noch Lala und Po rufen. Sie könnten uns verstärken.«
Ich erntete einen völlig irritierten Blick von Lua. »Du willst zwei Teletubbies zur Verstärkung anheuern?«
Kieron grinste breit, während Lucifer mich vorwurfsvoll betrachtete. »Da siehst du es. Ich habe dir schon immer gesagt, dass diese Namen absolut unpassend sind.«
Ich schenkte ihm ein paar verdrehte Augen und Lua einen Kuss auf die Stirn. »Kannst du dich noch erinnern, dass ich dir mal gesagt habe, dass es Drachen in der Hölle gibt?«
Natürlich konnte sie. Ich hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass ihr kleiner neugieriger Kopf jede noch so unwichtige Information aufsog wie ein Schwamm, um sie anschließend fest einzuzementieren. Und wer sich selbst im Angesicht des Todes einen Zahlencode merken konnte, vergaß ganz sicher keine Drachen. In diesem Kopf ging nichts verloren.
»Lala und Po sind zwei Drachen. Ich habe sie vor etwas mehr als zweihundert Jahren gezähmt. Seitdem stehen sie mir zur Seite, wenn ich sie rufe.«
Ihre Miene wechselte von irritiert zu Ist-nicht-dein-Ernst. »Du hast nicht tatsächlich zwei so edlen Geschöpfen so alberne Namen gegeben?«
Lucifer triumphierte innerlich, das war offensichtlich. Ich hingegen hob entschuldigend die Hände. »Hey, sie hießen fast zweihundert Jahre lang Nostradamus und Nofretete, das waren ehrwürdige Namen. Aber ruf die mal, wenn du es eilig hast.«
»Du hättest ihnen Spitznamen geben können. Tete und Nostri, das wär schneller gegangen.«
Mit dem Vorschlag hatte sie Kieron endgültig um seine Beherrschung gebracht. Belustigt zog auch ich die Augenbrauen hoch. »Merkste selbst, oder?«
Tat sie vermutlich, sagte sie aber nicht. »Dann hätten sie wenigstens noch anständige Namen gehabt, wenn du nicht in Eile bist.«
Ich schüttelte den Kopf und gab ihr einen weiteren Kuss, dieses Mal nicht auf die Stirn und etwas ausgiebiger. Letztlich ließ ich nur aufgrund unserer Zuschauer von ihr ab. »Außerdem weißt du doch gar nicht, ob es edle Geschöpfe sind. Sie sind unglaublich frech und starrsinnig.«
Lucifer warf mir einen weiteren süffisanten Blick zu. »Was ja grundsätzlich dein Geschmack zu sein scheint.«
Lua schnappte nach Luft und sah ihn fassungslos an. »Das hast du jetzt nicht gesagt, oder?«
Mein Vater versuchte sich an einem zerknirschten Gesichtsausdruck, der jedoch kläglich scheiterte. Er wusste nicht einmal, was zerknirscht bedeutete. »Nur gedacht«, erwiderte er lachend.
Lua dagegen schnaubte. »Dann ist das ja geklärt.« Immer noch schmollend wechselte sie ihren Blick von ihm zu mir. »Und außerdem war dieser Käse echt eklig. Könnte ich vielleicht doch noch einen Donut haben? Oder zwei?«
Damit war die Anspannung bei allen endgültig verflogen. Lachend standen wir auf, um zu bezahlen. Wir hatten die Steine und wir würden Unterstützung bekommen. Die Zuversicht wuchs. Es schien plötzlich gar nicht mehr so unwahrscheinlich, dass wir es schaffen könnten.