I ch fühle mich fast so, als wäre ich in meiner alten Heimat.« Die Schmerzen in ihren Armen verrieten ihr, dass dem ersten Tasing im Parkhaus ein zweites während des Transports gefolgt war. Ihre Arme waren mit Kabelbindern an einen massiven Metallstuhl gefesselt, ebenso wie ihre Knöchel. Der Stuhl selbst war fest mit dem Boden verschraubt.
Eine einzelne Glühbirne über ihr spendete gerade so viel Licht, dass sie die getrocknete Blutspur erkennen konnte, die zu einem Abfluss im Betonboden führte. Ihr Stuhl stand auf der einen Seite des Abflusses. Der Stuhl, auf dem Pain festgeschnallt war, stand auf der anderen Seite.
»Glaubst du, wir können bei Kwan’s eine Lieferung bestellen?«, fragte sie. »Ich könnte jetzt wirklich eine dieser äußerst leckeren Pizzen vertragen.«
»Ich bezweifle, dass Pizza auf der Speisekarte steht.« Ihr Partner kämpfte gegen seine Fesseln an. »Aber wenn der Oberkellner zurückkommt, werde ich um einen Eckplatz bitten. Offene Bestuhlung hat mir noch nie gefallen.«
»Ganz zu schweigen davon, dass wir mit dem Löffel gefüttert werden müssen, da ich meine Arme nicht bewegen kann.«
Sie spuckte auf höchst undamenhafte Weise in den Abfluss, aber sie hatte immer noch Blut im Mund und eine weitere Ladung des feuchten Rots würde das Farbschema des Bodens sicherlich nicht stören.
»Weißt du«, fügte sie hinzu, ihr Mund war nun frei von Blut, »sie hätten wenigstens den Boden fliesen können.« Sie war ungemein erleichtert, als sie sah, dass keine ihrer Zähne in dem Gemisch auf dem Weg zum Abfluss waren. »Das würde so viel zur Ästhetik beitragen. Wo wir gerade von mangelndem Ambiente sprechen.«
»Weißt du, wie viel Schaden man mit einem Stück Keramik in den richtigen Händen anrichten kann?«, erkundigte sich Pain, während er mit seinem ganzen Gewicht versuchte, seinen Stuhl zu schaukeln. Er versuchte es nach hinten, nach vorne und zur Seite. Alles, was er brauchte, war ein leichtes Nachgeben in irgendeine Richtung zu spüren und er würde wissen, worauf er seine Energie konzentrieren musste. »Ich kenne Leute, die in der Notaufnahme gelandet sind, weil eine Mahjong-Partie eskaliert ist.«
»Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum unsere Landsmänner eine gute Partie Poker bevorzugen.« Agony schnaubte und tastete mit ihrer Zunge in ihrem Mund nach einem losen Zahn.
»Und du glaubst, Kartenspielen ist sicher?« Er versuchte immer noch, eine Schwachstelle in seiner Gefangenschaft zu finden. »Gib mir ein neues Kartenspiel und ich kann dir aus drei Metern Entfernung die Halsschlagader aufschlitzen.«
»Na ist ja wunderbar! Ich wette, diese Fähigkeit macht sich gut in einem Lebenslauf.«
»Das hängt davon ab, für welchen Job du dich bewirbst … verdammt!« Er hielt in seinen Bemühungen inne. »Fleisch ist billig, aber Metall ist es nicht.«
»Hm?« Sie war sich nicht sicher, ob das Zitat von ihm stammte oder ob er es unterwegs aufgeschnappt hatte.
»Sie haben einen Haufen Geld für diese Stühle und Schrauben ausgegeben. Da gibt nichts nach.« Er sah sie über den Abfluss unter der schummrigen Glühbirne an. »Diese Leute spielen nicht herum.«
»Was war dein erster Anhaltspunkt für diese gewagte These?« Wenn sie einen losen Zahn in ihrem Mund gefunden hätte, wäre sie versucht gewesen, ihn anzuspucken, um aus reiner Boshaftigkeit zu sehen, wie viel Schaden sie ihm mit einem solch kleinen Projektil an der Stirn zufügen konnte. »War es im Parkhaus« – sie hatte ihr Versprechen nicht vergessen, seinen Hintern mit ihren Stilettos bekannt zu machen – »als der SUV-Fahrer-Fanclub auftauchte? Oder war es die kleine Armee schlecht sitzender Anzüge, die aus ihren fahrenden Penisprothesen hervorkam?«
»Ach, du weißt schon.« Er zuckte mit den Schultern. »Ein Hinweis hier, ein Hinweis da. Irgendwann habe ich es geschafft, sie alle zusammenzufügen.«
»Also, Kombinationsgabewunder, was machen wir jetzt mit all deinen gesammelten Hinweisen?«
»Wir warten.«
»Worauf warten?« Sie tat ihr Bestes, um frustriert mit dem Fuß zu klopfen, was nicht leicht war, wenn ihre Füße mit einem Kabelbinder an den Beinen eines, wie er jetzt wusste, sehr teuren Metallstuhls festgebunden waren.
»Einfach warten.« Er klang resigniert. »Darauf, dass einer deiner Freunde kommt.«
»Du glaubst also immer noch, dass es an mir liegt?« Sie konnte seine Argumentation nicht glauben.
»Nun …« Er glaubte auch nicht an seine Argumentation. »Du hast es geschafft, dir ein oder zwei Feinde zu machen, während du bei der Polizei warst.«
»Vier! Maximal! Wie viele Feinde hast du dir in deiner Zeit bei der Truppe, wie auch immer sie heißt, gemacht?«
»Ich glaube, ich habe es auf acht mögliche Kandidaten eingegrenzt.«
»Nur acht?« Das konnte sie kaum glauben. »Du willst mir weismachen, dass gerade du dir nur acht Feinde gemacht hast?«
»Nein.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Tut mir leid für den Gedankensprung. Ich habe zu viele Feinde, um den Überblick zu behalten. Ich habe es auf acht Freunde eingegrenzt.«
»Vielleicht muss ich dir helfen, neu zu definieren, was du meinst, wenn du ›Freunde‹ sagst. Vielleicht mit einem Tritt in den Arsch?«
»Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit.« Eine Silhouette mit einer leicht heiseren, aber unverkennbar weiblichen Stimme betrat den schwach beleuchteten Raum und mischte sich in das Gespräch ein. »Ich versuche schon seit Jahren, ihm zu helfen, diese Unterscheidung zu treffen.«
Agony brauchte nicht nach Pains Gesichtsausdruck im fahlen Lichtkegel der schummrigen Lampe zu suchen. Sein Seufzer sagte ihr alles, was sie wissen musste. Er enthielt keine Angst, aber Resignation war sicherlich enthalten. Um es in verständlichen Worten auszudrücken: Der Drache hatte es jetzt mit einem Drachenweibchen zu tun.
»Und wer könnte das sein?« Sie ignorierte den Eindringling und richtete ihre Frage direkt an ihren Partner.
»Die einzige Frau«, seufzte er, »die vielleicht noch mehr auf den Putz haut als du.«
Die beiden Frauen sahen das als Kompliment und gleichzeitig als Herausforderung an, wer ihm zukünftig am meisten auf den Sack gehen würde. Zu seinem Leidwesen waren beide bereit, die Herausforderung anzunehmen.
»Und wer bist du?«, fragte Agony die Silhouette. »Seine Ex?«
Die Frau blieb still.
»Sie wäre es gerne«, antwortete Pain stellvertretend.
Selbst im schwachen Licht konnte man sehen, wie sich die Augen des Neuankömmlings verengten, als Agony die einzige andere Person im Raum ansprach, die sich an dem Gespräch zu beteiligen schien. »Du überschätzt vielleicht mal wieder deinen Sexappeal, mein Großer.«
»Und du hast vielleicht so viel Schenkel entblößt«, antwortete er, »dass sie hin- und hergerissen ist, wem von uns beiden sie ein paar Antworten entlocken will. Wenn es um die Gesetze der Anziehung geht, ist sie vielleicht das, was du einen Doppelagenten nennen würdest.«
Seine Partnerin tat ihr Bestes, um ihre Schenkel zusammenzudrücken, obwohl sie mit Kabelbindern gefesselt war. Sie urteilte nicht über die Vorlieben von anderen, aber sie wollte ihre eigenen deutlich machen.
»Das Problem hier …« Die Silhouette stand ihr gegenüber, als sie das Geplänkel mit einer Stimme unterbrach, die zu ihrem Schatten passte. »Dein Partner hat kürzlich seinen Eid gegenüber seiner großen Schwester gebrochen und deshalb sind wir alle hier versammelt, um alle relevanten Informationen zu extrahieren und dann, um es höflich auszudrücken, die Löschung zu vollenden.«
Die Frau trat beiseite, als ein quietschender Wagen hereingerollt und klappernd über dem Abfluss im ungefliesten Boden abgestellt wurde. Der Karrenfahrer trat in den Schatten und vermittelte den Eindruck, dass er mehr als nur der Lieferjunge war. Er wartete sichtlich auf den Auftrag, um sein Fachwissen bei der Extraktion einsetzen zu können.
Die Glühbirne spendete genug Licht, um die sorgfältig auf dem Wagen ausgebreiteten Utensilien zu sehen. Sie enthielten alle Werkzeuge, die ein sadistischer Zahnarzt brauchte, um seine wildesten Fantasien zu erfüllen.
»Ja«, sprach Agony zu ihrem Partner, während sie die sorgfältig arrangierten Werkzeuge betrachtete. »Das sind definitiv Freunde von dir.«
»Dürfen die Angeklagten die Vorwürfe hören?«, fragte Pain mit einer Stimme, die viel ruhiger war, als sie es hätte sein sollen.
»Vor ein paar Wochen«, antwortete die Silhouette geduldig, »hast du einen der Mitarbeiter eines Überwachungsteams getötet.«
»Den Teufel habe ich getan!« Sein Smoking-tragender, sanfter Tonfall verschwand. »Ich habe keinen Agenten von SISTER getötet, seit ich wieder auf dem Boden der Vereinigten Staaten gelandet bin!«
»Ich nehme an, du meinst damit, dass du es dennoch geschafft hast, in der Zwischenzeit ein oder zwei Leben zu beenden?«
»Nur zur Selbstverteidigung.«
»Und ich nehme an«, antwortete die Frau und hörte sich an, als würde sie nach einem Grund suchen, »dass du Zeugen vorweisen kannst, die diese Tatsache bezeugen?«
»Er kann mich vorweisen«, mischte sich Agony zur Verteidigung ihres Partners ein.
Die Silhouette drehte sich zu ihr um. »Und wer, meine Liebe, bist du?«
»Du zuerst.« Sie wollte genauer wissen, wie hoch ihr Gegner auf der Leiter der Agentur stand.
»Ihr Name ist Esther Nemecek«, antwortete Pain, als die Frau keine Anstalten machte, etwas zu sagen. »Im Sprachgebrauch von SISTER ist sie das, was man eine hochrangige Löschungsbeauftragte nennen könnte.«
»Ich hasse es, gelöscht zu werden.« Sie seufzte und versuchte, freundlich zu sein. »Ich bin Alicia Goni. Ich bin Polizei-Detective im Ruhestand und arbeite derzeit als lizenzierte Privatdetektivin mit Pain als Partner.«
»Ich werde mich nicht dazu äußern, dass es dir offensichtlich an gesundem Menschenverstand mangelt, wie du dir deine Partner aussuchst.« Esther trat nach vorn ins Licht. »Aber du scheinst ein bisschen zu jung für den Ruhestand zu sein.«
»Besondere Umstände.«
»Du hast deinen Vorgesetzten verärgert, hm?«
»Ich habe ihm die Nase gebrochen.« Sie lächelte bei der Erinnerung daran, wie befriedigend das Geräusch und das Gefühl der knirschenden Knochen des Arschlochs gewesen waren. Es konnte ihren verstorbenen Partner nicht zurückbringen, aber verdammt, es hatte sich gut angefühlt.
»Jetzt, wo die Vorstellungsrunde vorbei ist …« Esther trat wieder in den Schatten. »Ich muss dich fragen, warum ich irgendetwas glauben sollte, was du zur Verteidigung deines Partners sagst?«
»Weil er eine große Nervensäge sein kann«, konnte sie ehrlich antworten, »und wenn du ihn mir abnehmen kannst, wäre ich dir sehr dankbar. Aber nur, wenn es gerechtfertigt ist. Er ist nicht unschuldig, aber er scheint ein ehrenwerter Mann zu sein, also wenn du mir Fragen stellst, werde ich ehrlich antworten. Wenn er schuldig ist, gehört er dir und ich werde mehr als froh sein, ihn loszuwerden.«
Die Agentin sah Pain an. »Wenn das hier damit endet, dass du gelöscht wirst, mach dir keine Sorgen um deine Partnerin. Ich werde ihr wahrscheinlich einen Job anbieten.« Sie wandte sich wieder an die Ex-Polizistin. »Wie ich bereits sagte, haben wir neulich einen Kollegen verloren. Er war ein guter Agent und ein guter Mann. Die Tochter des Agenten – ich glaube, sie ist erst vier Jahre alt – und sein Galan sind seitdem nicht mehr gesehen worden. SISTER vermutet, dass sie beide entführt wurden.«
»Bist du sicher, dass sie nicht beide untergetaucht sind?« Agonys Polizistentraining, alle Fakten zu hinterfragen, meldete sich unbewusst.
»Das ist unwahrscheinlich.« Esther schüttelte den Kopf. »Kannst du die Aktivitäten deines Partners in den letzten Tagen aufzählen?«
»Wir haben praktisch rund um die Uhr zusammen an Fällen gearbeitet und versucht, genug Geld zusammenzukratzen, um uns ein richtiges Büro leisten zu können, anstatt Kunden in schäbigen Restaurants zu treffen. Für die Abrechnung mache ich sehr detaillierte Notizen. Wenn du das genaue Datum und die Uhrzeit des Todes und der Entführung angibst, kann ich dir genau sagen, wo er war oder nicht.«
»Ich weiß nicht, ob handschriftliche Notizen vor Gericht Bestand haben«, sagte die Frau, »aber in diesem Fall bin ich Richter und Geschworene zugleich. Wenn du mir begründete Zweifel liefern kannst, können wir weitermachen.«
»Ich habe die Notizen nicht dabei«, erklärte Agony.
»Und ich werde dich nicht freilassen, um sie zu holen.«
»Ich nehme nicht an, dass wir das Gericht um eine kurze Unterbrechung bitten können, während wir nach ihnen schicken?« Pain fand, dass es nicht schaden würde, einfach mal nett zu fragen.
»Oh.« Esther drehte sich zu ihm um. »Ich hatte vergessen, dass du noch im Zimmer bist. Wie läuft es mit deiner ›Quest‹?«
»Du weißt, wie es läuft.« Pain zuckte mit den Schultern, so gut er konnte, da seine Arme fest an den Stuhl geschnallt waren. »Zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück. Es dauert ein bisschen länger als erwartet und ehrlich gesagt? Vielleicht muss ich noch mehr Hilfe in Anspruch nehmen.«
»Viel Glück bei der Suche nach Freiwilligen.«
»Hör mal, SISTER-Schwesterchen«, warf Agony ein. Das Gerede von Pains Quest, seinem mysteriösen Kreuzzug, ging ihr auf die Nerven. Nicht, dass das Ziel schlecht gewesen wäre, aber die Terminologie war ihrer Meinung nach beschissen. »Du hast gesagt, es geht um ein vermisstes Kind, richtig?«
»Das ist richtig.«
»Und einen fehlenden Galan, was auch immer das sein mag.«
»Das ist auch richtig.«
»Dann verschwendest du hier die Zeit von allen. Die Leichen sind entweder schon begraben oder werden irgendwo als Geiseln gehalten. Ich muss nicht in meinen Notizen nachsehen, um zu wissen, dass Pain keinen geheimen, sicheren Raum hat, in dem er zwei Geiseln festhalten kann.«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, erinnerte sie sich an das Untergeschoss des ›Imperial Palace‹ – einen Raum, der so aussah wie der, in dem sie sich gerade befanden. Sie schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um paranoid zu werden. Sie und Pain hatten jede wache Stunde zusammen verbracht.
»Du hast jede Spur von ihnen verloren, nicht wahr?« Ihr Partner hatte es endlich kapiert. »Du weißt genau, dass ich nicht der Schuldige bin, aber du hast keine andere Wahl mehr. Du brauchst uns, um dort weiterzumachen, wo dein Team versagt hat.«
»Es ist schön zu wissen, dass dein Gehirn noch nicht völlig verkümmert ist.« Er glaubte, Esther zustimmend nicken zu sehen. »Ich sehe das als eine Win-win-Situation für mich an. Du ziehst dein übliches Ding durch und erledigst die Sache und SISTER ist glücklich. Wenn du versagst, bedeutet das, dass du schuldig bist und ich habe endlich eine legitime Entschuldigung für deine offizielle Löschung.«
»Du weißt doch«, sagte Pain mit einem Hauch von schmierigem Sarkasmus, »wenn du mich so sehr vermisst hast, hättest du einfach anrufen können.«
»Und wir beide wissen«, sagte Esther ohne Sarkasmus oder Schmeichelei, »dass ich dich nur dann anrufe, um deine Stimme noch einmal zu hören, kurz bevor ich den Abzug drücke, der den letzten Rest Hirn aus deinem Dickschädel löscht.«
»Ach, hör doch auf.« Er hörte sich an, als würde er rot werden. »Du machst mich ganz kribbelig und ich bekomme Blutarmut im Gehirn, wie du es immer tust.«
»Aus Liebe zu allem, was heilig ist.« Agony hatte genug gehört. »Könnt ihr mit diesem Scheiß aufhören? Ein Kind ist verschwunden! Entweder ihr tötet uns jetzt beide oder ihr lasst uns gehen und wir finden das arme Kind. Hoffentlich ist es noch am Leben, aber je länger ihr zankt oder flirtet oder was auch immer ihr da gerade für einen Fetisch auslebt, desto geringer sind die Chancen.«
»Meine Güte.« Esther ging zur Tür. »Du bist ja eine ganz schön temperamentvolle Person.«
»Befreie meine Arme und Beine.« Sie grinste. »Ich werde dir genau zeigen, wie temperamentvoll ich sein kann.«
»Sie ist ein Charmeur«, sagte Esther zum Abschied zu Pain. Sie und der Mann, der im Schatten gestanden hatte, ließen sie allein, um über den Nutzen der Dutzende von Geräten nachzudenken, die noch immer auf dem Tisch zwischen ihnen ausgestellt waren.
Es waren alles Handgeräte. Einige waren einfache Instrumente wie Scheren, Skalpelle und Zangen. Einige waren batteriebetrieben und es sah so aus, als würden die meisten von ihnen dicke D-Batterien benötigen – keine dieser mickrigen AAA-Batterien, die oft in Spielzeug verwendet wurden. Andere waren elektrisch, ihre Kabel hingen über den Rand des Tabletts, sehnsüchtig nach der nächsten Steckdose gierend, damit sie richtig benutzt werden konnten. Die beiden Partner taten für ihre geistige Gesundheit gut daran, nicht zu lange auf die Folterwerkzeuge zu starren und darüber zu grübeln.
»Wenn sie zurückkommt …« Agony dachte, sie hätte ein Recht darauf, es zu erfahren. »Wirst du anfangen, dich zu benehmen?«
»Hätte es dir weh getan«, antwortete Pain, »wenn du ihr wenigstens ein wenig mehr Schenkel gezeigt hättest? Du saßt da wie eine verklemmte Schülerin aus einem Mädchenpensionat. Ob Männer oder Frauen, Esther steht auf Beine.«
»Ernsthaft? Auf die Tour möchtest du mir kommen?«
»Nein, aber vielleicht war es das, was Esther auf Touren gebracht hätte.«
»Wenn wir hier rauskommen, werde ich das Navi meiner beiden Stilettos auf deinen Arsch einstellen, das schwöre ich dir.«
»Aber bis dahin …« Es war ihm egal, ob der Raum verwanzt war oder nicht. Agony wusste genug über Verhörräume, um nichts Wichtiges zu verraten, während andere zuhörten. »Sie wollten uns lebendig. Nein, sie brauchten uns lebendig. Tatsache ist, dass sie keine anderen Möglichkeiten mehr haben und wir ihr Ave-Maria-Pass sind. Wenn sie nicht glauben würden, dass wir es schaffen können, hätten sie nicht die Gliedmaßen der Agenten riskiert, die sie geschickt haben, um uns zu holen.«
»Die Verletzungen der Agenten in der Parkgarage waren also akzeptabel«, stimmte Agony nickend zu.
»Kollateralschaden sozusagen.«
»Aber die Tötung von uns oder den Agenten war keine Option.«
Er wiederholte seinen ersten Eindruck, als sie plötzlich umzingelt worden waren und Eddie the Getty hatte entkommen können. »Deshalb haben sie auch keine Waffen benutzt. Esther kennt meine Geschichte und konnte davon ausgehen, dass ich keine dabei hatte, aber du warst der Joker. Keiner wusste, was du vielleicht gezückt und abgefeuert hättest.«
»In diesem Outfit?« Sie lachte. »Wo hätte ich denn etwas verstecken können?«
»Ich weiß es nicht.« Selbst unter der einen schummrigen Glühbirne konnte sie ein leichtes Lächeln erkennen. »Du hast den Schlagstock hervorragend versteckt.«
»Übung«, antwortete sie, um seinen Standpunkt zu bestätigen, »und eine Menge Ausprobieren. Aber außer vielleicht einer einschüssigen Derringer und einer kleinen Dose Reizgas, die ich in meiner Handtasche verstaut hatte, konnte ich nirgendwo schwere Waffen verstecken.«
Pain musste zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatte. Sie hielten in ihrem Gezänk lange genug inne, dass Agony ein weiterer Gedanke durch den Kopf ging.
»Eine Frage stellt sich mir da aber …« Sie sprach laut, als sie versuchte, im Kopf die Abfolge der Ereignisse zu verstehen. »Wie haben sie uns gefunden?«
»Meine beste Vermutung?« Es tat ihm weh, es zuzugeben. »SISTER hat uns lange genug in Ruhe gelassen, dass wir selbstgefällig wurden. Als der Notfall eintrat und niemand in der Lage war, ihn richtig zu bewältigen, konzentrierten sie sich auf uns. Entweder enden wir als Helden oder ich werde zum Sündenbock gemacht.«
»Hat dir schon mal jemand gesagt«, murmelte sie, als sie über seine Aussage nachdachte, »dass deine Schwester eine böse, ausdauernde und hinterhältige Schlampe sein kann?«
»Nicht offiziell über eine unternehmensweite E-Mail, aber die meisten von uns sind zu demselben Schluss gekommen … oh, Scheiße!« Wenn er eine Wand hätte erreichen können, hätte er seinen Kopf dagegen geschlagen.
»Ist da jetzt ein Stück Scheiße im Spiel?«
»Eine Scheiße? Nein. Ein Scheiß? Ja.«
»Ich höre zu.« Sie hielt ihren Tonfall ruhig, um ihn zu ermutigen, mit seiner neuesten Enthüllung fortzufahren.
»Was ist unsere wichtigste Regel, abgesehen von einer Überwachung, bei der wir unseren Standort halten sollen?«
»Versuchen, nicht zu sterben?«, gab sie ihre beste Vermutung ab.
Er musste zugeben, dass sie damit recht hatte, setzte aber seinen Gedankengang fort. »Aber strategisch gesehen?«
»Bleib nie zu lange am selben Ort«, antwortete sie und fügte dann hinzu. »Oh, Scheiße … das war der Mist!«
»SISTER hat Zugang zu Kameras in der ganzen Stadt und du kannst darauf wetten, dass sich einige davon im Illusion Casino befinden – Kameras, die mit Gesichtserkennungssoftware ausgestattet sind. Du und ich sind immer in Bewegung, aber wir sind zu lange am Craps-Tisch geblieben.«
»So hatte deine Schwester hinreichend Zeit, uns zu erkennen und ihre Schergen loszuschicken.«
Pain wollte ihr gerade zustimmen, als die Tür aufschwang und Esther Nemecek hereinschlich.
»Also«, fragte die Frau, »seid ihr Kinder bereit, nett mit eurer großen Schwester zu spielen oder soll ich euch mit Edgar, dem Extraktor, allein lassen?«
»Bedingungen?«, fragte er, als ihm die schlauen Antworten ausgingen.
»Die Schwester ist bereit, euch beiden fünf Tage Zeit zu geben, um das Kind und den Galan zurückzuholen. Außerdem besteht sie auf konkrete Beweise, um euch beide zu entlasten, sonst setze ich euch als Königin der löschbaren Humanressourcen ganz oben auf meine To-do-Liste.«
»Du warst schon immer eine Schmeichlerin«, war das Letzte, was er sagen konnte, bevor Edgar ihn von hinten niederschlug und Esther sich zu Agony umdrehte.
»Hast du noch etwas hinzuzufügen?«
»Hör zu«, sagte die ehemalige Polizistin, »ich weiß einen Scheißdreck über die Spiele, die ihr Geheimdienstleute spielt. Es ist mir auch egal. Aber wenn ich dir eine einfache Frage stelle, bist du dann in der Lage, mir eine ehrliche Antwort zu geben?«
»Das hängt von der Frage ab.« Die Agentin versuchte immer noch zu entscheiden, ob sie die Privatdetektivin löschen lassen oder ihr einen Job anbieten sollte. »Aber frag ruhig.«
»Es handelt sich um ein vermisstes Kind. Richtig oder falsch?«
Nemeceks Rüstung wies einen kleinen Riss auf, durch den sich eine echte Emotion einzuschleichen schien. »Ja. Nach allem, was man so hört, ist es ein sehr süßes kleines Kind.«
»Dann sind wir alle dabei.«
»Ich wünsche dir aufrichtig viel Glück.« Esther trat einen Schritt zurück und sah auf ihre Uhr. »Du hast fünf Tage Zeit, sobald die Wirkung nachlässt.«
»Welche Wirkung?«, konnte sie gerade noch fragen, bevor Edgar lautlos hinter sie trat und sie ins Taserland schickte.