KAPITEL 6

Das Ende des jüdischen Sports

Stockholm, 28. Mai 1922. In seinem dritten Länderspiel misst sich Polen mit der Nationalmannschaft der Schweden. Ihre ersten beiden Länderspiele haben die Weißen Adler gegen Ungarn bestritten und jeweils verloren – ohne eigenen Torerfolg. In Budapest unterlag man 0:1, in Krakau 0:3. In Stockholm gelingt nun dem Verteidiger Józef Klotz das allererste Tor in Polens Länderspielgeschichte, als er vom Elfmeterpunkt zum 1:0 trifft. Nach 90 Minuten ist auch der erste Länderspielsieg unter Dach und Fach: Die Weißen Adler besiegen die Schweden 2:1.

Bilder vom ersten Tor der Polen sind nicht erhalten, doch der Name des Schützen und auch seines Vereins sind in die Annalen des polnischen Fußballs eingegangen. Józef Klotz war eine der Stützen von Jutrzenka Krakau, dem besten der jüdischen Clubs in der alten polnischen Königsstadt. Neben Klotz gehörte noch sein Clubkamerad Zygmunt Krumholz, der torgefährlichste Stürmer von Jutrzenka, zum Aufgebot für das Schweden-Spiel. Allerdings saß Krumholz nur auf der Bank und kam nicht zum Einsatz.

Auf Linksaußen spielte bei den ersten Länderspielen der wieselflinke Leon Sperling von Cracovia Krakau, die 1922 allererster polnischer Meister geworden war. Sperling stammte ebenfalls aus einer jüdischen Familie. Cracovia galt als Club des liberalen Bürgertums, in dem religiöse oder nationale Fragen keine Rolle spielten. Die Nationalpatrioten sprachen abschätzig vom „jüdischen Club“. Deren Lager stand hinter dem Lokalrivalen Wisła Krakau, der grundsätzlich keine Juden als Mitglieder aufnahm. Von Wisła kam der durchsetzungsstarke Mittelstürmer der Weißen Adler, Henryk Reyman.

Es ist nicht überliefert, ob diese Differenzen und Spannungen sich auf das Klima in der Nationalmannschaft auswirkten. In der damaligen

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Die Weißen Adler vor dem ersten Sieg 1922. Links sitzt Józef Klotz, rechts Leon Sperling, neben dem Schiedsrichter steht Stefan Fryc. Diese drei Nationalspieler der ersten Stunde wurden im Krieg von den Deutschen ermordet. Adam Kogut (Vierter v. l.) wurde im Wald von Katyn erschossen.

nationalpatriotischen wie auch in der jüdischen Presse waren sie jedenfalls ein Thema. Rechtlich galten im neugegründeten polnischen Staat die Juden, die in den Metropolen Warschau, Krakau und Lemberg jeweils ein Drittel der Bevölkerung ausmachten, als nationale Minderheit. Doch längst nicht alle von ihnen waren über die polnische Staatsangehörigkeit erfreut. So hatten sich die Posener Juden, die bis zum Ende des Ersten Weltkrieges Bürger des Deutschen Reiches waren, nahezu vollständig an die deutsche Kultur assimiliert. Viele von ihnen wanderten in den zwanziger Jahren ins Deutsche Reich aus – wo sie ab 1933 verfolgt wurden.1

In dem bis 1918 zu Russland gehörenden Lodz sprach die jüdische Oberschicht ebenfalls überwiegend Deutsch, nur eine Minderheit sprach Polnisch. Der Grund lag in den Privilegien, die das Zarenreich deutschen Fabrikanten gewährt hatte, um die Wirtschaft anzukurbeln. Aus den ersten Jahren der polnischen Republik sind zahlreiche Reibungen zwischen der neuen Obrigkeit und den Lodzer Industriebaronen, Deutschen wie Juden, verzeichnet.2 In Warschau hatten sich Vertreter jüdischer Vereinigungen sogar gegen die Bestrebungen der Polen gestellt, ihren Staat wiederzugründen. Grund war die Februarrevolution 1917 in Russland, zu den ersten Entscheidungen der neuen Regierung hatte die Aufhebung aller Gesetze gehört, die die Angehörigen von bestimmten Nationalitäten oder Religionsgemeinschaften diskriminierten. Im Warschauer Stadtrat forderten Nationalisten eine „wirtschaftliche Einheitsfront“ gegen die Juden, in deren Händen die meisten Geschäfte und Handwerksbetriebe lagen. In Lemberg griffen polnische Truppen sogar das jüdische Viertel an, bei dem Pogrom wurden vermutlich mehr als 70 Menschen ermordet.3

In der jüdischen Intelligenz der großen Städte war angesichts dieser Entwicklungen die Haltung zur Republik Polen ein wichtiges Thema, nicht nur ihre Politiker stritten zum Teil heftig darüber. Diese Kontroversen spiegelten sich durchaus im Sport wider, denn die großen jüdischen Vereine standen durchweg für eine politische Gruppierung.

Vor allem die junge aufstrebende Generation unter den Juden sah die Leibesertüchtigung als wichtigen Bestandteil der Kultur an, der die eigene Identität stärken sollte. Schon vor dem Ersten Weltkrieg entstanden im damaligen österreichischen Teilungsgebiet um die Zentren Krakau und Lemberg zahlreiche jüdische Vereine. Im zum Zarenreich gehörenden Zentralpolen um Warschau und Lodz wurden hingegen keine jüdischen Vereinigungen erlaubt.

Erst 1915 wurde Makkabi Warschau, der erste große jüdische Club der Weichsel-Metropole, offiziell registriert, ausgerechnet von der deutschen Militärverwaltung. Die kurz zuvor in Warschau eingerückten deutschen Soldaten waren nach dem Rückzug der russischen Verbände sowohl von den katholischen Polen als auch von Juden als Befreier begrüßt worden. Der Militärgouverneur von Warschau, der korrekte preußische General Hans von Beseler, stellte den jüdischen Sportlern persönlich die Turnhalle des nun geschlossenen russischen Gymnasiums zur Verfügung.

Makkabi, benannt nach den jüdischen Freiheitskämpfern im 2. Jahrhundert v. Ch., stand für die zionistische Idee einer eigenen jüdischen Nation und eines eigenen Sportverbandes, war aber auch bereit, gegen nicht-jüdische Vereine anzutreten.4 In Krakau gehörte Makkabi zu den besten und reichsten Klubs, das Clublokal in der Krakauer Innenstadt zählte sechs Zimmer.5

Die Pistole des Schiedsrichters

Auch die Warschauer Makkabianer waren gut ausgestattet, doch hatten sie gegen die besten der lokalen polnischen Clubs keine Chance. Dafür setzten die jüdischen Fußballanhänger ihre Hoffnung auf ein Gastspiel von Hakoah Wien bei Polonia Warschau, einem keineswegs als nationalpatriotisch, sondern als tolerant geltendem Club, im Juli 1924. Die jüdische Presse forderte die Leser auf, möglichst zahlreich im Stadion zu erscheinen – nicht um die Warschauer, sondern die Wiener Mannschaft anzufeuern.

Als die Wiener am Warschauer Zentralbahnhof eintrafen, säumten den Zeitungsberichten zufolge rund 40.000 Warschauer Juden ihren Weg zum Stadion. Während des Spiels kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen polnischen und jüdischen Zuschauern; wegen eines Platzregens wurde die Partie beim Stand von 1:0 für Hakoah abgebrochen. Einige Kommentatoren der polnischen Presse warfen anschließend der jüdischen Bevölkerung vor, nicht loyal zu Polen zu stehen.6

Die nationalpatriotische Sportbewegung Sokół, die auch in der polnischen Emigration Hunderte von Clubs gründete, verkündete daraufhin, die Mitglieder der jüdischen Clubs und ihre Sympathisanten seien „bekanntlich die maskierte Avantgarde des Bolschewismus“, und forderte den Boykott jüdischer Läden in Warschau. Doch fand Sokół mit diesem Aufruf nur ein geringes Echo.7

Das Warschauer Boulevardblatt „Gazeta Poranna 2 grosze“ sprach sich entschieden dagegen aus, Juden in polnische Clubs aufzunehmen: „Sie haben schließlich ihre eigenen jüdischen Clubs und sollten dort an der Leibesertüchtigung ihrer semitischen Rasse arbeiten. Wozu also sollte man sie in polnische Clubs aufnehmen, wo sie sich nur als zersetzendes Element erweisen und die polnische Rasse verderben würden?“8

Die Vorbehalte gegenüber jüdischen Fußballern bekam auch immer wieder Leon Sperling zu spüren, der dribbelstarke Cracovia-Linksaußen. Er hatte nicht nur am allerersten Länderspiel teilgenommen, sondern gemeinsam mit seinem ebenfalls jüdischen Vereinskameraden Ludwik Gintel Polen auch bei der Olympiade in Paris vertreten. Der nur 1,66 Meter große filigrane Techniker dribbelte bei jeder Gelegenheit, wurde dadurch zum Publikumsliebling, behielt aber dennoch den Überblick, im richtigen Moment seine Flanken zu schlagen. „Er manövrierte seine Gegenspieler so trickreich aus, dass die Zuschauer auf den Rängen laut auflachten“, hielt ein Zeitgenosse über ihn fest.9 Insgesamt 21-mal spielte er für die Nationalmannschaft.

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Dribbelkönig Leon Sperling (ermordet im Lemberger Ghetto).

Doch all sein Spielwitz nützte ihm nichts, wenn er auf einen Schiedsrichter traf, der dem nationalen Lager nahestand und entsprechend pfiff. So verzeichneten die Chronisten, dass Sperling in der Partie bei Warta Posen von einem martialisch auftretenden Schiedsrichter, der schon zuvor wegen antisemitischer Sprüche aufgefallen sei, ohne erkennbaren Grund vom Platz gestellt worden sei. Der Schiedsrichter habe während des gesamten Spiels eine Pistole am Gürtel getragen.10

Sperling hatte seine Fußballerkarriere bei Jutrzenka Krakau begonnen, dem jüdischen Club. Hinter Jutrzenka, auf jiddisch „Morgenshtern“, stand der Algemejne Jidysze Arbeter Bund (Allgemeiner jüdischer Arbeiterbund), kurz „Bund“ genannt. Der Dachverband Jutrzenka/Morgenshtern zählte in Polen in den zwanziger Jahren rund 170 Clubs mit insgesamt 5.000 Mitgliedern. Im Gegensatz zu Makkabi lagen den „Bundisten“ zionistische Ideen fern, sie fühlten sich dem proletarischen Internationalismus verpflichtet und betrachteten die polnischen Sozialisten als ihre Verbündeten. Somit sahen sie auch keine Gefahr in der Assimilation an die Mehrheit.

Duelle zwischen Links und Rechts

Die Spiele zwischen den Jutrzenka-Clubs und den Mitgliedern des zionistischen Dachverbandes Makkabi bezeichneten manche Zeitgenossen als „heiligen Krieg“. In Krakau warfen die Bundisten von Jutrzenka den einheimischen Makkabisten sogar vor, bei den Spielen in der Bezirksliga taktische Allianzen mit den Nationalpatrioten von Wisła einzugehen, die eigentlich als antijüdisch galten.

Das konservative, bürgerliche Judentum unterstützte dagegen Clubs mit dem Namen Hasmonea. Der Name stammte von dem Königs- und Priestergeschlecht der Hasmonäer. Am erfolgreichsten war Hasmonea Lemberg, gegründet zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Vielvölkerstadt noch zu Österreich-Ungarn gehörte. Nach der Angliederung der Region an das wiedererstandene Polen am Ende eines polnischukrainischen Krieges übernahm die neuaufgestellte polnische Armee seine Sportanlagen. Die jüdischen Gemeinden finanzierten daraufhin ein neues Stadion.

Hasmonea gehörte zu den Clubs, die 1925 in der ersten großen Affäre des polnischen Fußballs beschuldigt wurden, entgegen dem verpflichtenden Amateurstatus des PZPN den Spielern Gehälter zu zahlen. In der Saison 1924/25 wurde der Klub vom Wiener Juden Fritz Kerr trainiert, einem ehemaligen österreichischen Internationalen, der sich später auch in die Annalen der Stuttgarter Kickers einschrieb. Der Verband belegte neun der Hasmonea-Akteure wegen verbotenen „Berufsspielertums“ mit Sperren und Geldstrafen; mehrere verließen daraufhin den Club.

Nicht betroffen von dem Skandal war der hochgewachsene Stürmer Zygmunt Steuermann, der über einen gewaltigen Torschuss verfügte. Wie viele Angehörige der jüdischen Mittelschicht war seine Familie im Ersten Weltkrieg aus Furcht vor einem Vorrücken russischer Truppen, die wegen ihrer Pogrome berüchtigt waren, aus Lemberg nach Wien geflohen. Er besuchte dort ein Gymnasium und begann mit dem Fußballspielen, erst bei Gersthof Wien, dann bei Germania, schließlich bei den „Amateuren“, dem Klub des assimilierten jüdischen Bürgertums in der Donau-Metropole. Im Ersten Weltkrieg diente er zunächst in den österreichischen Streitkräften.

Zum Kriegsende trat Steuermann als Offiziersanwärter in die neu aufgestellte polnische Armee ein und kehrte nach Lemberg zurück. Nach dem Abtritt der in den Profiskandal verwickelten Spieler wurde er zum wichtigsten Hasmonea-Stürmer. Schon wenig später hatte er seinen ersten sensationellen Auftritt in der Nationalmannschaft: In seinem Debütspiel gegen die Türkei 1926 schoss der 1,83 Meter große Mittelstürmer, der trotz seiner 85 Kilogramm einen sehr schnellen Antritt hatte, drei Tore zum 6:1-Sieg der Weiß-Roten. In seinem zweiten und letzten Länderspiel gegen die USA steuerte er ein Tor zum 3:3-Endergebnis bei. Mit durchschnittlich zwei Treffern pro Einsatz steht sein Name bis heute für die beste Torquote unter den Weißen Adlern.

Auch dank der Torausbeute Steuermanns hielt sich Hasmonea zwei Spielzeiten in der 1927 gegründeten Liga. Der Krakauer Konkurrent Jutrzenka stieg dagegen schon nach einem Jahr ab. Die Begegnungen der beiden jüdischen Clubs waren besonders spannungsgeladen, weil ein Großteil der Zuschauer sie auch als politische Duelle zwischen Links und Rechts begriff. Unter ihren Anhängern kam es immer wieder zu Handgreiflichkeiten, so wie es auch die anderen polnischen Vereine kannten. Beide Mannschaften lieferten sich in der ersten Ligasaison 1927 einen erbitterten Kampf, die Hasmonea-Elf um Steuermann entschied ihr Heimspiel mit 2:1 knapp für sich und erkämpfte in der Rückrunde in Krakau bei dem Prestigeduell ein 2:2. Jutrzenka mit dem Torjäger Krumholz aber hätte hoch gewinnen müssen, um den Abstieg zu vermeiden.

Numerus clausus für Juden

In nicht minder nervöser Atmosphäre fanden die ersten Lokalderbys zwischen nationalpatriotischen und jüdischen Clubs statt. In Krakau ging Jutrzenka unter dem Gepfeife der eigenen Anhänger gegen Wisła Krakau um Henryk Reyman 0:4 unter; ein starkes Polizeiaufgebot sorgte dafür, dass es nicht zu Ausschreitungen kam. Unter dem 1926 nach einem Militärputsch zum Staatschef erkorenen Marschall Józef Piłsudski versuchten die Behörden durchaus mit Erfolg, antisemitische Reaktionen von Anfang an zu unterbinden, weshalb die jüdischen Gemeinden in ihm ihren Schutzherrn sahen.

Hasmonea verlor damals gegen den Lokalrivalen Pogoimage Lemberg gar 1:7, den Ehrentreffer erzielte Steuermann. Zum Glück für den jüdischen Verein wurde das Spiel annulliert, weil beide Mannschaften noch nicht offiziell registrierte Akteure eingesetzt hatten. Das Wiederholungsspiel gewann Hasmonea überraschend 2:1, sicherte sich damit den Klassenerhalt und verdarb dem Lokalrivalen Pogoimage endgültig die Verteidigung des Meistertitels, den die Lemberger in den vier Spielzeiten zuvor in ununterbrochener Folge errungen hatten.

Hasmonea schoss in der ersten Saison der Liga in 26 Partien 55 Tore, darunter 23 von Steuermann. Doch musste der Torwart insgesamt 78 Bälle passieren lassen, im Durchschnitt drei pro Spiel. Auch in der folgenden Saison 1928 zeigte sich Steuermann mit insgesamt 16 Treffern in guter Verfassung. Allerdings wurden nach Ende der Saison die meisten Partien von Hasmonea annulliert. Damit war der Abstieg besiegelt, was in der jüdischen Presse Polens heftige Proteste hervorrief.

Die Vereinsführung hatte sich nämlich gleich zweimal den Zorn des PZPN zugezogen. Zum einen waren die Hasmonea-Akteure bei einem Samstagsspiel nach der Pause nicht wieder auf den Platz gekommen. Es wurde bekannt, dass ein Vertreter der jüdischen Gemeinde sie beschuldigt hatte, sie missachteten das Gebot, den Sabbat zu heiligen. Außerdem warf der PZPN Hasmonea vor, erneut gegen den Amateurstatus verstoßen zu haben.

Steuermann wechselte nach dem Abstieg seines Clubs zu Legia Warschau, kehrte aber schon nach einem Jahr zu Hasmonea zurück. Als 1932 die Holztribüne des Stadions und das Vereinsheim, offenbar nach Brandstiftung, in Flammen aufgingen, zeigten sich viele der polnischen Clubs solidarisch: Sie erhoben einen Aufschlag auf Tickets zur Unterstützung von Hasmonea.11

Nach dem Tod Marschall Piłsudskis 1935 gewannen in Warschau Politiker die Oberhand, die sich mit dem Segen der katholischen Bischöfe für eine Isolierung der Juden in der polnischen Gesellschaft aussprachen und diese durch Behördendruck zur Emigration drängen wollten. Der neue starke Mann im Staate, Marschall Edward Rydz-imagemigły, setzte ein Zeichen, als er die Schirmherrschaft über den nationalistischen Sportverband Sokół übernahm.

In diesem Klima verlangte das Präsidium von Warta Posen den Ausschluss jüdischer Vereine. Fast alle Vereine der Liga, einschließlich der oberschlesischen, unterstützten diesen Antrag, zu den Gegnern gehörte der Vorstand von Cracovia.12 Das Staatliche Amt für Leibeserziehung und vormilitärische Ausbildung (PUWFiPW) sprach sich 1938 dafür aus, dass auch die Sportvereine den Numerus clausus einführen, wie er bereits für die Universitäten galt: nur eine kleine Zahl von Juden sollte zugelassen werden.13 Im selben Jahr brannten die Sportanlagen von Makkabi Krakau ab.14

Tod im Ghetto

Der deutsche Einmarsch in Polen im September 1939 bedeutete das Ende der jüdischen Sportvereine. Nur für einen einzigen jüdischen Club sind Versuche verzeichnet, an einem konspirativen Fußballturnier teilzunehmen: Es fand im Sommer 1940 in der Stadt Kielce statt.15

In derselben Zeit entging der spätere Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der 1938 als Jude mit polnischer Staatsbürgerschaft von Berlin nach Warschau abgeschoben worden war, wegen seines Fußballwissens wenigstens für einen halben Tag den Schikanen der Besatzer. Als er mit anderen Juden herangezogen wurde, ein von der Wehrmacht in Beschlag genommenes Warschauer Schwimmbad zu reinigen, kam er mit einem „dieser lustigen, brutalen Soldaten“ zufällig ins Gespräch; dieser stammte ebenfalls aus Berlin und war ein Anhänger von Hertha BSC: „Rasch nannte ich die Namen der damals berühmten Spieler – und das hat mich gerettet. Er war erfreut, in Warschau, in dieser ihm fremden Welt, jemanden gefunden zu haben, mit dem er sich über Hertha BSC und die Konkurrenzmannschaften unterhalten konnte. Derselbe junge Mann, der uns vor einer halben Stunde sadistisch geschunden und uns gezwungen hatte zu brüllen, wir seien Judenschweine, er, der uns noch vor wenigen Minuten mit der Pistole in der Hand gedroht hatte, er würde uns gleich ins eiskalte Wasser des Schwimmbads jagen – dieser Kerl benahm sich jetzt ganz normal, ja, nahezu freundlich.“16

Der gute Ausgang einer derartigen Begegnung war indes eine absolute Ausnahme. Die deutschen Besatzer wurden sogar dienstlich angehalten, die Juden als „Untermenschen“ zu behandeln; ihre willkürliche Ermordung war erlaubt und deshalb alltäglich. Der systematischen Vernichtung der Juden fielen auch mehrere Spieler der polnischen Nationalmannschaft zum Opfer: Nur das Todesjahr ist bei Józef Klotz bekannt, dem Schützen des allerersten polnischen Länderspieltores. Er kam 1941 in Warschau um, vermutlich im Ghetto. Im selben Jahr wurde sein Clubkamerad von Jutrzenka Krakau, Zygmunt Krumholz, in der heute zur Ukraine gehörenden Provinzstadt Sambor von den deutschen Besatzern ermordet.

Im Dezember 1941 erschoss im Lemberger Ghetto ein betrunkener SS-Mann Leon Sperling, einst Dribbelkünstler der Weißen Adler. Sperling, der zuletzt in einer Bank gearbeitet hatte, konnte sich zunächst vor den Deutschen retten. Ihm gelang die Flucht aus dem besetzten Warschau nach Ostpolen, das bis zum Sommer 1941 die Rote Armee kontrollierte. In Lemberg wurde er Trainer einer der neuen sowjetischen Betriebsmannschaften. Allerdings war er nach dem Angriff der Deutschen auf die Sowjetunion dort geblieben, anstatt mit der zurückflutenden Roten Armee nach Osten zu fliehen. Ebenfalls im Lemberger Ghetto fand der frühere Hasmonea-Mittelstürmer Zygmunt Steuermann den Tod. In den Monaten vor dem Einmarsch der Deutschen hatte er in dem neugegründeten sowjetischen Club Dinamo Sambor gespielt.

Fußball im KZ

In Auschwitz-Birkenau, wo auch der siebenfache deutsche Nationalspieler Julius Hirsch zu Tode kam, wurde ein Stürmer der polnischen Auswahl ermordet: der Posener Marian Einbacher, Teilnehmer des allerersten Länderspiels gegen Ungarn 1921 und später Bankangestellter. In dem Vernichtungslager kam auch der populäre Sportreporter Michał Frank um. Er war dem großen Publikum in Polen durch die temperamentvolle Rundfunkübertragung des WM-Spiels Polen–Brasilien bekanntgeworden. Frank hatte zunächst aus dem Ghetto fliehen können, war aber erneut von der SS aufgegriffen und gefoltert worden.

Im Herbst 1942 gestand SS-Führer Heinrich Himmler den KZ-Häftlingen die Möglichkeit zu, gelegentlich unter Aufsicht Sport zu treiben. Dadurch sollten die Arbeitsleistungen gefördert werden. Ohne Zwangsarbeiter wäre nämlich die deutsche Rüstungsproduktion längst zusammengebrochen. Sogar in Auschwitz-Birkenau wurde nun gelegentlich Fußball gespielt, auf einem Platz unmittelbar neben den Krematorien. Belegt sind Partien der SS gegen Häftlinge des Sonderkommandos, die für die Leichenverbrennung zuständig waren.

Im Ghetto von Wilna, das bis zum Krieg zu Polen gehört hatte, ließ die SS im Frühjahr 1942 sogar jüdische Sportvereine zu. In 28 Sektionen, darunter Fußball, waren rund 1000 Sportler organisiert.

Unterlagen der Buchführung, Eintrittskarten, sogar Plakate sind erhalten.17 Mit der „Niederlegung“ der Ghettos vom Frühjahr 1943 an, die mit der Deportation Zehntausender in die Vernichtungslager einherging, kam auch das Ende des jüdischen Sports hinter Gittern und Stacheldraht.

Nach 1945 schlossen sich in mehreren polnischen Städten Holocaust-Überlebende zusammen, um wieder jüdische Sportclubs zu gründen. In den folgenden Monaten wurden zwei Dutzend Vereine von den Behörden registriert. Doch angesichts der Machtkämpfe in Polen, die auch mit Pogromen einhergingen, verließen die meisten Juden das Land. Der älteste jüdische Verein Polens, Makkabi Krakau, löste sich vier Jahre nach seiner Neugründung 1949 endgültig auf.