»Aber warum muss es öffentlich sein?«, beklagte Sperber sich und stapfte rasselnd im Gemach herum, bis sein Plattenpanzer richtig saß.
»Man erwartet es, Liebster«, erwiderte Ehlana ruhig. »Du bist jetzt Angehöriger der königlichen Familie und deshalb verpflichtet, dich bei bestimmten Anlässen in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Du gewöhnst dich mit der Zeit daran.« Ehlana saß in pelzverbrämtem Gewand an ihrer Frisierkommode.
»Es ist nicht schlimmer als ein Turnier«, versicherte ihm Kurik. »Das findet auch öffentlich statt. Würdest du jetzt bitte stehen bleiben, damit ich deinen Schwertgurt gerade schnallen kann?«
Kurik, Sephrenia und Mirtai waren bei Sonnenaufgang ins Brautgemach gekommen, Kurik mit Sperbers Paraderüstung, Sephrenia mit Blumen für die Königin, Mirtai mit dem Frühstück, und Emban, der sich ihnen angeschlossen hatte, mit der Nachricht, dass der offizielle Abschied auf der Freitreppe der Basilika stattfinden würde.
»Weder die Bürger noch Warguns Truppen kennen irgendwelche Einzelheiten, Sperber. Ihr solltet deshalb bei Eurer Ansprache keine näheren Angaben machen«, warnte der dicke Kirchenmann. »Wir werden nur andeuten, dass Ihr beabsichtigt, im Alleingang die Welt zu retten. Wir werden Euch viel Glück wünschen, und alle werden Euch zujubeln. Wir sind es gewöhnt zu lügen; deshalb werden wir bestimmt sehr überzeugend klingen. Natürlich ist das Ganze lächerlich, aber wir wären Euch dankbar, wenn Ihr trotzdem mitmacht. Die Stimmung der Bürger und ganz besonders die von Warguns Truppen ist momentan außerordentlich wichtig.« Mit enttäuschtem Gesicht fuhr er fort: »Ich habe vorgeschlagen, dass Ihr zum Abschluss irgendeinen spektakulären Zauber vollbringt, aber Sarathi hat es verboten.«
»Euer Hang zur Theatralik geht manchmal mit Euch durch, Emban«, rügte Sephrenia, die sich, mit Kamm und Bürste in den Händen, eine neue Frisur für Ehlana ausdachte.
»Ich bin ein Mann aus dem Volk, Sephrenia«, entgegnete Emban. »Mein Vater war Gastwirt, und ich verstehe etwas davon, Menschenmassen zu unterhalten. Die Leute lieben eine gute Schau, und die wollte ich ihnen geben.«
Sephrenia hatte inzwischen Ehlanas Haar zu einer Hochfrisur getürmt. »Wie findet Ihr das, Mirtai?«, fragte sie.
»Vorher hat es mir besser gefallen«, antwortete die Riesin.
»Sie ist jetzt verheiratet. Ihre vorherige Frisur war die eines jungen Mädchens. Jetzt müssen wir aller Welt zeigen, dass sie eine Ehefrau ist.«
»Brennt ihr ein Zeichen ein«, schlug Mirtai vor. »So ist es bei meinem Volk üblich.«
»Wa…as?«, entrüstete sich Ehlana.
»Bei uns wird der Frau, wenn sie heiratet, das Zeichen ihres Mannes eingebrannt – gewöhnlich an der Schulter.«
»Um darauf hinzuweisen, dass sie sein Eigentum ist?«, fragte die Königin spöttisch. »Und was für ein Zeichen trägt der Ehemann? «
»Das seiner Frau. Ehen werden bei uns nicht leichtfertig eingegangen.«
»Ich verstehe, weshalb«, sagte Kurik mit einem gewissen Respekt.
»Esst Euer Frühstück, bevor es kalt wird, Ehlana!«, befahl Mirtai.
»Ich mag gebackene Leber nicht besonders, Mirtai.«
»Sie ist ja auch nicht für Euch. Mein Volk misst der Hochzeitsnacht eine gewisse Bedeutung bei. Viele Bräute werden in dieser Nacht schwanger – behaupten sie zumindest. Es könnte aber auch die Folge einer Generalprobe der Hochzeitsnacht sein. Habt Ihr es nicht versucht?«
»Mirtai!« Ehlana keuchte und errötete tief – wie auch Emban.
»Entschuldigt Ihr mich?«, bat er hastig. »Ich habe noch sehr viel zu erledigen.« Und schon floh er aus dem Gemach.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte Mirtai arglos.
»Emban ist ein Kirchenmann, Liebes«, erklärte Sephrenia ihr und bemühte sich, ihr Lachen zu unterdrücken. »Kirchenmänner ziehen es vor, nicht so viel über dergleichen zu wissen.«
»Wie dumm von ihnen. Esst, Ehlana!«
Die Versammlung auf der Freitreppe der Basilika war nicht direkt eine Zeremonie, sondern einer dieser scheinbar informell formellen Akte zur Unterhaltung der Öffentlichkeit. Dolmant beehrte sie mit seiner Anwesenheit, um ihr feierliches Gewicht zu geben. Die Könige nahmen mit Krone und Staatsrobe teil, um ihr eine offizielle Note zu verleihen, und die Hochmeister der Ritterorden waren da, um den kriegerischen Aspekt zu betonen. Dolmant begann mit einem Gebet, dem die Könige sich mit ein paar Worten und die Hochmeister mit einigen Sätzen anschlossen. Dann knieten Sperber und seine Gefährten nieder und erhielten den Segen des Erzprälaten. Schließlich kam der Abschied Ehlanas von ihrem Prinzgemahl. Danach sprach die Königin von Elenien wieder mit schallender Stimme. Sie befahl ihrem Streiter, auszuziehen und siegreich zurückzukehren. Zum Schluss nahm sie ihren Ring vom Finger und überreichte ihn Sperber als Zeichen ihrer besonderen Gunst. Sperber bedankte sich für ihre Huld, indem er ihr einen anderen Ring mit einem herzförmigen Brillanten an den Finger steckte. Talen hatte ausweichend auf die Frage reagiert, woher der Ring kam, als er ihn Sperber kurz vor Beginn der Feierlichkeit auf der Treppe aufgedrängt hatte.
»Und jetzt, mein Streiter«, schloss Ehlana, vielleicht etwas zu dramatisch, »zieht hinaus mit Euren tapferen Gefährten, und seid versichert, dass unsere Hoffnungen, unsere Gebete und unser Vertrauen Euch begleiten. Nehmt das Schwert, mein Gemahl und Streiter, und verteidigt mich und unseren Glauben, unsere geliebte Heimat und unsere Heilige Mutter Kirche gegen die schändlichen Horden der heidnischen Zemocher!« Zum Schluss umarmte sie ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
»Hübsche Rede, Liebling«, lobte er sie leise.
»Emban hat sie verfasst«, gestand Ehlana. »Er hat überall die Finger im Spiel. Versuch, mir hin und wieder eine Nachricht zukommen zu lassen, mein Gemahl, und sei um Gottes willen vorsichtig!«
Sperber küsste sie sanft auf die Stirn; dann schritten er und seine Freunde entschlossen die Marmortreppe hinunter zu ihren Pferden, während die Glocken der Basilika ein Lebewohl läuteten. Die Hochmeister der Ritterorden, die den Trupp ein Stück des Weges begleiten sollten, folgten. Kring und seine berittenen Peloi warteten bereits auf der Straße. Ehe sie lostrotteten, ritt Kring gemessenen Schrittes zu Mirtai, und sein Pferd sank in ritueller Verehrung vor ihr auf die Knie. Keiner von beiden sprach, doch Mirtai wirkte ein wenig beeindruckt.
»Also gut, Faran«, sagte Sperber, als er sich in den Sattel stemmte, »ich habe nichts dagegen, wenn auch du ein bisschen angibst.«
Der mächtige hässliche Fuchs spitzte erfreut die Ohren; dann tänzelte er hocherhobenen Kopfes, während der kriegerische Trupp Richtung Osttor ritt.
Als sie das Tor passiert hatten, verließ Vanion Sephrenias Seite und lenkte sein Pferd neben Sperber.
»Bleibt wachsam, mein Freund«, riet er. »Habt Ihr den Bhelliom für den Notfall stets griffbereit?«
»Ich trage ihn unter meinem Wappenrock«, erwiderte Sperber. Er musterte seinen Freund. »Versteht es nicht falsch«, sagte er, »aber Ihr seht heute wirklich elend aus.«
»Es ist nur die Müdigkeit, Sperber. Wargun hat uns unten in Arzium ziemlich auf Trab gehalten. Passt gut auf Euch auf, mein Freund. Und jetzt möchte ich noch einmal mit Sephrenia reden, bevor wir uns trennen.«
Sperber seufzte, als Vanion zu der schönen, zierlichen Frau zurückritt, die Generationen von Pandionern in die Geheimnisse von Styrikum eingeweiht hatte. Sephrenia und Vanion sprachen nie offen davon, nicht einmal zueinander, aber Sperber wusste, wie es mit ihnen stand – und er wusste auch, wie unmöglich ihre Situation war.
Kalten zügelte sein Pferd neben ihm. »Na, wie ist die Hochzeitsnacht verlaufen?«, fragte er neugierig.
Sperber bedachte ihn mit einem langen, abweisenden Blick.
»Du möchtest anscheinend nicht darüber reden.«
»Das ist Privatsache, Kalten.«
»Wir sind Freunde seit unserer Kindheit, Sperber. Wir hatten nie Geheimnisse voreinander.«
»Dann haben wir sie jetzt. Es sind zweihundert Meilen bis Kadach, nicht wahr?«
»In etwa. Wenn wir gut vorankommen, müssten wir sie in fünf Tagen schaffen. Hat Martel sich irgendwie besorgt angehört, als er sich mit Annias im Keller unterhalten hat? Ich meine, wie eilig wird er es haben, nun, da wir ihm auf den Fersen sind?«
»Jedenfalls hatte er es sehr eilig, Chyrellos zu verlassen.«
»Dann wird er seinen Pferden einiges abverlangen.«
»Das ist anzunehmen.«
»Wenn er sie so antreibt, werden sie schnell müde. Also haben wir vielleicht noch eine Chance, ihn in ein paar Tagen einzuholen. Ich weiß ja nicht, wie es dir mit ihm geht, aber ich möchte Adus auf jeden Fall erwischen.«
»Ja, wir sollten diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Wie ist das Terrain zwischen Kadach und Moterra?«
»Flach. Hauptsächlich Ackerland. Da und dort Burgen. Dörfer. Es ist nicht viel anders als Ostelenien.« Kalten lachte. »Hast du dir heute Berit schon angesehen? Er hat leichte Schwierigkeiten, sich an seine Rüstung zu gewöhnen. Sie passt ihm nicht besonders gut.«
Berit, der hagere junge Novize, war in einen Rang befördert worden, der in den Orden selten benutzt wurde. Statt Ritteranwärter war er jetzt Rittergeselle. Damit hatte er das Recht bekommen, Rüstung zu tragen, durfte jedoch noch nicht den Titel »Ritter« vor seinem Namen führen.
»Er wird sich daran gewöhnen«, meinte Sperber. »Wenn wir heute Abend lagern, dann zeig ihm, wie man die drückenden Stellen polstern kann. Wir wollen doch nicht, dass er aus den Gelenken seiner Rüstung zu bluten anfängt. Geh aber behutsam vor. Wenn ich mich recht erinnere, sind junge Burschen sehr stolz und ein wenig empfindlich, wenn sie zum ersten Mal Rüstung tragen dürfen. Das legt sich allerdings, wenn die ersten Blasen aufbrechen.«
Als sie eine Hügelkuppe mehrere Meilen außerhalb von Chyrellos erreichten, kehrten die Hochmeister um. Die Ratschläge waren erteilt, die guten Wünsche gesagt, so gab es nun nicht viel mehr als einen festen Händedruck. Sperber und seine Freunde blickten ihren Obersten, die zurück zur Heiligen Stadt ritten, ernst nach.
»Nun«, sagte Tynian, »jetzt, da wir allein sind …«
»Wollen wir uns kurz besprechen«, fiel Sperber ihm ins Wort. Er hob die Stimme. »Domi!«, rief er. »Seid so nett und kommt einen Augenblick zu uns.«
Kring ritt fragenden Blickes den Hang hinauf.
»Hört zu«, begann Sperber. »Martel nimmt offenbar an, dass Azash dafür sorgen wird, dass wir ohne Schwierigkeiten durchkommen, doch Martel könnte sich täuschen. Azash hat viele Diener, die vielleicht allesamt auf uns lauern. Er will den Bhelliom, keine Befriedigung persönlicher Rachegefühle. Kring, ich halte es für das Beste, wenn Ihr ein paar Kundschafter ausschickt.«
»Mach ich, Freund Sperber«, versprach der Domi.
»Sollten wir tatsächlich auf Diener Azashs stoßen, dann haltet Abstand und überlasst sie mir. Ich habe den Bhelliom, ich bin gut für sie gerüstet. Kalten meinte, dass es uns möglicherweise gelingen könnte, Martel einzuholen. Wenn das geschieht, dann versucht, Martel und Annias lebend in die Hände zu bekommen. Die Kirche will sie vor Gericht stellen. Nehmt Arissa und Lycheas ebenfalls fest, sofern es sich ergibt. Ich glaube nicht, dass sie viel Widerstand leisten werden.«
»Und Adus?«, fragte Kalten aufgeregt.
»Adus ist der Sprache kaum fähig, also würde er vor Gericht von keinem großen Nutzen sein. Er gehört dir – betrachte ihn als persönliches Geschenk von mir.«
Sie waren etwa eine weitere Meile geritten, als sie Stragen unter einem Baum sitzend vorfanden.
»Ich dachte schon, Ihr hättet Euch verirrt«, sagte der hagere Dieb und stand auf.
»Ah, haben wir hier einen Freiwilligen?«, fragte Tynian.
»Wohl kaum, alter Junge«, entgegnete Stragen. »Ich hatte nie den Wunsch, Zemoch zu besuchen, und das wird wohl auch nie der Fall sein. Ich komme als Kurier der Königin und als ihr persönlicher Gesandter. Ich werde bis zur zemochischen Grenze mit Euch reiten, wenn Ihr gestattet. Dann kehre ich nach Cimmura zurück, um Ehlana Bericht zu erstatten.«
»Verbringt Ihr nicht sehr viel Zeit fern Eurer Geschäfte?«, fragte Kurik.
»Meine Geschäfte in Emsat führen sich sozusagen von selbst. Tel vertritt dort meine Interessen. Ich brauche ohnehin Urlaub.« Er tippte an mehreren Stellen auf sein Wams. »Ah ja, hier ist es.« Er zog ein gefaltetes Stück Pergament heraus. »Ein Brief für Euch, Sperber. Von Eurer jungen Gemahlin«, sagte er und überreichte ihn. »Es ist der erste von mehreren, die ich Euch aushändigen soll – wenn der Anlass dazu gegeben ist.«
Sperber lenkte Faran ein Stück zur Seite und brach das Siegel auf Ehlanas Brief.
Liebster,
Du bist zwar erst seit ein paar Stunden fort, doch Du fehlst mir bereits entsetzlich. Stragen hat noch weitere Briefe für Dich, Botschaften, die Dir vielleicht helfen, wenn nicht alles nach Wunsch verläuft. Sie werden Dir meine unerschütterliche Liebe und mein Vertrauen zu Dir versichern.
Ich liebe Dich, mein Sperber!
Ehlana
»Wie habt Ihr es geschafft, uns zu überholen?«, fragte Kalten, als Sperber sich wieder zu ihnen gesellte.
»Ihr tragt Rüstung, Ritter Kalten«, erwiderte Stragen. »Ich nicht. Ihr würdet staunen, wie schnell ein Pferd sein kann, wenn es nicht mit so viel Eisen beladen ist.«
»Nun?«, fragte Ulath Sperber. »Schicken wir ihn nach Chyrellos zurück?«
Sperber schüttelte den Kopf. »Er handelt auf Befehl der Königin. Und ich erhielt ausdrückliche Anweisungen. Er kommt mit.«
»Erinnert mich daran, nie königlicher Streiter zu werden«, brummte der Genidianer. »Offenbar sind Politik und alle möglichen Komplikationen damit verbunden.«
Während sie auf der Kadacher Landstraße nordostwärts ritten, bewölkte sich der Himmel, doch es regnete nicht wie beim letzten Mal, als sie hier gewesen waren. Das südöstliche Grenzland von Lamorkand hatte mehr pelosischen denn lamorkischen Charakter, und nur wenige Hügelkuppen in dieser Gegend waren mit einer Burg gekrönt. Durch die Nähe zu Chyrellos gab es jedoch zahlreiche Klöster und Stifte, und Glockengeläut hallte klagend über die Felder.
»Die Wolken ziehen in die falsche Richtung«, stellte Kurik fest, als sie am zweiten Morgen nach ihrem Aufbruch von Chyrellos ihre Pferde sattelten. »Ostwind im Mittherbst verheißt nichts Gutes. Ich fürchte, uns steht ein harter Winter bevor, und das wird nicht sehr angenehm sein für die Truppen, die in Mittellamorkand im Feld sind.«
Sie saßen auf und setzten ihren Weg nordostwärts fort. Am Vormittag schlossen Kring und Stragen sich Sperber an, der an der Spitze des Zuges ritt. »Freund Stragen hat mir einiges über die Tamulerin Mirtai erzählt«, begann Kring. »Hattet Ihr Gelegenheit, mit ihr über mich zu sprechen?«
»Ich habe sozusagen das Eis gebrochen«, erwiderte Sperber.
»Das hatte ich befürchtet. Einiges von dem, was ich jetzt von Stragen weiß, gibt mir Anlass, mir das Ganze noch einmal zu überdenken.«
»Ach?«
»Habt Ihr gewusst, dass sie Messer um Knie und Ellbogen geschnallt hat?«
»Ja.«
»Die Klingen ragen hervor, wenn sie die Knie oder Arme anwinkelt.«
»Ja, das ist so beabsichtigt.«
»Stragen hat gesagt, als Mirtai noch sehr jung war, haben drei Halunken sie überfallen. Sie hat einen Arm angezogen und einem die Kehle durchgeschnitten. Dem zweiten hat sie das Knie in die Weichteile gestoßen, und den dritten hat sie mit der Faust zu Boden geschlagen und ihm ein Messer ins Herz gestochen. Ich bin mir gar nicht sicher, dass ich so eine Frau zum Weib haben möchte. Was hat sie gesagt? Als Ihr von mir erzählt habt, meine ich.«
»Sie hat gelacht.«
»Gelacht?« , stieß Kring geschockt hervor.
»Ich habe den Eindruck, dass Ihr nicht gerade der Mann ihrer Träume seid.«
»Gelacht? Über mich? «
»Ich halte Euren jetzigen Entschluss für sehr weise, Freund Kring«, sagte Sperber. »Ich glaube nicht, dass ihr zwei gut miteinander auskommen würdet.«
Krings Augen drohten aus den Höhlen zu quellen. »Ausgelacht hat sie mich?«, empörte er sich. »Na, wir werden sehen!« Er drehte sein Pferd heftig herum und ritt zu seinen Männern zurück.
»Ihr hättet ihn vielleicht überreden können, wenn Ihr ihm das mit dem Lachen verschwiegen hättet«, bemerkte Stragen. »Jetzt wird er erst recht um sie werben, nur um es ihr zu zeigen. Ich mag ihn und möchte mir lieber nicht ausmalen, was Mirtai wahrscheinlich mit ihm anstellt, wenn er zu aufdringlich wird.«
»Vielleicht können wir es ihm doch noch ausreden«, meinte Sperber.
»Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Was macht Ihr wirklich hier, Stragen?«, fragte Sperber den Blonden. »In den südlichen Königreichen, meine ich.«
Stragen blickte abwesend auf ein Kloster unweit der Straße. »Wollt Ihr tatsächlich die Wahrheit hören, Sperber? Oder wollt Ihr mir lieber kurz Zeit geben, damit ich mir eine Antwort für Euch ausdenken kann?«
»Wie wär’s, wenn wir mit der Wahrheit anfangen? Wenn sie mir nicht gefällt, könnt Ihr Euch ja immer noch etwas einfallen lassen.«
Stragen grinste ihn kurz an. »Na gut. Oben in Thalesien spiele ich nur einen Edelmann. Hier unten bin ich es – zumindest beinahe. Ich verkehre mit Königen und Königinnen, dem Adel und kirchlichen Würdenträgern mehr oder weniger wie einer der ihren …« Er hob die Hand. »Ich mache mir nichts vor, mein Freund, also sorgt Euch nicht um meine geistige Gesundheit. Ich weiß, was ich bin – ein Bastard und Dieb –, und ich weiß, dass meine Nähe zum Adel hier unten nur zeitweilig ist und völlig von meiner Nützlichkeit abhängt. Ich werde geduldet, nicht akzeptiert. Doch mein Selbstbewusstsein ist beträchtlich.«
»Das ist mir nicht entgangen.« Sperber lächelte leicht.
»Ich akzeptiere diese zeitbedingte und oberflächliche Gleichstellung – und sei es nur der Gelegenheit zu kultivierten Gesprächen wegen. Huren und Diebe sind keine sehr anregende Gesellschaft. Das Einzige, was sie zu einem Gespräch beitragen können, sind Fachsimpeleien. Habt Ihr schon einmal gehört, worüber Huren sich unterhalten, wenn sie beisammensitzen?«
»Nein.«
Stragen schüttelte sich. »Man erfährt Sachen über Männer – und Frauen –, die man wirklich nicht wissen möchte.«
»Aber Euer Status bleibt nicht so. Das ist Euch doch klar, Stragen, nicht wahr? Irgendwann werden die Leute ihre Türen vor Euch verschließen.«
»Ihr habt natürlich recht. Aber es macht ungeheuren Spaß, eine Weile so zu tun als ob. Und wenn es erst einmal vorbei ist, werde ich umso mehr Grund haben, Euch widerliche Aristokraten zu verachten.« Stragen machte eine Pause. »Doch Euch mag ich irgendwie, Sperber – zurzeit zumindest.«
Während sie weiter nordostwärts ritten, begegneten sie immer öfter Gruppen Bewaffneter. Die Lamorker waren ohnehin nie sehr weit von totaler Mobilmachung entfernt; daher konnten sie dem Aufruf ihres Königs, zu den Waffen zu eilen, rasch Folge leisten. Als eine traurige Wiederholung der Ereignisse von vor fünf Jahrhunderten strömten Männer aller Königreiche Westeosiens zum Schlachtfeld in Lamorkand. Sperber und Ulath verbrachten die Zeit damit, sich in Troll zu unterhalten. Sperber war nicht sicher, ob er je wieder die Gelegenheit haben würde, mit einem Troll zu sprechen, aber da er die Sprache nun einmal gelernt hatte – wenngleich durch Magie –, erschien es ihm zu schade, sie in Vergessenheit geraten zu lassen.
Sie erreichten Kadach am Ende eines trüben Tages, als die untergehende Sonne die Wolken im Westen mit einem orangefarbenen Glühen tönte, das an einen fernen Waldbrand erinnerte. Der Ostwind war frisch und brachte die erste, noch schwache Kälte des kommenden Winters mit sich. Kadach war eine befestigte Stadt, starr und grau und hässlich. Kring wünschte ihnen gute Nacht und führte – was zur Gewohnheit werden sollte – seine Männer durch die Stadt zum Osttor hinaus, wo sie ihr Lager auf freiem Feld aufschlugen. Die Peloi fühlten sich in der Enge von Städten mit ihren Gassen, Mauern und Dächern nicht wohl. Sperber und seine Freunde indes fanden ein heimeliges Gasthaus nahe der Stadtmitte. Sie badeten, kleideten sich um und fanden sich zu einem Abendessen, bestehend aus gekochtem Schinken und verschiedenerlei Gemüse, in der Gaststube zusammen. Wie üblich, wies Sephrenia den Schinken zurück.
»Ich habe nie verstanden, warum manche Leute guten Schinken durch Kochen verwässern«, bemerkte Ritter Bevier abfällig.
»Lamorker versalzen den Schinken meistens, wenn sie ihn pökeln«, erklärte Kalten. »Deshalb muss man lamorkischen Schinken längere Zeit kochen lassen, ehe er genießbar ist. Sie sind ein merkwürdiges Volk. Sie machen alles zur Mutprobe – sogar das Essen.«
»Wie wär’s mit einem kurzen Spaziergang, Sperber?«, fragte Kurik nach dem Essen.
»Ich glaube, ich hatte heute bereits genügend frische Luft.«
»Du wolltest aber wissen, welchen Weg Martel genommen hat, oder?«
»Hm, da hast du recht. Also gut, sehen wir uns ein wenig um.«
Auf der Straße ließ Sperber den Blick schweifen. »Wir werden mindestens die halbe Nacht brauchen«, brummte er.
»Bestimmt nicht«, widersprach Kurik. »Zuerst spazieren wir zum Osttor, und wenn wir dort nichts finden, nehmen wir uns das Nordtor vor.«
»Du willst einfach die Leute auf der Straße fragen?«
Kurik seufzte. »Überleg doch, Sperber. Wenn jemand auf Reisen ist, bricht er für gewöhnlich am Morgen auf – etwa zur selben Zeit, da andere zur Arbeit gehen. Viele Arbeiter trinken ihr Frühstück, deshalb sind die Schenken zumeist offen. Wenn ein Wirt auf den ersten Gast des Tages wartet, beobachtet er die Straße ziemlich aufmerksam. Glaub mir, Sperber, falls Martel Kadach in den letzten drei Tagen verlassen hat, haben ihn mindestens ein halbes Dutzend Wirte gesehen.«
»Du bist ein außergewöhnlich schlauer Bursche, Kurik.«
»Wenigstens einer von uns muss schlau sein. Wo Ritter in Gruppen auftreten, bleibt das Denken häufig auf der Strecke.«
Die Straßen von Kadach waren nahezu menschenleer, und die paar Bürger, die unterwegs waren, beeilten sich, aus dem heftigen Wind zu kommen, der ihre Umhänge um sie peitschte. Die Fackeln, die an Kreuzungen und Hausecken in Halterungen steckten, flackerten und warfen tanzende Schatten auf das Kopfsteinpflaster.
Der Wirt der ersten Schenke schien sein bester Kunde zu sein. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wann er üblicherweise seine Schenke öffnete – ja, er wusste nicht einmal, ob es jetzt Morgen oder Abend war. Der zweite Wirt war unfreundlich und brummelte nur unverständliches Zeug. Der dritte dagegen erwies sich als geschwätziger alter Kerl, der sich gern unterhielt. »Hm«, murmelte er und kratzte sich am Kopf. »Lasst mich überlegen. In den letzten drei Tagen, sagt Ihr?«
»Ja, in etwa«, antwortete Kurik. »Unser Freund sagte, dass er uns hier treffen würde. Aber wir wurden aufgehalten, und jetzt sieht es ganz so aus, als wäre er ohne uns weitergeritten.«
»Könnt Ihr ihn mir noch mal beschreiben?«
»Ziemlich großer Mann. Er hat möglicherweise Rüstung getragen. Falls er keine Kopfbedeckung aufgehabt hat, müsste er Euch eigentlich aufgefallen sein. Er hat schlohweißes Haar.«
»Erinner mich nicht dran. Könnt sein, dass er durch ein andres Tor geritten ist.«
»Das wäre natürlich möglich, aber wir sind sicher, dass er gen Osten wollte. Vielleicht hat er die Stadt verlassen, bevor Ihr Eure Schenke aufgemacht habt.«
»Unwahrscheinlich. Ich sperr die Tür auf, wenn die Wachen das Tor öffnen. Manche der Kerle, die in der Stadt arbeiten, wohnen in Dörfern weiter draußen, da mach ich in der Früh meistens ein recht gutes Geschäft. Ist Euer Freund denn allein gereist?«
»Nein«, antwortete Kurik. »Er hatte einen Kirchenmann bei sich und eine Edelfrau. Außerdem vielleicht noch einen Burschen, der nicht besonders gescheit aussieht, und einen sehr kräftigen Kerl mit einem Gesicht wie ein Affe.«
»Oh, die Schar! Ihr hättet mich gleich nach dem Affengesicht fragen sollen. Die sind gestern bei Sonnenaufgang aus der Stadt geritten. Und der Affe, von dem Ihr da redet, der ist von seim Pferd runtergestiegen, zu mir gekommen und hat Bier verlangt. Hat wohl mit dem Reden Schwierigkeiten, eh?«
»Er braucht meistens einen halben Tag, ehe er den Gruß erwidert, wenn ihm jemand guten Morgen wünscht.«
Der Wirt kicherte. »Das ist er! Er riecht auch nicht besonders gut, eh?«
Kurik grinste ihn an und wirbelte eine Münze über den Schanktisch zu ihm. »Viel schlimmer als eine offene Jauchegrube riecht er nun auch wieder nicht. Danke für die Auskunft, Freund.«
»Glaubt Ihr, dass Ihr sie noch einholen könnt?«
»Früher oder später ganz bestimmt«, antwortete Kurik grimmig. »War sonst noch jemand bei ihnen?«
»Nein. Bloß die fünf. Von dem Affen abgesehen hatten sie alle Umhänge an und die Kapuzen ins Gesicht gezogen. Drum hab ich auch niemand mit weißen Haaren geseh’n. Sie sind übrigens ziemlich schnell geritten. Wenn Ihr sie einholen wollt, müsst Ihr Eure Pferde ganz schön antreiben.«
»Das werden wir, Freund. Nochmals danke.«
Kurik und Sperber kehrten auf die Straße zurück. »Zufrieden mit der Auskunft?«, fragte Kurik.
»Der Bursche war eine Goldmine, Kurik. Wir wissen jetzt, dass Martels Vorsprung nicht mehr so groß ist, dass er keine Truppen bei sich hat und dass er in Richtung Moterra unterwegs ist.«
»Und wir wissen noch etwas, Sperber.«
»So? Was denn?«
»Dass Adus wieder mal dringend ein Bad braucht.«
Sperber lachte. »Das braucht Adus immer. Wir werden wahrscheinlich fässerweise Wasser über ihn gießen müssen, bevor wir ihn begraben, damit der Boden ihn nicht wieder ausspuckt. Kehren wir zum Gasthaus zurück.«
Als Sperber und Kurik die niedrige Wirtsstube wieder betraten, stellten sie fest, dass ihre Gruppe sich vergrößert hatte.
Talen saß mit großen Unschuldsaugen am Tisch und tat so, als würde er die strafenden Blicke, die auf ihn gerichtet waren, nicht bemerken.