W enn die Tussi jemand aus dem Kreis deiner acht Freunde war«, murmelte Agony, »könntest du mich dann bitte einigen deiner Feinde vorstellen?«
Die Partner kamen nach ihrer letzten Taserladung auf einem leeren Grundstück in einem der Außenbezirke der Stadt zu sich. Die Kabelbinder waren entfernt worden, aber aus irgendeinem Grund hatten sie beide noch die Kapuzen über dem Kopf.
Pain zog seine ab und steckte sie in eine Tasche seiner Smokingjacke. »Das nenne ich mal ein Übermaß an Redundanz.«
»Oh?« Sie war nicht in einer versöhnlichen Stimmung. »Hebst du dieses Andenken als Erinnerung an deine Freundin auf? Damit du mal in einsamen Nächten daran schnüffeln kannst?«
»Diese Schlampe ist nicht, war nie und wird nie meine Freundin sein.«
Sie kannte ihn lange genug, um die meisten seiner Stimmungen zu kennen, aber diese hier machte ihr Angst.
»Der Smoking gefällt mir, Bruder!«, rief eine Stimme, als beide aufstanden, sich die Erde abklopften und versuchten, sich zu orientieren. »Das Mädchen gefällt mir noch besser.«
Er schaute seine Partnerin an und stellte fest, dass die Wirkung des letzten Taserns nachgelassen hatte und sie nun fest auf ihren Füßen stand. Sie strich über ihren Oberschenkel, tätschelte ihn und nickte ihm zu. »Wenigstens hat die Schlampe mir meinen Schlagstock gelassen.«
»Wenn du meinen Smoking willst«, sagte Pain zu dem Anführer der sechs harten Jungs aus der Nachbarschaft, »dann komm und hol ihn dir. Wenn ihr das Mädchen wollt, dann versucht euer Glück.«
Beide stellten fest, dass sie immer noch in ihren besten Klamotten steckten und die örtlichen Ganoven mussten schockiert gewesen sein, als sie dieses Geschenk auf einem verlassenen Grundstück fanden.
Keiner der Schläger nahm sich die Zeit, darüber nachzudenken, wie diese zwei Selbstbedienungsläden überhaupt ihren Weg hierhin gefunden hatten. Sie wussten nur, dass sie die ganze Nacht durch die Straßen patrouilliert waren und nach leichten Zielen Ausschau gehalten hatten. Sie hatten zwar ein paar erwischt, aber die Ausbeute war mager gewesen.
Als die Sonne kurz davor war, den Horizont zu durchbrechen, waren sie bereit, die Nacht zu beenden, aber die Götter lächelten ihnen schließlich zu. Diese beiden verkatert wirkenden Schnösel aus der feinen Gesellschaft schrien nach schnellem Geld.
Ihre Beute allerdings überließ das Schreien den Schlägern. Ein Handgelenk hier, ein Knie dort – es war schön, seinen Frust an verdienten Zielen auszulassen.
»Du weißt wirklich, wie man einem Mädchen eine schöne Zeit bereitet«, sagte Agony, als sie die sechs stöhnenden und sich auf dem Boden windenden Körper durchsuchte und drei Klingen und einen Schlagring fand. Letzterer war zu groß für sie und zu klein für Pain, aber sie war sich sicher, dass er irgendeine Verwendung dafür finden würde.
Nach der Schatzsuche folgte sie ihm zum Auto der Möchtegern-Ganoven, wo er durch das offene Fenster auf der Fahrerseite spähte. Er schaute auf.
»Sie scheinen die Schlüssel stecken gelassen zu haben. Meinst du, wir dürfen ihn uns ausleihen?«
»Soll ich fragen gehen?«
»Nein.« Er sah die Schläger an. »Sie scheinen nette, hilfsbereite Jungs zu sein. Ich bin mir sicher, dass sie nichts dagegen haben werden.«
Sie kletterten hinein. Als er losfuhr, zeigte sie ihre Funde.
Er hob den Schlagring mit der nicht fürs Fahren benötigten Hand auf und ließ ihn in seiner Handfläche ruhen.
»Der hat eine schöne Balance. Ist ein toller Briefbeschwerer – oder ein praktischer Anhänger an einer Kette, über die ich schon lange nachdenke.«
»Ich würde mich für den Halsketten-Look entscheiden. Ich denke, dir würde sowas stehen.«
* * *
Eine der besten Eigenschaften der Wohnungen, die sie über Kwans Restaurant gemietet hatten, war, dass der Wasserdruck in den Duschen fast als Massage durchgehen konnte. Erfrischt und ordentlich angezogen, durchquerte Agony den Flur und traf Pain in seiner Wohnung. Es war an der Zeit, sich auszutauschen.
Ihr Partner hatte bereits eine Kanne Kaffee vorbereitet. Da er vermutete, dass sie genug von der Jungfernnummer hatte, ließ er sie sich selbst bedienen, bevor sie sich zu ihm an den kleinen Küchentisch setzte.
»Also«, fragte sie, als sie auf dem Stuhl hin und her ruckte, um die gemütlichste Position zu finden, und dann genießerisch einen Schluck nahm, »was hast du letzte Nacht gemacht?«
»Ach, du weißt schon. Immer das Gleiche«, antwortete er, nippte an seinem Gebräu und musste sich eingestehen, dass er eine verdammt gute Kanne Kaffee gekocht hatte. Es kam nur auf die Bohnen an. Je heller die Bohnen, desto stärker der Koffeingehalt. Scheiß auf dunkle Röstung! »Aber schau mal, was ich heute Morgen in einer meiner Smokingtaschen gefunden habe.« Er legte ein Handy auf den Tisch, damit sie es sich ansehen konnte.
Sie sah ihn an und seufzte. »Ich schätze, sie zieht dich mir vor.«
»Nein«, antwortete er. »Sie zieht es nur vor, das Beste aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu machen. Ich hatte eine Jacke mit Taschen. Deine Handtasche ist schon zweimal geklaut worden und man kann sich bei dir auch nicht darauf verlassen, dass sie nicht ein drittes Mal geklaut wird. Meine Jackentaschen waren ihre sicherste Wahl.«
»Also …« Sie war bereit, auf einige ihrer gut begründeten Erwiderungen zu verzichten. »Was hat uns dieses Handy zu sagen?«
»Ich weiß es nicht.« Pain hielt seine Hände hoch. »Sag du es mir. Abgesehen davon, dass ich es aus der Tasche gezogen habe, habe ich es nicht angerührt.«
Agony zögerte, es selbst zu berühren, aber jemand musste es tun. Sie drehte das Gerät zu sich hin und das erste, was sie sah, war eine Nachricht auf dem Bildschirm. Mit einem finsteren Blick las sie sie laut vor. »›Bleib in Kontakt mit deiner Schwester‹.«
»Ja, klar.« Er lachte. »Als ob ich nicht wüsste, wie man das macht, ohne ein Wegwerfhandy zu benutzen.«
Sie ignorierte den Sarkasmus, konzentrierte sich auf ihn, um nichts zu übersehen und warf ihm einen Donut zu.
Es gab sicherlich keinen Polizisten in der Stadt, der einem Donut abgeneigt gewesen wäre. Ein Klischee? Ja. Aber zwei Häuser weiter war eine Bäckerei und sie war schnell dorthin gelaufen, bevor sie in seiner Wohnung auftauchte.
»Was?«, fragte Pain, als er den Krapfen auffing und ihn interessiert betrachtete. »Keine Boston-Creme?«
»Keine mit Sahne gefüllten Sachen«, entgegnete sie. »Und kein Puderzucker oder Zuckerguss. Mit klebrigen Fingern wollen wir hier erst gar nicht anfangen. Entweder du isst den verdammten Donut pur oder du tunkst ihn in deinen Kaffee und genießt ihn.«
Er entschied sich fürs Tunken. Agony fand zwei SMS, die auf sie warteten, von einer Nummer, die einfach als SISTER im Telefonbuch eingespeichert worden war.
»Das eine ist eine Nummer aus einer Leichenschauhausakte«, informierte sie ihn, während sie las. »Der Name des Opfers – oder des Agenten, wenn du es so bevorzugst – war Justin LeVaul. Der zweite Text ist entweder seine Heimatadresse oder der Tatort.«
»In diesem Fall«, sagte er ihr und griff nach einem zweiten Donut, »glaube ich, dass es dasselbe ist.«
»Du und Agentin Klötentreter habt offensichtlich eine gemeinsame Vergangenheit.« Sie hatte fast Angst, das Thema anzusprechen. »Möchtest du mir gnädigerweise verraten, mit wem wir es zu tun haben?«
»Wenn der Teufel das reine Böse ist …« Pain verging plötzlich der Appetit und er setzte seinen halb gegessenen Donut ab. »Dann wäre Esther Nemecek seine Lieblingsausgeburt.«
»Nun, ich hatte bereits irgendwie das unbestimmte Gefühl, dass du nicht ihr größter Fan bist.«
Er wünschte sich, er hätte die nötigen Zutaten, um seinen Kaffee zur irischen Sorte aufzuwerten. Wenn er über Esther Nemecek sprach, kam nie das Beste in ihm zum Vorschein, aber er beschloss, dass er jetzt alles auspacken sollte. Andernfalls würde Agony sich weiter daran abarbeiten. Wenn seine Partnerin erst einmal einen Faden in der Hand hatte, zerrte sie so lange daran, bis sie das ganze Ding entwirrt hatte. Diese Eigenschaft machte sie zu einer guten Polizistin, aber manchmal auch zu einer sehr nervigen Gesprächspartnerin.
»Es gibt ein Mädchen namens Caroline Rice. Sie ist jetzt acht Jahre alt und wird wahrscheinlich den Rest ihres Lebens damit verbringen, zu verstehen, warum ihr Vater sie einfach verlassen hat, als sie sechs Jahre alt war.«
»Ich nehme an, verlassen ist nicht der Begriff, den du verwenden würdest?«
»Im Stich gelassen, gestorben, im Kampf gefallen, während er seinem Land diente.« Pain zuckte mit den Schultern. »Alles, was das Mädchen je wissen wird, ist, dass ihr Vater nie nach Hause kam. Agentin Esther ist der Grund für diese lebensbeeinflussende Verwirrung.«
»Du hast mir einmal erzählt, dass du einen Partner verloren hast.« Ihr Kopf setzte die Puzzleteile zusammen, in die Lücken, die er ihr bisher nicht erzählt hatte.
»Ja. Ich habe am selben Tag, an dem Caroline ihren Vater verloren hat, auch einen Partner verloren.«
»Du hast mir nie seinen Namen gesagt.«
»Clifton M. Rice. Er nannte sich Kip.«
»Aber du warst in Übersee.« Ein weiteres Puzzleteil fiel auf seinen Platz. »Esther hat ihn doch sicher nicht selbst umgebracht.«
»Nein, hat sie nicht. Was sie getan hat, war fast noch schlimmer. Sie hat es so aussehen lassen, als hätte es ihn nie gegeben.«
»Gelöscht?«
»Gelöscht.«
Pain trank seine Tasse aus, ging in die kleine Küche und fragte sie, ob sie Nachschub wollte. Sie schüttelte den Kopf und er spülte die Kanne aus, bevor er sich wieder gegen den Tresen lehnte. »Was SISTER betrifft, so war der ganze Regimewechsel auf einen Schreibfehler zurückzuführen. Kip starb aufgrund eines Schreibfehlers, aber die Regierung hat keine Handlungsanweisungen für die Todesursache ›Schreibfehler‹, also haben sie es so aussehen lassen, als hätte er nie existiert.«
»Wie konnten sie das tun?« Agony verstand nicht, wie das möglich war. »Natürlich hat er existiert. Er hatte eine Tochter, um das zu beweisen und wahrscheinlich eine Witwe?«
»Kip war selbst Witwer. Der Name seiner Frau war Jean. Eines Tages, als Caroline zwei Jahre alt war, entdeckte sie eine Geschwulst. Ein Jahr später war sie tot. Jean hatte einen Zwillingsbruder namens Gino, der bei ihnen einzog und sich um Caroline kümmerte, wenn Kip auf Dienstreise war. Er hat sie immer noch. Ich glaube, sie sind jetzt in Colorado.«
Sie beobachtete, wie er aus der Küche zurückkam und aussah, als würde er nach etwas suchen, das er kurz und klein hauen konnte.
»Als ich zurückkam, fing ich an, die Sache zu untersuchen, kam aber nicht weiter als zwei Schritte, bevor Esther angriff und die Löschbrigade anführte und verdammt noch mal, sie hat das hervorragend gemacht. Meine Quest ist ein anderer Kreuzzug, aber ihre Aktionen machten ihn nicht nur drei Stufen schwieriger. Sie hatte die gesamte Existenz eines guten Mannes ausgelöscht. Als ich mich dagegen wehrte, schlug sie so hart zurück, dass ich mich zeitweilig verstecken musste. Anstatt an der Beerdigung ihres Vaters teilnehmen zu können – die mit allen militärischen Ehren hätte stattfinden sollen – wurde Caroline in dem Glauben gelassen, dass Daddy sie nicht genug liebte, um nach Hause zu kommen und sich um sie zu kümmern.«
Agony hatte schon öfter gesehen, wie Pain auf Leute wütend wurde, vor allem, wenn einige von ihnen versuchten, ihm schweren körperlichen Schaden zuzufügen, aber was sie jetzt sah, war kein Zorn oder Wut. Wenn es um Agentin Esther ging, lernte sie, dass der große Mann zu purem Hass fähig war.
Ihr Partner hatte nichts gefunden, was es wert gewesen wäre, ihm das Genick zu brechen und Esther Nemeceks Hals war auch nicht leicht zu bekommen, also setzte er sich wieder hin und schien über sich selbst zu grübeln.
Während sie nach der passenden Antwort auf diese deprimierende Geschichte suchte, schloss sie bedächtig den Deckel der Donut-Box. Es waren noch zwei übrig und es war immer gut, eine leckere Reserve zur Hand zu haben, falls es in einer Wohnung plötzlich zu einem Lebensmittelmangel kommen sollte.
»Mit Esther Nemecek befassen wir uns ein anderes Mal.« Sie versuchte, ihn wieder in das Hier und Jetzt zurückzuholen. »Aber jetzt müssen wir erst einmal den Mord an einem deiner Kollegen aufklären und ein vermisstes Kind finden.«
»Vergiss den Galan nicht«, erwiderte er mit einem leichten Lächeln, weil sie ihm ohne blöde Widerworte zuhörte, während er seinen Zorn herausließ und weil sie ihn daran erinnerte, dass sie einen Job zu erledigen hatten. Er lehnte sich zurück.
Einen Todesfall zu untersuchen war eine Sache. Es gab keine Möglichkeit, den kürzlich Verstorbenen wieder Leben einzuhauchen, aber ein vermisstes Kind war etwas anderes. Für das Kind könnte es noch Hoffnung geben.
»Ich denke, wir sollten mit der Leiche beginnen«, schlug Agony vor. »Ich weiß, dass uns die Wohnortadresse wahrscheinlich mehr Hinweise geben wird, aber manchmal ist es am besten, am Ende anzufangen und sich zurückzuarbeiten.«
Sosehr er auch zu dem Haus eilen wollte, weil dort die Spur zu dem Kind beginnen würde, beschloss er, in dieser Sache ihrem Polizisteninstinkt zu vertrauen. Jeder hatte eine Methode und bis sie einem Vorgesetzten das Gesicht zerschlagen hatte, schien ihre Methode immer gut funktioniert zu haben.
»Okay.« Er nickte nachdenklich. »Erster Halt: das Leichenschauhaus. Müssen wir einen Ausweis vorzeigen, damit wir die Leiche sehen können?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist alles öffentlich bekannt. Wir müssen uns vielleicht an- und abmelden und versprechen, keine Leichen zu stehlen. Oh, und wenn wir eine Kopie des Autopsieberichts wollen, könnte das ein paar Dollar kosten, aber nein, das Leichenschauhaus wird kein Problem sein.«
»Und der Tatort?«
»Das hängt davon ab, wie viel Gewicht deine große Schwester in die Waagschale geworfen hat, aber ich vermute, dass wir vollen Zugang dazu haben werden, ohne Ausweis – oh, Scheiße!«
Ein Abend, an dem sie Jungfer und Drachen gespielt hatte, gefolgt von einem Kampf in einem Parkhaus, gefolgt von einer Nacht mit ein oder zwei Tasern, gefolgt von einer morgendlichen Handvoll Kapuzen, hatte den Gedanken an die ursprüngliche Anfrage ihres aktuellen Kunden aus ihrem Kopf vertrieben.
»Scheiß was?«, fragte Pain, als er sich vergewisserte, dass er alles hatte, was er brauchte, bevor sie losfuhren.
»Eddie the Getty! Wir haben Eddie verloren. Wie sollen wir das dem Kunden erklären? In diese Aktion ist eine Menge Geld geflossen.«
Er hielt inne. Da hatte sie recht. Er freute sich auch nicht darauf, dem Kunden gegenüberzutreten, aber es war ein schwieriges Unterfangen.
»Ich kümmere mich um den Kunden.« Er versuchte, ruhig zu klingen, aber sie konnte einen Hauch von Angst in seiner Stimme hören. So etwas hatte sie bei ihm noch nie gehört, aber sie beschloss, es nicht zu übertreiben. Er wusste, wer der Kunde war und sie nicht, also musste sie ihm in diesem Fall vertrauen.
»Ich frage mich«, sinnierte Pain, »ob das Wegwerfhandy irgendwelche Fotos gespeichert hat? Von vorher oder nachher oder was Aktuelles von dem, über den wir ermitteln?«
Agony überprüfte das Telefon erneut. »Nein, nur die beiden Texte. Ich nehme an, die Beschaffung von Bildmaterial wird uns überlassen.«
Als das Frühstück abgeräumt war und sie ihre Arbeitskleidung angezogen hatten, gingen sie die Innentreppe hinunter, die auf die Straße neben dem Kwan’s führte.
Sie stießen die Haustür auf und stellten schockiert fest, dass es bereits Vormittag war. Sie beschleunigten ihr Tempo, als sie den Bürgersteig hinunter zu dem kleinen Parkplatz eilten, auf dem sie die immer treue Bertha abgestellt hatten.
Das Äußere des Restaurants täuschte über die Größe und Eleganz des nobelsten Lokals in der Nachbarschaft hinweg. Die nette, ältere koreanische Dame, die Agony nur als Ahjoomenoni kannte, hatte es irgendwie geschafft, ein hervorragendes und beliebtes Restaurant in einer nicht gerade gehobenen Gegend zu eröffnen. Auch die Tatsache, dass sie den beiden kleine, saubere und gut ausgestattete Wohnungen zu einem erschwinglichen Preis angeboten hatte, machte sie für die ehemalige Polizistin, die jetzt Privatdetektivin war, interessant. Während ihres ersten Abenteuers war ihre Wohnung von ihren Feinden im Polizeidienst so verwüstet worden, dass sie sie nicht mehr als sicheren Ort betrachten konnte.
Pain wäre durchaus bereit gewesen, unter einer zugigen Autobahnüberführung zu schlafen, aber sie bevorzugte irgendwie doch eine Wohnung mit Sanitäranlagen.
»Sie bittet um einen Moment Ihrer Zeit, bitte«, rief eine höfliche Stimme ein paar Sekunden, nachdem sie Kwan’s Tür passiert hatten.
Agony hielt an und drehte sich um. Pain erstarrte für einen Moment.
Vor dem Kwan’s , das erst in ein oder zwei Stunden öffnen würde, winkte ein koreanischer Herr, der als Oberkellner der ersten Schicht gekleidet war, sie zurück.
»Wie sagt man ›Das ist kein guter Zeitpunkt‹ auf Koreanisch?«, fragte Agony ihren Partner leise.
»In diesem Fall nicht«, antwortete Pain, »da nimmst du dir besser einfach die Zeit.«
»Es ist ja nicht so, dass wir mit der Miete im Rückstand sind«, begann sie zu protestieren, hielt aber inne, als sie den Blick in seinen Augen sah.
»Vielleicht ist es an der Zeit« – Pain hoffte, dass sie ihm nicht gleich eine mit dem Teleskopschlagstock verpassen würde – »dass ich dich unserem Kunden vorstelle.«
»Das ist nicht dein Ernst. Sweet AJ ist unser Kunde?«
Sie und ihre Vermieterin hatten schon früh beschlossen, sich gegenseitig mit ihren Initialen anzureden. Alicia Goni war für die koreanische Zunge der Frau schwer auszusprechen und Ahjoomenoni rollte auch nicht leichter von Agonys bissiger Zunge. Aber da ihre Namen beide auf ›oni ‹ endeten, waren sie sich schnell einig: ›Wir müssen verwandt sein.‹ Sie nannte ihre Vermieterin AJ und die koreanische Frau nannte sie AG.
»Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?« Sie widerstand dem Drang, ihren Schlagstock zu ziehen und einmal mehr zu versuchen, den Dickschädel ihres Partners zur Vernunft zu bringen.
»Ich hatte meine Gründe.« Das war die einzige Erklärung, die Pain gab, als er zu Kwan’s zurückkehrte und ihr keine andere Wahl ließ, als ihm zur Tür zu folgen, die der Oberkellner offen hielt.