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O du fröhliche |
»Jason hat was?« Julia glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Was fiel diesem unbekannten Jason ein, ihre Tochter nicht mehr heiraten zu wollen? »So ein Flegel!«, regte sie sich auf. »Wie kann man denn einer Frau erst die Ehe versprechen und dann wieder einen Rückzieher machen?«
Elisabeth, die gerade in ihrer enormen Handtasche herumwühlte, warf Julia einen fragenden Blick zu.
»Er hat es mir ja gar nicht versprochen. Ich hab das nur gedacht. Ich hab das irgendwie falsch verstanden, dabei ist mein Englisch eigentlich super und ich …« Anne wurde von einem kleinen Weinkrampf geschüttelt.
»Egal. Dann hat er es indirekt versprochen. Es kommt auf dasselbe heraus. Das macht man nicht.« Julia versuchte, sich nicht zu sehr aufzuregen. Aber es regte sie nun mal auf! Sie hatte diesen Jason ja irgendwie noch nie gemocht, der war ihr suspekt, wie er da in London in seinem Geld badete wie Donald Duck und ihr und Frank so ein leicht beleidigendes Desinteresse entgegenbrachte. Sie wusste nicht mal richtig, wie er aussah. Auf den wenigen Fotos, die Anne ihnen geschickt hatte, konnte man sein Gesicht vor lauter Bartgewirr kaum erkennen. Angeblich hatte er sich mittlerweile von diesem Pelz getrennt, die neue Jason-Version hatten sie allerdings noch nicht zu Gesicht bekommen, genau wie sie auch noch nie richtig mit ihm telefoniert hatten. Na gut – Jason konnte kein Deutsch und das Englisch von Frank und ihr war, vorsichtig ausgedrückt, eher minimalistisch, aber hätte man sich nicht wenigstens per Skype freundlich anlächeln und zunicken können? Robs amerikanische Eltern lächelten ihnen auch nie über Skype zu, fiel Julia in dem Moment ein. Alles, was sie von Bernie und Doreen kannte, war ein etwas verschwommenes Foto, auf dem die beiden mit Strohhüten und Hawaiihemden unter einer Palme saßen und sich gegenseitig mit Schirmchen-Cocktails zuprosteten. Trotzdem. Das war ganz was anderes, und Charlottes Mann Rob kannten sie dafür umso besser, aus seiner Zeit, als er ein Semester in Deutschland studiert hatte. Sie hatte gleich den richtigen Riecher gehabt, was Jason betraf, diesen arroganten Börsenschnösel. Der glaubte wohl, ihre wunderbare Tochter sei wie eine Aktie, die man wieder abstieß, wenn sie nichts mehr einbrachte?
»Schatz, sei froh, dass du den los bist«, rutschte es ihr heraus. »Entschuldige, wenn ich das so brutal sage.«
Frank, der gerade im Begriff war, die noch eingeschweißte Gans zum Auto zu tragen, blieb alarmiert mitten im Flur stehen. »Was ist denn los?«, fragte er.
Julia klemmte sich das Telefon unters Kinn und hob entschuldigend die Hände. »Katastrophe«, formte sie mit den Lippen. »Kein Heiratsantrag …«
Frank blinzelte verständnislos, und ihr fiel ein, dass sie ihm ja gar nichts von dem geplanten Antrag erzählt hatte. Der gar nicht geplant gewesen war. Herrgott, was für eine Misere. Und das zu Weihnachten!
»… liebe ihn immer noch. Das kann ich nicht einfach so abstellen«, erklang Annes bedrückte Stimme aus dem Hörer.
»Natürlich nicht. Die Zeit heilt alle Wunden. Jetzt feierst du erst mal schön Weih…« Ach herrje. Julia wurde klar, wie idiotisch ihre Tröstversuche waren. »Bist du nun morgen etwa ganz allein? Das geht auf keinen Fall, es ist Heiligabend!«
»Ist schon okay.« Anne schniefte. »Heiligabend ist in England nicht so wichtig, die feiern erst am Fünfundzwanzigsten. Und ich habe das ganze Essen hier, das lasse ich nicht schlecht werden. Ich koche es trotzdem. Vielleicht bringe ich alles den Obdachlosen. Oder vielleicht hat einer meiner Freunde noch nichts vor.«
»Ja, vielleicht«, stimmte Julia ihr eilig zu, obwohl sie beide wussten, dass das eher unwahrscheinlich war. Wenn selbst Emilys autonome Ökofreaks zu Mami und Papi geflüchtet waren, dann Annes bürgerliche Freunde in London sicher erst recht.
»Oder ihr kommt her, englische Weihnachten feiern …« Anne gab ein Geräusch von sich, das man mit viel gutem Willen als ein Lachen interpretieren konnte.
»Wir sind gerade auf dem Weg zu Emily.« Julia stellte das Telefon auf Lautsprecher, damit Elisabeth und Frank mithören konnten. »Ihre ganzen Mitbewohner haben sie sitzen lassen, und jetzt hat sie vier Hunde, um die sie sich kümmert, und ist ganz allein. Deshalb verbringen wir den Heiligabend dieses Jahr in Berlin. Cool, nicht?« Letzteres galt Frank, um sein altes Hausbesetzer-Ego zu kitzeln und ihn daran zu erinnern, wie spontan sie waren.
»Das ist total lieb von euch! Und Papa macht das mit? Weihnachten mal nicht zu Hause? Ich fasse es nicht.«
»Na ja.« Julia grinste Frank an. Der verdrehte die Augen, grinste aber zurück und stieß die Haustür mit dem Fuß auf, um die Taschen zum Auto zu bringen. »Erst wollte er nicht so richtig und dann …« Julia senkte die Stimme, bevor Frank zurückkam. »Oma hat ihn bearbeitet. Du weißt ja, wie sie sein kann. Sie hat ihn damit aufgezogen, dass er spießig geworden ist.« Sie lachte. »Wir wollten gerade losfahren.«
»Da wird Emily sich freuen. Die hat es gut.«
Julia zog es das Herz zusammen. Es schwang so eine Resignation in Annes Stimme mit, so eine Traurigkeit, wie niemand sie zu Weihnachten erleben sollte, schon gar nicht die eigene Tochter. Anne hatte einen lieben Partner verdient, jemanden, der zu ihr stand und sie nicht so kaltschnäuzig abservierte. Einen Tag vor Weihnachten, wer machte denn so was? Jetzt würde Julia sich die ganzen Feiertage lang Sorgen um Anne machen. Eine Mutter machte sich nun mal Sorgen um ihre Kinder, egal, wie alt sie waren. Wenigstens hatten sie in Berlin Emily wieder um sich herum.
Eine Idee zuckte plötzlich in Julia auf. »Mensch, Anne, komm morgen einfach auch nach Berlin!«
Schweigen.
»Anne? Du sagst ja gar nichts.«
»Das geht nicht.«
»Warum denn nicht?«
Frank kam wieder herein und brachte kalten Wind und Regenspritzer mit ins Haus, und Julia signalisierte ihm, stehen zu bleiben und nicht so eine Unruhe zu verbreiten. Er setzte sich auf die unterste Treppenstufe im Haus und hörte zu. Elisabeth hatte sich ohnehin schon neugierig neben Julia gestellt.
»Weil ich das ganze Essen hier habe. Und das schmeiße ich nicht weg. Ich habe vierundzwanzig Mince Pies gebacken.« Anne klang trotzig. »Und überhaupt – ich haue nicht einfach ab. Wie komme ich denn dazu? Nur weil Jason mich fallen lässt wie eine heiße Kartoffel?« Annes Stimme drohte zu kippen, und jetzt ahnte Julia den wahren Grund. Anne wollte in London bleiben, falls Jason zu ihr zurückkäme. Tief in sich drin hatte Anne natürlich längst noch nicht mit ihm abgeschlossen. Das Herz machte eben, was es wollte, da konnte der Verstand sich dreimal aufregen und altklug daherreden.
»Tja …«, machte Julia hilflos. »Das tut mir so leid, Schatz.«
Da breitete Elisabeth neben ihr die Arme aus und fing an, schwingenartig damit zu wedeln. Was sollte das denn darstellen? Eine Windmühle? War Elisabeth bereits angetrunken? Eigentlich war sie von erstaunlicher Trinkfestigkeit.
Julia hob die Augenbrauen. »Was?«, flüsterte sie ihrer Schwiegermutter verständnislos zu.
Elisabeth verdrehte die Augen und wedelte noch heftiger. »Fliegen«, flüsterte sie zurück. »Wir fliegen. Zu Anne.«
Beinahe hätte Julia laut ins Telefon gelacht, sie konnte sich gerade noch bremsen. Absolut ausgeschlossen. Nicht mit Frank. Der streckte schon die ganze Zeit die Hand nach dem Hörer aus, um auch mit Anne zu reden, aber Julia zögerte, ihm den zu geben, denn da nagte etwas an ihr, etwas, das Anne eben gesagt hatte. Was war es gleich gewesen? Und Papa macht das mit? Ja, weil er für Emily alles machte. Nein – weil er für seine Töchter alles machte. Das war es. Elisabeth hatte recht, das war die Lösung!
Julia holte tief Luft und rüstete sich für den Frontalangriff. Papa würde gleich noch viel mehr mitmachen, der hatte nämlich nicht nur eine Tochter.
»Anne?«, sagte sie. »Ich gebe dir jetzt erst mal kurz die Oma. Die möchte gern mit dir sprechen. Oma kannst du alles erzählen. Die kennt sich mit jungen Engländern aus.« Sie reichte den Hörer weiter an Elisabeth und zupfte ihren Mann am Ärmel. »Komm mal.«
»Warum lässt du mich nicht mit ihr reden?«, protestierte Frank leise. »Und wieso kennt sich meine Mutter mit jungen Engländern aus? Was willst du denn damit andeuten?«
»Erkläre ich dir später.« Julia zog ihn ein Stück weg, damit sie das leise Gemurmel von Elisabeth und Anne nicht störten. Und für den Fall, dass Frank jetzt gleich laut werden würde.
»Schatz, du weißt doch, dass wir drei Töchter haben«, setzte Julia an und streichelte seinen Arm. Sein Pullover hatte ein kleines Loch, das erinnerte sie daran, dass sie sein Geschenk noch einpacken und mitnehmen musste.
»Ja, natürlich weiß ich das, ich bin doch nicht senil, Julia. Wieso fragst du mich so etwas Seltsames?«
»Und drei Töchter zu haben, bedeutet auch, dass man sie alle gleich behandelt, das siehst du sicher auch so, oder?«
»Selbstverständlich.«
»Okay.« Julia räusperte sich künstlich. »Damit meine ich, dass man keine Tochter bevorzugt. Dass keine mehr bekommt als die andere. Wenn also zwei Töchter zu Weihnachten unglücklich sind, müssen sie auch beide das gleiche Maß an elterlicher Zuneigung bekommen, nicht wahr?«
»Selbstverst…« Frank brach ab. Ein misstrauisches Flackern trat in seine Augen, ein kleines Dämmern, eine Vorahnung dessen, was gleich auf ihn niedergehen würde. »Das ist nicht dein Ernst. Ich …«
»Es sind nur knapp zwei Stunden im Flugzeug«, schnitt Julia ihm das Wort ab. »Zwei lächerliche Stündchen, das wirst du doch mal aushalten.«
»Du machst Witze.«
»Sehe ich so aus? Wir können nicht eine Tochter bevorzugen. Wo ist das Problem? Wir feiern dieses Jahr einfach zweimal! Das kann dir nur recht sein, so sehr, wie du Weihnachten liebst. Wir fahren heute nach Berlin, bringen Emily genug zu essen mit und feiern abends mit ihr das erste Mal. Da unsere Jüngste absolut nicht spießig ist«, steter Tropfen höhlte den Stein, fand Julia, »ist es ihr sicher egal, wann sie Heiligabend feiert. Oder vielleicht will sie ja sogar mit nach London kommen.« Die vier Hunde fielen Julia ein. Mist, das ging ja gar nicht. Oder durfte man Hunde heutzutage in der Flugzeugkabine mitnehmen? Neulich erst hatte sie etwas darüber gelesen, allerdings ging es da um Blinden- oder Begleithunde, wenn sie sich recht erinnerte. Vielleicht konnte man Elisabeth einfach eine schwarze Brille aufsetzen und behaupten, dass die alte Dame ohne ihre vier rumänischen Straßenhunde spätestens ab achttausend Metern Flughöhe einen Nervenzusammenbruch bekomme? Julia stellte sich Frank vor, wie er sich völlig aufgelöst in Sitz 27 C presste, wie seine Fingernägel sich in das Polster krallten, während eine gigantische Dogge Sitz 27 B beanspruchte und ihm ins Gesicht atmete … Lieber nicht.
»Wie auch immer, und dann buchen wir einen kleinen Flug für morgen nach London«, machte sie rasch weiter, bevor Frank zu derselben Schlussfolgerung kam. Kleiner Flug klang gut, fand sie. Harmlos. Wenn ein Flug so lächerlich winzig wie eine Ameise war, brauchte man beim besten Willen keine Angst vor ihm zu haben.
In Franks Gesicht arbeitete es, er setzte zu einer Antwort an. Schnell kam sie ihm zuvor.
»Wir sind am Nachmittag dort, feiern mit Anne das zweite Mal Heiligabend, essen ihre vierundzwanzig Mince Pies und was sie sonst noch zubereitet hat und kommen am ersten Weihnachtstag zurück nach Hause. Wir leben doch nicht mehr im Zeitalter der Postkutschen. Heutzutage gelangt man schneller von Berlin nach London als auf der A9 von Weimar nach Berlin. Und du liebst doch englische Weihnachten. Du hast mir selbst erzählt, dass du die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens schon acht Mal gelesen hast.«
»Sieben Mal.« Er pulte gestresst an dem Loch in seinem Ärmel herum und vergrößerte es.
»Strümpfe über dem Kamin«, beschrieb Julia dieses unbekannte, herrliche und romantische englische Weihnachten, obwohl Anne garantiert nur eine Heizung hatte. »Geröstete Kastanien, Plumpudding im Ofen und Mistelzweige über der Tür.« Sie stupste ihn an. »Der Hyde Park tief verschneit, klingelnde Schlittenfahrten, jauchzende kleine Kinder, die Jingle Bells singen …« Sie geriet ins Schwärmen.
»Es sind acht Grad in London, Julia.«
»Aha. Und woher weißt du das? Wieso guckst du dir den Wetterbericht in London an, hm?«
»Weil … weil … Und was wird mit meiner Gans?«
Sieg! Dass er die Gans erwähnte, war ein gutes Zeichen, denn es bedeutete, dass er sich gedanklich schon ein paar Schritte in Richtung Ärmelkanal bewegt hatte.
»Die nehmen wir mit«, parierte Julia lässig. »Wir lassen sie bei Emily und essen sie dann am ersten Weihnachtstag, wenn wir zurück nach Berlin kommen. Oder wir braten sie schon heute Abend und nehmen Anne etwas davon mit nach London, das merkt kein Mensch. Heutzutage kontrollieren die beim Zoll kaum noch und schon gar nicht zu Weihnachten.«
Frank blieb eine Weile lang stumm.
»Männer haben oft Bindungsängste«, hörten sie Elisabeth im Hintergrund leise erklären. »Das ist völlig normal. Das ist auch nicht ihre Schuld, das ist ein Fehler im Design.«
»Bitte, Frank, spring einfach über deinen Schatten. Wir lieben die beiden so sehr und sehen sie so selten. Anne braucht morgen jemanden. Die sitzt ganz allein mit einem gebrochenen Herzen in dieser fremden großen Stadt. Keiner feiert mit ihr, keiner hat ein freundliches Wort für sie. Weihnachten ist die Zeit des Jahres, wo die Menschen Frieden finden sollen, aber für Anne gibt es diesmal nichts als Dunkelheit.«
»Okay. Okay!«
Ihre Worte fielen auf fruchtbaren Boden, das konnte sie sehen. Gerade erschien das Bild eines armen viktorianischen Waisenmädchens vor Franks innerem Auge. Ein Mädchen in einem abgetragenen Kleid, es saß in einer ungeheizten Dachwohnung und löffelte zwei Tage alten klumpigen Haferbrei, der nur von ihren heißen Tränen erwärmt wurde. Hatte Julia zu dick aufgetragen? Nein, in diesem Fall konnte sie gar nicht dick genug auftragen.
»Ganz allein ist Anne, genauso allein, wie Emily vorhin noch war«, fuhr sie wacker fort, »bevor ihr wunderbarer Vater sich entschieden hat, ihr beizustehen.« Julia umarmte Frank, hielt ihn ganz fest und spielte ihren letzten Trumpf aus. »Du bist im Herzen immer noch der spontane Hausbesetzer und kein schwerfälliger Mittfünfziger. Das weiß ich.«
»Gut«, hörte sie es leise an ihrem Ohr. »Ich werde es versuchen. Ihr dürft mich nur nicht auslachen, wenn ich im Flugzeug nervös werde.«
»Natürlich nicht. Wir helfen dir. Frank – es sind wirklich nur zwei Stunden. Und sie haben immer superguten Whisky an Bord«, log Julia. Den gab es garantiert nur in der ersten Klasse, aber das musste Frank jetzt nicht wissen. »Der soll bekanntlich helfen.«
Er nickte und Julia drehte sich zu Elisabeth um. Julia hielt den Daumen hoch.
»Sag Anne, dass wir kommen. Wir kommen morgen zu ihr nach London. Papa macht mit!« Sie fing an zu lachen, denn sie konnte immer noch nicht glauben, was auf einmal hier passierte. Sie griff nach ihrem Handy, schickte Charlotte eine Nachricht, damit die morgen nicht umsonst hier anrief und sich wunderte, warum um alles in der Welt am Heiligabend niemand ranging. Dann endlich rief sie Emily zurück.
Wenig später hockten sie zu dritt vor Franks Laptop.
»Seht mal«, meinte Julia. »Das hier ist der ideale Flug. Wir fliegen um 12:00 Uhr los und sind um 13:00 Uhr in London. Wegen der Zeitverschiebung. Perfekt. Dann können wir uns am Nachmittag noch das weihnachtliche London ansehen.« Julia deutete aufgeregt auf den Bildschirm. »Jetzt mach schon, Frank. Buch das Ding, ehe der Flug voll ist.«
»Es fliegt kein Mensch am vierundzwanzigsten Dezember in der Gegend herum«, murrte er. »So verrückt sind nur wir. Das Flugzeug wird total leer sein.«
»Umso besser. Dann gibt es weniger Zeugen für deine Stressanfälle.« Elisabeth zwinkerte Julia zu.
»Mutter, das ist nicht lustig.« Frank klickte den Flug an. »Okay. Also den hier?«
»Ach, verdammt«, fiel es Julia ein. »Wir müssen noch mal zu dir, Elisabeth. Deinen Pass holen.«
»Für England braucht man keinen Pass. Da reicht der Personalausweis«, behauptete Frank, obwohl er so gut wie nie verreiste, und stachelte damit sofort Julias Widerspruch an.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte sie. »Von wegen Brexit und so. Vielleicht wollen sie den Pass ja neuerdings doch sehen?«
»Unsinn, Julia, das würde ja irgendwo stehen und …«
»Wir müssen nirgendwohin«, unterbrach sie Elisabeth. »Ich habe meinen Pass dabei. Kein Problem.«
»Du hast ihn dabei? Wieso das denn?« Julia wechselte einen erstaunten Blick mit ihrem Mann.
»Nicht nur meinen Pass. Auch meinen Personalausweis, mein Postsparbuch, den Rentenausweis und den Schlüssel zum Safe in meinem Zimmer. Wegen der Frau Weber.«
»Wer ist denn jetzt wieder Frau Weber?« Frank stützte entnervt sein Gesicht in beide Hände. »Kommt die auch mit?«
Elisabeth ignorierte ihn. »Ich hab dir doch gesagt, dass die klaut, Julia. Alles, was ihr unter die Finger kommt. Da werde ich solche wertvollen Dinge ja wohl kaum in meinem Zimmer herumliegen lassen.« Sie klopfte stolz auf ihre pralle Handtasche. »Ich bin für alles gerüstet.«
»Also, dann buchen wir jetzt den Flug.«
Julia tippte rasch auf Enter, bevor Frank es sich anders überlegte.
Keine halbe Stunde später fuhren sie los. Natürlich hatte Julia die Pässe trotzdem eingepackt. Besser war besser. Es wäre ja eine schöne Katastrophe, wenn die Briten ausgerechnet morgen als kleines Weihnachtsgeschenk an Europa wieder den Passzwang einführen würden! Wenn die alle so wankelmütig waren wie dieser Jason, dann gute Nacht. Sie war jedenfalls auf alles vorbereitet. Auch wenn es momentan nur dazu diente, dass sie auf der Autobahn im Stau standen.
»Geht ja schon mal gut los«, brummte Frank. Jemand hupte wild hinter ihm, weil er nicht schnell genug losfuhr, als der Stau sich auflöste. »Jaja, ist ja gut. Dir auch ein frohes Fest, Mann!«
»Mach mal Weihnachtsmusik an«, verlangte Elisabeth. »Damit wir ein bisschen in Stimmung kommen.«
»Das kannst du hier eh vergessen«, erwiderte Frank. »So gestresst, wie die alle sind.« Er deutete auf die Autos um sie herum und bremste scharf. »Typisch deutsch, was? Ich wette, bei Charlotte in Amerika ist Weihnachten noch richtig besinnlich. So, wie es früher einmal war. Nicht wie hier. Jetzt fahr los, du Schlaftablette! Wir wollen heute noch nach Berlin!«