B evor wir weitermachen«, warf Pain ein, »hast du irgendwelche kohlensäurehaltigen Flüssigkeiten in deiner Suite?«
»Nur ein paar Flaschen Selters in der Minibar.« Evan nickte in Richtung der kleinen Küchenzeile.
»Das wird funktionieren.« Er reichte Agony die Glock und widerstand der Versuchung, einen abfälligen Kommentar über die Sicherung zu machen, bevor er zum Kühlschrank ging.
»Wir waren in deinem Haus.« Sie begann das Verhör, ohne zu versuchen, etwas anderes als direkt zu sein.
»Wer war das nicht?« Der Mann schniefte. »Welche Behörde haben Sie dabei vertreten, als Sie dort waren, oder sind Sie bei der Polizei?«
»Sehe ich aus wie eine verdammte Polizistin?«
»Nun, wenn Sie eine sind, dann sind Sie sicher nicht der Friendly-Officer-Typ.« Er sagte das Offensichtliche mit einer gesunden Portion Sarkasmus.
»Da hast du recht.« Sie hatte seit ihrer Ausbildung eine Hassliebe mit der Kampagne rund um ›Friendly Officer‹, die Kindern die Strafverfolgung näherbringen soll. »Aber nein, ich bin keine Polizistin. Der große Kerl und ich«, sie nickte in Richtung der Küchenzeile, wo ihr Partner an etwas herumhantierte, »sind einfach Privatdetektive, die einen Mordfall untersuchen sollten. Willst du mal raten, zu welchem Ergebnis wir gekommen sind?«
»Wahrscheinlich dem richtigen.« Er ließ den Kopf hängen. »Sonst wären Sie nicht hier.«
Pain kehrte mit einer der kleinen Flaschen Selters zurück, die er nun kräftig schüttelte. Er trat durch die Schlafzimmertür, wo die vier Körper immer noch bewusstlos lagen, aber bald wieder zu sich kommen würden. Ohne einen von ihnen anzusehen, leerte er die stark sprudelnde Flüssigkeit der Flasche auf den Boden zwischen ihnen, trat schnell hinaus und schloss die Tür. Mit einer Geste bedeutete er ihnen, Abstand zu halten, während er eine Handvoll Papiertücher zwischen die Tür und den Teppich stopfte.
»Haben Sie die gerade alle vergiftet?« Evan war fassungslos.
»Gift?« Der Agent war zutiefst beleidigt über diese Anschuldigung. »Natürlich nicht. Was ich ihnen gegeben habe, war ein Trank, kein Gift. Das ist ein großer Unterschied. Wenn die Typen aufwachen, werden sie verwirrt sein und ohne Hilfe nur schwer aufstehen können. Aber so können wir unser Gespräch fortsetzen, ohne dass wir uns Sorgen machen müssen, dass sie gestört werden. Wie wär’s also, wenn wir uns alle hinsetzen, es uns gemütlich machen und uns ganz ohne Scheißelabern unterhalten?« Er zog einen Stuhl heran und stellte ihn in Richtung Couch. Evan nahm den angebotenen Stuhl und die Partner teilten sich das Sofa.
»I…« Der Mann schnitt eine Grimasse. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»Dann werden wir es einfach halten«, erklärte Agony. »Wir stellen dir eine Frage nach der anderen und du gibst dein Bestes, um sie ehrlich zu beantworten.«
»Werden Sie mich töten, wenn ich Ihnen eine Antwort gebe, die Ihnen nicht gefällt?« Der Mann war skeptisch.
»Wir haben dich noch nicht getötet.« Sie setzte ihre schauspielerischen Fähigkeiten für die Rolle der guten Polizistin ein. »Und die meisten Antworten kennen wir bereits. Wir wollen nur hören, dass du sie bestätigst und uns über einige Details aufklärst, die wir vielleicht übersehen haben. Ich verspreche, dass ich dich nicht töten werde, egal, was du sagst.«
»Was ist mit ihm?« Er nickte in Richtung Pain. »Wird er das gleiche Versprechen geben?«
»Versprechen sind dazu da, gebrochen zu werden«, antwortete ihr Partner für sich selbst, »genauso wie Knochen. Eine Frage nach der anderen und ich entscheide, welchen Knochen ich zuerst breche, wenn ich glaube, dass du lügst.«
»Wird dieses Gespräch aufgezeichnet?« Evan war aus einem unerfindlichen Grund der Meinung, dass er das Recht hatte, es zu wissen.
»Nein«, bestätigte sie, »nicht so, dass es vor Gericht Bestand hätte.«
Der Mann nahm die Aussage für bare Münze, obwohl er in Wahrheit gar nicht daran dachte, einen Prozess zu vermeiden. Er hatte dringendere Sorgen. Er ließ sich auf seinem Stuhl nieder und beantwortete die erste Frage, bevor sie gestellt werden konnte: »Ja, ich habe Justin getötet.«
»Ich habe gehört, dass die Beichte gut für die Seele sein kann«, mischte sich Pain in das Gespräch ein, »vorausgesetzt, du hast eine.«
Agony warf ihm einen bissigen Blick zu, also lehnte er sich zurück und ließ sie mit ihrer Guter-Cop-Routine weitermachen.
»Das ist unser Problem, Evan.« Sie beugte sich vor. »Wir wissen, dass du es getan hast, auch wenn du nicht der Typ für einen Mord zu sein scheinst. Wir müssen aber wissen, warum.«
Die Partner hielten inne und gaben ihm genug Zeit, um zu entscheiden, ob er das Gespräch fortsetzen oder einfach nur verlangen wollte, dass sie die Polizei rufen und ihn sofort festnehmen lassen. Er kam zu einem Entschluss und begann zu reden, obwohl er nicht stolz auf das klang, was er zu sagen hatte.
»Justin vermutete, dass ich eine Affäre haben könnte.«
»Das ist kaum ein tödliches Vergehen«, sagte sie sanft.
»Nein, ganz und gar nicht«, stimmte Evan zu. »Sie müssen verstehen, dass er und ich trotz unserer gegenseitigen Anziehung in zwei verschiedenen Welten lebten. Seine bestand hauptsächlich aus Analytik. Meine war mehr auf den kreativen Bereich ausgerichtet. Unsere Welten haben sich nur selten überschnitten.«
»Also, um das auf einen Punkt zu bringen«, antwortete sie und versuchte sich als Therapeutin, »außerhalb des Schlafzimmers hattet ihr nicht viele gemeinsame Interessen.«
»Außer Shayla.« Der Mann schien das sehr deutlich machen zu wollen. »Wir haben Shayla beide geliebt. Solange sie da war, hatten wir immer etwas zu besprechen.«
»Erzähl mir von ihr«, forderte Agony leise. »Wie ist sie in euer Leben gekommen?«
»Justin hatte einen Partner – einen sehr häuslichen Typ, der ihn davon überzeugt hatte, dass sie ein Kind brauchten, um den Haushalt zu vervollständigen. Sie gingen durch die Adoptionsagenturen, aber selbst heutzutage muss ein schwules Paar zahlreiche Hürden überwinden, um ein Kind adoptieren zu können. Aber Justin wusste, wie das System funktioniert …«
»Er hat ein paar Abstriche gemacht?«, schlug sie vor, als seine Stimme ins Stocken geriet.
»Nein, nichts dergleichen.« Evan war hartnäckig. »Es hatte nichts mit Schwarzmarkt oder Untergrund zu tun. Er hat einfach eine andere Einfahrt gefunden, in die er einbiegen konnte. Fragen Sie mich bitte nicht, wie er es geschafft hat, aber er hat eine Frau gefunden. Um es vorsichtig auszudrücken: Sie war eine Hure, die schwanger geworden war, aber eine Abtreibung war gegen ihre Religion – und bitte verlangen Sie jetzt nicht von mir, dass ich mich in diese verquere Denkweise hineinversetze. Justin und die Frau, die im sechsten Monat schwanger war, gingen zum Gericht und ein Richter erklärte sie zu Mann und Frau, mit der vertraglichen Vereinbarung, dass er das Kind behalten und aufziehen würde und die Frau dann ihren eigenen Weg gehen könnte.«
Während er seine Geschichte erzählte, blickte er abwechselnd zu den beiden Ermittlern auf der Couch. Sie würden ihm entweder glauben oder nicht, aber er sagte nichts als die Wahrheit, wie er sie kannte.
»Mach weiter«, ermutigte ihn die Frau, während der große Mann schwieg.
»Die schwangere Frau «, fuhr er fort und beschloss, den Begriff ›Hure‹ nicht mehr zu verwenden, wenn er sich auf Shaylas leibliche Mutter bezog, »zog zu ihrem rechtmäßigen Ehepartner, wohnte in dem Zimmer, das ich zuletzt bewohnte und Justin und sein damaliger Partner himmelten sie an. Drei Monate später starb die Mutter bei der Geburt und er war ein Witwer mit einer neugeborenen Tochter. Sechs Monate später beschloss sein ach so häuslicher Partner, dass ein Baby, das rund um die Uhr schreit, nicht so idyllisch ist, wie er es sich vorgestellt hatte und machte sich auf den Weg, Gott weiß wohin.«
»Aber Justin hat das Baby behalten?« Agony schien in die Geschichte einzutauchen.
»Sie war sein einziger Lebensinhalt geworden. Er benötigte drei Anläufe, aber nach sechs Monaten hatte er seine eigene Mary Poppins als nicht ganz legales Au-pair gefunden. Zwei Jahre lang bildeten die drei ein perfektes Trio.«
Er hielt in seiner Erzählung inne, fasste sich aber nach einem Moment wieder und fuhr fort.
»Justins Eltern waren sogar ein paar Mal hergeflogen, um ihre Enkelin ein paar Tage lang zu verwöhnen. Wie Sie sich denken können, hätten sie nie erwartet, dass ihr einziger Sohn, homosexuell wie er war, ihnen jemals ein Enkelkind schenken würde. Aber die Heiratsurkunde, die Krankenhausunterlagen und die Geburtsurkunde bewiesen, dass ihre Gebete erhört worden waren – was für Heuchler.«
»Du solltest den Begriff Heuchler aus deiner Erzählung heraushalten«, riet Agony. »Die Großeltern sind nicht diejenigen, die Justin eine Kugel in den Hinterkopf gejagt haben.«
»Nachricht angekommen.« Evan nickte und fuhr fort. »Den dreien ging es prächtig, bis es an der Tür klopfte. Justin war zufällig zu Hause und Theresa de Jesus, Nachname nicht notiert, wurde abgeführt, ohne dass sie sich von ihrer Shayla verabschieden konnte.«
»Und dann bist du Spaßvogel eingezogen?« Pain kämpfte seinen Zynismus zurück.
»Ja.« Er starrte den großen Mann unverwandt an. »Damals bin ich eingezogen. Justin und ich hatten unterschiedliche Zeitpläne, aber wir haben es irgendwie hinbekommen und Shayla war nie auch nur für einen Moment bei einem Babysitter.«
Pain fand, dass es an der Zeit war, den bösen Bullen zu spielen. »Dann danke ich dir für diese herzzerreißende Geschichte. Jetzt musst du mir noch bitte erklären, warum die Hälfte von Mister LeVauls Gehirn auf seinem Schreibtisch gelandet ist.«
»Ich habe bereits gestanden, dass ich den Abzug gedrückt habe.« Evan war gar nicht erfreut über die plötzliche Unterbrechung seiner Erzählung.
»Ja«, antwortete er, ohne einen Hauch von Sentimentalität in Bezug auf die Reise Evans in die Vergangenheit, »aber du hast noch nicht gesagt, warum. Und das Warum ist uns wichtig. Sei also bitte nachsichtig mit mir. Mister LeVaul hat, wie du gesagt hast, Nachforschungen angestellt und wahrscheinlich nach Beweisen gesucht, warum du eine so idyllische Beziehung verlassen willst.«
»Ich hatte weder den Wunsch noch die Absicht, ihn und Shayla zu verlassen.«
Manchmal war es die beste Verhörmethode, das Schweigen in der Luft hängenzulassen. Evan war der erste, der sie brach.
»Wie ich schon sagte«, fuhr der Galan fort, »war Justins Verstand brillant und analytisch. Außerdem hatte er ein großes Herz und wollte von niemandem das Schlechteste denken. Deshalb werde ich mit dem Glauben ins Grab gehen, dass er, als er anfing, in meiner Post zu wühlen, vor allem hoffte, einen Beweis dafür zu finden, dass sein Verdacht falsch war. Auf diese Weise konnte sein Verstand seinem Herzen sagen, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Alles wäre gut gewesen, wenn Treble Hook nicht aufgetaucht wäre und Magpie sich nicht eingemischt hätte.«
»Treble Hook?« Pain unterbrach den Redefluss und machte seiner Partnerin klar, dass ihr guter Bulle für den nächsten Teil des Verhörs nicht nötig sein würde. »Und wer zum Teufel ist Magpie?«
Agony verstand seinen stummen Hinweis. Obendrein wollte sie mehr über diesen Treble Hook erfahren – was er ihr versprochen hatte, sobald sie mit der Situation im Hotel Brinwell fertig waren. Trotzdem war sie der festen Überzeugung, dass es keine bessere Zeit gab wie die Gegenwart.
»Mit was soll ich anfangen?« Evan benutzte seine sehr britische Stimme, als wäre sie ein Messer. »Treble Hook oder Magpie?«
Zu ihrer Überraschung drehte ihr Partner seine Intensität um acht Stufen herunter.
»Ich weiß nichts über Treble Hook«, fuhr der Mann fort. »Ich glaube, Justin dachte, es sei eine meiner Künstlergruppen, aber er hat angefangen, sich damit zu beschäftigen.«
»Und wie oder warum«, antwortete Pain ruhig, obwohl er mittlerweile bereit war, dem Herrn den Kopf abzureißen, »ist Treble Hook in irgendeiner deiner Korrespondenz aufgetaucht, die Mister LeVaul finden konnte?«
»Weil Magpie …« Er hatte die Katze aus dem Sack gelassen und hoffte auf einen schnellen und hoffentlich schmerzlosen Tod. »Als sie erfuhren, dass ich mich mit Justin angefreundet hatte, bestanden sie darauf, dass ich seine Aktivitäten im Auge behalte und Informationen sammle, die für sie von Interesse sein könnten.«
»Und was hast du gefunden?«, fragte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Agony spürte die wachsende Unruhe ihres Partners und packte seine nächstgelegene Kniescheibe in einem Fingerschraubstock. Pain merkte, dass er nicht mehr die ruhigste Person im Raum war und lehnte sich zurück, als Agony die Befragung fortsetzte.
»Lassen wir die ganze Treble-Hook-Verbindung für den Moment beiseite«, schlug sie vor, was sowohl Pain als auch sie verärgerte, weil sie wirklich mehr darüber erfahren wollte. Jetzt schien jedoch nicht der beste Zeitpunkt zu sein, um sich damit zu befassen, zumal ein weiterer Spieler ins Spiel eingeführt worden war.
Ihr Partner war nicht glücklich und der andere Mann zeigte keine Anzeichen von Erleichterung. Agony stand dem etwas unbehaglichen Mann auf dem Stuhl der Inquisition gegenüber.
»Du hast Magpie erwähnt«, setzte sie nun anders in der Befragung an. »Erzähl uns mehr. Magpie bedeutet ja Elster auf Englisch. Ist das ein Verein für Vogelliebhaber?«
»Wenn ich Ihnen mehr erzähle«, protestierte Evan, »werden sie mich töten.«
»Wenn du uns nicht mehr erzählst«, schnauzte sie und ließ Officer Friendly zurück, um an ihrem Staub zu ersticken, »wird das Einzige, was Magpie von dir zum Töten findet, die Körperteile sein, die mein Partner zurücklässt. Ich habe ihn in Aktion gesehen und glaub mir, meine Bemerkung über Mister Potato Head war kein Scherz.«
»Magpie?«, fragte der Fotograf.
»Magpie.« Sie nickte, als sie in einem unnachgiebigen Ton antwortete. »Das ist deine letzte Chance, Evan.« Sie gestikulierte in Richtung des Schlafzimmers, wo Shayla und ihr Elefant entweder immer noch die Abenteuer von Sparky und seinen Freunden genossen oder sich zu einem Nickerchen hingelegt hatten. »Ich glaube nicht, dass es Shayla gefallen würde, ihren Onkel Evan vor Schmerzen schreien zu hören.«
»Im Mini-Kühlschrank sind auch ein paar kleine Flaschen Wasser. Kann ich bitte eine davon haben?«
»Ich mach das schon.« Pain stieß sich von der Couch ab, ging in die Küchenzeile und kam mit dem Mineralwasser zurück. Er hatte sich sogar die Zeit genommen, den Deckel abzuschrauben, um es zu erleichtern.
Der andere Mann nickte dankend, als er die angebotene Flasche annahm. Er nahm einen Schluck, um seine Kehle zu befeuchten und tat sein Bestes, um die ganze Sache zu erklären.
»Magpie – oder genauer gesagt Magpie Municipal – ist ein loser Zusammenschluss von – wie Justin es nennen würde – Geheimdienstzellen. Bitte …« Er schaute die beiden an, die ihm gegenüber auf der Couch saßen. »Sagt mir, dass ihr versteht, was das bedeutet, damit ich es nicht erklären muss.«
»Es bedeutet«, antwortete Pain ruhig, »dass du dich in etwas verrannt hast, was dein künstlerisches Ich nicht verstanden hat.«
»Ganz genau.« Evan nahm einen weiteren Schluck. »Magpie Municipal nutzt lokale Ressourcen, kleine Gruppen von … sagen wir mal, enttäuschten Zivilisten. Jede Gruppe hat ihren eigenen Schwerpunkt an Beschwerden, Verdächtigungen und Ideologien. Magpie schickt verdeckt arbeitende Mitarbeiter los, um die Informationen zu sammeln, die die einzelnen Personen gesammelt haben, um so Komplikationen wie international agierende Spionageorganisationen oder rechtliche Probleme zu vermeiden.«
»Also …« Der ehemalige Agent runzelte die Stirn, als er das Puzzle zusammensetzte. »Die lokalen Gruppen, von denen die meisten von den örtlichen Behörden nur als unbedeutende Plagegeister betrachtet werden, machen die ganze dreckige Arbeit. Was dann?«
»Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen.« Der Mann schien sich nicht entscheiden zu können, ob er seinem Fragesteller ernsthaft in die Augen schauen oder den Kopf hängen lassen sollte.
»Sag es uns, Evan.« Der gute Bulle von Agony war zurückgekehrt.
»Ich habe eines Abends in einem Club einen Kerl getroffen.« Evan vertraute darauf, dass der durchdringende Blick der Frau ihm doch kein Loch in den Schädel brannte. »Man weiß ja, wie das läuft und wir landeten bei mir zu Hause. Er bewunderte die Fotos an meinen Wänden und in einem Moment der Angeberei zeigte ich ihm meine Mappe, in der ich einige Arbeiten aufbewahre, die ich nie in der Öffentlichkeit zeigen würde.«
»Pornografisch?« Sie versuchte, ihre Stimme sanft zu halten.
»Nein, nein«, beharrte er. »Pornografie interessiert mich nicht, zumindest nicht als Fotograf. Aber bei einem meiner freiberuflichen Aufträge wurde ich beauftragt, die Fotos für einen Artikel über einen Bundesrichter zu machen. Es war nicht mehr als ein fluffiger Artikel, so ähnlich wie ›Ein Tag im Leben eines Bundesrichters‹. Der Reporter und ich folgten ihm drei Tage lang. Der Reporter stellte seine Fragen und ich umkreiste den Raum, in dem sie sich befanden und machte Fotos.«
»Das war also kein Auftragsmord?«
»Ganz und gar nicht.« Evan nickte. »Am Abend des zweiten Tages lud uns der Richter sogar in sein Büro ein und gab dem Reporter ein Zitat mit auf den Weg: ›Der Arbeitstag eines Richters ist nicht auf das Gerichtsgebäude beschränkt.‹ Er wollte, dass die Leute wissen, dass die Arbeit eines Richters – insbesondere eines Bundesrichters – kein normaler Nine-to-Five-Job ist.«
»Und?« Sie gab ihm ein Zeichen, die Geschichte fortzusetzen.
»Ich habe alles fotografiert und versucht, den richtigen Winkel und die richtige Beleuchtung zu finden, ohne während des Interviews aufdringlich zu sein. Erst als ich später die Bilder nach den schmeichelhaftesten Aufnahmen durchsah, wurde mir klar, dass der Richter unvorsichtig gewesen war, als er uns in sein Haus eingeladen hatte.«
»Und was war es?« Pain war mit seiner Geduld am Ende und unterbrach den Fotografen schroff. »Er hatte eine Praktikantin unter seinem Schreibtisch versteckt, die ihm helfen sollte, sich von einem harten Tag im Büro zu erholen?«
»Ich wünschte, es wäre so einfach.« Der Fotograf seufzte. »Aber nein. Der Richter hatte achtlos ein paar Korrespondenzen offen auf seinem Schreibtisch liegen lassen. Ich habe ihn vor seinem beeindruckenden Bücherregal fotografiert und zwischen seinen Posen ein paar Aufnahmen von den Papieren gemacht, die er vergessen hatte, aus dem Blickfeld zu halten.«
»Belastende Papiere?« Agony hoffte, dass ihr Partner aufhören würde, ihr Verhör zu unterbrechen, bevor sie ihn mit dem Schlagstock mal den Scheitel gerade ziehen musste.
»Sehr belastend.« Evan nickte. »Der Richter hatte ein sehr hohes Bestechungsgeld angenommen.«
»Warum hast du diese Fotos nicht deinem Reporter gezeigt?«, erkundigte sie sich. »Oder jemandem, der weiter oben in der Nahrungskette der Redaktion steht? Ich bin mir sicher, dass sie sich gefreut hätten, sie zu veröffentlichen.«
Der Mann schnaubte über ihre Unerfahrenheit in der Welt der Fotografen. »Wenn das so wäre, hätte mich niemals mehr jemand beauftragt, weitere Fotos hinter den Kulissen zu machen. Also nein, ich habe die beiden Fotos behalten und sie in meinen ›Nicht zum Anschauen‹-Ordner gelegt.«
»Und trotzdem hast du deinem neuen Bekannten die Mappe gezeigt?« Sie war jetzt leicht verwirrt.
»Ein typischer Fall von ›Sieh mal, wen ich kenne‹«, warf Pain ein, um ihr zu helfen, aber auch, um diesen Teil der Show und der Erzählung abzuschließen. »Und eine Prise ›Schau mal, zu was ich Zugang habe‹. Du solltest den Ordner umbenennen in ›Wie man einen One-Night-Stand beeindruckt‹.«
»Ja«, gab der Mann einsilbig zu und betrachtete Pain mit einem Gesichtsausdruck, der vermuten ließ, dass er ihn für fast genauso schlau wie gefährlich hielt. »Ich habe ein bisschen angegeben.«
»Ich nehme an«, fuhr der ehemalige Agent fort, »dass du später herausgefunden hast, dass dein neuer Freund ein Mitglied von Magpie ist?«
Evan nickte traurig. »Irgendwann zwischen dem Zeitpunkt, an dem ich eingeschlafen und dem Zeitpunkt, an dem ich aufgewacht bin, waren er und die beiden Fotos verschwunden.«
»Was ist das fehlende Teil, Evan?« Agony hatte gedanklich aufgeholt und schaltete sich in das Gespräch ein.
»Auf den Ausdrucken«, erklärt er, »unterschreibe und datiere ich die Rückseite jedes Exemplars. Das ist eine feste Gewohnheit.«
Der Mann sah zu, wie seine Vernehmungsbeamten den Kopf schüttelten und den Kopf hängen ließen, als hätten sie es mit einem Idioten zu tun. Es verletzte ihn in seinem Stolz, es zuzugeben, aber in diesem Fall hatten sie vielleicht recht. Zu seiner Überraschung unternahm der große Mann sanft und geduldig den nächsten Schritt im Gespräch.
»Du wolltest jemanden beeindrucken, das verstehe ich. Ich habe das auch schon ein paar Mal gemacht. Was ist dann passiert?«
»Magpie benutzte die Fotos, um das Leben und den Ruf des Richters zu zerstören, der daraufhin in Ungnade gefallen von seinem Amt zurücktrat. Dann benutzten sie die Fotos, die auf der Rückseite meine Unterschrift und das Datum trugen, um mich zu erpressen. Mich, einen einfachen Fotografen, der keine Erlaubnis hatte, die Fotos zu machen, was bedeutete, dass ich in das Haus des Richters eingebrochen sein musste. Es wurde alles so schnell so kompliziert.«
»Du Armer«, sagte Pain, während er sich zurücklehnte und Agony die Befragung übernehmen ließ, bevor er der Versuchung nachgab, jemandem das Genick zu brechen.
»Und dann?«, fragte sie mit einer Stimme, die sie nur mit großer Mühe unter Kontrolle halten konnte.
»Und dann«, sagte der Wurm, »schien Magpie mich in Ruhe zu lassen. Ich bin nur ein Fotograf. Es ist ja nicht so, dass ich Zugang zu irgendwelchen Staatsgeheimnissen hätte.«
»Und du hast dann Justin getroffen?«, fragte sie.
»Und ich habe Justin und Shayla getroffen.« Er sah auf, begegnete ihrem Blick und Tränen bildeten sich in seinen Augen. »Und plötzlich war Magpie wieder an mir interessiert.«
»Du hattest Zugang zu einem Agenten«, betonte sie, während sie ihren Partner ansah. Der letzte Groschen war endlich gefallen.
»Ich weiß nicht, woher Magpie weiß, was sie wissen«, fuhr Evan fort, »aber sie wissen es. Justin, Shayla und ich haben ein wunderbares Jahr zusammen verbracht und ich dachte schon, dass meine früheren Verfehlungen der Vergangenheit angehören.« Er ließ den Kopf hängen und murmelte: »Einmal ein Sünder, immer ein Sünder.«
»Was ist dann passiert, Evan?« Der große Mann sprach mit einer nun fast freundlichen Stimme.
»Was glauben Sie, was dann passiert ist?« Nach seinem Geständnis konnte der Fotograf ihm in die Augen sehen. »Das ist eine Welt, die Sie wahrscheinlich besser kennen als ich. Magpie kam zurück in mein Leben.«
»Ich glaube«, antwortete Pain, der endlich einen Hauch von Mitgefühl für den Galan empfinden konnte, »da hat der Druck der allmächtigen Elster am Himmel erst richtig begonnen, oder?«
»Hart und schwer.« Evan versuchte, seine Seite der Geschichte zu Ende zu bringen, bevor die Bewusstlosen in seinem Schlafzimmer wieder herumstolpern würden. Oder schlimmer noch, Shayla langweilte sich bei Sparky und ihren Freunden und wanderte aus ihrem Zimmer, wobei sie ihren geliebten rosa-weißen Elefanten am Rüssel zerrte, um zu sehen, worüber die Erwachsenen redeten.
In der Hoffnung, dass weder seine Wachen noch Shayla ihn unterbrechen würden, nahm er noch einen Schluck von seinem Wasser, schauderte und fuhr fort.
»Magpies lokaler Nesthäkchen-Agent ist skrupellos und furchterregend. Ich bin mir sicher, dass ihr zwei und er viele Eigenschaften gemeinsam haben.«
»Nesthäkchen-Agent?«, fragte Agony, die den Begriff noch nie im Zusammenhang von Agenten gehört hatte. »Die scheinen das Vogelthema aber durchzuziehen.«
»Ich unterstehe meinem Betreuer«, stellte Evan klar. »Mein Betreuer untersteht dem lokalen Nesthäkchen-Agenten.«
»Und dieser Nesthäkchen-Agent«, warf Pain ein, »dessen Namen du nicht kennst, war derjenige, der die Entscheidung getroffen hat, dich Justin töten zu lassen?«
Der Mann nickte und starte dabei ängstlich in die Richtung von Shaylas Schlafzimmer.
»Er sagte, wenn ich es nicht täte, würden sie kommen und mich und Shayla mitten in der Nacht töten, während Justin schlief. Sie würden es so aussehen lassen, als hätte ein Pädophiler ein kleines Mädchen vergewaltigt und sich aus Reue die Kehle aufgeschlitzt. Was hätte ich denn tun sollen?«
»Oh, ich weiß es nicht.« Agony warf ihre Hände hoch. »Vielleicht hättest du Justin die Wahrheit sagen und darauf vertrauen sollen, dass sein Arbeitgeber wenigstens einen ihrer Agenten und seine Tochter beschützt?«
»Oder«, warf Pain mit Nachdruck ein, »du hättest fliehen können. Magpie scheint die Art von Organisation zu sein, die gerne Verwicklungen vermeidet und wenn du weg bist, hätte das Töten von Justin und Shayla unnötige und ungewollte Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Wenn du schnell genug geflohen wärst, könntest du jetzt in Kambodscha sein und als Matrose arbeiten, während Shayla noch ihren Vater hätte. Einen Vater mit gebrochenem Herzen vielleicht, aber einen Vater.«
»Kambodscha?« Sie schaute ihren Partner ungläubig an. »Ein Matrose? Moment mal – ist das nicht ein Zitat aus einem Film?«
Er zuckte mit den Schultern und gestand. »Was soll ich sagen? Ich habe meinen Stallone nachgeholt, seit ich wieder in den Staaten bin.«
»Wann hattest du die Zeit, dir das anzusehen … ach, egal, ich will es gar nicht wissen.«
»Ist eine Nachbetrachtung nicht wunderbar?«, schnauzte Evan, verzweifelt, aber immer noch nicht bereit, die volle Verantwortung zu übernehmen. »Ich muss daran denken, eine Tube davon zu kaufen, wenn ich das nächste Mal auf dem Bauernmarkt bin. Aber nachdem ich … Na ja, nachdem ich es getan hatte, kamen Magpies Agenten herein, schnappten Shayla und mich. Sie teilten uns mit, dass wir jetzt Teil eines Liquidationsverkaufs sind, den der Nesthäkchen-Agent durchführt.«
»Oh, Mann.« Pain schüttelte mitleidig den Kopf. »Was für undankbare Kerle. Das nach allem, was du für sie getan hast.«
»Darf ich fragen …?« Jetzt war Agony an der Reihe, sich einzumischen. »Was genau ist ein Liquidationsverkauf?«
»So wie ich es verstehe«, versuchte der Mann zu erklären, obwohl er es überhaupt nicht verstand, »wird die örtliche Niederlassung von Magpie Municipal aufgelöst und alle Informationen und Vermögenswerte, die sie erworben hatten, werden an den Höchstbietenden verkauft. Es scheint, dass ich jetzt als Vermögenswert betrachtet werde.«
»Das ist immer noch besser, als eine Belastung gesehen zu werden«, warf Pain hilfreich ein. »Das kannst du mir glauben.« Er erlaubte sich einen erleichterten Seufzer. »Wenigstens hast du nichts mit Treble Hook gemacht.« Es war nur ein winziges Blinzeln, aber er sah es. »Wie … weit … bist … du … über … Treble Hook informiert?« Seine Stimme war zu purem Eis geworden.
»In der Nacht, in der alles passierte«, antwortete Evan mit einer Stimme, die keine Hoffnung machte, »kam ich früh von einer Abendvorstellung nach Hause und er war in seinem Büro und benutzte den Server seines Arbeitgebers. Als ich reinkam, war er gerade dabei, alle möglichen Papiere zu schreddern. Ich glaube, er hatte gemerkt, dass ich ihn nicht betrogen hatte. Das, worin ich verwickelt war, war viel schlimmer und der arme Kerl versuchte, mich zu decken.«
»Und als Dankeschön«, antwortete Pain mit einer Stimme, die von Eis zu gehärtetem Stahl geworden war, »hast du ihm in den Hinterkopf geschossen. Nach der Tat nahmst du den Mut zusammen, auf den Server zuzugreifen und so viel wie möglich über Treble Hook herauszufinden, in der Hoffnung, den Griff deines Betreuers an deiner Leine zu lockern.«
»So ähnlich, ja.« Der Druck wurde unerträglich und der Fotograf begann zu schluchzen. Der Agent sprang von der Couch und kniete eine Sekunde später mit einer Hand an seiner Kehle vor ihm.
»Wie viel hast du gesehen?« Er lockerte seinen Griff soweit, dass der Mann vollständige Sätze bilden konnte.
»Ich weiß es nicht«, brachte Evan ängstlich hervor. »Ich habe nichts davon verstanden. Alles, was ich gesehen habe, war ein Haufen Zettel.«
»Es waren alles Forschungsdaten oder etwas, das mit Medientrends vermischt war. Nicht mein Fachgebiet.«
»Aber Magpie hat jetzt alles und will es verkaufen?« Er musste sich vergewissern und als der Mann nicken konnte, fuhr er fort. »Wo wird dieser Liquidationsverkauf stattfinden?«
»Ich … weiß es nicht.«
»Wer dann?« Er war bereit, seine Finger zu straffen, bis Evans sehr britischer Kopf von seinen sehr britischen Schultern abfiel.