Erleichtert zog Frau Lizzi die Schuhe aus. Sie betrachtete zufrieden ihre Wohnung, in der jedes Ding an seinem Platz war. »Staub wischen könnte ich«, sagte sie.
Vamperl kämpfte mit ihr um das Tuch. Er zog und zerrte daran. Als Frau Lizzi einen Augenblick lang nicht aufpasste, entwischte Vamperl auf die Vorhangstange. Er schnatterte vergnügt und schwenkte das Staubtuch wie eine Fahne.
Es klopfte.
»Wer ist denn das?«, fragte Frau Lizzi. Vamperl zog den Kopf ein und machte sich klein. Er ließ das Staubtuch fallen. Frau Lizzi hob es auf und ging zur Tür.
Draußen stand Professor Obermeier mit einem bunten Blumenstrauß.
»Ich hoffe, ich störe nicht? Ich hätte mich telefonisch angemeldet, aber ich konnte Ihre Nummer nicht finden.«
»Weil ich kein Telefon habe«, sagte Frau Lizzi.
Sie nahm Professor Obermeier die Blumen ab und drückte ihm dafür das Staubtuch in die Hand. Dann kochte sie Kaffee.
Er stand herum und war im Weg und wusste nicht, wohin mit dem Staubtuch. Endlich fiel es Frau Lizzi auf und sie steckte es in einen Kochtopf.
Der Professor fragte nach Vamperl.
Frau Lizzi rief ihn, aber er kam nicht, hockte oben auf der Vorhangstange und wickelte sich in seine Flügel ein.
»Er ist noch immer böse auf mich«, sagte der Professor. »Und ich kann es ihm nicht verdenken.«
Nach einer halben Stunde verabschiedete er sich. Frau Lizzi lud ihn ein am Sonntag wiederzukommen, sie würde dann auch einen Apfelstrudel backen.
»Selbst ausgezogen?«, fragte er.
»Natürlich. So dünn, dass man durch den Teig Zeitung lesen kann.«
Der Professor strahlte.
Als er gegangen war, schimpfte Frau Lizzi: »Also Vamperl, du könntest ruhig ein bisschen freundlicher sein. Der arme Mensch ist sowieso ganz schuldbewusst.« Vamperl flog hinunter und kraulte sie am Kinn, dann knabberte er eine der Blumen an, aber die schmeckte ihm nicht, er spuckte sie im hohen Bogen aus.
Frau Lizzi öffnete die Zeitung. »Vamperl, heute Nachmittag gibt’s ein Kinderfest. Wollen wir hingehen? Ich sagte ja schon, wir müssen uns an die Kinder halten.«
Vamperl fiepte sein Einverständnis.
»Aber vorher ruhen wir uns aus.«
Sie legte die Beine hoch und versuchte zu lesen. Vamperl flog hin und her, flitzte aus dem Fenster, kam zurück, sauste wieder davon.
»Zum Schwindligwerden«, schimpfte Frau Lizzi. »Du bist wirklich in einem schwierigen Alter. Aber – wer nicht? Manchmal glaube ich, dass die Leute von einem schwierigen Alter ins nächste kommen. Lass mich jetzt wenigstens eine Viertelstunde in Frieden lesen.«
Vamperl hängte sich kopfunter an die Vorhangstange.
Nach einer Weile fand Frau Lizzi, dass es zu still in der Wohnung war um in Frieden lesen zu können. Sie war direkt froh, als es zwei Uhr war und sie sich auf den Weg zur Donauinsel machen konnten.
Dort war ein Gedränge und Geschiebe. Vamperl fand viele Gelegenheiten, großen und kleinen Menschen Gift aus der Galle zu saugen. Nach kurzer Zeit lag er völlig erschöpft in Frau Lizzis Handtasche und streckte alle Viere von sich.
Frau Lizzi schaute beim Sackhüpfen zu und beim Kasperltheater, beim Luftballontanz und beim Eierrennen. Sie hatte Spaß daran, wie die Kinder sich gegenseitig bemalten. Sie fühlte sich wohl. Da sah sie drei große Jungen, die einen Kleinen hetzten. Sie öffnete ihre Handtasche.
»Schau, Vamperl!«, flüsterte sie. »Auf die paar Schluck kommt es jetzt auch nicht mehr an.« Er rührte sich nicht.
Die großen Buben bildeten einen Kreis, stießen den Kleinen in der Mitte hin und her, knufften und schlugen ihn, wo sie ihn erwischten.
»Hört auf!«, rief Frau Lizzi. »Drei gegen einen, das ist feig!« Die Großen lachten.
Frau Lizzi zupfte einen Mann am Ärmel. »Sehen Sie nicht, was da passiert? Tun Sie doch was! Bitte...«
Der Mann schüttelte Frau Lizzis Hand ab. »Da mische ich mich nicht ein, das sollen die untereinander ausmachen.«
Frau Lizzi schnappte nach Luft. Sie spürte eine Bewegung an ihrem Arm. Vamperl torkelte mehr als er flog. Er streifte einen der Großen, der holte mit der Hand aus um zuzuschlagen, aber da hing Vamperl schon an seiner Galle und saugte. Der Zweite trat näher, Vamperl stach noch einmal zu – und fiel wie ein reifer Apfel von ihm ab. Der kleine Bub bückte sich und hob ihn auf.
»Gib her!«, sagte der dritte Große.
»Lass ihn in Ruhe«, sagten die beiden anderen.
»Gib her!«, wiederholte der Dritte, dessen Galle noch voller Gift war.
Der kleine Bub heulte und schniefte, aber er schüttelte den Kopf.
»Nicht so fest drücken!«, rief Frau Lizzi. Der Kleine wandte sich ihr zu. Die beiden Großen hielten den Dritten fest, der sich noch wütend wehrte.
Frau Lizzi legte dem Kleinen die Hand auf die Schulter. »Danke! Aber jetzt gib ihn mir bitte. Du tust ihm weh.« Sie hatte furchtbare Angst, er könnte Vamperl zerdrücken.
Vamperl lag völlig verdreht da. Ein Flügel hing herunter. Blut tropfte aus der Nase des Buben.
Vorsichtig bettete Frau Lizzi Vamperl in ihre Hand. Sie legte zwei Fingerspitzen auf seine Brust. Sie spürte nichts.
»Er hat gezuckt!«, rief der Bub. »Mit einem Auge.«
Frau Lizzi hatte nichts bemerkt. Sie strich seinen Flügel zurecht.
Da rülpste Vamperl. Laut.
Frau Lizzi fing an zu lachen. Vamperl rülpste noch einmal, öffnete die Augen, stöhnte und zeigte auf seinen Bauch. Frau Lizzi massierte ihn mit einem Finger. Das schien zu helfen, nach kurzer Zeit gähnte er und verkroch sich in die Handtasche.
Frau Lizzi lud den Buben auf ein Eis ein. Er wollte Vamperls Geschichte hören und nickte bei jedem Satz, als hätte er es so und nicht anders erwartet. Vamperl schnarchte, dass Frau Lizzis Tasche wackelte.
Der Bub erzählte Frau Lizzi,die drei Großen hätten ihn heute zum ersten Mal erwischt. »Sonst brauche ich nie Hilfe, weil ich so schnell bin. Und stark.« Er ballte die Faust. »Wollen Sie fühlen?«
Frau Lizzi drückte seinen Oberarm. »Du bist wirklich ziemlich stark. Übrigens – wie heißt du?«
»Murat.« Er bekam einen verschlossenen Blick, löffelte den Rest von seinem Eis aus, stand auf, bedankte sich und war in der Menge verschwunden.
Schade, dachte Frau Lizzi. Der arme Kerl hat ja richtig Angst gekriegt. Warum wohl?
In der Nähe begann ein Lautsprecher zu krächzen. »In wenigen Minuten beginnt das große Luftballonsteigen! Vergesst nicht Namen und Adresse auf die Karte zu schreiben und vielleicht einen Gruß dazu.«
Frau Lizzi erwischte die Kellnerin am Schürzenzipfel, zahlte und eilte zu der Frau mit den Luftballons.
»Dürfte ich auch einen haben? Ich bin zwar kein Kind...«
»Aber Sie waren einmal eines. Hier bitte!« Die Frau war freundlich. Sie reichte Frau Lizzi eine Schnur, an der ein grüner Ballon im Wind tanzte. Frau Lizzi band die Schnur an ihr Handgelenk, setzte sich auf eine Bank und schrieb:
Auf die Rückseite schrieb sie ihre Adresse.
Die Kinder sammelten sich. Zu dumm, dachte Frau Lizzi, dass ich keine Tinte mithabe. Dann hätte ich einen Pfotenabdruck vom Vamperl druntersetzen können.
»Eins-zwei-drei-los!«, brüllten alle.
Hunderte Luftballons schwebten in den blauen Himmel. Wunderschön sah das aus. Einen Moment lang hielten sie sich nahe beieinander, dann trieben die ersten davon. Die Kinder wie die Großen reckten die Hälse und blickten ihnen nach. Manche winkten. Ein grüner Luftballon flog geradewegs nach Osten. Ob das meiner ist?, dachte Frau Lizzi. Jetzt war er nur noch ein Punkt und gleich darauf nicht mehr zu sehen.