Das Ende der Nacht – die Rolle der Lichtverschmutzung

 

Ein Einwand könnte noch kommen, die nachts aktiven Schmetterlinge betreffend. Er lautet: Aber was ist denn mit der Lichtverschmutzung? Unsere Zeit hat die Nacht aufgehellt. Millionen und Abermillionen Lampen leuchten vom Abend bis tief in die Nacht hinein oder ganz durch bis zum Morgen. Das Licht zieht die Insekten an. Niemand kann auch nur annähernd abschätzen, wie viele Schmetterlinge der nächtlichen Beleuchtung zum Opfer fallen. Sicher ist, dass in den Städten die Fledermäuse davon profitieren, Insekten von den Straßenlaternen angezogen und dort versammelt zu bekommen. Zieht das Licht möglicherweise sogar viele Insekten von den Fluren in die hell erleuchteten Städte ab?

Vermutungen dieser Art erscheinen nicht abwegig. Zahlreiche Untersuchungen an Wasserinsekten haben längst bestätigt, dass es diesen Effekt gibt. Man kennt ihn, seit elektrisches Licht verwendet wird. An Fluss- und Seeufern kann die Straßenbeleuchtung Wasserinsekten, die in der Abenddämmerung schwärmen, in solchen Massen anlocken, dass die Straße darunter von einem schlüpfrigen Brei aus Insektenkörpern bedeckt wird. Insbesondere Eintags- und Köcherfliegen, aber auch große Zuckmücken gehören zu diesen schwärmenden Wasserinsekten. Im Kleinformat wird gegenwärtig Insektenvernichtung mit Lichtanlockung in Supermärkten von Discountern zu Billigstpreisen angeboten und sicherlich auch verkauft. Dies geschieht ausgerechnet in einer Zeit, in der so sehr über den Rückgang der Insekten geklagt wird. Anscheinend sind die Geräte genehmigungsfrei, obwohl sie unselektiv töten. Insektenvernichtungsgeräte sind Verkaufsschlager. Verschiedene Discounter bieten Modelle unterschiedlicher Ausführungen an.

Zurück zur Frage, welchen Anteil die Lichtverschmutzung, wie sie inzwischen genannt wird, am Rückgang der Schmetterlinge haben könnte. Zweifellos sind die Straßen- und Gebäudebeleuchtungen insgesamt weitaus wirkungsvoller als die Kleingeräte zur Insektenvernichtung auf Terrasse und Balkon. Aber der weitaus größte Teil der Leuchtkörper ist nach wie vor nicht auf eine Lichtmischung umgestellt, die weniger als die übliche weiße auf die Schmetterlinge wirkt. Von der Annahme ausgehend, dass aus genau diesem Grund vergleichende Untersuchungen an nachtaktiven Schmetterlingen in der Stadt nichts bringen würden, fing ich erst rund ein Jahrzehnt, nachdem ich nach München an die Zoologische Staatssammlung gekommen war, mit dieser Methode an. Der allseitig lichtdicht abgeschlossene Innenhof der Schlossanlage von Nymphenburg schien mir geeignet, weil es darin gemäß dem natürlichen Tagesrhythmus abends dunkel wurde und dies die Nacht über blieb. Das Licht aus meinem Fenster, das ohnehin in Sommernächten das einzige erleuchtete war, dürfte sich nicht auswirken, da ich die Lampe direkt daneben platziert hatte. Das waren meine damaligen Überlegungen.

Der Anflug war überraschend in jeder Hinsicht. Für die Großschmetterlinge, also alles, was nicht zur Gruppierung der Kleinschmetterlinge gehört, die notorisch schwierig zu bestimmen sind, stellte ich zwischen 1981 und Anfang 1985 die unerwartet hohe Zahl von 230 verschiedenen Arten fest. Auch die Anflugmengen waren für die Großstadt erstaunlich hoch, wie ich meinte, auch wenn sie erheblich unter denen lagen, die damals noch am Rand des niederbayerischen Dorfes ans Licht kamen. Drei Jahrzehnte später zeigte sich jedoch, dass sie »das Land« übertrafen. Rückblickend bedauere ich sehr, dass ich nicht gleich nach dem Umzug der Zoologischen Staatssammlung in den Neubau in München-Obermenzing mit diesen Untersuchungen fortfuhr. Wiederum hatte ich angenommen, sie würden zu unergiebig sein, weil der neue Ort nicht von der Straßen- und Stadtbeleuchtung abgeschottet lag. Die nächsten Straßenlaternen leuchteten schon in 20 bis 30 Metern Entfernung. Es herrschten somit stadtübliche Lichtverhältnisse. Zu meinem großen Erstaunen fielen die Anflugergebnisse keineswegs schlechter aus. Die Mengen waren in etwa auf gleicher Höhe wie im lichtdicht abgeschlossenen Innenhof. Aber das Artenspektrum nahm stark zu; bei den Schmetterlingen, wie auch bei den übrigen nachtaktiven Insekten. Deren Vielfalt beeindruckte die Kollegen in der Zoologischen Staatssammlung sehr. Mitunter strapazierte ich sie wahrscheinlich, wenn ich immer wieder mit der Bitte um Bestimmungshilfe zu ihnen kam.

Der Supersommer 2003 brachte, wie bereits ausgeführt, Superergebnisse. Man könnte meinen, die Stadtbeleuchtung spiele keine Rolle; zumindest nicht, was die Lichtanlockung mit UV und die darauf reagierenden Insekten betrifft. Es gab in der üblichen, mir längst vertrauten Weise gute und schwache Anflugnächte, gerade so, wie es der Witterung entsprach. Im Spätherbst und im Vorfrühling mit langen, von Natur aus eigentlich dunklen Nächten flogen die auf diese Jahreszeiten spezialisierten Falter ans Licht, als ob überhaupt kein Unterschied in der Beleuchtung gegeben wäre. Frostspanner kamen in der von Kunstlicht erleuchteten Stadt sogar mehr als draußen am Land und das mit dem gesamten Artenspektrum, das für die Region zu erwarten war. Auch die Reaktion auf den Mond fiel gleichartig aus. Vollmondnächte sind ungünstig, Neumondnächte dagegen auch ohne Bewölkung günstig. Wolken und leichter Regen sind am besten, wolkenlose und windige Verhältnisse hingegen sehr schlecht. All dies ließe sich mit Messwerten belegen, die ich für jede Nacht genau mitnotiert hatte, nach der ich den Lichtanflug untersuchte. Nicht einmal auffälligere Verschiebungen in den Flugzeiten der verschiedenen Arten im Jahreslauf ließen sich im Vergleich zum Land feststellen.

Doch harren die Befunde zum Einfluss der Temperatur noch einer vertieften Auswertung. Im Hinblick auf die Diskussionen um die Folgen der Klimaerwärmung und die Modellrechnungen dazu könnten sie sich als recht aufschlussreich erweisen, weil die Daten bis 1969 zurückreichen. Die Lücke zwischen 1994 und 2002 war also unnötig. Sie ist ein Beispiel dafür, wie leicht man sich beeinflussen lässt von Meinungen, zumal von solchen, die sehr plausibel wirken. Diverse Kurzzeituntersuchungen an mehreren Stellen in der Stadt, die ich in dieser Zwischenzeit durchführte, hätten mich alarmieren müssen. Doch zu fest saß auch in mir das Vorurteil, der Insektenflug in der Stadt sei wegen der permanenten Flutung mit Kunstlicht gestört und bedeutungslos. Dass auf dem Gelände der Zoologischen Staatssammlung viele Tagfalter flogen, war hingegen nicht zu übersehen. Deren Entwicklung verfolgte ich von Anfang an, also gleich nach dem Einzug 1985. Sie bot in mancherlei Hinsicht ein Lehrstück.

Unmittelbar beim Umzug gab es, von der Baumaßnahme stammend, sehr viel kiesigen Rohboden. Darauf entwickelte sich langsam ein äußerst artenreicher Bewuchs. Schmetterlinge kamen. Unter ihnen mehrere Arten von Bläulingen. Sie entwickelten rasch eindrucksvolle Bestände. Zeitweise waren sie so häufig, dass ein Gang über das (unterirdische) Bauwerk Dutzende von ihnen gleichzeitig auffliegen ließ. Doch in so »unordentlichem« Zustand sollte die Fläche nicht bleiben. Das war offenbar die Meinung der für die Baumaßnahme zuständigen Behörde. Das Gelände wurde eingesät mit der Geißraute Galega officinalis, einem zu den Schmetterlingsblütlern bzw. Leguminosen gehörenden Gewächs. Symbiotische Mikroben an den Wurzeln, Knöllchenbakterien genannt, versetzen diese Pflanzen in die Lage, Luftstickstoff zu binden.

Das macht sie sehr wüchsig auf mageren Flächen, so es dort ausreichend Wasser und mineralische Nährsalze gibt. Mit ihrem Wachstum düngen sie die Flächen ganz ähnlich, wie das früher die Kleefelder zur Bodenverbesserung für den Getreideanbau taten. In wenigen Jahren überwucherte die Geißraute das Gelände überall dort, wo durch die Baumaßnahme der Boden offen oder angerissen war. Daraufhin verschwanden die Bläulinge und andere Tagfalter. Ihr Lebensraum war durch diese Begrünungsmaßnahme vernichtet worden. Sie schlug gründlich fehl, weil die Geißraute viele Jahre bekämpft werden musste, um sie zurückzudrängen. Denn sie wucherte brusthoch in dichten Reinbeständen. Der unermüdlichen Freizeitarbeit von Wolfgang Schacht (†), Mitarbeiter an der Zoologischen Staatssammlung, war es zu verdanken, dass sie schließlich etwa ein Jahrzehnt nach ihrer Massenvermehrung auf unbedeutende Einzelvorkommen vermindert werden konnte. Nun erholten sich auch die Tagfaltervorkommen wieder. Das Mähen wurde auf ein Minimum beschränkt und nie gleichzeitig auf der ganzen Fläche durchgeführt, so dass immer ein genügend großer Restbestand für die Wiederbesiedlung vorhanden war.

Die Zoologische Staatssammlung wurde ein Zentrum der Artenvielfalt in der Großstadt mit einem Artenreichtum auf ihrem Gelände, der eines Naturschutzgebietes würdig wäre. Die Lichtanflüge entwickelten sich entsprechend. Magere Flächen mit lockerem, artenreichem Bewuchs, der Rest eines Wäldchens und vielfältige Strukturen, vorgegeben durch Baumbestände, Offenland, Hügel, Teich und Buschwerk sowie Einzelbäume an den Parkplätzen bieten die strukturellen Voraussetzungen für einen hohen Artenreichtum an Schmetterlingen und anderen Insekten. Menschenwelt und Natur fügen sich an solchen Stellen so gut ineinander, dass Zuversicht aufkommt. Die Artenvielfalt hat Chancen zu überleben; ein großer Teil davon zumindest, wenn ihr Überleben zugelassen wird. Wie an solchen Orten in der Großstadt. Die Geißrauten-Episode ist vorüber. Man hat hoffentlich daraus gelernt: Es sind meist die »Macher«, die allzu viel kaputt machen, weil es ihnen widerstrebt, natürliche Entwicklungen einfach zuzulassen und sie nötigenfalls nur sanft zu steuern. Das ist eines der Kernprobleme des Schmetterlingsschutzes.