Kapitel Sechs­und­zwanzig
I ch hatte mich die ganze Nacht nur hin und her gewälzt. Konnte kaum Schlaf finden. Immer wieder sah ich seine Augen vor mir. Wie sie mich anstarrten. Ein einziger Schneesturm, der mich erbarmungslos in seinen kalten Abgrund zog.
Seine Worte hallten noch immer in meinem Schädel. Enzo war ein Mörder! Ein Monstrum ohne Moral und Anstand! Wie konnte ein Mensch nur so kalt und gewissenlos sein? Wie wurde man zu so einer Kreatur, solch einem Dämon? Wie lebte man damit, mit dieser Schuld? Oder fühlte er keine Schuld? Er meinte, er hätte seinen Frieden damit gemacht.
Wie konnte er das? Wie konnte ein Massenmörder wie er seinen Frieden damit machen, Menschen zu töten?
Mein laut knurrender Magen riss mich aus meinen dunklen Gedanken. Ich rieb mir über meinen Bauch, hatte schrecklichen Hunger!
Der Oberarsch hatte mir gestern tatsächlich nichts mehr zu essen bringen lassen. Liam war nur in der Früh bei mir gewesen, dann war Enzo, der Arsch, gekommen, und seitdem saß ich hier allein.
Ich hatte zwar keine Ahnung, wie spät es genau war, doch ich wusste, dass es schon Morgen sein musste. Meine innere Uhr flüsterte es mir.
Gestern war ich tatsächlich kurz neugierig gewesen. Ich hatte ihn provozieren wollen, mich zu bestrafen. Ich wusste auch nicht, warum. Diese dunkle Seite an ihm zog mich an. Sie umhüllte ihn wie einen Schatten, stand hinter ihm und lockte mich mit seinen düsteren Geheimnissen. Und von denen gab es einige.
Ich wollte von seiner Verderbtheit kosten, wollte sie trinken, um zu sehen, was sie aus mir machte. Auch diesen Gedanken verstand ich nicht. War ich doch mit keiner Faser meines Körpers ein schlechter Mensch. Ich sorgte und kümmerte mich immer mehr um andere als um mich. Warum also verführte mich diese dunkle Seiten an diesen beiden Männern so? Bei Aleks war es nicht anders. Ich wollte immer tiefer in seine Welt eintauchen. Und der Sex erst, wie dreckig und erotisch er war.
Wie es wohl mit Enzo sein würde? Was er mit mir anstellen würde? Er würde mich und meinen Körper beherrschen wollen. Mich dominieren. Etwas Erotischeres und zugleich Beängstigenderes gab es gerade nicht für mich.
Schritte rissen mich aus meinen Gedanken. Schnell sprang ich von meinem Bett auf. Die Tür öffnete sich, doch statt in ein bekanntes Gesicht zu sehen, kam ein regelrechter Boxchampion mit dem Tablett in meine Zelle. Er glich wahrlich einem Schrank, dieser Mann mittleren Alters. Mit seinem durchtrainierten Körper, mit dem er mich locker zermalmen könnte, den langen, ergrauten Rockerhaaren und dem grimmigen Gesichtsausdruck machte mir wirklich Angst.
Ich wich etwas zurück, während er mit donnernden Schritten auf mich zukam und mir kommentarlos das Tablett in die Hand drückte. Ich nahm es stumm und mit vor Schreck aufgerissenen Augen entgegen.
Dann wandte er sich schon wieder ab.
»Iss! Danach hole ich dich. Du darfst duschen gehen«, sprach er über die Schulter hinweg und schon war ich wieder allein.
Ich brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten.
Ich sollte duschen gehen, mit ihm als meine Aufsicht? Mit Liam fiel es mir ja schon schwer, hinter diesem dünnen, aber zum Glück dunklen Duschvorhang nackt zu stehen. Doch mit diesem Schrank?
No way!
Sollte Mr. Oberarsch doch höchstpersönlich kommen und mich in die Dusche zerren. Ich würde mich vor diesem unheimlichen Riesen ganz sicher nicht ausziehen.
Mir war der Appetit vergangen. Dennoch zwang ich mir die Hälfte meines Frühstücks, eine Scheibe Brot und einen Apfel, hinein. Den Rest ließ ich stehen.
Essen zu bunkern war mir untersagt worden. Nur eine Wasserflasche bekam ich zu jeder Mahlzeit und die durfte ich behalten. Am Anfang war es auch nur ein halber Liter Wasser gewesen. Doch da ich nun täglich Sport machte, manchmal aus Langeweile sogar mehrmals am Tag, bekam ich zum Frühstück und Mittagessen nun immer einen ganzen Liter Wasser. Am Abend blieb es jedoch bei dem halben. Doch darüber war ich eher dankbar. So musste ich keine Angst haben, nachts aufs Klo zu müssen.
Als ich mit meinem Frühstück fertig war, ging sofort die Tür wieder auf. Also hatte auch dieser unheimliche Kerl mich beobachtet. Mit dieser Tatsache würde ich mich wohl nie anfreunden können. Ständig unter Beobachtung zu stehen und von wer weiß wem alles angegafft zu werden. Aus diesem Grund hatte ich auch mit den provokanten Bewegungen und aufreizenden Showeinlagen aufgehört. Wollte ich doch damit nur den Hunter ärgern. Wer wusste schon, wer sich diese Videos noch ansah? Vielleicht stellte er sie sogar online? Ich traute diesem Schwein alles zu.
»Komm!«
Bei dem Klang seiner harten Stimme zuckte ich unwillkürlich zusammen. Ich reichte ihm mein Tablett und folgte ihm ins Badezimmer.
Dort angekommen lehnte sich der Riese mit verschränkten Armen an der Tür an und musterte mich genau. Er würde mich nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.
Ich ging mich erst einmal erleichtern. Als ich mit dem Waschen meiner Hände und meines Gesichts fertig war, wandte ich mich ihm wieder zu.
»Ich bin fertig.« Ich versuchte, meine Stimme so fest wie möglich klingen zulassen. Eigentlich war ich kein wirklich ängstlicher Mensch. Eigentlich. Denn das hier war eine völlig andere Situation. Eine solche, die meine tiefsten Instinkte auf den Plan rief.
Er zog die Stirn kraus, dann schüttelte er den Kopf. Ich machte einen Schritt zurück.
»Nein! Der Chef sagte, du sollst duschen gehen. Also gehst du JETZT duschen, Mädchen!« Das Letzte knurrte er nur.
Diesmal machte ich gleich einen ganzen Satz zurück, nur um dann unsanft und mit einem lauten Knacken in den Spiegel in meinem Rücken zu knallen. Scherben fielen zu Boden. Panik überkam mich, als der Schrank weiter auf mich zusteuerte.
Meine nächste Handlung folgte völlig unüberlegt, reflexartig. Ich bückte mich schnell und hob eine Scherbe vom Boden auf, dann hielt ich sie drohend mit ausgestrecktem Arm in seine Richtung.
Der Riese blieb kurz stehen, sein Gesicht verzog er zu einer spöttischen Fratze, als amüsiere ihn die Tatsache, dass ich ihn hier mit einer Scherbe bedrohte.
Okay, zugegeben, ich sah sicher lächerlich aus, und ich wusste selbst, dass ich keine Chance gegen ihn hatte. Einen Rückzieher machen wollte ich nun aber auch nicht mehr.
Der unheimliche Kerl mit dem höhnischen Lächeln auf den Lippen trat wieder auf mich zu. Ich verspannte mich und wappnete mich für … keine Ahnung, wofür, dennoch war ich gewappnet.
»Mike, was gibt es hier für ein Problem?«
Augenblicklich blieb der Schrank stehen und drehte sich zu Enzo um. Ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder noch panischer werden sollte. Dieser Mike wich automatisch zur Seite und schaffte damit freien Blick auf mich. Enzo funkelte mich drohend an und doch umspielten auch seine Lippen ein spöttisches Grinsen.
»Kein Problem, Chef. Sie will nicht duschen gehen. Ich wollte gerade nur etwas nachhelfen, dann ist sie in den Spiegel gelaufen und meinte, mich damit bedrohen zu müssen. Das ist alles.«
Enzo deutete mit einem Kopfnicken zur Tür hinter sich. Der Schrank eilte ohne Umschweife hinaus.
Somit blieb ich mit Mr. Oberarsch allein zurück.
Weiterhin stand ich mit dem Rücken am Spiegel, den Arm mit der Scherbe in der Hand noch immer drohend in seine Richtung ausgestreckt.
»So«, begann er gedehnt und kam langsam auf mich zu. Meine Körperhaltung wurde automatisch noch angespannter, bereit, mich zu verteidigen, wenn ich es denn müsste. Und bei ihm musste ich dies ganz sicher tun. Er sollte nicht meinen, mich wieder beherrschen oder bedrohen zu können.
»Du willst also nicht duschen gehen? Warum? Gestern warst du doch noch so scharf darauf. Was hat sich geändert, Prinzessin? Passt dir dein neuer Aufpasser etwa nicht? Duscht es sich mit meinem Bruder besser, ja?« Ich stutzte kurz. Enzo war überhaupt nicht auf meine Aktion hier mit der Scherbe eingegangen. Als wäre es das Normalste der Welt, dass ich so vor ihm stand, im Begriff, ihn zu verletzen. Nein, im Gegenteil, er kam sogar immer näher an mich heran und beachtete die scharfe Scherbe in meiner Hand gar nicht.
Was zum Teufel stimmt nicht mit diesem Kerl?!
»Eifersüchtig?«, schnappte ich bissig, weil mich seine Überheblichkeit einfach nur ankotzte, und hob die Scherbe demonstrativ noch etwas weiter an. Sie begann sich bereits in meine Handfläche zu schneiden, doch das war mir egal!
Enzo hob tadelnd die Brauen, dann trat er einfach weiter auf mich zu. Die Scherbe presste sich bereits in sein Shirt auf Brusthöhe und dennoch ging er immer dichter an mich heran.
Erschrocken riss ich die Augen auf, als ich spürte, dass sich die Spitze der Scherbe in seine Haut bohrte, dann zog ich sie reflexartig zurück und blickte ihm mit geöffnetem Mund entgegen.
Seine dominante Ausstrahlung hüllte mich sofort wieder ein, dabei funkelte er mich mit diesem Eissturmblick an. Ich konnte die Kälte förmlich über meine Haut tanzen spüren.
»Ich sage es jetzt genau einmal, verstanden, Prinzessin? Du ziehst dich jetzt aus und gehst duschen. Und deine lächerliche Vorstellung mit deinem kleinen Spielzeug hier kannst du dir in Zukunft sparen.« Während des Redens war er mir noch nähergekommen.
Abermals hob ich die Scherbe drohend an und drückte sie ihm diesmal in seine Seite. Ich spürte, wie der Stoff seines Shirts nachgab, dann seine Haut, und doch gab es keine Anzeichen des Schmerzes in seiner Mimik oder Haltung. Keine einzige Regung glitt über sein Gesicht. Seine Miene blieb unverändert hart und drohend.
»Und was soll das hier jetzt werden, kleine Prinzessin? Meinst du wirklich, eine Scherbe in der Hand eines kleinen Mädchens kann mir Angst machen? Ich verrate dir etwas.« Das Letzte flüsterte er nur noch, dann trat er noch näher an mich heran und drückte damit seinen Oberkörper von ganz allein auf die Scherbe.
Die Spitze bohrte sich unerbittlich in sein Fleisch und noch immer verzog er keine Miene dabei.
Mein Puls begann zu rasen. Ein schreckliches Rauschen machte sich in meinen Ohren breit und meine Atmung wurde angestrengter. Und doch führte ich einen inneren Kampf mit mir. Seit gestern Abend, seitdem er mich hinter seine Maske hatte blicken lassen, wusste ich ihn nicht mehr einzuschätzen. Ich wusste nicht, zu was Enzo fähig war und zu was nicht. Und doch reizte mich nichts mehr, als ihn zu provozieren.
»Ich kenne keine Angst und ich kenne keinen Schmerz. Das wurde mir über all die Jahre ausgetrieben. Also sag mir, kleine Prinzessin, was willst du mir noch für Schmerzen zufügen, die ich nicht schon zu tausendfach durchlebt oder anderen zugefügt habe?« Enzo stand so dicht vor mir, dass seine Lippen meine Ohrmuschel streiften und er sich weiterhin in die Spitze drückte. Mit geweiteten Augen sah ich ihn an, war mit dieser Situation sichtlich überfordert.
»Dachte ich’s mir doch. Also sei ein braves Mädchen, lass die Scherbe fallen und schwing deinen süßen Knackarsch unter die Dusche, bevor ich dich eigenhändig hineinzerre«, mahnte er mich streng und entfernte sich, bis er genügend Abstand zwischen uns gebracht hatte, um mir wieder in die Augen sehen zu können. Der Rest seines Körpers blieb an meinen gepresst und die scharfe Spitze trieb sich weiterhin in seine Flanke.
Als er plötzlich eine Hand anhob, zuckte ich hart zusammen. Meine Hand krampfte sich um die Scherbe und ich verzog augenblicklich vor Schmerz das Gesicht. Das Stück Spiegel hatte sich bei meiner dummen Aktion noch tiefer in meine Handfläche gefressen.
»VERDAMMT NOCH MAL!«, schrie er mir überraschend ins Gesicht. Ich zuckte so heftig zusammen, dass ich vor Schreck die Scherbe losließ. Sie steckte tatsächlich in seinem Fleisch, so tief hatte er sich auf die Spitze geschoben und dennoch keine Miene verzogen.
Enzo funkelte mich wütend an, dann zog er die Scherbe mit einem Ruck aus sich selbst heraus und ließ sie unbeeindruckt und achtlos zu Boden fallen.
Plötzlich packte er mich grob am Arm und schleifte mich mit sich.
Ich wimmerte in seinem eisernen Griff leise auf, wagte es jedoch nicht, mich zu wehren.
Er schubste mich in die Dusche, dann stellte er das Wasser an. Ich schrie spitz auf und machte einen Satz nach vorne, nur um dann gegen seine harte Brust zu knallen. Das Wasser war eiskalt. Erneut drängte er mich unter den eiskalten Strahl und zerrte mir mein weißes Schlaftop über den Kopf. Ich schlug und trommelte ihm wie verrückt gegen seine Brust. Als mein Shirt mit einem dumpfen Klatsch-Geräusch auf den Fliesen hinter ihm landete, funkelte ich ihn wütend an.
»Das kann man schon fast unter Folter zählen!«, giftete ich ihn an.
Enzo lachte kalt auf. In seinen Augen hatte sich bei meinen Worten etwas verändert.
»Schätzchen, du hast keine Ahnung von richtiger Folter. Wie hart und brutal sie sein kann. Wie sie deinen Verstand fickt und deine Seele in Stücke reißt und dennoch lächelst du deinem Peiniger zynisch entgegen, weil es das Einzige ist, das er dir nicht nehmen kann – deinen Stolz und dein Lächeln. Also rede nicht von Dingen, die du nicht verstehst!« Er blieb weiterhin dicht vor mir stehen. Mir lief noch immer das eiskalte Wasser über den Kopf. Ich begann, stark zu zittern, und schlang meine Arme vor meinen BH.
Mein Schnitt an meiner Handfläche brannte fürchterlich, als das eiskalte Wasser über ihn lief. Ich versuchte, mir nichts anmerken zulassen, doch seine Aussage ging nicht spurlos an mir vorbei. Trotz allem konnte ich nicht anders, als ihn weiter anzugiften. Er war einfach ein zu großes Arschloch, um mein Mitgefühl zu verdienen.
»Ach, und du hast niemanden so gefoltert, wie du gefoltert wurdest? Du bist besser als diese Männer, dieser Walker? Oder als mein Bruder? Ist es das, was du mir damit sagen willst?« Ich reckte stolz mein Kinn und straffte meine Schultern. Ich würde nicht vor ihm kuschen.
Doch als sich seine Augen nahezu in strahlendes Eis verwandelten, zog ich doch etwas den Kopf ein. Ich wich noch mehr an die Wand zurück und wieder drängte er mich dagegen. Nun stand Enzo ebenfalls unter dem Wasserstrahl, bloß, dass es ihn nicht zu stören schien.
»Ja, ich habe etliche Menschen gefoltert und gequält. Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn du die schlimmste aller Folterarten durchleben musst. Wenn dir ein Lappen über den Kopf geworfen wird. Du weißt nicht, wann es passiert. Wann sie dir das Wasser über den Kopf schütten. Dann hörst du es. Tausend kleine Nadeln treffen dich mitten ins Gesicht. Der Lappen tränkt sich mit Wasser. Du versuchst, flach zu atmen, doch irgendwann kommt nur noch Luft mit vielen kleinen Wassertropfen. Du beginnst zu husten, doch das macht es nur noch schlimmer. Du drohst, zu ersticken. Und kurz bevor die Ohnmacht einsetzt, reißen sie dir den Lappen wieder runter, nur um dir zwei Atemzüge später unter Würgen und starkem Husten abermals den nassen Lappen auf dein Gesicht zu legen und von Neuem zu beginnen. Also erzähl du mir nichts von Folter oder diesen beiden Bastarden Walker und deinem Bruder. Die beiden kennen sich mindestens, wenn nicht sogar besser, mit dem Thema Folter aus als ich.« Enzo war mir beim Sprechen immer nähergekommen, hatte seine Hände links und rechts neben meinem Kopf an den nassen Fliesen abgestützt, während er die letzten Worte nur noch dunkel an meine Lippen gesprochen hatte.
Mein Puls raste so sehr, dass er sicher jedes Blutdruckmessgerät zum Explodieren bringen würde. Mein Atmen ging stoßweise. Diese Geschichte jagte mir eine solche Furcht ein, dass ich am ganzen Leib schlotterte und das lag nicht mehr am kalten Wasser.
Enzo verharrte noch einen Moment dicht vor meinen Lippen, sein muskelbepackter Körper an meinen gepresst. Dabei lief ihm das Wasser über sein schwarzes Haar. Einzelne Strähnen hafteten auf seiner Stirn, sein Shirt klebte an ihm und zeigte das Muskelspiel, was sich darunter verbarg.
Ich versuchte, nicht allzu sehr darauf zu achten.
»Zieh dich aus!«, presste er mit seiner tiefen Stimmer hervor. Sein harter Bass brachte meinen Körper zum Vibrieren, leider auch an einer Stelle, wo eigentlich nichts seinetwegen vibrieren sollte.
Mir stockte der Atem, mein Hirn war wie vernebelt. Allein die Vorstellung, was er als Nächstes hier mit mir tun würde, jagte mir einen erregenden Schauer nach dem anderen über meine Wirbelsäule. Und dennoch schüttelte ich leicht den Kopf. Ich würde mich nicht vor ihm ausziehen, nicht so und nicht zu seinen Bedingungen.
Nicht hier, und einfach nicht so!
Doch was würde Enzo mit mir machen, wenn ich nicht gehorchte? Ich wusste, dass er mich nicht gegen meinen Willen anfasste, nur diese kleinen Drohgebärden ausübte. Er würde nicht weiter gehen, das war unser Deal. Also was könnte er noch tun?!
Seine Augen weiteten sich unmerklich, als er begriff, dass ich nicht gehorchen würde.
»Du willst nicht?«, knurrte er unheilvoll.
»Dreh dich um! Ich werde mich nicht vor dir ausziehen!«
Er schnaubte spöttisch.
»Du raubst mir noch den letzten Nerv, weißt du das?! Keiner, wirklich kein Mensch, den ich kenne und der mir begegnet ist, hat sich mir so widersetzt wie du! Warum gehorchst du nicht einfach?« Seine Lippen berührten beim Reden meinen Mundwinkel. Zischend zog ich die Luft ein, kam mit diesem Kontrast nicht zurecht. Diese dominante Ausstrahlung und dann eine Sekunde später diese zärtliche Berührung. Dieser Mann machte mich wahnsinnig. Ich durfte und wollte das nicht! Ich wollte ihn von mir stoßen. Wollte ihn vergessen. Wollte nicht von ihm berührt werden. Und doch gab es keinen schlimmeren Gedanken, als dass er mich tatsächlich nie wieder berühren könnte. Ich war völlig verwirrt.
»Katherine«, knurrte er rau. Mir ging dieser Laut durch Mark und Bein. Ich sah zu ihm auf, denn ich hatte es bis jetzt vermieden, ihm direkt in die Augen zu sehen. Hatte zu große Angst, diesen Eissturm, den Hass und die Düsternis, die sich immer in ihnen widerspiegelten, zu erblicken.
Zu meiner Überraschung fand ich allerdings keinen Eissturm vor, sondern Interesse.
»Du willst wissen, warum ich mich dir immer widersetzte?«
Er nickte unmerklich.
»Weil ich es kann!«
Erstaunt sah er mich an. Machte sogar einen Schritt zurück, entfernte sich somit wieder von mir und gab mich aus seiner Dominanz frei.
»Geh dich jetzt duschen. Ich warte draußen!«
Verblüfft öffnete ich meinen Mund. Ich hatte mit allem gerechnet, doch nicht damit, dass ER klein beigeben würde.
Enzo wandte sich nach einem weiteren intensiven Blick von mir ab und verließ nass, wie er nun mal war, das Badezimmer.
Ich wusste nicht, warum ich das gerade gesagt hatte. Was mich geritten hatte, dem Hunter solche Worte entgegen zu spucken! Ich wusste es wirklich nicht! Nur eins war mir klar: Es würde böse Konsequenzen haben. Das war sicher!
Ich brauchte noch einen langen Moment, um mit seiner Reaktion fertig zu werden. Und diese Geschichte erst. Ob sie der Wahrheit entsprach? War er tatsächlich schon einmal dermaßen gefoltert worden? Doch wenn es stimmte, wieso tat er es dann anderen an, wenn er doch wusste, wie schlimm es war? Wie konnte dieser Mann so dermaßen grausam sein? Und trotz allem war er mir gegenüber des Öfteren sanft. Warum? Ich verstand das alles nicht.
Noch einmal überprüfte ich schnell, ob ich auch wirklich allein war, dann stellte ich endlich das Wasser auf heiß und entledigte mich meiner restlichen Klamotten.
Ich ließ mich von dem heißen Wasserstrahl umspülen und meine müden und schmerzenden Muskeln entspannen.
Gerade als ich mir die einshampoonierten Haare auswaschen wollte, hörte ich, wie jemand reinkam.
»Katherine, nicht erschrecken. Ich bin’s nur, Liam. Mein Bruder schickt mich. Ich soll dir neue Klamotten bringen, deine sollen wohl irgendwie nass geworden sein, genau wie seine. Du willst mir nicht zufällig sagen, was hier abging, oder?«
Ich musste schmunzeln, denn mir war der anklagende Unterton von Liam nicht entgangen. Männer und ihre Eifersucht. Ich würde sie nie verstehen.
»Ich komme gleich. Ach, und könntest du mir noch bitte ein Handtuch reichen? Das wäre lieb.« Als ich fertig war, öffnete ich den Vorhang einen Spalt breit. Liam stand mit von mir abgewandtem Kopf vor der Dusche und hielt mir ein Handtuch entgegen.
Über diese wirklich anständige und süße Aktion musste ich erneut lächeln. Und zugleich wunderte ich mich darüber, wie diese beiden Brüder dermaßen unterschiedlich sein konnten.
Sie waren wahrlich wie Himmel und Hölle.
Ich nahm ihm das Handtuch ab und wickelte mich in diesem ein. Liam drehte sich erst um, als ich schon fast neben ihm stand. Er musterte mich fragend.
»Nichts ging hier ab. Du kennst doch deinen Bruder. Wenn er nicht mindestens einmal am Tag jemanden rumschubsen kann, dann wird er unausstehlich. Also habe ich mich freiwillig dafür gemeldet, diese Rolle heute zu übernehmen«, erklärte ich ihm im sarkastischen Ton.
Liam lehnte nun am Waschbecken, sah mich erstaunt an und musterte mich neugierig, während ich mir ein Handtuch um meine nassen Haare wickelte und die Tüte mit den Klamotten schnappte.
Dann nickte er plötzlich mit dem Kopf in Richtung Spiegel und verzog skeptisch die Brauen.
»Was ist denn da passiert?«
Ich folgte seinem Blick, dann sah ich schnell wieder runter auf die Tüte vor mir. Ich wollte die aufkommenden Bilder nicht noch einmal sehen. Wie Enzo vor mir stand und keine Miene verzogen hatte, als sich die Spitze in sein Fleisch gebohrt hatte.
Ich zuckte nur leicht mit den Achseln, dann öffnete ich die Tüte.
»Nichts«, nuschelte ich nur.
»Nichts? Und wieso ist dann Blut an einer Scherbe am Boden? Katherine, was zum Teufel ist hier abgegangen? Enzo sah auch nicht gerade happy aus.«
Bei seiner Erwähnung rückte mein Kopf in Liams Richtung. Ich sah ihn betroffen an, wusste nicht, was ich ihm sagen sollte. Nach einem Moment der Stille wandte ich meinen Blick wieder von ihm ab und sah erneut in die geöffnete Tüte vor mir auf dem Waschtisch.
»Was ist das?«, fragte ich spitz. Liam stellte sich aufrecht hin und nahm mir die Tüte ab, um selbst einen Blick hineinwerfen zu können.
»Zeig mal her. Enzo hat sie mir in die Hand gedrückt und gesagt, ich solle sie dir bringen.«
Er zog einen Hauch von schwarzem Nichts aus der Tüte und warf mir einen irritierten Blick zu. Dabei fiel ein Stück Papier auf den Boden.
Ich bückte mich danach und las die Nachricht darauf.