24

Schneeflocken von der Größe einer Halbkrone mischten sich unter den Nieselregen, der in den engen Pass fiel. Raben kauerten mit nassem Gefieder und finsteren Blicken auf den Ästen. Es war ein Morgen, den man am besten unter einem dichten Dach, zwischen festen Mauern an einem molligen Feuer hätte verbringen sollen. Doch in Ermangelung dieser Annehmlichkeiten krochen Sperber und Kurik tiefer in das Wacholderdickicht hinein und warteten.

»Bist du sicher?«, flüsterte Sperber seinem Knappen zu.

Kurik nickte. »Es war zweifellos Rauch, Sperber«, antwortete er ebenso leise. »Und jemand hat sich ziemlich ungeschickt angestellt, Speck zu braten.«

»Wir können nicht viel mehr tun als warten«, brummte Sperber. »Ich möchte nicht versehentlich über irgendjemanden stolpern.« Er versuchte, es sich ein bisschen bequemer zu machen, doch das ging nicht, weil er zwischen den Stämmen von zwei verkümmerten Bäumen eingekeilt war.

»Was hast du?«, wisperte Kurik.

»Von einem Ast über mir tropft es mir auf den Hals und rinnt mir den Rücken hinunter.«

Kurik blickte ihn forschend an. »Wie fühlst du dich?«

»Nass. Trotzdem, danke der Nachfrage.«

»Du weißt genau, was ich meine! Ich soll auf dich achtgeben. Schließlich bist du der Schlüssel des Ganzen. Es spielt keine Rolle, ob wir anderen uns bedauern, aber wenn du es mit Zweifeln und Ängsten zu tun bekommst, sind wir alle in Schwierigkeiten!«

»Sephrenia ist manchmal wie eine Glucke.«

»Sie liebt dich, Sperber. Es ist nur natürlich, dass sie um dich besorgt ist.«

Sie warteten, doch sosehr sie die Ohren spitzten – außer dem Tropfen des Wassers von den Ästen konnten sie nichts hören.

»Sperber«, sagte Kurik schließlich.

»Ja?«

»Falls mir etwas zustößt, kümmerst du dich um Aslade, nicht wahr? Und die Jungs?«

»Dir wird nichts zustoßen, Kurik.«

»Wahrscheinlich nicht, aber ich muss es trotzdem wissen.«

»Du bekommst später eine Pension – eine ziemlich beachtliche sogar. Vielleicht werde ich ein paar Morgen Land verkaufen müssen, um sie bezahlen zu können. Aslade wird gut versorgt sein.«

»Vorausgesetzt natürlich, dass du heil nach Hause kommst«, sagte Kurik.

»Um deine Pension brauchst du dir trotzdem keine Gedanken zu machen, mein Freund. Dafür ist schon in meinem Letzten Willen gesorgt. Vanion wird sich darum kümmern – oder Ehlana.«

»Du denkst an alles, Sperber.«

»Ich habe einen gefährlichen Beruf. Ich muss vorsorgen – für den Fall des Falles.« Sperber grinste seinen Freund an. »Hältst du das für ein geeignetes Thema, um mich aufzuheitern?«

»Ich wollte es nur wissen«, antwortete Kurik. »Es ist beruhigend, wenn alles geregelt ist und man sich über solche Dinge keine Sorgen machen muss. Dann wird Aslade in der Lage sein, den Jungs eine eigene Existenz zu schaffen.«

»Deine Söhne haben bereits einen Beruf, Kurik.«

»Den eines Bauern? Das ist manchmal etwas unsicher.«

»Das habe ich nicht gemeint. Ich habe mit Vanion über sie gesprochen. Euer Ältester wird wahrscheinlich sein Noviziat beginnen, sobald diese Sache vorbei ist.«

»Das ist lächerlich, Sperber!«

»Nein. Der pandionische Orden braucht immer gute Männer, und wenn deine Söhne was von ihrem Vater mitbekommen haben, gehören sie zu den Besten. Wir hätten dich schon vor Jahren zum Ritter geschlagen, aber du hast mich ja nicht einmal darüber reden lassen. Du bist so stur, Kurik!«

»Sperber, du …« Kurik hielt abrupt inne. »Da kommt jemand!«, zischte er.

»Das ist totaler Blödsinn«, erklang es von der anderen Seite des Dickichts im elenisch-styrischen Mischdialekt, der den Sprecher als Zemocher auswies.

»Warum gehst du nicht zu Surkhel zurück und sagst ihm, dass er ein Idiot ist, Houna?«, schlug die andere Stimme vor. »Deine Meinung wird ihn bestimmt interessieren.«

»Surkhel ist ein Idiot, Timak. Er stammt aus Korakach. Alle dort sind entweder wahnsinnig oder schwachsinnig.«

»Unsere Befehle kommen von Otha, nicht von Surkhel, Houna«, erinnerte ihn Timak. »Surkhel tut nur, was man ihm aufträgt.«

»Otha!«, schnaubte Houna. »Ich glaube nicht, dass es wirklich einen Otha gibt. Ich sage dir, die Priesterschaft hat ihn nur erfunden. Wer hat ihn denn schon je gesehen?«

»Du hast Glück, dass ich dein Freund bin, Houna. Mit so einem Gerede könntest du nur zu leicht bei den Aasgeiern enden. Hör auf, an allem zu kritteln. Unsere Arbeit ist nicht so schlimm. Wir brauchen nur herumzureiten und in einer Gegend nach Leuten zu suchen, wo es überhaupt keine gibt. Es sind längst alle aufgesammelt und nach Lamorkand unterwegs.«

»Ich hab genug von diesem Regen, das ist alles.«

»Sei froh, dass es bloß Wasser regnet, Houna. Wenn unsere Freunde auf den Ebenen von Lamorkand auf die Ordensritter treffen, so könnten sie leicht in einen Wolkenbruch aus Flammen rennen – oder Blitzen oder Giftschlangen.«

»So gefährlich können die Ordensritter gar nicht sein«, höhnte Houna. »Schließlich beschützt uns Azash.«

»Schöner Schutz«, zischte nun Timak. »Azash kocht zemochische Kleinkinder zu Fleischbrühe.«

»Das ist abergläubischer Unsinn, Timak.«

»Kennst du auch nur einen, der in seinen Tempel gegangen und wieder zurückgekommen ist?«

Ein schriller Pfiff erklang aus einiger Entfernung.

»Das ist Surkhel«, stellte Timak fest. »Wir ziehen weiter, nehme ich an. Ich frage mich, ob er weiß, wie ärgerlich seine Pfeiferei ist.«

»Er muss pfeifen, Timak. Er hat ja noch nicht reden gelernt. Gehen wir.«

»Was haben sie gesprochen?«, flüsterte Kurik. »Wer sind sie?«

»Sie gehören offenbar zu einer Patrouille«, antwortete Sperber.

»Die nach uns sucht? Ist es Martel trotz allem gelungen, Leute auszuschicken?«

»Das glaube ich nicht. Aus der Unterhaltung der beiden schließe ich, dass sie nach jedermann Ausschau halten, der noch nicht in den Krieg gezogen ist. Am besten, wir holen die anderen und reiten weiter.«

»Was haben sie gesagt?«, wollte auch Kalten wissen, als sie wieder bei den Gefährten waren.

»Nichts von Bedeutung«, erwiderte Sperber. »Sie redeten wie alle anderen Soldaten auf der Welt. Ich glaube, wenn wir diese ganzen Schreckensgeschichten, die man über sie erzählt, außer Acht lassen, werden wir feststellen, dass Zemocher sich gar nicht so sehr von anderen einfachen Leuten unterscheiden.«

»Sie beten Azash an!«, sagte Bevier entrüstet. »Das allein macht sie schon zu Ungeheuern.«

»Sie fürchten Azash, Bevier«, verbesserte ihn Sperber. »Zwischen Fürchten und Anbeten ist ein Unterschied. Ich glaube nicht, dass wir hier einen Krieg bis zur völligen Vernichtung führen müssen. Wir brauchen die Menschen nur von den Fanatikern und den Elitetruppen zu befreien – von Azash und Otha ganz abgesehen. Ich glaube, danach können wir es dem zemochischen Volk selbst überlassen, seine eigene Religion zu wählen, ob es nun die elenische oder styrische ist.«

»Sie sind ein verderbtes Volk, Sperber!«, beharrte Bevier. »Und eine Ehe zwischen Styrikern und Eleniern ist in den Augen Gottes abscheulich!«

Sperber seufzte. Bevier war erzkonservativ, und mit ihm zu streiten, würde zu nichts führen. »Wir können das alles nach dem Krieg klären, hoffe ich«, sagte er. »Jedenfalls können wir jetzt unbedenklich weiterreiten. Natürlich müssen wir auf der Hut sein, aber ich glaube nicht, dass es notwendig ist, ständig in Deckung zu bleiben.«

Sie saßen wieder auf und ritten aus dem Pass auf eine Hochebene mit vereinzelten, kleineren Waldungen. Es regnete nach wie vor, und die dicken Schneeflocken wurden dichter, während sie weiter gen Osten trabten. In der Nacht lagerten sie in einem Nadelwald. Ihr Feuer, das sie mit feuchten Zweigen nährten, war klein und brannte schlecht. Als sie am Morgen erwachten, stellten sie fest, dass schwerer nasser Schnee etwa drei Zoll hoch die Ebene bedeckte.

»Zeit, eine Entscheidung zu treffen, Sperber«, sagte Kurik, der durchs anhaltende Schneegestöber hinaus auf die weiße Ebene blickte.

»So?«

»Wir können weiterhin versuchen, diesem Pfad zu folgen, der nicht besonders gut markiert ist und wahrscheinlich in spätestens einer Stunde nicht mehr zu sehen sein wird, oder wir können nach Norden reiten, dann sind wir gegen Mittag auf der Straße nach Vileta.«

»Das zweite wäre dir lieber, nicht wahr?«

»Allerdings. Ich habe keine große Lust, in einem fremden Land herumzuirren und einen Pfad zu suchen, der vielleicht nicht einmal dorthin führt, wohin wir wollen.«

»Also gut, Kurik. Da du so versessen darauf bist, richten wir uns nach dir. Für mich war eigentlich nur entscheidend, dass wir das Grenzland hinter uns bringen, wo Martel ein paar Überraschungen für uns bereithalten wollte.«

»Wir verlieren einen halben Tag!«, gab Ulath zu bedenken.

»Wir verlieren viel mehr, wenn wir irgendwo in diesen Bergen umkehren müssen«, entgegnete Sperber. »Wir müssen Azash nicht zu einer bestimmten Stunde oder an einem bestimmten Tag treffen. Wir werden ihm jederzeit willkommen sein.«

Sie ritten nordwärts durch den Matsch, die jetzt dicht fallenden Flocken und den Nebel, der selbst die nahen Berge vor ihnen versteckte. Der nasse Schnee klebte an ihnen, was zu ihrer düsteren Stimmung beitrug. Weder Ulath noch Tynian gelang es, ihre Laune mit ein paar gezwungen humorvollen Bemerkungen zu verbessern, und sie gaben es bald auf. So ritten schließlich alle stumm dahin und hingen schwermütigen Gedanken nach.

Wie Kurik vorhergesehen hatte, erreichten sie die Straße nach Vileta gegen Mittag und folgten ihr ostwärts. Nichts wies darauf hin, dass irgendjemand sie benutzt hatte, seit es zu schneien angefangen hatte. Der Abend machte sich an diesem schneetrüben Tag lediglich durch noch stärkere Düsternis bemerkbar. Für die Nacht suchten sie in einer alten, baufälligen Scheune Schutz vor dem Wetter. Und wie immer in Gegenden, wo sie mit Feindseligkeiten rechnen mussten, hielten sie abwechselnd Wache.

Spät am nächsten Tag ritten sie an Vileta vorbei. Es gab nichts in der Stadt, was sie gebraucht hätten, und es war besser, kein unnötiges Risiko einzugehen.

»Verlassen«, sagte Kurik, als sie an der Stadt vorüberritten.

»Woher willst du das wissen?«, fragte Kalten ihn.

»Kein Rauch. Es ist kalt und schneit immer noch. Wenn jemand da wäre, hätten sie Feuer gemacht.«

»Ob die Leute wohl irgendwas vergessen haben, als sie die Stadt verließen?«, sagte Talen mit glänzenden Augen. »Verschwende keinen Gedanken daran!«, mahnte Kurik ihn scharf.

Auch in den darauffolgenden zwei Tagen hielt das schlechte Wetter an, und die düstere Stimmung blieb.

»Warum tun wir das, Sperber?«, fragte Kalten gegen Tagesende verdrossen. »Warum wir?«

»Weil wir Ordensritter sind.«

»Es gibt auch noch andere Ordensritter! Haben wir nicht schon genug getan?«

»Möchtest du umkehren? Ich habe dich nicht gebeten mitzukommen – und auch keinen der anderen.«

Kalten schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Vergiss, was ich gesagt habe.«

Doch Sperber vergaß es nicht. An diesem Abend zog er Sephrenia zur Seite. »Ich glaube, wir haben ein Problem.«

»Sind Euch ungewöhnliche Empfindungen aufgefallen?«, fragte sie rasch. »Die Euch fremd erscheinen und von außerhalb kommen könnten?«

»Ich weiß nicht recht, was Ihr meint.«

»Ich glaube, wir alle haben es bereits ein paarmal erlebt – diese plötzlichen Anfälle von Zweifel und Niedergeschlagenheit.« Sie lächelte leicht. »Das passt nicht zu einem Ordensritter. Meistens seid Ihr sogar übertrieben optimistisch. Diese Zweifel, diese Düsterkeit wird uns von außen aufgezwungen. Ist es das, was Ihr fühlt? Ist dies das Problem, das Ihr meint?«

»Es geht nicht um mich«, versicherte Sperber. »Ich fühle mich zwar ein bisschen bedrückt, aber ich glaube, daran ist nur das Wetter schuld. Ich rede von den anderen. Kalten fragte mich heute, warum ausgerechnet wir diesen Ritt unternehmen. Der Kalten, den ich kenne, würde nie solche Fragen stellen. Für gewöhnlich muss man ihn zügeln, aber jetzt möchte er am liebsten nach Hause zurückkehren. Wenn alle meine Freunde so empfinden, warum fühle ich es dann nicht ebenfalls?«

Sie blickte hinaus in das Schneetreiben. Wieder wurde Sperber ihre zeitlose Schönheit bewusst. »Ich glaube, er hat Angst vor Euch«, sagte sie nach einer Weile.

»Kalten? Unsinn!«

»Ihn meinte ich nicht. Azash hat Angst vor Euch, Sperber.«

»Das ist absurd!«

»Ich weiß, aber ich glaube es trotzdem. Ihr habt mehr Macht über den Bhelliom als irgendjemand zuvor. Das ist es, was Azash wirklich Angst macht. Darum wagt er es nicht, Euch direkt herauszufordern, und deshalb versucht er, Eure Freunde zu entmutigen. Er geht gegen Kalten und Bevier und die anderen vor, weil er es bei Euch nicht wagt.«

»Und Ihr?«, fragte er. »Fühlt Ihr die Verzweiflung auch?«

»Natürlich nicht.«

»Wieso ist das natürlich?«

»Es würde zu lange dauern, Euch das zu erklären. Ich kümmere mich um die Sache, Sperber. Geht schlafen.«

Am nächsten Morgen wurden sie von vertrauten Klängen geweckt. Die Töne waren klar und rein, und obwohl das Lied der Syrinx in Moll war, klang unerschütterlicher Frohsinn aus ihm. Ein Lächeln zog über Sperbers Lippen, und er rüttelte Kalten wach. »Wir haben Besuch«, sagte er.

Kalten saß abrupt auf und griff nach seinem Schwert, als auch er die Flötenklänge hörte. »Na, so was!« Er grinste. »War auch an der Zeit. Wie ich mich freue, sie wiederzusehen!«

Sie traten aus dem Zelt und schauten sich um. Es schneite immer noch, und der Nebel hing hartnäckig zwischen den Bäumen. Sephrenia und Kurik saßen an dem kleinen Feuer vor ihrem Zelt.

»Wo ist sie?«, fragte Kalten und ließ den Blick wandern.

»Sie ist hier.« Sephrenia nippte ruhig ihren Tee.

»Ich kann sie nicht sehen.«

»Das braucht Ihr auch nicht, Kalten. Hauptsache Ihr wisst, dass sie da ist.«

Auch die anderen kamen mit strahlenden Gesichtern aus ihren Zelten. Ulath lachte sogar gut gelaunt.

Alle waren bester Stimmung, und der graue Morgen erschien ihnen fast sonnig. Sogar ihre Pferde waren lebhaft, ja unternehmungslustig. Sperber und Berit gingen mit der allmorgendlichen Haferration zu den Tieren, um sie zu füttern. Normalerweise begrüßte Faran den neuen Tag mit verdrossenem Blick, doch heute wirkte der mächtige hässliche Fuchs friedlich. Er starrte auf eine große, ausladende Buche. Sperber folgte seinem Blick und blieb wie angewurzelt stehen. Der Baum war noch halb vom Nebel verborgen, doch Sperber vermeinte ganz deutlich die vertraute Figur des kleinen Mädchens zu erkennen, das eben erst ihre Niedergeschlagenheit mit seinem fröhlichen Lied vertrieben hatte. Flöte sah genauso aus wie damals, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie saß auf einem Ast und hielt ihre Syrinx an die Lippen. Das Stirnband aus geflochtenem Gras hielt ihr glänzend schwarzes Haar zusammen. Sie trug auch jetzt den kurzen Linnenkittel mit Gürtel, und sie hatte die zierlichen Füße, die wie immer Grasflecken aufwiesen, überkreuzt. Ihre großen dunklen Augen blickten ihn an, und niedliche Grübchen waren auf ihren Wangen zu sehen.

»Berit«, sagte Sperber leise. »Schaut!«

Der junge Rittergeselle drehte sich um und blieb wie angewurzelt stehen. »Hallo, Flöte!«, grüßte er sie, und es hörte sich erstaunlicherweise gar nicht überrascht an.

Aphrael erwiderte seinen Gruß mit einem kurzen Triller und setzte ihre Melodie fort. Dann wallte der Nebel um den Baum, und als er sich auflöste, war sie verschwunden.

»Sie sieht gut aus, nicht wahr?«, sagte Berit.

»Wie könnte es anders sein?« Sperber lachte.

Danach vergingen die Tage wie im Flug. Wenn sie sich vorher düster durch das Grau und den Schnee geschleppt hatten, ritten sie nun wie in Festtagsstimmung dahin. Sie lachten und scherzten und achteten kaum auf das Wetter, obwohl es nicht besser geworden war. Es schneite weiterhin jede Nacht durch, doch bis zum Mittag wurden die Flocken zu Regen, der den Schnee schmolz, sodass er sie nicht behinderte, auch wenn sie meist durch Matsch reiten mussten. Hin und wieder schallte Aphraels Flöte ermutigend durch den Nebel.

Mehrere Tage später sahen sie von einer Anhöhe die bleigraue Weite des Merjuker Meerbusens vor sich, halb verborgen durch Nebel und das eisige Nieseln. An der Küste unter ihnen kauerte sich eine beachtliche Zahl niedriger Häuser zusammen.

»Das muss Albak sein«, sagte Kalten. Er wischte sich übers Gesicht und spähte zu dem Städtchen hinunter. »Ich sehe keinen Rauch«, bemerkte er. »Nein, wartet. Aus einem Schornstein steigt welcher auf – dort, nahe der Stadtmitte.«

»Reiten wir hinunter«, sagte Kurik. »Wir müssen sowieso ein Boot stehlen.«

Albaks Straßen waren ungepflastert und mit einer hohen wässrigen Schneeschicht bedeckt. Sie war völlig unberührt, was darauf hinwies, dass die Stadt unbewohnt war. Die dünne Rauchsäule, die sie vom Hügel aus gesehen hatten, kräuselte sich aus dem Schornstein einer niedrigen Hütte an einem Platz in der Stadtmitte. Ulath sog die Luft ein. »Dem Geruch nach eine Schenke«, meinte er.

Sie saßen ab und traten ein. Die Stube war lang und niedrig, mit rußigen Deckenbalken und modrigem Stroh am Boden. Es war klamm und roch muffig. Fenster gab es keine; nur ein armseliges Herdfeuer an der hinteren Seite spendete Licht. Ein Buckliger zerbrach mit dem Fuß eine Bank zu Feuerholz. »Wer ist da?«, rief er, als sie eintraten.

»Reisende«, antwortete Sephrenia auf Styrisch, und ihre Stimme klang seltsam fremd. »Wir suchen für die Nacht ein Dach über dem Kopf.«

»Sucht nicht hier«, knurrte der Bucklige. »Das ist mein Haus.« Er warf ein paar Stücke der zertrümmerten Bank in den offenen Herd, legte sich eine schmutzige Decke um die Schultern und setzte sich. Dann zog er ein kleines Bierfass näher heran und streckte die Hände über die schwächlichen Flammen.

»Wir begeben uns gern anderswohin«, versicherte Sephrenia ihm. »Doch zuerst brauchen wir eine Auskunft.«

»Fragt jemand anders.« Er blinzelte sie an. Da erst sahen sie, dass er schielte und nahezu blind sein musste.

Sephrenia ging über das faulige Stroh und stellte sich vor den unfreundlichen Buckligen. »Ihr seid offenbar der Einzige hier.«

»Ja«, antwortete er mürrisch. »Alle anderen sind fort, um in Lamorkand zu sterben. Ich werde hier sterben, da brauche ich nicht so weit zu gehen. Und jetzt lasst mich in Ruhe.«

Sie streckte den Arm aus, hielt ihn vor sein stoppelbärtiges Gesicht. Das Abbild des Schlangenkopfes erhob sich züngelnd von ihrem Handteller. Der fast blinde Bucklige runzelte die Stirn und drehte das Gesicht einmal so, dann so, um erkennen zu können, was Sephrenia da hielt. Plötzlich schrie er erschrocken auf, kippte mit dem Hocker nach hinten und stieß gegen das Bierfass, dass es auszurinnen begann.

»Ihr habt meine Erlaubnis, mir die Ehre zu erweisen«, sagte Sephrenia in unerbittlichem Tonfall.

»Ich … ich wusste ja nicht, dass Ihr eine Priesterin seid«, stammelte er. »Vergebt mir!«

»Wir werden sehen. Ist außer Euch niemand in der Stadt?«

»Nein, Priesterin – ich bin ganz allein. Ich bin zu verkrüppelt, als dass ich reisen könnte. Und ich kann kaum noch sehen. Man hat mich zurückgelassen.«

»Wir suchen eine andere Gruppe Reisender – vier Männer und eine Frau. Einer der Männer hat weißes Haar. Ein anderer sieht aus wie ein Tier. Habt Ihr sie gesehen?«

»Bitte, tötet mich nicht!«

»Dann redet!«

»Ein paar Leute sind gestern hier durchgekommen. Vielleicht waren es die, nach denen Ihr sucht. Sicher weiß ich es nicht, weil sie nicht nahe genug ans Feuer getreten sind, dass ich ihre Gesichter hätte sehen können. Aber sie haben geredet. Sie sagten, sie wollten nach Aka und von dort zur Hauptstadt. Sie haben Tassalks Boot gestohlen.« Der Bucklige ließ sich auf den Boden sinken, schlang die Arme um den Körper und begann, rhythmisch hin und her zu schaukeln, wobei er leise stöhnte.

»Er ist verrückt«, flüsterte Tynian Sperber zu.

»Ja«, bestätigte Sperber traurig.

»Alle fort«, sagte der Bucklige in einem eigentümlichen Singsang. »Alle fort, um für Azash zu sterben. Um die Elenier zu töten und dann zu sterben. Azash liebt den Tod. Alle sterben. Alle sterben. Alle sterben für Azash.«

»Wir werden uns ein Boot nehmen«, erklärte Sephrenia.

»Nehmt. Nehmt. Niemand wird zurückkommen. Alle sterben, und Azash wird sie fressen.«

Sephrenia wandte sich um und kehrte zu den anderen zurück. »Wir gehen«, sagte sie.

»Was wird aus ihm?«, fragte Talen sie mit gedämpfter Stimme. »Er ist ganz allein hier und fast blind!«

»Er wird sterben.«

»Ganz allein?«, fragte Talen bedrückt.

»Jeder stirbt allein, Talen.« Sie führte die Gefährten entschlossen aus der stinkenden Schenke.

Doch kaum waren sie im Freien, fing sie zu weinen an.

Sperber ging zu seinem Sattelbeutel und holte die Karte heraus. Stirnrunzelnd studierte er sie. »Warum will Martel nach Aka?«, fragte er Tynian. »Das ist ein riesiger Umweg.«

»Von Aka nach Zemoch führt eine Straße.« Tynian deutete auf die Karte. »Wir haben ihn ziemlich gehetzt. Seine Pferde sind wahrscheinlich erschöpft.«

»Könnte sein. Und Martel ist noch nie gern querfeldein geritten.«

»Nehmen wir den gleichen Weg?«

»Nein. Martel versteht nicht viel von Booten, deshalb wird er mehrere Tage da draußen im Meerbusen herumtreiben. Kurik dagegen ist Seemann und kann uns auf geradem Weg übersetzen. Von der Ostküste könnten wir es in etwa drei Tagen bis zur Hauptstadt schaffen. Wir haben immer noch eine gute Chance, vor Martel dort zu sein. – Kurik«, rief er. »Suchen wir uns ein Boot.«

Sperber lehnte sich an die Reling des großen, teerbeschmierten Schwertbootes, das Kurik ausgesucht hatte. Der Wind hatte auf West gedreht, und ihr Boot brauste über das kabbelige Wasser des Meerbusens nach Osten. Sperber griff unter seinen Kittel und holte Ehlanas Brief heraus.

Liebster,

wenn alles gut gegangen ist, müsstest Du nun nahe der zemochischen Grenze sein, und ich muss glauben, dass alles gut gegangen ist, wenn ich nicht den Verstand verlieren will. Du und Deine Gefährten, ihr werdet es bestimmt schaffen, mein geliebter Sperber. Ich weiß das so gewiss, als hätte es mir Gott selbst gesagt. Wir waren von Anfang an bestimmt, einander zu lieben und zu heiraten. Unsere Begegnung und unsere Heirat waren Teil eines größeren Planes, ebenso wie es die Schar Deiner Gefährten war. Wer sonst in aller Welt wäre besser geeignet, Dich zu unterstützen, als die großen Männer, die mit Dir reiten? Kalten und Kurik, Tynian und Ulath, Bevier und der liebe Berit, der noch so jung und so mutig ist. Ihr alle seid durch Liebe und das gemeinsame Ziel verbunden. Du kannst gar nicht anders als Erfolg haben mit solchen Männern an Deiner Seite. Beeile Dich, mein Streiter und Gemahl. Führe Deine unbesiegbaren Kameraden zum Bau unseres Urfeindes und stelle ihn. Azash, erzittere, denn Ritter Sperber kommt mit dem Bhelliom in der Faust, und nicht einmal die geballte Macht der Hölle kann seiner Kraft widerstehen. Beeile Dich, mein Liebster, und denke daran, dass Du nicht nur mit dem Bhelliom gewappnet bist, sondern auch mit meiner Liebe.

Ich liebe Dich,

Ehlana

Sperber las den Brief ein paarmal. Seine junge Gemahlin hatte offenbar eine Vorliebe für große Reden. Sogar ihre Briefe klangen wie eine öffentliche Ansprache. So ergreifend die Botschaft auch war, Sperber hätte sich etwas weniger Ausgefeiltes, etwas Direkteres gewünscht. Er wusste natürlich, dass die Gefühle, die Ehlana ausdrückte, aus ihrem Herzen kamen, doch an ihrer Vorliebe für geschliffene Phrasen kamen auch sie nicht vorbei. Na ja, dachte er seufzend. Sie wird wahrscheinlich lockerer werden, wenn wir uns besser kennen.

Als Berit an Deck kam, las Sperber den Brief noch einmal; dann traf er eine rasche Entscheidung. »Berit«, rief er, »könnte ich mit Euch sprechen?«

»Selbstverständlich, Ritter Sperber.«

»Ich dachte, Ihr würdet das vielleicht gern lesen.« Sperber reichte ihm den Brief.

Berit blickte darauf. »Aber das ist etwas Persönliches, Ritter Sperber«, wandte er ein.

»Es betrifft Euch, glaube ich. Es hilft Euch möglicherweise, mit einem Problem zurechtzukommen, das Euch in letzter Zeit zu schaffen macht.«

Berit las den Brief, und ein seltsamer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht.

»Hilft es Euch irgendwie?«, fragte Sperber.

Berit errötete. »I…ihr habt es gewusst?«, stammelte er.

Sperber lächelte ein wenig ironisch. »Ich weiß, dass es Euch schwerfallen mag, das zu glauben, mein Freund, aber auch ich war einmal jung. Was Euch passiert ist, ist wahrscheinlich jedem jungen Mann passiert, seit es junge Männer gibt. In meinem Fall war es eine schöne Hofdame, und ich war ganz sicher, dass die Sonne in ihren Augen auf- und unterging. Ich denke hin und wieder auch jetzt noch an sie – voller Zuneigung.«

»Aber Ihr seid verheiratet, Ritter Sperber!«

»Erst seit Kurzem, und es hat nichts mit dem zu tun, was ich für diese junge Edeldame empfand. Ich nehme an, dass Ihr sehr oft von Ehlana träumt. In solchen Fällen geht es uns allen so, und es könnte sein, dass es bessere Männer aus uns macht.«

»Ihr werdet es der Königin doch nicht erzählen?«, fragte Berit verstört.

»Wahrscheinlich nicht, nein. Es betrifft sie ja nicht wirklich. Eure Empfindungen gehören zum Erwachsenwerden, Berit. Jeder macht es einmal durch – wenn er Glück hat. Das wollte ich Euch klarmachen.«

»Dann hasst Ihr mich nicht, Ritter Sperber?«

»Euch hassen? Großer Gott, nein, Berit. Ihr würdet mich enttäuschen, wenn Ihr nicht für irgendein junges Mädchen so empfinden würdet.«

Berit seufzte. »Danke, Ritter Sperber.«

»Berit, Ihr werdet bald selbst ein pandionischer Ritter sein, und das macht uns zu Brüdern. Meint Ihr nicht auch, dass es besser klänge, wenn Ihr mich nur Sperber nennt und das ›Ritter‹ fortlasst?«

»Wenn Ihr das möchtet, Sperber.« Berit gab seinem Freund den Brief zurück.

»Wie wär’s, wenn Ihr ihn für mich aufbewahrt? In meinen Satteltaschen ist ein ziemliches Durcheinander, und ich möchte den Brief nicht gern verlieren.«

Schulter an Schulter gingen die beiden Männer danach zum Heck, um Kurik zu fragen, ob er Hilfe auf dem Boot brauchte.

An diesem Abend warfen sie einen Treibanker aus. Als sie am nächsten Morgen erwachten, stellten sie fest, dass es zu schneien und zu regnen aufgehört hatte, wenngleich der Himmel immer noch bleigrau war.

»Die Wolke ist wieder da, Sperber!«, meldete Berit, der vom Heck herbeikam. »Sie ist zwar sehr weit hinter uns, aber unverkennbar.«

Sperber blickte nach achtern. Nun, da er die Wolke deutlich sehen konnte, wirkte sie gar nicht so bedrohlich. Solange sie dieser vage Schatten am Rand seines Blickfelds gewesen war, hatte er unbeschreibliches Grauen empfunden. Nun musste er sich zwingen, sie nicht zu unterschätzen und einfach nur als lästig zu empfinden. Trotz allem war sie nach wie vor gefährlich. Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen. Es sah ganz so aus, als wäre auch ein Gott nicht unfehlbar und der Wirkung seiner Mittel nicht immer sicher.

»Warum löst du dieses Ding nicht einfach mit dem Bhelliom auf, Sperber?«, fragte Kalten gereizt.

»Weil es sich neu bilden würde. Warum sich also die Mühe machen?«

Am Vormittag gingen sie an einem schneebedeckten Küstenstreifen von Bord. Sie ließen die Pferde an Land waten, stießen das Boot ins tiefere Wasser zurück, bis es davontrieb, saßen auf und ritten landeinwärts.

Das Land östlich des Meerbusens war viel trockener als das Gebirge im Westen. Eine Schicht feinen schwarzen Sandes bedeckte die steinigen Hügel, und an geschützteren Stellen lag eine dünne Schicht Pulverschnee. Der Wind war beißend kalt und wirbelte Staub- und Schneewolken um sie auf, während sie weiterritten, sodass sie Mund und Nase mit Tüchern schützen mussten. Es hatte den Anschein, als zögen sie durch ewiges Zwielicht.

»Schnell kommt man da nicht voran«, bemerkte Ulath lakonisch, während er sich vorsichtig den Staub aus den Augen wischte. »Martels Entschluss, den Weg über Aka zu nehmen, war klug.«

»Ich bin überzeugt, dass die Straße von Aka nach Zemoch ebenso kalt und staubig ist.« Sperber lächelte. »Martel ist eitel und selbstgefällig. Schmutzig zu sein liebt er gar nicht. Die Vorstellung, dass ihm ein paar Pfund feinen schwarzen Sandes, mit Schnee gemischt, den Rücken hinunterrieseln, gefällt mir.«

»Das ist kein feiner Zug von Euch, Sperber«, tadelte Sephrenia.

»Ich weiß.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber was Martel betrifft, kann ich nicht anders.«

In dieser Nacht fanden sie Zuflucht in einer Höhle, und als sie am Morgen ins Freie traten, war der Himmel klar. Doch der Wind blies stärker und wirbelte Wolken des allgegenwärtigen Staubes auf.

Berit gehörte zu den jungen Männern, die ihre Pflichten sehr ernst nahmen. Er hatte sich, kaum dass der Morgen graute, draußen umgesehen, und kehrte gerade zurück, als die anderen sich am Höhleneingang versammelten. Beim Näherkommen konnten sie deutlich den Abscheu in seiner Miene sehen. »In der Nähe sind Leute, Sperber«, meldete er, als er absaß.

»Soldaten?«

»Nein. Es sind alte Menschen dabei, auch Frauen und Kinder. Sie haben ein paar Waffen, aber offenbar können sie nicht so recht damit umgehen.«

»Was machen sie?«, wollte Kalten wissen.

Berit hüstelte nervös und schaute sich um. »Ich möchte lieber nicht davon sprechen, Ritter Kalten. Und es wäre besser, wenn die erhabene Sephrenia sie gar nicht erst sieht. Sie haben eine Art Altar mit einem Idol aus Ton errichtet und sie tun Dinge, die man nicht in der Öffentlichkeit tun sollte.«

»Sephrenia muss es erfahren«, entschied Sperber.

»Ich kann es ihr nicht sagen, Sperber.« Berit errötete. »Ich könnte ihr einfach nicht beschreiben, was die Leute machen.«

»Berichtet in groben Zügen, Berit. Ihr müsst Euch ja nicht in Einzelheiten verlieren.«

Sephrenia wollte es jedoch in allen Einzelheiten wissen. »Also, erzählt, was genau sie machen, Berit!«

»Ich wusste , dass sie es verlangen würde«, murmelte Berit vorwurfsvoll zu Sperber. »Sie … äh … sie opfern Tiere, erhabene Sephrenia. Und sie tragen keine Kleidung – nicht einmal in dieser Kälte. Sie schmieren das Blut der Opfertiere auf ihre Leiber und … äh …«

»Ich verstehe schon«, beruhigte sie ihn. »Ich kenne das Ritual. Beschreibt die Leute. Sehen sie wie Styriker aus? Oder wie Elenier?«

»Viele von ihnen sind blond, erhabene Sephrenia.«

»Ah. Dann weiß ich, was sie sind. Sie stellen keine große Gefahr dar. Das Idol ist jedoch eine andere Sache. Wir müssen es zerschmettern.«

»Aus demselben Grund, aus dem wir das Idol im Keller in Ghasek zerstören mussten?«, fragte Kalten.

»Richtig.« Sie verzog das Gesicht. »Ich sollte das ja eigentlich nicht sagen, aber es ist nun mal so, und darum sag ich es: Die Jüngeren Götter haben einen Fehler gemacht, als sie Azash im Heiligtum bei Ghanda in das Idol aus Ton verbannten. Denn dieses Idol kann von Menschen nachgebildet werden, und mithilfe gewisser Rituale kann der Geist Azashs in diese Nachbildungen dringen.«

Die unbekleideten Zemocher in der Schlucht glänzten nicht gerade durch Sauberkeit. Ihr Haar war strähnig und verfilzt. Die nackten Anbeter schienen Bauern und Hirten zu sein. Sie kreischten vor Angst, als die Ritter in Kettenhemden in ihre Mitte stürmten. Dass die Angreifer als Zemocher getarnt waren, erhöhte ihre Verwirrung noch. Viele suchten kopflos das Weite.

Vier Zemocher trugen einfache Priestergewänder und standen vor dem Altar, auf dem sie soeben eine Ziege geopfert hatten. Drei dieser Priester starrten den Rittern mit offenen Mündern wie gelähmt entgegen, aber der vierte, ein Mann mit schmalem Kopf und dünnem Bart gestikulierte und stieß verzweifelt styrische Worte hervor. Er brachte eine Reihe von Erscheinungen zustande, die jedoch so ungeschickt geformt waren, dass sie eher zum Lachen reizten.

Die Ritter trotteten unbeeindruckt durch diese Erscheinungen und die kopflose Menge hindurch.

»Verteidigt unseren Gott!«, kreischte der Priester, dem Schaum aus dem Mund geiferte. Doch seine Anhänger hielten es für ratsamer, ihm nicht zu gehorchen.

Das tönerne Idol auf dem primitiven Altar schien sich ganz leicht zu bewegen, so wie ein ferner Berg in der flimmernden Hitze eines Sommertages zu tanzen und zu zittern scheint. Welle um Welle purer Bösartigkeit strahlte von der Figur aus, und die Luft war mit einem Mal tödlich kalt. Sperber spürte, wie seine Kraft schwand, und Faran stockte. Plötzlich schien sich der Boden vor dem Altar aufzubäumen. Irgendetwas rührte sich unter der Oberfläche, etwas so Grauenvolles, dass Sperber vor Ekel den Blick abwandte. Der Boden hob sich, und Sperber spürte, wie eisige Furcht nach seinem Herzen griff. Das Licht begann vor seinen Augen zu schwinden.

»Nein!«, rief Sephrenia durchdringend. »Lasst Euch nicht erschrecken! Es kann Euch nichts anhaben!« Sie sprach rasche styrische Worte, dann streckte sie die Hand aus. Was darauf erschien, glühte hell und war zuerst nur apfelgroß, doch als es in die Luft stieg, wuchs es und leuchtete immer stärker, bis es fast so aussah, als hätte Sephrenia eine kleine Sonne herbeibeschworen, die nun vor dem Idol schwebte. Die strahlende Kugel brachte eine so sommerliche Hitze mit sich, dass sie der tödlichen Kälte ein Ende machte. Der Erdboden glättete sich, und das Idol erstarrte zur Leblosigkeit.

Kurik lenkte seinen zitternden Wallach herbei und schwang seinen schweren Streitkolben. Der wuchtige Hieb zerschmetterte das grässliche Idol, und die Scherben flogen in alle Richtungen.

Die nackten Zemocher wimmerten in tiefster Verzweiflung.