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7. Lua

Warmer Wind wehte uns entgegen, als wir ausstiegen. Wir atmeten tief durch. Unsere Stimmung war irgendwo zwischen ›erleichtert‹ und ›richtig angefressen‹. Der Stein der Hölle war hier, aber keiner von uns war erfreut darüber, ein weiteres Nest gefunden zu haben.

Ich fragte mich, auf wie viele von der Sorte wir wohl noch treffen würden. Wahrscheinlich fragten wir uns das gerade alle. Selbst wenn Caelum und Kieron auch das hier vernichten würden, gab es vermutlich mehr als genug andere auf der Welt, um eine riesige Armee auszuheben. Würden wir uns eines Tages dieser Armee stellen müssen? Würde ich es überhaupt so weit schaffen?

Ich schob die düsteren Gedanken beiseite. Eins nach dem anderen. Jetzt galt es erst einmal, den heutigen Abend zu überstehen und im besten Fall schnell genug zu sein.

Wir sahen uns an, die beiden hatten natürlich keinen Gesprächsbedarf, ich hingegen schon. »Wie viele sind es?«

Kieron wackelte abschätzend mit dem Kopf. »So um die achtzig. Wenn ich mich nicht täusche, sind fünf Hohedämonen dabei.«

Caelum nickte. »Und leider auch ein paar bekannte Gesichter.«

Oh, darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Mussten sie im Zuge unserer Suche auch ehemalige Freunde oder zumindest Bekannte töten? Bereits in Slowenien war eine Hohedämonin dabei gewesen, von der sie meinten, dass sie immer auf Lucifers Seite gestanden hatte. Waren sie vielleicht sogar mit ihr befreundet gewesen? Die Frage musste eindeutig noch ein paar Stunden warten. Selbst ich war der Ansicht, dass das hier kein Ort für eine ausschweifende Fragestunde war.

Wie beim letzten Mal umfasste Caelum meine Schultern und blickte mich durchdringend an. »Kannst du dich noch an das erinnern, was ich dir in Slowenien gesagt habe?«

Ich nickte. Ich wollte es hinter mir haben, war bereit für den Kampf. »Bei dir bleiben. Keine Alleingänge. Die Hohedämonen gehören euch. Gorzata brauchen wir lebend. Genau wie ein paar andere zum Reden, zumindest gegebenenfalls. Sonst noch was?«

Er schüttelte den Kopf und grinste erstaunlicherweise. »Gut aufgepasst, Würmchen.«

Ich rollte mit den Augen. So schwer war das jetzt ja auch nicht.

Langsam gingen wir auf die Hallen zu. Es fiel uns allen leicht, die richtige ausfindig zu machen. Als wir vor dem großen Tor standen, nickten wir uns noch einmal aufmunternd zu, irgendwo hatten wir in den letzten Minuten unsere Motivation wiedergefunden.

Dann öffnete Kieron das Tor und Caelum schob mich dezent hinter sich.

Die erste Frage, die mir beim Öffnen des Tores in den Sinn kam, war, ob meine Wahrnehmung wohl jemals so schnell werden würde, dass ich nachvollziehen konnte, was sie taten.

In dem Moment, in dem wir die Halle betraten, waren die Elemente augenblicklich entfesselt. Anders als in Slowenien musste sich hier niemand zurückhalten. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie es dort unvorstellbarerweise noch getan hatten, schließlich war in unmittelbarer Nähe eine Ortschaft gewesen. Hier gab es nur Wüste. Keine Zeugen.

Die ganze Halle war innerhalb von Sekunden ein einziges Inferno. Wasser konnten vermutlich nur sehr starke Dämonen als Element nutzen, es war hier definitiv Mangelware, aber es trafen Feuerwände und Windhosen wie Detonationen aufeinander. Ich hatte das Gefühl, der Erdboden würde mich jeden Moment verschlucken.

Ich hatte keine Ahnung, ob die niederen Dämonen überhaupt am Kampf beteiligt waren. Wind und Feuer beherrschten alles. Die Elemente krachten mit einer solchen Wucht aufeinander, als ob sich ein Gewitter direkt über meinem Kopf entlud.

Caelum und Kieron waren unfassbar stark, aber konnten sie gegen so viele Gegner bestehen? Zweifel und Angst machten sich in mir breit. Es war ein ohrenbetäubender Lärm in der Halle. Neben den Elementen tobte hier auch der Tod. Die Gegner brüllten sich gegenseitig Befehle zu, dazwischen hörte ich so viele gellende und markerschütternde Schreie, dass sie mich sicher noch eine ganze Weile in meinen Träumen verfolgen würden.

Es war nicht schwer, sich an Caelums Vorgaben zu halten. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, in den Kampf einzugreifen. Ich hätte es nicht eine Sekunde überlebt. Selbst hinter Caelums Rücken war es gefährlich.

Ein paarmal musste er einen Schirm über uns errichten, damit das Feuer mich nicht erwischte, und jedes Mal hatte ich Angst um Kieron, der in diesen Momenten auf sich allein gestellt war. Wie sollte er gegen eine solche Übermacht ankommen?

Doch irgendwann wurde selbst die größte Übermacht kleiner und schwächer. Und ich konnte dem Geschehen endlich folgen. Es waren noch etwas über zwanzig von ihnen übrig, von der Halle hingegen nichts mehr. Inzwischen kämpften sie unter freiem Himmel.

Leider sah ich noch vier sehr menschlich aussehende Dämonen und spürte ihre starken Präsenzen. Es waren zwei Männer und zwei Frauen, zweimal Wind und zweimal Feuer, wie ich sehr schnell bemerkt hatte. Gorzata spürte ich nicht mehr. Da ich aber auch immer noch nicht wusste, wie er aussah, konnte ich nicht überprüfen, ob mein Gefühl mich täuschte.

Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, es war, als ob sich alle Beteiligten nach der ersten Runde neu sortieren mussten. Während alle sechs anwesenden Hohedämonen sich gegenseitig fixierten, versuchten die übrig gebliebenen niederen Dämonen, uns einzukesseln. Ich griff nach einem meiner Messer. Sollten sie es bis in Caelums Rücken schaffen, musste ich doch selbst aktiv werden.

Ohne jede Vorwarnung ging es plötzlich in Runde zwei. Es war nur eine einzige Handbewegung von Caelum und Kieron, aber mit dieser fegten sie die niederen Dämonen von der Bildfläche, als wären sie nichts als lästige Fliegen. Im nächsten Augenblick gingen die Hohedämonen erneut dermaßen brachial aufeinander los, dass ich mir sicher war, dass dieses Schlachtfeld niemand mehr lebendig verlassen würde.

Ich hatte Angst, riesige Scheißangst um unser Leben. Ich drehte mich weg, wollte nicht zusehen, wie es zu Ende ging. Was ich dabei allerdings entdeckte, ließ mich meine Angst sehr schnell vergessen.

Sie hatten nicht alle niederen Dämonen erledigt. Zwei von ihnen waren noch am Leben und wollten sich feige davonschleichen. Es waren ausgerechnet zwei Wasserleichen, was ich in der sandigen Umgebung irgendwie unpassend fand. Abgesehen davon hatte ich die letzte Begegnung mit ihnen viel zu gut im Gedächtnis, und ich lechzte nicht unbedingt nach einer Wiederholung. Ich war definitiv nicht bereit, mir den nächsten Biss einzufangen.

Dennoch überlegte ich bloß eine Sekunde. Sie waren bereits etwa hundert Meter von uns entfernt. Falls wir das hier wider Erwarten überleben sollten, brauchten wir einen Hinweis auf Gorzatas nächsten Aufenthaltsort. Die Hohedämonen würden ihn uns laut Caelum nicht geben. Also brauchten wir die beiden.

Ich betete darum, dass die sechs entfesselten Mächte miteinander beschäftigt waren, und setzte mich in Bewegung. Hinter mir tobte ein Krieg und ich rannte um mein Leben. Kurz spürte ich einen Anflug von Angst, der nicht von mir kam. Caelum hatte gemerkt, dass ich nicht mehr in seiner Nähe war. Die Option eines Sicherheit spendenden Schirms hatte ich damit verlassen.

Dennoch rannte ich weiter. Es lagen nur noch zwanzig Meter zwischen uns, doch inzwischen hatten die zwei bemerkt, dass ich sie verfolgte, auch sie begannen zu rennen. Und sie waren schnell. Verdammt, ich würde sie nicht einholen, wenn sie das Tempo hielten. Ich griff mein Messer fester und fixierte den Rechten von ihnen, dann holte ich aus und warf.

Ich traf ihn mitten im Rücken, woraufhin er taumelte und schließlich stehen blieb. Erstaunlicherweise rannte der Zweite nicht weiter, sondern zögerte und wurde langsamer, während er auf seinen getroffenen Gefährten starrte. Ich zog mein zweites Messer. Es traf seine Schulter.

Der Erste der beiden sackte auf die Knie und fiel vorneüber. Auch der Zweite stoppte nun endgültig und schaute ungläubig auf das Messer, das in seiner Schulter steckte. Schließlich erreichte ich sie. Dem am Boden Liegenden zog ich das Messer aus dem Rücken, ich hatte zu gut getroffen. Er war bereits tot. Mist, das war so nicht geplant gewesen.

Der andere präsentierte mir mit einem widerwärtigen Grinsen seine imposante Zahnreihe. Er war nicht besonders schwer verletzt, trotzdem schien er irgendwie gelähmt. Ich umrundete ihn und trat ihm von hinten in die Kniekehlen. Die Beine knickten ihm weg und er fiel auf die Knie. Jetzt hatte er endlich eine Größe, mit der ich umgehen konnte. Ich zog ihm das Messer aus der Schulter, fasste ihm ihn seine ekligen Haare und riss seinen Kopf zurück. Mein Messer wanderte an seinen Hals.

»Okay, Gollum. Wo ist er hingesprungen?«

Er grinste. »Das würdest du wohl gerne wissen, kleine Steinträgerin.«

Seine Stimme war unerträglich. Man konnte sie schwer beschreiben, sie war irgendwie wässrig und schleimig, genau wie sein Äußeres, aber vor allem bescherte sie mir eine Gänsehaut am ganzen Körper.

»Genauso gerne, wie du am Leben bleiben würdest, oder?«

Er begann irre zu lachen. Die Gänsehaut wurde stärker. »Ich werde sowieso leben. Ihr werdet ihn nicht aufhalten.« Er steigerte sich sofort in seine Rede hinein, klang fanatisch. Zur Hölle, waren die alle so drauf? »Niemand wird ihn aufhalten! Wir werden gewinnen! Wir werden herrschen! Die Welt wird unser sein und ihr kleinen Menschlein unsere Sklaven!«

Während er sich in Hysterie schrie, beschloss ich, dass er eindeutig völlig durchgedreht war. Dennoch erschauderte ich. Wenn seine Vision wirklich eintreten sollte, wollte ich nicht mehr auf der Erde sein. Ich versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Ich brauchte diese Scheißinformation.

Schließlich drückte ich mein Messer fester an seinen Hals. Dunkelbraunes Blut begann über meine Hand zu laufen. Ekel überkam mich, ich musste mich beherrschen, mich nicht zu übergeben. Reiß dich zusammen, Lua, es ist nur Blut.

»Freust du dich schon darauf?« Er nickte. »Träumst du nachts davon, was du mit deinem kleinen Sklavenabschaum alles anstellen möchtest?«

Abgesehen von Blut lief mir jetzt auch noch sein Geifer über den Handrücken. Er war komplett wahnsinnig. Und ich wirklich kurz vorm Erbrechen. Ich drückte fester zu. »Dann solltest du mir jetzt lieber schnell eine klitzekleine Mitteilung machen, ansonsten werde ich deine Träume hier und jetzt mit deinem Kumpel zusammen begraben.«

Er lachte hysterisch. Ich zog mein Messer ein Stück über seinen Hals. Das Blut sprudelte stärker. »Letzte Chance. Dein Leben gegen den nächsten Ort.«

Seine Augen wurden groß, offensichtlich kam die Erkenntnis, dass er das hier nicht in jedem Fall überleben würde, jetzt auch in seinem kranken Hirn an. Trotzdem versuchte er zu verhandeln. »Ich will dein Wort! Du lässt mir mein Leben.«

Ich schluckte, weil ich wusste, dass Caelum und Kieron das anders sehen würden, aber ich nickte. »Das hast du.«

Noch einmal lachte er, gruselig, durchgedreht, geistesgestört. Schließlich leckte er sich über die Lippen. »Peru«, flüsterte er, wobei seine schaurige, irre Stimme mir durch Mark und Bein fuhr.

Das war mir eindeutig zu ungenau. »Wie wär’s mit einem Ortsnamen, Schätzchen?«

Er zögerte einen winzigen Moment, bevor mein Messer an seinem Hals ihm eine weitere Antwort entlockte. »Machu Picchu. Er ist bei den Ruinen.«

Ich schloss die Augen und ließ mein Messer sinken. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch der Krieg in meinem Rücken aufgehört hatte. Ich spürte in mich hinein. Caelum war noch da. Erleichtert atmete ich auf. Dann endlich ließ ich die schmierigen Haare dieses Monsters los und gab ihm einen Schubs nach vorne.

»Sieh zu, dass du mir aus den Augen kommst.«

Er drehte sich ein letztes Mal zu mir um und grinste mich mit wirrem Blick an. Dann kroch er auf allen vieren davon. Er kam genau fünf Meter weit, bis ihn eine Feuerkugel traf und er verglühte.

Sekundenlang starrte ich auf seine Asche, dann fiel ich auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. Mir war plötzlich kalt, ich zitterte, in meinem Kopf rauschte es.

Einen Atemzug später registrierte ich, wie Caelum sich vor mich kniete. Vorsichtig nahm er meine Hände von meinem Gesicht und zog mich in seine Arme. Wir sprachen kein Wort. Ich war viel zu aufgewühlt, um auch nur einen klaren Satz rauszubekommen. Irgendwann schaffte er es, mich mit seiner Wärme und seiner Nähe zu beruhigen.

Beschämt sah ich ihn an. »Ich hatte ihm mein Wort gegeben.«

Caelum schaute mir voller Mitgefühl in die Augen. »Ich weiß ... aber ich nicht.«

Ich nickte, wusste, dass er es hatte tun müssen. Trotzdem hatte ich damit zu kämpfen.

Womit ich allerdings noch kämpfte, war jetzt endgültig mein Mageninhalt. Die Mischung aus braunem zähem Blut und ekelhaftem Sabber auf meiner Hand und meinem Arm, die Erinnerung an seine schleimigen Haare, an sein irres Lachen und seine Zukunftsvision waren zu viel für mich. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, mich aus Caelums Armen zu befreien, dann erbrach ich mich in den trockenen Sand der Wüste.

Dieses Mal ging es allerdings schnell vorbei. Caelum blieb an meiner Seite, obwohl es mir – wie immer – unangenehm war. Wie durch ein Wunder stand plötzlich Kieron mit einem Kanister Wasser neben uns. Keine Ahnung, wo er ihn gefunden hatte, aber er war meine Rettung.

Er ließ das Wasser über meine Hände laufen, bis sie so sauber waren, dass ich auch mein Gesicht etwas waschen konnte und am Ende etwas davon trank. Danach ging es mir besser. Ich war schwach, trotzdem würde ich heute nicht bewusstlos werden. Das war doch mal ein Fortschritt.

Lächelnd betrachtete ich Kieron. »Danke, das war mal wirklich das rettende Wasser in der Wüste.«

Er grinste. »Dafür nicht, Specki. So Dämonensabber kann einen schon mal aus der Fassung bringen«, räumte er großmütig ein.

Schließlich half mir Caelum auf die Füße. Prüfend sah er mich an. »Meinst du, du schaffst es?«

Ich nickte automatisch, eigentlich war ich mir gar nicht so sicher. Der Weg bis zum Auto schien mir plötzlich unüberwindbar weit zu sein. Mit zitternden Beinen legte ich die ersten hundert Meter zurück, bis wir bei den Überresten der Halle und denen von etwa achtzig Dämonen angekommen waren. Caelum und Kieron nickten sich zu. Dann streckten sie ihre Arme nach vorne und legten einen Ring aus Feuer um alles, was vom Kampf übrig war. Während wir dabei zusahen, wie das Feuer unsere Spuren verwischte, legte Caelum seine Arme von hinten um mich. Wären dort nicht gerade achtzig Leichen verbrannt, hätte es romantisch sein können.

Ich stöhnte innerlich auf. Wie konnte sich bei diesem Anblick das Wort ›romantisch‹ überhaupt in mein Hirn schleichen? So langsam schien ich wirklich jede Relation zu verlieren. Dennoch versuchte ich, meinen Kopf an weiteren Zweifeln über mein Verhältnis zum Tod zu hindern. Stattdessen lenkte ich meine Gedanken in Richtung Dankbarkeit.

Ich war froh, dass Caelum mir keine Vorwürfe machte, weil ich nicht bei ihm geblieben war. Schließlich hätte das Ganze sehr schnell tödlich für uns alle enden können. Wenn nur einer der Gegner mir eine Feuerkugel hinterhergeschickt hätte, wäre ich erledigt gewesen und mit mir die beiden und der Rest der Menschheit. Erschöpft und erleichtert lehnte ich mich an seine Brust.

Nach einer ganzen Weile rang Caelum sich zu einer Frage durch. »Würmchen, hat er dir irgendwas verraten?«

Ich nickte, heilfroh, dass mein Regelverstoß sich immerhin gelohnt hatte. »Peru. Unser nächstes Ziel sind die Machu-Picchu-Ruinen.« Ich spürte, wie seine Erleichterung mich erreichte.

Als anstelle eines Schlachtfelds nur noch Asche zu sehen war, machten wir uns auf den Weg zurück zum Auto. Nach ein paar Metern passierte es dann leider doch. Achtzig Dämonen waren einfach zu viele gewesen. Meine Energie war bei null, meine Beine versagten ihren Dienst. Ich taumelte. Bevor ich jedoch fallen konnte, spürte ich, wie Caelums Arme mich hochhoben.

Ich war froh um seine Nähe und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Der intensive Geruch von Sandelholz und die wiegende Bewegung seiner Schritte ließen mich augenblicklich in den Schlaf hinübergleiten.