Gestrandet
Axel
„Axel.“
Ich schreckte aus meinem Tagtraum auf, als ich hörte, wie mein Chef mich anschnauzte. Ich saß senkrecht auf meinem Stuhl und hörte auf, mit leeren Blicken auf meinen Computermonitor zu starren. „Ja, Sir?“
Er knallte eine Mappe auf meinen Schreibtisch. „Was zur Hölle ist das?“
„Wie bitte?“ Ich nahm die Mappe und öffnete sie.
„Warum sind diese Berichte über eine Woche alt?“
Ich blätterte die Seiten durch und erkannte, dass er recht hatte. Es waren alte Dokumente, die ich hätte wegwerfen sollen. Irgendwie waren sie stattdessen hier hineingerutscht. „Es muss eine Verwechslung gegeben haben.“
„Eine Verwechslung?“, schnauzte er. „Ich wollte dieses Portfolio gerade den Petersons geben. Sie wissen, die Besitzer von NAIL and STEEL. Ist ihnen klar, wie dumm wir ausgesehen hätten, wenn sie das bekommen hätten?“
„Sie haben recht. „Das wird nicht noch mal passieren.“
„Verdammt richtig, wird es nicht. Packen Sie Ihren Kram zusammen, Axel. Seit über einer Woche sind sie absolut nutzlos hier.“ Er drehte sich um und marschierte davon, während alle anderen an ihren kleine, durch Stellwände abgetrennten Arbeitsplätzen so taten, als ob sie davon nichts mitbekommen hätten.
Ich warf die Mappe auf meinen Schreibtisch und schloss meine Augen, bereit, diesen Albtraum zu beenden. Es war unmöglich für mich, mich auf irgendetwas zu konzentrieren. Ich konnte nur an Marie denken. Als ich mit ihr Schluss gemacht hatte, schien es mir, als ob es sie überhaupt nicht interessiert hätte. Sie war so angewidert von mir, dass sie schon über mich hinweg war.
Jetzt, da sie weg war, kehrte ich in meine hohle Existenz zurück. Mein Bett war jetzt unbequem, da sie nicht mehr drin war. Ich hatte keine Lust, bei der Arbeit Erfolg zu haben, weil ich keinen Zweck mehr darin sah. In meiner Brust pochte es ständig, als würde etwas darin nicht richtig funktionieren.
Mir ging es schlecht.
Mit ihr Schluss zu machen war die richtige Entscheidung gewesen, auch wenn es schmerzte.
Zumindest musste ich mir das immer wieder sagen.
Marie hatte es verdient mit jemandem zusammen zu sein, der ihr all die Dinge geben konnte, die sie verdiente. Ich hatte nicht realisiert, dass sie sich mich als möglichen Ehemann oder Vater für ihre Kinder vorstellte. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie mich liebte.
Ich wusste, dass ich sie liebte und sie die Welt für mich war. Wenn ihr etwas zustoßen würde, würde ich sterben. Ich mochte sie auf eine Weise, die ich nicht erklären konnte. Ich würde für sie sterben, wenn es jemals darauf ankommen würde.
Aber ich durfte sie auf keinen Fall lieben.
Ich hatte einfach nicht diese Fähigkeit, nicht nach all den Menschen, die ich verloren und fast verloren habe. Ich war kaputt, ob ich es zugeben wollte oder nicht. Marie war voller Leben und Energie. Sie hatte es verdient, mit jemandem zusammen zu sein, der sie komplett lieben konnte, der da sein würde, wenn schwere Zeiten kamen.
Sie hat keinen Feigling wie mich verdient.
„Verdammt, was ist los mit dir?“ Alexia kam an meinen Platz und trug wie üblich einen unverschämt kurzen Rock.
„Ich habe nur einen schlechten Tag.“ Eigentlich einen schlechten Monat.
„Das habe ich schon mitbekommen.“
„Ich mache gerade eine schwere Zeit durch … kann mich nicht konzentrieren.“
„Ärger mit einem Mädchen?“ Sie lehnte sich an meinen Schreibtisch.
„Könnte man sagen.“ Konnte ich Schwierigkeiten mit einem Mädchen haben, wenn ich überhaupt keins hatte?
„Was ist passiert?“
„Wir haben uns getrennt …“ Die Worte auszusprechen schmerze. Es tat mehr weh, als ich erwartet hatte.
„Das ist sehr schade.“ Das wirkte nicht aufrichtig. Es wirkte eher so, als ob es sie einen Scheiß interessierte.
„Ja.“
„Darf ich fragen, warum?“
Es gab keine einfache Antwort, die ich ihr geben konnte. „Es hat halt nicht geklappt …“ Weil ich zu kaputt bin, um gut zu ihr zu sein.
„Klingt kompliziert.“
„Ja.“ Ich wandte mich wieder meinem Computer zu, weil ich annahm, dass das Gespräch beendet war. „Nun, ich sollte zurück an die Arbeit gehen.“
Doch sie ging nicht. „Willst du nach der Arbeit etwas trinken?“ Sie kreuzte ihre Beine, und ihr Rock hob sich leicht und zeigte mehr Oberschenkel als nötig. Sie hatte schöne Beine, ähnlich wie Marie.
Ich sah auf ihre Waden und schaute dann weg. Ich war schon mit Alexia zusammen gewesen, und der Sex mit ihr war gut. Es war die triebhafte Art, bei der das Kopfteil vom Bett gegen die Wand krachte, bis etwas kaputt ging; nicht die langsame und sinnliche Art, die ich mit Marie hatte. Wenn ich mit ihr schlafen würde, würde ich mich vielleicht besser fühlen und Abstand bekommen.
Aber ich wollte es nicht. „Nicht heute Abend. Vielleicht ein anderes Mal.“
„Alles klar. Dann trinke ich halt alleine …“ Sie verließ meinen Arbeitsplatz, schlenderte davon und wackelte absichtlich mit ihren Hüften.
Ich wandte mich wieder dem Computer zu und versuchte, mich an die Arbeit zu machen.
Aber ich konnte nur an Marie denken.
Ich lag im Bett und starrte die Decke an.
Egal, wie sehr ich es versuchte, ich konnte nicht einschlafen. Ich lag einfach mit offenen Augen da. In meiner Wohnung war es ruhig – zu ruhig. Und es begann zu riechen. Als Marie regelmäßig hier gewesen war, hatte sie hier immer aufgeräumt und sich um die Wohnung gekümmert. Manchmal stellte sie Duftkerzen in mein Badezimmer, normalerweise Lavendelduft. Sie kümmerte sich um den Abwasch in der Spüle, selbst wenn ich sie bat, es nicht zu tun. Und sie wusch jeden Freitag meine Bettwäsche mit ihrem Waschmittel.
Im Grunde hatte die Wohnung nach ihr gerochen.
Aber jetzt war dieser Geruch verschwunden. Es roch nach dreckigen Sportklamotten und schmutzigem Geschirr.
Mein Geruch.
Seit einem Monat konnte ich nicht mehr richtig schlafen. Die Matratze war unbequem und die Decke war zu dick. Jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, tat mir der Rücken weh. Es gab keine Position, die sich richtig anfühlte. Immer wieder drehte ich mich von einer Seite auf die andere.
Furchtbar.
Ich hatte kein Problem damit, an meinem Schreibtisch im Büro einzuschlafen, wahrscheinlich, weil das Geräusch von Stimmen, Telefonen und Fingern die auf einer Tastatur klapperten, mich in den Schlaf wiegten. Aber wenn ich allein war, verfolgt von Maries Geist, konnte ich keinen Frieden finden.
Ich vermisste sie.
Wie verrückt.
Vermisste sie mich? Dachte sie manchmal an mich?
Hasste sie mich?
Ich drehte mich wieder um und seufzte, als mir klar wurde, dass ich mich noch unbehaglicher fühlte als vor einem Moment. Da ich sowieso nicht schlafen konnte, stieg ich aus dem Bett und ging zu meinem Pick-up.
Es war ein Uhr morgens, und auf der Straße waren keine Autos zu sehen. Ich startete den Motor und fuhr dann zu Maries Haus, nicht sicher, was zur Hölle ich tat. Ich fuhr langsam zum Haus und sah, dass alle Lichter aus waren. Nachdem ich am Straßenrand geparkt hatte, schaltete ich den Motor aus.
Ich konnte von hier aus ihr Fenster sehen. Sie lag gerade im Bett und kuschelte sich mit einem Kissen zwischen ihren Beinen ein. Sie schlief immer so, wollte ihre Knie auseinanderhalten. Sie schlief wahrscheinlich in einem ihrer alten Softballshirts. Das war es, was sie normalerweise trug, wenn sie nichts von mir trug. Ihr Haar war wahrscheinlich zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und ihre Fingernägel waren hell lackiert.
Ich lag nicht neben ihr, aber ich war so nah wie möglich. Da ich dringend etwas Schlaf brauchte, beschloss ich, dort zu schlafen. Nach ein paar Augenblicken schlossen sich meine Augen und mein Herzschlag verlangsamte sich.
Und ich schlief ein.