Bilanz – ein Bündel von Ursachen
Die Schmetterlinge sind seltener geworden; viel seltener, als sie das noch vor einem halben Jahrhundert waren. Auf intensiv bewirtschafteten Fluren gibt es sie, wie auch andere Insekten kaum noch. Am besten gehalten haben sie sich in Gärten und großstädtischen Anlagen. Rückgänge fanden in den Wäldern statt. Und in Naturschutzgebieten. Das Ausmaß des Niedergangs ist unterschiedlich, und verschieden sind auch die Ursachen dafür. Der Hauptgrund, der überall wirkt, ist die Überdüngung. Sie verändert die Lebensbedingungen. Beteiligt sind sicher auch Pflanzenschutzmittel. In welchem Umfang, ist strittig und von Region zu Region auch unterschiedlich. Verluste an Strukturen in der Landschaft wirken sich stärker aus, als gemeinhin gedacht wird. Pflegemaßnahmen auf nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen treffen viele Schmetterlingsarten. Sie müssten nicht sein, gewiss nicht in der Intensität und Gründlichkeit, mit der sie durchgeführt werden. Und dass sogar im Staatsforst die Straßenränder gemäht werden, wenn dort Blumen blühen, ist unfassbar. Der zurückgegangene Einsatz von Giften in Gärten und Parkanlagen kommt den Schmetterlingen zugute. Die Städte und größere Dörfer sind generell Rettungsinseln für sie geworden. Doch die Tendenzen zum pflegeleichten, unkrautfreien Garten beunruhigen, zumal wenn vegetationsfreie Kiesflächen oder Kunstrasen aus Plastik das Ziel sind.
Betrachten wir die Lage nun aus ökologischer Sicht. Hauptbefund: Die Schmetterlinge haben sehr viel Lebensraum verloren. Rund die Hälfte der gesamten Landfläche Deutschlands ist für sie unwirtlich geworden. Weil darauf Pflanzen wachsen, an denen sie nicht leben können und das auch nicht sollen. Grenzlinien zwischen unterschiedlichen Flächen sind seit den Flurbereinigungen stark zurückgegangen. Damit fehlen Gradienten im Mikroklima, das durch die Überdüngung kälter und feuchter geworden ist. Daher haben die tendenziell wärmeren Sommer den Schmetterlingen in der Bilanz auch nichts gebracht; von einzelnen Jahren abgesehen, die nicht nachhaltig wirkten.
Auf die von der Klimaerwärmung verursachte, mehr oder minder deutliche Verschiebung der Jahreszeiten stellen sich die allermeisten Arten, wenn nicht alle, gut ein, weil sie auf dieselben Temperatursignale reagieren wie die Pflanzen. Mit dem Übermaß an Licht, das im Siedlungsbereich ihre Flugbedingungen beeinflusst, scheinen die nachts aktiven Schmetterlinge und andere Insekten auch besser zurechtzukommen als befürchtet. Wo sie unter halbwegs natürlichen Verhältnissen leben können, funktioniert die biologische Regulation ihrer Häufigkeiten. Die Parasiten und wahrscheinlich auch Krankheitserreger verhindern nach wie vor zu starke Vermehrungen. Die seltenen Massenvermehrungen bestätigen dies, denn sie brechen rasch wieder zusammen, ohne Schäden verursacht zu haben. Wo dennoch solche zustande kommen, wie in Forsten oder im Obstanbau, liegt es an zu großer Einheitlichkeit der Baumbestände. Sind diese genetisch sehr ähnlich oder als Klone praktisch gleich und auch gleich alt sowie in Reinbeständen gepflanzt, begünstigen sie die Massenentwicklung. Bekämpfungsmaßnahmen, insbesondere mit Gift, können das Gegenteil erreichen und den natürlichen Rückgang auf unbedeutende Häufigkeiten verzögern. Weil mit dem Gifteinsatz viele der übrigen Insekten getroffen werden, unter ihnen auch die natürlichen Gegenspieler, wie die parasitischen Schlupf- und Brackwespen und die Raupenfliegen.
Unzureichend erforscht sind noch immer die langfristigen Zyklen, die bei manchen Insekten, auch bei Schmetterlingen, vorkommen. Zwar gibt es Hinweise auf verschiedene Ursachen, aber was Zyklen von sieben, zehn oder mehr Jahren wirklich auslöst, ist so gut wie unbekannt. Daher kann es immer wieder ziemlich plötzlich zu Massenvorkommen bestimmter Schmetterlinge kommen, ohne dass dies ein Zeichen für die Erholung »der Schmetterlinge« wäre. Das gilt natürlich auch für die Wanderfalter, die in manchen Jahren in Massen einfliegen. Die Dynamik ist groß, außer sie wird mit Gift massiv unterdrückt. Ob dessen Einsatz wirklich nötig ist, sollte insbesondere landwirtschaftspolitisch weit stärker in Frage gestellt und offen diskutiert werden. Dass es ohne vorbeugenden Gifteinsatz zu Ertragseinbußen kommen kann, steht außer Frage. Aber die Anwendung von Gift verursacht Kosten und Umweltbelastungen. Zieht man diese von den erzielten Erträgen ab, ist sehr wohl vorstellbar, dass sich das Gift gar nicht lohnt und nur in Ausnahmefällen bereits anlaufender Massenvermehrungen von Schäden verursachenden Insekten nötig wäre. Doch da ein sicher nicht unwesentlicher Teil der öffentlichen Subventionen, die in die Landwirtschaft fließen, die Kosten der Pflanzenschutzmittel decken muss, stellt sich die Frage nach Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit noch schärfer. Es wäre durchaus vorstellbar, anstatt die Subventionen so einzusetzen, sie vielmehr nur im Fall wirklich substanzieller Ernteausfälle zur Verfügung zu stellen, wie dies bei witterungsbedingten Schäden geschieht. Die negativen Folgen für die Natur würden dadurch ungleich schwächer ausfallen. Folgen, die weitreichend sind.