Kapitel Zwei­und­zwanzig
I ch fluchte laut und ausgiebig, als die Autotüren mit einem dumpfen Knall zugeschlagen wurden. Dieser Aggroverschnitt von Hulk hatte mich nach dem stummen Befehl von Mr. Oberarsch gepackt und in diesen Transit geschmissen.
In diesem hatten sie mich auch schon hierhergebracht. Der unheimliche Schrank war wie ein Berserker in meine WG gestürmt, hatte meine Zimmertüre eingeschlagen, mich einfach über die Schulter geworfen und mit sich geschleift. In meinem Aufzug angekommen hatte er mir ein Tuch mit einem beißenden Gestank ins Gesicht gedrückt. Aufgewacht war ich hier in diesem Lieferwagen, kurz bevor er mich in die Kneipe zu Jason und Enzo gezerrt hatte.
Schöne Scheiße! Worein bin ich hier nur geraten?!
Traurig schüttelte ich den Kopf. Ich hatte dieses Mal wirklich Mist gebaut. Wie konnte ich nur so dämlich sein und mit dem Hunter einen derart leichtsinnigen Deal ausmachen? Als hätte er nur auf solch eine Gelegenheit gewartet.
Sie hat dann keinen Wert mehr für mich, hallten seine Worte von gerade durch meinen Kopf.
Mein Bruder hatte recht. Es war alles nur gespielt und vorgetäuscht gewesen. Weder Aleks noch der Oberarsch hatten je wirkliches Interesse an mir gehabt. Ich war einfach zu naiv für diese düstere Welt. Ich wünschte, ich wäre den beiden nie begegnet! Stumme Tränen liefen mir die Wange hinunter, doch ich wischte sie schnell wieder fort, wollte nicht, dass er sie sah. Weder wollte noch würde ich vor ihm Schwäche zeigen. Enzo hatte vor, mich zu brechen, ich wusste das! Ich hatte es deutlich in seinem Blick gesehen. Nichts würde ihn mehr befriedigen, als mich gebrochen und unterwürfig vor sich zu sehen. Doch das könnte er vergessen! Solange ich konnte, würde ich gegen ihn ankämpfen! Aufgeben war keine Option!
Ich hatte meinem Bruder ein stummes Versprechen gegeben, dass ich durchhalten würde. Er hatte es verstanden. So konnte er sich auf seinen Auftrag konzentrieren.
Sicherlich hätte Enzo ihn heute umgebracht, wenn ich nicht mit ihm gegangen wäre.
Doch was sollte das alles hier? Warum brauchte der Hunter ausgerechnet mich für seine Pläne? Er hatte etwas von einem Walker gesagt, den Jason verraten sollte? Was hatte das alles nur zu bedeuten? Ich verstand wirklich gar nichts mehr!
Mein eigener Bruder sollte ein Doppelleben geführt, und keiner von uns sollte es bemerkt haben? Wie konnte das sein?!
Plötzlich wurde die Autotür, durch die ich geschmissen worden war, wieder geöffnet.
Dann setzte sich mir Mr. Oberarsch breit und zynisch grinsend gegenüber.
Provokativ sah ich ihm entgegen und verschränkte meine Arme vor der Brust. Es entstand ein langer und unerträglicher Moment der Stille.
Er saß einfach nur da und beobachtete mich mit diesem für ihn typischen, arroganten Ausdruck. Nach kurzer Zeit hielt ich es nicht mehr aus.
»Was?!«, fuhr ich ihn an.
Sein Lächeln wurde noch etwas breiter.
»Ich werde sehr viel Spaß mit dir haben!«
»Träum weiter!« Ich drückte den Rücken durch, hob die Schultern an und hielt seinem eindringlichen Blick stand.
»Soo, sag mir: Wer von deinen Leutchen wird dich vermissen, wenn du für ein paar Wochen untertauchst?«, fragte er mich nüchtern.
Ich versuchte, meine Verwunderung über die geschätzte Dauer meines Aufenthaltes bei ihm zu überspielen, daher zuckte ich nur unbekümmert mit den Achseln.
»Viele! Die ganze Stadt wird nach mir suchen, wenn mein Onkel davon Wind bekommt. Du solltest mich lieber gleich wieder gehen lassen, dann ersparst du dir einen Haufen Arbeit mit mir.«
Wieder machte er dieses lachähnliche Geräusch.
»Verstehe. Ich bringe sie gern zum Schweigen, sollten sie mir Probleme bereiten. Ein Schnipsen meinerseits reicht und meine Leute kümmern sich darum.«
»Das wagst du nicht!«, zischte ich drohend.
Er zog belustigt eine seiner schwarzen Brauen hoch.
»Dann solltest du wohl oder übel mit mir zusammenarbeiten und nicht gegen mich. Glaub mir, Prinzessin, es wird wesentlich einfacher für uns alle, wenn du deinen Dickschädel schnell einpackst und nach meinen Regeln spielst!«
Spöttisch schnaubte ich auf.
»Natürlich tue ich, was du verlangst! So weit kommt’s noch! Dann sollte ich am besten gleich hier und jetzt auf deinen Schoß springen, oder?!«
Er zuckte mit den Achseln.
»Tu dir keinen Zwang an.« Grinsend lehnte er sich in seinem Sitz zurück und klopfte sich provokant auf seinen Oberschenkel.
Dieser Idiot macht mich rasend!
Ich versuchte, mich zu beruhigen und im sachlichen Ton zu sprechen.
»Du sagtest, du rührst mich nicht an!«
Erneut zog er nur spöttisch die Augenbraue hoch.
»Rühr ich dich denn an? Ich wollte nur dein Angebot annehmen. Unser Deal war, dass dich keiner gegen deinen Willen anrührt.« Plötzlich richtete er sich blitzschnell auf und keilte mich mit seinen starken Armen, die er links und rechts neben meinen Beinen auf die Sitzbank ablegte, ein. Er beugte sich mit seinem Oberkörper so weit vor, dass ich mich in meinen Sitz zurückfallen ließ. Enzo lag fast auf mir, jedoch, ohne mich zu berühren.
Ich hielt seinem eissturmartigen Blick stand. Nach kurzer Stille kehrte wieder sein altbekanntes, zynisches Lächeln auf seine Lippen zurück.
»Ich werde mich an unseren Deal halten. Ich werde dich erst hart und dreckig ficken, wenn du mich darum anbettelst. Und glaub mir, du wirst betteln!«
Ich lachte kalt auf.
»So toll bist du nicht! Aber das ist gut zu wissen, dann wird mir ja nichts Schlimmes bei dir passieren!«
Sein Grinsen wurde noch etwas fieser. Ich drückte mich automatisch mehr in den Sitz hinein.
»Baby, glaub mir, wenn ich dir sage, dass es schlimmere Foltermethoden als eine Vergewaltigung gibt. Zumal es streng genommen keine wäre, denn wir wissen beide, dass du seit dem ersten Moment, als du mich gesehen hast, hart von mir gefickt werden wolltest.«
Bei diesen Worten riss ich erschrocken die Augen auf.
Was hat er da gerade gesagt? Folter?
Ohne dass ich es wollte oder die Kontrolle darüber hatte, begann ich, unter ihm zu zittern. Nun machte er mir doch Angst. Und wie!
Als er meine Körperreaktionen auf ihn und seine Worte bemerkte, huschte ein kleines, fieses Lächeln über seine Lippen, dann zog er sich zurück und setzte sich mir erneut gegenüber.
Einen Moment verharrte ich noch in meiner Position, ehe auch ich mich wieder aufrichtete.
Er klopfte gegen die Scheibe vorne. Der Motor wurde sofort gestartet und wir fuhren los.
Ich konnte in diesem Transit nichts sehen. Die Scheiben waren abgeklebt worden und auch sonst waren hier nur die beiden Sitzbänke.
Nicht einmal Sicherheitsgurte hatte diese Schrottkiste. Klasse, wenn ich hier hinten nicht bei einem Autounfall umkam, würde dieser arrogante Oberarsch mir gegenüber mich so lange foltern, bis ich zerbrach und starb.
Tolle Aussichten hast du hier, Kat!
Imaginär schlug ich mir gegen die Stirn. Er hatte mich die ganze Zeit aufmerksam gemustert. Als ich es bemerkte, verschränkte ich stur die Arme vor meiner Brust.
»Wo fahren wir jetzt hin?«
Er breitete die Arme rechts und links von sich auf den Lehnen aus und sah mich gönnerhaft an.
Ich könnte bei diesem überheblichen Grinsen kotzen!
»Na, zu mir, so wie es abgesprochen war.«
Ich zog kurz die Stirn kraus, da ich dachte, dass ich wenigstens meine Freunde informieren oder ein paar meiner Klamotten mitnehmen dürfte.
»Wir fahren nicht zu mir? Und was ist mit meinen Freunden und meiner Familie? Sagtest du nicht, ich soll es mit ihnen klären, damit sie mich nicht suchen?!«
Er legte den Kopf leicht schief. Sein Lächeln jedoch verging ihm nicht.
»Warum sollten wir zu dir fahren? Und nein, ich habe dich gefragt, wer mir Probleme machen könnte. Ich mag nämlich keine Überraschungen!«
»Weil ich vielleicht Wechselklamotten brauche? Und …«, doch er unterbrach mich mit einem lauten Auflachen.
»Wieso? Nackt gefällst du mir aber viel besser.«
Ich sah ihn schockiert an und schüttelte stoisch den Kopf. Enzo hingegen musterte mich belustigt.
»Was ist? Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen? So leicht ist das? Gut zu wissen«, amüsierte er sich weiter über mich.
Mir klappte meine Kinnlade nur noch weiter runter.
Das ist ein Scherz, oder?!
»Du kannst mich doch nicht nackt bei dir rumlaufen lassen?! Ich … ich …« Ich war nicht mehr in der Lage dazu, den Satz zu beenden. Enzo beugte sich mit seinem Oberkörper vor und stützte seine Unterarme auf seinen Knien ab.
»Warum nicht? Unser Deal bestand darin, dass dich keiner anrührt, von Angaffen war nie die Rede. Und vergiss nicht, du hast mir zugesagt, dich ohne Widerworte an meine Regeln zu halten!«
Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fangen.
»Und eine davon ist, dass ich nackt rumlaufen soll, oder was?!«
Wieder lachte er kalt auf.
»Sei nicht albern. Außerdem: Wer sagt, dass du dich in meinem Heim frei bewegen darfst?«
Erneut war ich sprachlos. Ich schluckte unter innerem Kampf den aufkommenden Kloß in meiner Kehle herunter.
»Und was sind deine bescheuerten Regeln?«, versuchte ich, meinen Stolz wieder zusammenzukratzen, was nach dieser Offenbarung allerdings gar nicht mehr so leicht war.
»Die erfährst du schon noch früh genug!«
»Und was ist, wenn ich mich nicht an sie halte?!« Ein kleines, siegessicheres Lächeln huschte mir über meine Lippen. Enzo musterte mich einen Moment streng.
»Strafe!«, raunte er mit dunkler Stimme. Daraufhin zog ich erneut fragend die Stirn kraus.
»Aber du sagtest doch, du rührst mich nicht an?!«
Tadelnd, nein, beinah genervt schüttelte er den Kopf.
»Prinzessin, ich muss dich nicht schlagen, um zu bekommen, was ich will. Gehorchst du mir nicht, oder missachtest die Regeln, wirst du bestraft, ein ganz einfaches Prinzip.«
Irritiert zog ich die Brauen zusammen, denn ich hatte kein Wort von dem verstanden, was er mir sagen wollte. Ich öffnete meinen Mund, um zu protestieren, da unterbrach er mich einfach.
»Genug jetzt!« Bei der Schärfe seiner Stimme zuckte ich zusammen. Sie durchschnitt die Stille, so scharf klang sie.
Ich ließ mich frustriert in meinen Sitz fallen und bestaunte diesen überaus interessanten Fussel neben mir auf dem Polster.
Doch lange hielt ich diese beklemmende Stille zwischen uns beiden nicht aus. Daher musterte ich mit verstohlenem Blick, wie er beschäftigt auf seinem Handy rumtippte.
»Was hast du meinem Bruder noch angetan, als ihr eben allein wart?«
Er sah nicht gleich von seinem Handy auf. Enzo tippte sein, was auch immer er da tat, fertig, dann erst steckte er es zurück in seine Lederjacke. Wie ich diese Jacke hasste. Sie stand ihm perfekt und verlieh ihm einen noch düsteren Touch.
Schnell lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder zu seinem Gesicht und versuchte, dieses unpassende und verräterische Pochen zwischen meinen Schenkeln zu ignorieren.
Enzo zuckte nach einem weiteren intensiven Blick unbekümmert die Achseln.
»Nichts. Er hat nur sein Fett wegbekommen.«
»Was heißt Fett wegbekommen? Was hast du getan?!« Meine Stimme überschlug sich fast.
»Reg dich ab! Er lebt ja noch und sieht auch noch besser aus als dein Märchenprinz. Ich habe ihm nur gezeigt, was passiert, wenn man sich mit einem meiner Männer anlegt und ihm einen Vorgeschmack gegeben, falls er auf die Idee kommen sollte, mich doch zu verraten!«
Ich bemühte mich, meine sich überschlagenden Emotionen zu verstecken und zu zügeln. Doch die Erinnerung daran, wie schrecklich John aussah, und die Erwähnung von Aleks ließen mich nicht kalt. Daher plapperte mein unüberlegtes Mundwerk viel zu schnell los. Ich konnte es nicht mehr aufhalten.
»Was ist mit Aleks? Konntet ihr ihn rechtzeitig finden?!« Erneut schlug ich mir gedanklich gegen die Stirn und biss mir schnell auf die Unterlippe, um nicht noch mehr zu verraten. Oder ihn wegen John anzuschreien!
Doch natürlich hatte Enzo diese kleine Information gereicht.
»Du warst das! Du hast mir die Nachricht zukommen lassen! Warum?«, fragte er teils erstaunt und teils interessiert.
Ich zuckte leicht mit den Achseln.
»Warum nicht?«, entgegnete ich ihm auf seine bescheuerte Frage und reckte stolz mein Kinn. Ich hatte einfach sowas von die Schnauze voll von seinem Verhalten. Er beantwortete mir keine von meinen Fragen, doch ich sollte immer brav spuren? Warum? Wegen seiner lächerlichen Strafen? Dann sollte er mich halt bestrafen, ohne mich anzurühren!
Enzo musterte mich streng mit leicht zusammengekniffenen Augen. Offensichtlich passte ihm nicht, dass er nichts aus mir herausbekam. Erneut huschte ein kleines Siegerlächeln über meine Lippen.
»Okay, Prinzessin, ich denke, jetzt ist es Zeit für meine Regel!«
Verächtlich atmete ich laut aus.
Sollte er sich doch seine Regeln sonst wo hinstecken.
Enzo klopfte erneut nur einmal gegen die Scheibe nach vorne zur Fahrerkabine. Der Wagen hielt augenblicklich rechts an. Ich ließ mir mein aufkommendes Unbehagen nicht anmerken und blickte ihn weiterhin herausfordernd an.
»Es ist eigentlich ganz einfach. Ich will nur deinen blinden Gehorsam. Das war’s auch schon! Ach nein, eins noch, Prinzessin: Ich hasse es, mich zu wiederholen, also erspar uns beiden eine Menge Ärger und Nerven und tu einfach beim ersten Mal schon, was ich von dir verlange. Hast du das verstanden?!«
Missbilligend sah ich ihn an.
»Wiederhole, was ich gesagt habe!«, forderte er mich dann auch noch auf. Ich lachte kalt und setzte mich aufrecht hin.
»Ich bin doch kein scheiß Schulkind mehr! Steck dir deine Regeln in deinen aufgeblasenen Machoarsch!«
Ein böses Lächeln huschte ihm über die Lippen. Mir lief es augenblicklich eiskalt den Rücken runter.
»Du bettelst mich ja schon fast darum, dich hart ranzunehmen! Aber gut, wenn du dich nicht an unseren Deal hältst, sehe ich keinen Grund, mich ebenfalls daran zu halten. Vielleicht sollte ich dir dann aber noch sagen, dass ich nicht das einzige Schwein bin, das in meinem Haus wohnt. Es gibt noch mehrere davon und sie werden sich nicht scheuen, dich wund zu ficken. Also, vielleicht überdenkst du deine sture Einstellung ja noch mal, was meinst du, Prinzessin?!«
Entsetzt sah ich ihn an, denn ich hätte nie gedacht, dass er den Spieß so umdrehen würde.
»Wiederhole meine Worte, Katherine.« Die Art und Weise, wie Enzo meinen vollen Namen aussprach, und das auch noch zum ersten Mal, ging mir sofort durch Mark und Bein. Er umschmeichelte ihn schon fast mit seiner Zunge und doch schwang eine kleine Drohung mit. Ein komischer Kontrast. Aber das war ich ja eigentlich schon von ihm gewohnt.
Laut seufzte ich und ergab mich meinem Schicksal.
»Was willst du jetzt hören? Ich bin ja nicht bescheuert. Ich hab’s verstanden. Du hast es nicht so gern, mal eine richtige Frau vor dir zu haben, die Widerworte gibt. Ist angekommen. Ach, und du hasst es, dich zu wiederholen. Also wäre es besser für mich, wenn ich dich Machoarsch nicht weiter provoziere und brav die kleine, devote Schlampe spiele, die du gern in mir sehen würdest, aber nie bekommst! Zufrieden? Habe ich alles richtig wiedergegeben?!«, giftete ich ihn an.
Erneut grinste er gönnerhaft.
»Oh, Prinzessin, ich werde wirklich eine Menge Spaß mit dir haben. Ein kleiner Tipp: Teil dir deine Kräfte lieber etwas ein, sonst endet unser Spiel, bevor es überhaupt richtig begonnen hat, und fändest du das nicht auch schade?! Ach, und beim nächsten Mal: Lass doch die Beleidigungen weg, sonst muss ich mir noch etwas Nettes einfallen lassen, wie man dein freches Mundwerk am besten stopfen kann. Ein paar Ideen hätte ich da schon.« Er zwinkerte mir frech zu, dann klopfte er wieder gegen die Scheibe und wir fuhren weiter.
Nach einem weiteren Moment der Stille, den ich dieses Mal sehr genossen hatte, unterbrach er sie leider.
»Also, versuchen wir es noch einmal. Da du ja schlau genug bist, um meine Regeln zu verstehen, wirst du es dieses Mal sicher besser hinbekommen.« Enzo beugte sich erneut nach vorne und musterte mich streng.
»Warum hast du mir diese Nachricht zukommen lassen? Und das nicht mal von deinem Handy.«
Ich überlegte kurz, ob ich lügen sollte, doch er würde es so oder so durchschauen, also ergab ich mich erneut laut seufzend meinem Schicksal.
»Weil mir Aleks wichtig ist! Ja, ich weiß, er hat mich nur auf deinen Befehl hin verarscht und mir etwas vorgelogen, doch von meiner Seite her war es echt und deshalb wollte ich nicht, dass er meinetwegen stirbt!«
Bei der Erwähnung an Aleks und unserer gemeinsamen Zeit huschte ein Ausdruck über seine strenge Miene. Ich wusste nicht, ob ich ihn richtig deutete, deshalb ließ ich es einfach stehen und setzte stattdessen nach.
»Wie geht es Aleks eigentlich? Was hat mein Bruder mit ihm gemacht und warum überhaupt? Kann mich mal einer aufklären?!«
Enzo bedachte mich noch einen Moment lang mit einem strengen Blick, dann zuckte er nichtssagend mit den Achseln, zog sein Handy wieder aus seiner scheiß Lederjacke und ignorierte mich wie der Machoarsch, der er nun mal war.
»Ehm, Hallo?! Ich habe dich was gefragt!«, zickte ich ihn an.
Er hob nicht einmal den Blick. Enzo tippte einfach auf seinem Handy rum, als wäre ich überhaupt nicht anwesend.
Argh! Dieser verdammte …
»Ist das jetzt dein scheiß Ernst? Du darfst mich alles fragen, und dank deiner bescheuerten Regel habe ich sofort auf dich zu hören und muss dir alles, was du wissen willst, beantworten, aber du hüllst dich in Schweigen? Verarschst du mich? Du bist so ein aufgeblasener scheiß …«, doch ich kam mit meiner Beleidigung nicht weiter.
Enzo nahm den Blick von seinem Handy.
»Katherine!«, fegte seine dunkle Stimme rau durch den Wagen.
Erneut zuckte ich zusammen. Unmerklich schreckte ich vor ihm zurück, als ich in seine eissturmfarbenen Augen sah. Sie strahlten eine solche Kälte aus, dass es mich sofort fröstelte. Enzo fixierte mich einen langen Atemzug mit seinem Eisblick, dann, als er merkte, dass ich es nicht mehr wagte, etwas zu erwidern, widmete er sich wieder seinem Handy.
Die restliche Fahrt schwiegen wir. Gut, von meiner Seite her nicht ganz freiwillig. Ich biss mir, so fest ich konnte, auf die Zunge, um nicht doch noch etwas zu sagen. Denn ich glaubte, ich wollte seine sogenannten Strafen gar nicht kennenlernen. Nicht, dass er mich wirklich noch nackt durch sein Haus rennen ließ, obwohl ich mir sicher war, dass das die geringste seiner Strafen wäre.
Plötzlich merkte ich, dass wir anhielten, nur um nach wenigen Sekunden wieder langsam anzufahren. Enzo packte sein Handy weg. Das hieß wohl, dass wir da waren.
Die Seitentür des Transits wurde aufgezogen und dieser unheimliche Hulkverschnitt von vorhin kam zum Vorschein.
»Na, wie war die Fahrt, Prinzessin?«, zischte er dreckig und sah mich lüstern an.
Enzo stieg aus dem Wagen und ich folgte ihm voller Unbehagen.
»Joe, benimm dich unserem Gast gegenüber. Du hast doch unseren Deal gehört. Keiner in meinem Haus rührt sie an!«, sprach Enzo über die Schulter, als er schon fast an der Haustür angekommen war.
Ich stand noch immer wie erstarrt vor diesem riesigen Bunker.
Und das soll ihr Zuhause sein?!
Irgendwie hatte ich es mir etwas luxuriöser vorgestellt. Keine Ahnung, warum, doch ich hatte eben keinen baufälligen, alten Schrottbunker erwartet.
Der Riese riss mich wieder aus meinen Gedanken.
»Aber wir sind doch noch gar nicht im Haus!« Provokant leckte er sich über seine dünnen Lippen. Er war wirklich kein attraktiver Mann.
»Ich sagte, KEINER RÜHRT SIE AN!«, bellte Enzo den Befehl und funkelte den Hünen wütend an.
Eingeschüchtert stand ich vor der kleinen Treppe und sah zu ihm hoch. Die beiden Männer lieferten sich ein kurzes Blickduell.
Ich nutzte die Gelegenheit und sah mich etwas um. Zu meiner Enttäuschung war hier weit und breit nichts außer riesigen Mauern, Unmengen an Kameras und Stacheldraht soweit das Auge reichte.
Na toll!
»Du wirst nicht weit kommen, aber nur zu, versuch es ruhig. Wenn du es weit genug schaffst, lasse ich dich vielleicht sogar laufen«, sprach er dunkel von hinten in mein Ohr.
Enzo stand ganz dicht hinter mir. Ich zuckte zusammen und drehte mich schnell zu ihm um. Sah ihm damit direkt in seine eisblaugrauen Augen.
Dann trat er einen Schritt zurück und bedeutete mir mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Da ich keine guten Aussichten auf eine Flucht sah, gehorchte ich ihm.
Mit einem langen Code, den ich leider nicht sehen konnte, und seinem Fingerabdruck öffnete er die schwere Metalltür. Zaghaft folgte ich ihm ins Haus und wurde prompt positiv überrascht.
Das Innere des von außen schäbig aussehenden Bunkers glich eher einer Luxusvilla. Ich stand auf teurem Marmorboden. In der Eingangshalle, anders konnte man das hier nicht bezeichnen, so riesig war es, befanden sich mehrere große Pflanzen, Vasen und große, schwere Kommoden im Kolonialstil. Ein riesiger Kristallleuchter hing ebenfalls von der Decke. Ich war sprachlos darüber, dass der Hunter von New York in solch einem Palast lebte. Es passte so gar nicht zu ihm und seiner tragischen Lebensgeschichte.
Vielleicht deswegen? Zeigt er seiner Vergangenheit damit den Mittelfinger?
Passen würde es zu ihm.
»Komm«, holte mich seine tiefe Stimme wieder ins Hier und Jetzt zurück.
Er war bereits in einen der vielen angrenzenden Räume verschwunden. Ich sah mich nach der Eingangstür um, doch der Hüne stand hinter mir und schüttelte mahnend den den Kopf.
Erneut ergab ich mich meinem Schicksal und folgte Mr. Oberarsch stumm. Okay, vielleicht auch deswegen, weil mir dieser Hulkverschnitt echt Angst machte. Ich betrat einen Essensraum, oder passender ausgedrückt, einen Essenssaal. Ein gewaltiger Massivholztisch mit bestimmt vierzehn passenden Stühlen stand darin. Enzo hatte sich schon am Kopfende platziert und deutete mit einem Wink, mich neben ihn zu setzen. Kurz überlegte ich, doch dann hörte ich lautes Stimmengewirr und da ich nicht wusste, ob Freund oder wohl doch eher Feind, ging ich schnell auf Enzo zu und ließ mich stumm neben ihm nieder.
Er grinste nur wieder überheblich, dann widmete er sich den Leuten, die den Raum betraten. Sie musterten mich alle aufmerksam. Es handelte sich um zwei weitere Männer und zu meiner Überraschung eine junge und wahnsinnig gutaussehende Frau.
Der unheimliche Riese kam ebenfalls dazu, blieb jedoch am Türbogen gelehnt stehen und verschränkte seine viel zu kräftigen Arme vor der noch breiteren Brust. Dieser Kerl machte mir eine Scheißangst!
Nervös knetete ich meine Finger unter dem Tisch, denn ich hatte keine Ahnung, was nun als Nächstes passieren würde.
Enzo zündete sich neben mir eine Zigarette an und beäugte stumm seine Leute. Erst, als auch der Letzte saß, begann er im ruhigen Ton zu sprechen.
»Wie ihr sehen könnt, war meine Jagd erfolgreich. Ich habe uns Jasons süße Schwester mitgebracht. Sie wird eine Weile unser Gast sein.« Das Wort ›Gast‹ betonte er besonders.
»Jason arbeitet jetzt für uns. Er wird mir alles Wichtige über Walker bringen, damit ich ihn endlich ein für alle Mal vernichten kann. Erst dann wird Black, der kleine Verräter, seine Schwester wiederbekommen. Na ja, er wird nicht mehr viel von ihr haben, doch ihr wird dann wieder die Freiheit geschenkt.«
Mein Kopf rückte bei dem letzten Satz in seine Richtung. Er hingegen beachtete mich gar nicht. Genüsslich zog er an seiner Zigarette und sah über den Tisch zu seinen Leuten.
Sein halbes Gesicht wurde dabei in Rauch gehüllt.
»Aber wir dürfen sie leider nicht zum Spielen benutzen! Sehr bedauernswert!«, maulte Hulk vom Türbogen aus.
»Wie? Du bringst uns solch eine Versuchung und wir dürfen nicht mit ihr spielen? Was soll das denn, Chef?«, fragte der junge Kerl fies grinsend. Er sah nicht älter als 22 aus.
Und der kleine Pimpf sitzt hier bei den Profikillern am Tisch und meint, mit mir spielen zu können?
Ich konnte mir ein spöttisches Schnauben nicht verkneifen. Dazu verschränkte ich noch die Arme vor der Brust.
Soll er ruhig herkommen!
Enzo legte sanft eine Hand auf meinen Oberschenkel und beugte sich dicht an mich heran.
»Baby, ich würde mich hier an deiner Stelle lieber nicht aufspielen! David sieht zwar jung aus, aber er hat dich in weniger als zwei Sekunden getötet, wie eigentlich jeder hier an diesem Tisch. Also überlass das Reden lieber mir!« Er klopfte noch einmal demonstrativ auf meinen Oberschenkel, dann entzog er mir wieder seine Hand und setzte sich aufrecht hin. Bei seinen Worten gefror meine Mimik. Ich wich noch etwas weiter auf meinem Stuhl zurück.
Enzo stand nun auf und stützte sich auf seine Fäuste auf dem Tisch ab.
»Keiner wird sie anrühren! Weder zum Spielen noch sonst was. Sie gehört mir! Verstanden?!«
Erneut biss ich mir kräftig auf die Zunge.
›Sie gehört mir‹? Er hatte sie doch nicht mehr alle, wenn er das wirklich glaubte.
Aber da es bei den anderen als eindeutiger Befehl ankam, schluckte ich meinen Protest wieder herunter und schwieg.
Enzo richtete sich auf und reichte mir, nachdem er seine Zigarette im Aschenbecher vor ihm ausgedrückt hatte, die Hand. Ich nahm sie äußerst widerwillig und unter stummen Flüchen entgegen, weil ich den anderen hier am Tisch kein falsches Bild vermitteln wollte.
Er grinste siegessicher, als ich meine Hand in seine legte. Kaum hatte er mich aus dem Essenssaal geführt, entriss ich ihm wieder meine Hand und brachte schnell einen großen Schritt Abstand zwischen uns.
Enzo schüttelte nur belustigt den Kopf, dann ging er voran zu einer Treppe, die nach unten führte.
Zögerlich heftete ich mich an seine Fersen. In billigen Filmen passierte auch nie etwas Gutes, wenn man einem Psychopathen runter in seinen Keller folgte. Doch auch hier blieb mir nichts anderes übrig, als ihm stumm zu folgen. Denn sobald er es aussprach, war ich aufgrund seiner dummen Regeln sowieso dazu gezwungen, zu tun, was er sagte. Also machte ich es lieber freiwillig. Vielleicht verging ihm dann schneller der Spaß daran, mit mir zu spielen?
So richtig glaube ich nicht daran!
Unten an der Treppe angekommen folgten wir noch einem längeren Gang. Alles hier in diesem Haus schien elektrisch abzulaufen. Er musste keinen Schalter betätigen, um den Flur zu erhellen. Sobald wir um die Ecke bogen, ging das Licht augenblicklich an. Bewegungsmelder. Die Wände bestanden aus massivem Beton und wirkten, als wären sie so dick, dass ihnen nichts etwas anhaben könnte.
Super! Ich bin in einer Hochsicherheitsfestung mit dem größten Machoarsch überhaupt eingesperrt!
Enzo blieb vor einer weiteren schweren Eisentüre stehen. Mir wurde ganz mulmig zumute. Und als er dann die Tür öffnete und mir damit Einblick in den kleinen Raum gewährte, schüttelte ich stoisch den Kopf und machte einen Schritt zurück.
»Nein! Da geh ich sicher nicht rein!«
Unbekümmert zuckte er die Achseln und stützte sich mit seinem Unterarm über dem Kopf an der Metalltür ab.
»Okay, du hast die Wahl zwischen deiner eigenen, privaten Zelle oder nackt in meinem Bett. Deine Entscheidung!«
Fassungslos sah ich zwischen ihm und der kleinen, dunklen Zelle hin und her.
Das kann doch nicht sein Ernst sein?!
Doch so überheblich, wie er mich wieder angrinste, meinte Enzo es todernst. Das hätte er wohl gerne, dass ich jetzt schon klein beigab! Das konnte er getrost vergessen! Nicht mit mir!
Also ging ich mit bestimmtem Schritt in die Zelle. Auch hier schaltete sich automatisch das Licht an, sobald ich den Raum betrat.
Wow, da werde ich ja toll schlafen können!
Ich sah mich in diesem winzigen Raum um. Tatsächlich stand dort ausschließlich ein einziges Möbelstück.
Nur eine Art Knastpritsche mit einer superdünnen Matratze.
Rückenschmerzen lassen grüßen!
Mit offenem Mund wandte ich mich zu Enzo um, der noch immer mit dem Unterarm über dem Kopf an der Tür lehnte und mich belustigt musterte.
Arsch!
»Doch lieber nackt in meinem Bett, Prinzessin? Kein Problem!«
»Pff!«, schnaubte ich ihm empört entgegen.
Ich sah mich noch einmal in dem nicht einmal zehn Quadratmeter großen Raum um, dann bemerkte ich den Fehler hier in dieser Zelle. Wieder drehte ich mich schnell zu Enzo um, der schon dabei war, die Tür zu schließen. Ich eilte zu ihm und legte meine Hand auf seinen Arm, dann sah ich ihn flehend an. Vielleicht nützte es ja was?!
»Das kannst du nicht ernst meinen? Hier drinnen gibt es nicht einmal eine Toilette! Was mache ich denn, wenn ich muss?«
Wieder verspottete er mich mit seinem herablassenden Grinsen.
»Ich rate dir, nicht zu viel zu trinken, wenn du etwas bekommst. Denn wir sind alle schwer beschäftigt und können uns nicht den ganzen Tag um dich und deine Bedürfnisse kümmern. Obwohl ich dir bei dem ein oder anderen natürlich gern zur Hand gehe, wenn du das möchtest?« Er sah mich zweideutig an und streifte beinah unmerklich meinen Arm. Ich machte einen Schritt zurück.
»Auch nicht, nein? Na gut, dann angenehme Träume, Prinzessin!« Mit diesen Worten ließ er die schwere Tür ins Schloss fallen und ich war allein.
Kaum bewegte ich mich drei Sekunden nicht, wurde es dunkel. Panik überkam mich und ich fuchtelte mit dem Arm in der Luft herum, damit ich auf diese Art und Weise die Finsternis vertreiben konnte. Das Licht sprang wieder an.
Frustriert ließ ich mich auf das Ding, was er mir als Bett verkaufen wollte, fallen. Schon allein das Sitzen tat auf diesem harten Teil weh. Ich war wirklich kein verwöhntes Prinzesschen, auch wenn er das von mir dachte. Doch das hier ging gar nicht.
Hier würde ich kein Auge zubekommen.
Ich krabbelte auf dieses Foltergerät namens Bett und kauerte mich in die Ecke. Nicht einmal eine Decke hatte ich und es war nicht gerade mollig warm hier unten.
Fröstelnd schlang ich die Arme um meine angezogenen Beine. Nach wenigen Minuten fielen mir wie von selbst immer wieder die Augen zu. Dieser Tag und die letzte Nacht waren doch mehr als anstrengend und durchwachsen gewesen.
Ich fragte mich, was mich die kommenden Tage oder gar Wochen hier erwartete. Würde ich Tage lang hier unten in der Kälte und Dunkelheit allein sein? Oder würde er jeden Tag kommen, um mich zu quälen? Was würde er tun, wenn ich mich nicht an seine bescheuerte und absolut demütigende Regel hielt?
›Ich verlange blinden Gehorsam!‹
Ja, genau! Sonst noch Wünsche?!
Doch wie würden seine Strafen aussehen, wenn ich ihn weiter so provozierte? Enzo sagte, er rühre mich nicht an. Was konnte er sonst noch tun?
Fragen über Fragen schossen mir durch den Kopf.
Erneut ging das Licht aus. Ich war es leid, meinen Arm immer und immer wieder anzuheben und kurz zu winken, damit es anging. Daher blieb es nun stockduster.
Meinen Kopf hatte ich an der Wand angelehnt. In dieser unbequemen Haltung schlief ich tatsächlich ein und tauchte in einen unruhigen Albtraum.