Was wir gegen das Verschwinden der Schmetterlinge tun können

 

Die industriell betriebene Landwirtschaft in absehbarer Zeit umweltverträglich machen zu wollen, ist zwar eine unbedingt zu verfolgende Zielsetzung, aber keine kurzfristig zu erwartende Option. Wie ein überladener Supertanker wird sie weiter Kurs halten, koste es uns, was es wolle. Wir bezahlen die Fahrt ja. Viele Landwirte werden aufgeben. Die Rahmenbedingungen zwingen sie ebenso dazu, wie Tausende Bauern in den vergangenen Jahrzehnten zur Aufgabe ihrer bäuerlichen Wirtschaft gezwungen worden sind. Als Skeptiker muss man davon ausgehen, dass so ein komplexes System, wie das der EU-Landwirtschaft, erst einmal zusammenbrechen muss, bevor es reformiert werden kann. Wie so eine Implosion abläuft, war 1990 beim Zusammenbruch der Sowjetunion mitzuverfolgen. Als Optimist wird man am Glauben an die Stärke der parlamentarischen Demokratie festhalten und auf die Reformen hoffen, die sie zuwege zu bringen imstande sein sollte. Nach dem Prinzip, die Hoffnung stirbt zuletzt. Deutlich günstiger sollte die Sachlage im kommunalen und staatlichen Bereich sein, zumal es da nicht um Profite geht, sondern sogar erhebliche Kosten eingespart werden könnten, wenn die übermäßige und unnötige Pflege aufhört. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass auch solche Systeme nicht so leicht zu reformieren sind, wie man annehmen möchte. Vieles ist fest eingefahren und damit festgefahren. Wer bisher davon ausging, gute Arbeit geleistet zu haben, wird Änderungen Widerstand entgegensetzen, die die bisherigen Leistungen als schlecht einstufen. Und das umso mehr, als die Alternativen gegen den deutschen Sauberkeitswahn gerichtet sind. Unordnung zu hinterlassen, Wildwuchs zuzulassen, wenn auch nur für einige Zeit, widerstrebt dem deutschen Wesen. So zumindest das Klischee.

Noch problematischer wird es, wenn Gesetze und Verordnungen, die viele Jahre Gültigkeit hatten, in Frage gestellt und geändert werden sollen. So ein Ansinnen stößt auf das Diktum der Rechtssicherheit. Vorher war es so, und es war in Ordnung. Jetzt soll es anders werden. Dazu darf es nicht kommen. Diese Logik des Widerstands sitzt tief verankert in unserem Empfinden. Sie ist keine juristische Spitzfindigkeit. Juristen sind in anderer Weise gefordert, da sie sich notorisch schwer tun, die Natur und ihre Vielfalt so hinzunehmen, wie sie tatsächlich sind. Aus grundsätzlich verständlichen Gründen wollen sie alles in klar getrennten »Schubladen« unterbringen, damit keine Grauzonen von Übergängen entstehen.

Sogar die großen Naturschutzverbände handeln nach diesem Prinzip, einmal Erreichtes bloß nicht wieder abzuschwächen, und seien Änderungen auch noch so sinnvoll und bitter nötig. Sie ziehen es vor, ihre eigenen Aktivisten lieber in Grauzonen tätig werden zu lassen, weil es einfach unmöglich ist, sich für alles und jedes, was dem Naturschutz dient und das Wissen über Tiere und Pflanzen mehrt, vorher artenschutzrechtlich absichern zu lassen. Weil man nicht wissen kann, was kommt. Der zerfetzte Falter einer geschützten Art am Kühlergrill des Autos bleibt geschützt, obwohl er tot ist, und darf eigentlich ohne Genehmigung nicht einmal per Hand entfernt werden. Die Waschanlage ist davon ausgenommen; genauso wie das Gift, das geschützte Schmetterlinge tötet, wenn es legal in der Landwirtschaft oder im Garten eingesetzt wird.

Was aber macht man, wenn einem der Schillerfalter auf die Hand oder der Bläuling beim Sonnenbad auf den Busen fliegt? Die schier unendliche Reihe der Absurditäten, mit denen sich die Naturschutzbehörden genau genommen auseinandersetzen müssten, weil sie sich aus den Artenschutzbestimmungen juristisch so ergeben, soll hier nicht weiter aufgedröselt werden. Worum es geht, ist längst klar. Die Artenschutzgesetze und Verordnungen müssten entrümpelt und an die Realität angepasst werden. Oberste Leitlinie sollte sein, dass nur das ver- oder geboten wird, was nachweislich nötig ist und im Sinne des Schutzes etwas bringt. So eine vernünftige Lösung würde die Behörden massiv entlasten, die gewiss Wichtigeres zu tun haben, und allen Interessierten, angefangen von den Kindern bis hin zu den Bürgerwissenschaftlern und zur Universitätsforschung ungleich besseren Zugang zur Natur und ihrer Vielfalt eröffnen. In der gegenwärtigen Situation muss man zu dem Schluss kommen, dass die extrem restriktiven Naturschutzgesetze den Verursachern der Verluste dienen, da sie die kritische Öffentlichkeit von ihrem Tun fernhalten.

Welche Position können in dieser Gemengelage Realisten einnehmen? Ich bin überzeugt, dass der Weg von unten nach oben gehen muss, von der Basis zu den Spitzen von Verbänden, Behörden und politischen Gremien. Ziel muss sein, dass sich die Öffentlichkeit wieder mehr für die Arten interessiert. Schönheit, Eigenart und Besonderheiten von Schmetterlingen, Käfern, Wildbienen und anderen Insekten sowie unserer Wildblumen sollten wir zum Ansatz nehmen, und nicht die Drohung mit dem Untergang, weil die eine oder die andere Art vom Aussterben bedroht ist. Die Ansätze der lokalen Naturschutzverbände und vieler Spezialisten aus dem Kreis der Bürgerwissenschaftler sind hier nicht hoch genug zu loben. Denn nur wenn die Kinder und Jugendlichen, die sich noch begeistern können, und die Erwachsenen, die so etwas wie Verantwortung für die Erhaltung der Lebensvielfalt in unserem Land verspüren, (wieder) direkt die Schmetterlinge bestaunen, das Leben ihrer Raupen mitverfolgen und darüber hinaus die Insekten und die ganze Tier- und Pflanzenwelt kennenlernen, erlangen sie kulturell den Rang, der dem Lebendigen um uns gebührt.

Begeisterung entsteht nicht über Distanz. Sie erwächst aus der Nähe. Die Raupe muss über die Hand krabbeln können, der große (»streng geschützte«!) Schwärmer an der Fingerspitze oder an der Brust hängen dürfen, um dadurch zum unmittelbaren Erlebnis zu werden. Wir müssen den Kindern auch sagen, warum über den Wiesen und Feldern keine Schmetterlinge mehr fliegen. Sie sollen wissen, woher es kommt, dass sie keine Lerchen mehr singen hören. Natur darf für sie nicht genehmigungspflichtig sein und ihnen ausgerechnet dort, wo sie eine Vielfalt an Tieren und Pflanzen noch erleben könnten, versperrt bleiben. Kinder sollen wieder spielen dürfen im Freien. Dafür braucht es unbebaute, halbwegs natürliche Flächen auch in den Städten und Zugang zum Land draußen, auf Wegen durch die Wiesen und in die Felder und natürlich auch in die Wälder. »Betreten verboten« ist das schlimmste Schutzprinzip. Es sollte nur dort zur Anwendung kommen, wo es wirklich nötig ist, um empfindliche Arten vor Störungen zu schützen. Dort muss es dann auch für alle gelten; gleichermaßen und ausnahmslos. Wir sollten nicht länger hinnehmen, dass Naturschutzgebiete den an der Natur Interessierten den Zugang versperren, während Hunderte Angler freien Zutritt haben, sich an den Ufern im Schilf ihre Plätze zurechttrampeln oder mit Glyphosat pflanzenfrei machen und sogar mit Booten die Wasserflächen befahren dürfen, ob dies die zu schützenden Vogelarten stört oder nicht. Es kann auch nicht sein, dass Jäger eine Fütterung zur Anlockung von Wildschweinen auf Lichtungen im Naturschutzgebiet anlegen, auf denen seltene Schmetterlinge leben. Die Wildschweine wühlen den Boden um, verändern die Vegetation, die zudem vom ausgelegten Futter beeinflusst wird. Jäger und Wildschweine haben die Freiheit, die Naturfreunde nicht. Dagegen muss sich Widerstand von unten, aus der örtlichen Bevölkerung unter Führung kundiger Naturschützer formieren. So entsteht auch eher eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Jägern und den Anglern, wenn diese nicht mit Fremden, sondern mit den Menschen aus ihrer Ortschaft konfrontiert sind.

Und mit den Unteren Naturschutzbehörden gleichfalls. Diese tragen die Hauptlast vor Ort, und sie kennen die spezifischen Probleme im Gebiet. Deshalb werden sie auch bereit sein, die Verständigung mit den Landschaftspflegeverbänden, den Straßenbehörden und den kommunalen Pflegetrupps herbeizuführen, um zu sinnvollen Vorgehensweisen bei der Pflege der öffentlichen Flächen zu kommen. Der Staatsforst wird sich dem nicht entziehen können, sondern im eigenen Interesse mitwirken, Lebensräume zu erhalten, zu verbessern und unnötige Vernichtung zu unterlassen. Wie das Abmähen der Blumen am Rand der Forststraßen im Frühsommer. Aktivitäten, wie »Jeder Gemeinde ihr Biotop« von Peter Berthold, dem früheren Leiter der Vogelwarte Radolfzell, beweisen hinlänglich, dass dieser Weg von unten weit besser funktioniert als der andere, übliche, mit neuen Gesetzen und Verordnungen von oben.

Für die Naturschutzverbände heißt dies, so viele Mittel wie irgend möglich in den Flächenerwerb und die dem Schutzziel entsprechende Behandlung dieser Flächen zu investieren, und dafür viele der letztlich meist doch unwirksam verpuffenden »Aktionen« sein zu lassen. Nicht mit Weltuntergangspropheterie wird die Welt gerettet, sondern mit guten Beispielen und Leistung vor Ort. »Jeder Gemeinde ihr Biotop« ließe sich wunderbar ergänzen mit »Jedem Ort seine Schmetterlingswiese«. Damit die Kinder wieder Schmetterlinge nasenah erleben können. Und Heuschrecken, Grillen und andere kleine Krabbeltiere. Öffentliche Flächen gibt es dafür genug. Die Naturschutzorganisationen könnten auch Agrarflächen auf Zeit pachten; für fünf oder zehn Jahre zum Beispiel, um auf ihnen zu zeigen, was alles bei uns leben kann, so es nicht vergiftet und totgedüngt wird. Die früheren, von der EU mit Agrarmitteln geförderten Stilllegungsflächen wiesen in diese Richtung. Aber sie hatten zu beschränkte Wirkung, weil sie entweder zu kurzzeitig ungenutzt blieben oder in einem Zustand belassen wurden, der eine sofortige Wiederaufnahme der Bewirtschaftung sicherstellte. Eine auf fünf Jahre gepachtete Wiese braucht keine Spitzenerträge einbringen wie das Hochleistungsgrünland. Sie wirft aber genügend Grünfutter oder Heu ab, um eine einmalige Mahd zur rechten Zeit zu finanzieren. Dass sie dann eben nicht mit Gülle geflutet wird, kommt dem Leben auf der Wiese zugute, ohne spätere Nutzungen zu beeinträchtigen. Und so fort.

Es sind viele Möglichkeiten vorstellbar, von unten her, auf der Ebene der Gemeinden und der privaten Grundbesitzer aktiv zu werden. Was und wie viel erreicht wird, darf als Gradmesser für die Ernsthaftigkeit der Bestrebungen der Naturschützer angesehen werden. Aus meinem Heimatlandkreis und dessen Nachbarlandkreis weiß ich, dass es sehr viel ist. Die landkreiseigenen Flächen sind in besserem Zustand als die staatlichen Naturschutzgebiete. Man muss also kein Pessimist sein. Es gibt realistische Chancen und Möglichkeiten. Wie schwierig sie umzusetzen sind, weiß jeder, der sich für die Natur engagiert. Doch der Einsatz lohnt. Und wenn später unsere Kinder und Enkel dies auch noch feststellen können, war er das wert. Auch dies ist die Botschaft der Schmetterlinge.

 

 

Bläuling, ein Weibchen des Himmelblauen Bläulings untersucht die Fingerspitze; ein Sommererlebnis von subtiler Wirkung