Kapitel 11

D as Hotel Brinwell gehörte nicht zu einer Kette, obwohl viele Hotelketten im Laufe der Jahre angeboten hatten, die Besitzer auszuzahlen. Es war vor über einem Jahrhundert gebaut worden – von der Familie gebaut, in Familienbesitz und von der Familie betrieben. Das Unternehmen wollte seinen Gästen alle erdenklichen Annehmlichkeiten bieten, deshalb wurde das Hotel im Laufe der Jahre oft renoviert und modernisiert, um den Bedürfnissen der Zeit gerecht zu werden.

Eines hat sich jedoch nie geändert: Es gab einen Portier, Pagen und einen Concierge, die dafür lebten, die Gäste zu bedienen und die alle dementsprechend gekleidet waren. Jeder, der im Hotel Brinwell ankam, wurde wie ein Adliger behandelt.

Agony fuhr in die kreisförmige Einfahrt, kurbelte ihr Fenster herunter und lächelte den Herren im Anzug an, der sie begrüßte. »Blumenlieferung. Rein und raus. Kurzzeitparkplatz?«

»Ahh … ja, Ma’am.« Er nickte und wies ihr den Weg zu einem Parkplatz mit fünf Stellplätzen an der Seite der runden Einfahrt. »Fünfzehn-Minuten-Limit.«

»Es sollte nicht länger als fünf Minuten dauern«, versicherte sie ihm, bevor sie sich auf einen der vorgesehenen Plätze begab.

Sie schlüpfte aus Bertha, holte den sorgfältig ausgewählten Strauß und ging zur Tür, dicht gefolgt von ihrem Partner.

»Blumen, wir verstehen.« Der Pförtner öffnete die Tür des Hotels und hieß sie willkommen. »Aber was ist Ihr Anliegen, Sir?«

»Blumenwächter.« Pain nickte in Richtung der Lieferfrau. »Sie sind sehr teuer. Ich glaube, eine von ihnen ist eine echte blaue Orchidee und für über zehntausend versichert.«

»Willkommen im Hotel Brinwell.« Der Mann nickte. »Mögen alle Ihre Lieferungen angenehm sein.«

Nachdem sie sich Zutritt verschafft hatten, blieb Pain in der Lobby zurück, während Agony ihr Ding machte und zur Rezeption ging. Beide mit Mikrofonen und Ohrstöpseln verkabelt. Sie wollte gar nicht wissen, wo und wie er sie erworben hatte. Aber verdammt , die sind praktisch.

Er saß in der Lobby und sah und hörte zu, wie sie die Rezeption erreichte, die Sonnenbrille aufgesetzt, um ihre totenbleichen Augen zu verbergen. Mal sehen, wie gut deine schauspielerischen Fähigkeiten sind.

»Ich habe eine Lieferung für einen Ihrer Gäste.« Agony war ganz bei der Sache, als sie versuchte, die schreckliche Handschrift auf der Karte zu lesen, die dem Strauß beigefügt war. »Der Name ist … Evan Korman?«

»Zimmernummer?«, fragte der Empfangschef höflich.

»Sagen Sie es mir.« Sie zeigte ihm die Karte. »Der Absender muss ein Arzt sein, denn die Handschrift ist echt beschissen.«

Der Mann schaute angestrengt auf die Karte und konnte auch die Zimmernummer nicht entziffern, aber zumindest der Name Evan Korman war gut lesbar. Er drückte ein paar Tasten und schaute lächelnd auf.

»Ja, wir haben einen Mister Korman als Gast registriert.« Er hob eine Hand und schnippte mit den Fingern. Zwei Sekunden später erschien einer der Pagen.

»James«, bat der Empfangschef, »bitte nimm der jungen Dame die Last ab und bring die Sachen auf Zimmer vier-zwei-eins.«

»Auf keinen Fall, Jüngelchen.« Sie schob die Blumen aus der Schnappreichweite des Pagen. »Tut mir leid, Jimmy, nicht deine Schuld.« Sie wandte sich an den Angestellten. »Hören Sie zu, mein Freund, das sind keine gewöhnlichen Blumen. Ich brauche eine Unterschrift als Liefernachweis, sonst werde ich nicht bezahlt, ganz zu schweigen von dem Trinkgeld, das der glückliche Empfänger geben wird. Wenn Sie also nicht zwei Benjamins in der Tasche haben und bereit sind, eine Unterschrift zu fälschen, gehe ich auf Zimmer vier-zwei-eins und liefere persönlich aus.« Mit Benjamins bezog sich die ehemalige Polizistin auf den umgangssprachlichen Namen für die Einhundert-Dollar-Banknoten, die ein Konterfeit von Benjamin Franklin zierten.

Sie nickte in Richtung der Türen, vor denen sie ihren Lieferwagen in einer Fünfzehn-Minuten-Zone geparkt hatte und fügte hinzu: »Ich habe Kunden, die auf Blumen warten, die da draußen verwelken. Entweder lassen Sie mich meine Arbeit machen oder Sie geben mir eine Unterschrift und genug Geld, um meine Kosten zu decken. Andernfalls bringe ich dieses fünfhundert Dollar teure Arrangement zurück in den Laden.«

Agony beugte sich vor und las das Namensschild des Angestellten.

»Mein Chef wird seinem Kunden erklären müssen, warum das aufgeblasene Arschloch namens Anthony hinter der Rezeption des Hotel Brinwell die Lieferung verweigert hat.«

Mit einem Blick auf die überaus wütende Blumenboten überlegte er sich seine Position noch einmal. »James? Könntest du diese junge Dame bitte zu Zimmer vier-zwei-eins begleiten?« Er schaute Agony an und fügte abfällig hinzu: »Wir wollen sie nicht allein lassen, damit sie nicht noch ziellos durch die Gänge streift und sich vielleicht dabei verirrt.«

»Danke, Anthony«, antwortete sie in einem fast höflichen Ton.

Das nenne ich mal eine Schauspielerin. Pain zog eine Grimasse, als James seine Partnerin zu den Aufzügen begleitete. Er musste sich eingestehen, dass der Blumenhändler recht gehabt hatte. Obwohl er erst seit fünf Minuten dort war, knirschte er schon bei den Tönen der Aufzugstür mit den Zähnen.

»Zwei Schwachmaten in der Lobby.« Agony hörte Pains Stimme in ihrem Ohr, kurz, bevor sich die Aufzugstür öffnete. »Sie haben Evans Namen gehört und sind auf dem Weg zur Treppe. Ich sollte in der Lage sein, sie einzuholen, bevor sie den vierten Stock erreichen, aber wenn nicht, dann halte sie hin.«

»Roger«, antwortete sie. Ihr jugendlicher Begleiter erinnerte sie daran, dass sein Name James und nicht Roger war und fragte, ob sie eine Frage an ihn habe.

»Nein, James«, antwortete sie. »Jemand namens Roger ist meine nächste Lieferung. Ich habe die Angewohnheit, immer eine Lieferung vorauszudenken.«

»Sie müssen sehr beschäftigt sein«, antwortete er, als sich die Aufzugtüren öffneten und sie eintraten.

»Du ahnst nicht einmal die Hälfte davon.« Sie schenkte ihrem Begleiter ein müdes Lächeln.

* * *

Der Aufzug hielt in der vierten Etage und mit einem nicht gerade liebenswerten Gong schoben sich die Türen auf. Agony, mit den Blumen in der Hand und ihrem vom Empfangschef verordneten Begleiter an ihrer Seite, stieg aus und ließ sich von James zu Zimmer vier-zwei-eins führen.

Er klopfte an die Tür, indem er den Brinwell-Kurzcode für Klopfen benutzte, um den Bewohner zu informieren, dass ein Mitarbeiter anwesend war und wartete geduldig, bis jemand antwortete.

Sie teilte seine Geduld nicht und biss ein paar Sekunden lang die Zähne zusammen, bevor sie ihn bat, die Klopfserie zu wiederholen.

»Noch fünf Sekunden«, antwortete er. »Wir müssen unseren Gästen Zeit lassen.«

Genau fünf weitere Sekunden später klopfte er erneut an die Tür. Zehn Sekunden später war die Tür immer noch nicht geöffnet worden und er drehte sich zu ihr um.

»Es tut mir leid, Ma’am.« Er klang aufrichtig. »Es scheint, dass Mister Korman im Moment nicht da ist.«

»Wie wäre es, wenn wir es noch einmal versuchen, um das zu bestätigen.« Sie stellte sich vor James. Inzwischen hatte sie sich das Klopfmuster zurechtgelegt und hämmerte den Geheimcode mit der Faust statt mit einem leichten Anstupsen mit den Knöcheln in die Tür.

Zwei Sekunden später öffnete sie sich, obwohl es wirklich schwer zu erkennen war. Der Körper, der sie öffnete, hatte fast die gleiche Höhe und Breite wie der Türrahmen.

»Tut mir leid«, sagte er, »ich habe vergessen, das Bitte-nicht-stören-Schild aufzuhängen.«

»Ich habe eine Blumenlieferung für Evan Korman!«, erklärte Agony freudestrahlend, während sie ihrem persönlich zugeteilten Hotelangestellten eine Hand auf den Rücken legte und ihn nach vorn schob, um jeden Versuch zu verhindern, die Tür zuzuschlagen.

»Hier gibt es keinen Evan Korman«, sagte der Bewohner, als er versuchte, die Tür zu schließen, aber James stand im Weg. Mit der freien Hand hielt sie das Hemd ihres Begleiters fest umklammert, um ihn als Türstopper in Position zu halten.

»Ich bin Fahrerin bei Whip-Speed.« Sie erhob ihre Stimme, als sie sich den Namen auf der Stelle ausdachte. »Ich weiß nicht, wie viel du verdienst, Großer, aber ich werde nur bezahlt, wenn ich meine Lieferanweisungen genau befolge. Bei dieser Lieferung kann ich nur bezahlt werden, wenn ich diese Blumen im Auftrag eines guten Freundes persönlich an Evan Korman liefere. Wenn Evan nicht hier ist, muss ich wissen, wo er ist, damit ich ihm diese verdammten Blumen bringen kann, bevor meine Lieferzeit abläuft und mein Lohn gekürzt wird. Mister Abriro hat das sehr genau gesagt.«

»Hier gibt es keinen Evan Korman«, betonte der Mann.

»Aber das«, quietschte James, als er weiterhin zwischen Tür und Türpfosten eingeklemmt war, »ist Evan Kormans Zimmer. Wenn er nicht mehr hier wohnt, muss das Hotel Brinwell darüber informiert werden, wer das Zimmer jetzt bewohnt. Dies ist eine Reservierung für nur einen Erwachsenen!«

Der junge Mann dachte vielleicht, dass es Zeit für einen Karrierewechsel war, aber er hatte einen Job zu erledigen und verdammt noch mal, er würde ihn richtig machen.

»Geh zur Seite, Sylvester«, sagte eine vertraute, sehr korrekte englische Stimme von drinnen. »Lass mich sehen und unterschreibe für die blühenden Blumen.«

»Dein Rücken ist frei«, flüsterte ihr Partner in ihr Ohr und so konnte sie sich auf das Drama konzentrieren, das sich vor ihr abspielte.

Sylvester löste seinen Griff an der Tür, um James hinauszuschieben, hielt sie aber mit der anderen Hand fest, damit Evan den Strauß in Empfang nehmen konnte, während das Liefermädchen im Flur bleiben musste.

Agony war vielleicht schnell genug, um ihre Eskorte als Türstopper zu benutzen, aber sie war nicht stark genug, um sich an dem Ungetüm vorbeizumogeln, das jetzt Evans Leibwächter zu sein schien, wenn nicht mehr.

Er hielt sich an der Tür fest und ließ dem anderen Mann gerade genug Platz, um den Strauß entgegenzunehmen und zu bestätigen, dass er aus dem Laden seines Freundes Adrian stammte, obwohl er den Namen des Absenders nicht kannte.

Evan wollte das Drama so schnell wie möglich hinter sich bringen und unterschrieb den Lieferschein. »Könnten Sie jetzt bitte gehen?«, bat er müde.

Sie wusste, dass Pain ihr den Rücken freihielt und nutzte den unbewachten Moment, um an dem Fotografen vorbei und unter den Armen seines Leibwächters hindurch in die Mitte des Raumes zu schlüpfen.

Beide Männer drehten sich um und sahen sie verblüfft an.

»Sie finden Trost in anderen Armen«, bemerkte sie trocken.

»Was?« Evan schaffte es kaum zu antworten.

»Er passt jetzt nicht so in Ihr Beuteschema wie Justin.« Sie wandte sich an ihn und nickte in Richtung Sylvester. »Aber vielleicht ist es genau das, was Sie jetzt brauchen.«

»Wer zum Teufel sind Sie?«, kreischte der Galan fast, denn die Blumenlieferung war nur noch eine ferne Erinnerung.

»Wollen Sie das wirklich wissen?«

»Es ist Zeit für dich zu gehen, Schlampe.« Sylvester war breiter als Pain, aber seine Muskeln waren nicht annähernd so stark.

Agony zog ihren Schlagstock aus der Tasche, die hinten in ihrer Weste eingenäht war und stellte sich dem großen Mann, als er auf sie zustürmte. Sie duckte sich unter dem ersten Rundhieb, den er ihr verpasste und beschenkte die Zwillinge zwischen seinen Beinen mit einem kräftigen Knirschen, ausgelöst durch einen Zusammenstoß mit ihrer Waffe. Er heulte auf, ging aber nicht zu Boden.

James, der engagierte Mitarbeiter des Hotel Brinwell, eilte in den Raum, um zu versuchen, Schäden an den Möbeln zu verhindern. Zu seinem Pech bewegte er sich auf ihren Rücken zu, als ihr Gegner einen weiteren Roundhouse-Schlag versuchte, dem sie geschickt auswich. Der Page rammte ihr mit dem Gesicht voran in den Rücken und ging zu Boden.

»Oh ja.« Der große Mann grinste. »Ein kleines Mädchen mit einem großen Schlagstock.«

»Gefällt dir mein Schlagstock?«, erkundigte sie sich. »Dann gehört er jetzt dir.«

Sie warf ihn zwischen ihnen durch die Luft. Er vermutete, dass es sich um eine Art Trick handelte und beobachtete die Aufwärtsbewegung mit Argusaugen, dann verfolgte er den Abstieg.

Als Sylvester nach unten schaute, um seinen Weg zu verfolgen, wurde sein Gesicht von fünf schnell aufeinanderfolgenden Tritten getroffen, die ihn halb blind und blutend zurückließen.

Agony hob ihren Schlagstock auf und schlug ihn gegen seine Knie, sodass er vor Schmerz heulend zu Boden sackte. Sie hasste Heuler und stieß ihm einen Ellbogen in den Nacken. Es war zwar kein tödlicher Schlag, aber es reichte aus, um ihn vorübergehend außer Gefecht zu setzen.

Da er zumindest für den Moment aus dem Spiel war, wandte sie sich an Evan, der hinter sich nach einer Waffe kramte, die er aus irgendeinem Grund in seinem Gürtel über dem Hintern stecken hatte.

Pain wählte diesen Moment, um aufzutauchen und die bewusstlosen Körper der beiden anderen Leibwächter hereinzuschleifen, die er im Treppenhaus auf dem Weg in den vierten Stock gestört hatte.

»Ich habe zwei Geschenke für die Königin«, verkündete er, als er die beiden schlaffen Männer losließ und mit dem Fuß die Zimmertür hinter sich schloss.

»Die Königin dankt dir für deinen Dienst, aber sie ist im Moment etwas beschäftigt.«

»Womit?« Er sah sich die Szene an. Zwei Männer lagen am Boden, einer von ihnen ein großes Arschloch, aber ein schlanker Mann stand noch und tastete gerade nach einer Waffe. Er schloss daraus, dass seine Partnerin sein Ziel sein würde, sobald er die Waffe richtig ausgerichtet hatte.

»Nun, zum einen«, erklärte Agony ruhig, »ist ein Mann dabei, eine Waffe auf mein sanftes Ich zu richten.«

»Zum anderen«, antwortete er und spielte mit, »sollten wir ihm vielleicht die Zeit geben, zu lernen, wie man dieses spezielle Modell benutzt, bevor wir uns ducken. Selbst die Idioten, die er für seinen Schutz bezahlt hat, wissen sicherlich genug, um die Sicherung zu überprüfen, bevor sie eine Glock ziehen.«

Evan hatte die Pistole endlich fest im Griff, war aber nicht mit ihr vertraut und suchte nach der Sicherung. Die nächsten Sekunden nutzte Agony, um quer durch den Raum zu schreiten, ihm die Pistole aus der Hand zu reißen und ihm mit dem Pistolengriff einen kräftigen Schlag gegen das Ohr zu versetzen. Nichts zerstörte das Gleichgewicht schneller als ein solcher Schlag und er sackte bei vollem Bewusstsein zusammen, konnte aber jedes Wort auf seinem guten Ohr hören.

»Profi-Tipp nur für dich, Evan«, sagte sie ihm, »Glocks haben keine Sicherung.«

»Tatsächlich«, sagte ihr Partner mit unerträglich präziser Stimme zu ihr, »haben Glocks keine externe Sicherung. Aber sie haben drei interne Sicherungen.«

»Und ich werde sie alle freigeben, wenn ich den Abzug drücke und dir drei Kugeln ins Gehirn jage, sobald ich diesem wertlosen Stück Scheiße kurz vorher zwei in seinen Schädel geschossen habe.«

»Nun«, entgegnete Pain, »zumindest weiß ich, wo ich in der Hackordnung stehe. Aber du hast doch mit den professionellen Tipps angefangen, also war mein einziges Verbrechen, dass ich es sehr genau genommen habe.«

»Genau das macht mich wahnsinnig an dir!«, schrie Agony beinahe, als sie die Waffe auf ihren Partner richtete.

»Bitte!« Evan unterbrach energisch den Austausch darüber, wer zuerst erschossen werden würde. »Nicht hier.«

»Warum nicht?« Sie drehte sich zu ihm um, die Glock immer noch auf ihren Partner gerichtet.

»Irgendwo, nur nicht hier«, bettelte der Mann leise. »Ich habe es endlich geschafft, sie zum Schlafen zu bringen.«

»Shayla?«, fragte sie und war sich nicht sicher, ob sie den Ober-Verdächtigen richtig verstanden hatte.

»Natürlich, Shayla.« Evan tat so, als wäre das eine der dümmsten Fragen, die er je einen Amerikaner hat stellen hören. »Sie können mit mir oder untereinander machen, was Sie wollen, aber das arme Mädchen hat in letzter Zeit ein enormes Trauma durchgemacht und braucht ihre Schlafenszeit.«

»Ja, Trauma.« Agony grinste. »Die Ermordung des Vaters macht das mit einem Kind, ganz zu schweigen von einer Entführung.«

»Ich habe sie nicht entführt!« Er wollte gerade zu einer Rechtfertigung ansetzen, aber sie unterbrach ihn.

»Und wo ist sie?«

»Onkel Evan?« Alle drehten sich zu einem vierjährigen Kind um, das in der Tür zu einem der beiden Schlafzimmer der Suite stand. Sie trug ein passendes Schlafanzugoberteil und eine Schlafanzughose und hielt einen kleinen, rosa-weißen Stoffelefanten am Rüssel fest. »Es ist laut hier draußen.«

Agony wich schnell zurück und übergab die Glock unauffällig an ihren Partner. Er hielt die Waffe an seiner Seite, außer Sichtweite des Kindes, aber im Blickfeld ihres ›Onkels‹.

»Es tut mir leid, Süße.« Sie trat einen Schritt vor und kniete sich vor das Mädchen. »Mein Name ist Alicia und du musst die berühmte Shayla sein.«

Das Kind nickte, während es den Elefanten hochschwang und ihn an ihre Brust drückte. »Ich bin noch nicht berühmt, aber Papa sagt, wenn ich weiter übe, werde ich es bald sein.« Sie zeigte auf die vier Körper auf dem Boden und fragte: »Ist bei denen auch Mittagsschlafzeit?«

»Ja.« Agony spielte bei der Geschichte der Kleinen mit. »So ist es. Macht es dir etwas aus, wenn wir sie ins Bett bringen?«

»Das machen Daddy und Onkel Evan mit mir auch immer, wenn ich müde bin.« Shayla nickte der netten Dame zu. Sie hatte nicht sehr viele Frauen in ihrem Leben, also wollte sie dieser hier helfen.

»Das ist schon okay.« Sie nahm die Hand des kleinen Mädchens und führte sie in ihr Schlafzimmer, setzte sie und ihren Elefanten auf das Ende des Bettes vor den Fernseher und blätterte mit der Fernbedienung schnell durch die verfügbaren Kanäle.

Ihr Partner zwang Evan, ihm zu helfen, die vier reglosen Körper in das größere Schlafzimmer auf der gegenüberliegenden Seite der Suite zu schleppen.

»Sparky und seine Freunde!«, rief Shayla begeistert. »Ich liebe Sparky!«

Nachdem die Körper weggeschafft worden waren, blieb Pain an der Schlafzimmertür stehen und stellte sicher, dass der andere Mann die Pistole sehen konnte. Auch wenn er keine Schusswaffen trug und sie nur als letzten Ausweg benutzte, konnte er sie einsetzen, wenn die Situation es erforderte.

Mit der freien Hand hielt er Evans Kragen fest umklammert, sodass der Mann gezwungen war, an seiner Seite zu bleiben. Als klar war, dass Shayla sich im Sparkyland verirrt hatte, schloss Agony leise die Tür und ging zu ihnen. Alle taten ihr Bestes, um leise zu sein.

»Der Fernseher mitten am Tag?« Der Fotograf schüttelte empört den Kopf, als er sie zurechtwies. »Jetzt werde ich sie nie dazu bringen können, ein Nickerchen zu machen.«

»Dass sie ein Nickerchen macht«, bemerkte Pain trocken, »ist die geringste deiner Sorgen.«

»Du hast nur ein paar Sekunden Zeit«, sagte Agony unverblümt, »um dich zu erklären, bevor ich das Baby in die Obhut des Jugendamtes gebe. Währenddessen wird der große Kerl hier Mister Potato Head mit dir spielen und sich die Zeit nehmen, dich auseinanderzunehmen und die Teile in einer sehr nachlässigen Reihenfolge wieder zusammenzusetzen.«

»Sie können sie nicht einfach so in das System werfen.« Die Empörung des Mannes klang aufrichtig.

»Ich kann.« Sie war genauso aufrichtig wie er. »Und ich werde es tun, wenn sie dadurch von dem Mann wegkommt, der ihren Vater getötet hat.«