17

Todestag

Axel

Ich hatte mich heute krankgemeldet.

Es war mir egal, ob es meinen Chef verärgerte oder meine Arbeit an jemand anderen weitergegeben werden würde. Es war einer dieser Tage, an denen ich alleine im Dunkeln sitzen wollte. Dieses Datum konnte ich nicht vergessen.

Am Todestag meiner Mutter besuchte ich immer ihr Grab und brachte ihr Blumen. Ich nahm mir immer die Zeit, egal, wie beschäftigt ich war, nur um sie zu sehen. Manchmal stritt ich mit Francesca, manchmal nicht. Wir trauerten unterschiedlich – niemals gemeinsam.

Aber ich besuchte nie das Grab meines Vaters.

Ich war nicht auf seiner Beerdigung gewesen und ich hatte sein Grab nicht ein einziges Mal besucht. Er hatte entschieden, Selbstmord zu begehen, er verdiente weder mein Mitgefühl noch meine Anteilnahme. Wir hatten damals gerade unsere Mutter verloren und er entschied sich, ihr zu folgen, anstatt sich um die zwei gemeinsamen Kinder zu kümmern. Ich konnte seine Verzweiflung verstehen, aber seine Feigheit konnte ich nicht verstehen.

Ich versuchte, mich so gut es ging abzulenken, und sah fern. Ich lag in meiner Jogginghose und meinem T-Shirt da, die Sachen, in denen ich auch geschlafen hatte. Mein Handy lag irgendwo herum. Ich wollte es nicht bei mir haben, weil ich wusste, dass Francesca mich anrufen würde. Sie würde wie jedes Jahr versuchen, mich zu überreden, Dads Grab zu besuchen.

Aber das würde ich nicht tun.

Ich war gerade fast eingeschlafen, als jemand an die Tür klopfte.

Irritation durchfuhr sofort meinen Körper und ich biss meine Zähne zusammen. Francesca hatte mich sonst immer angerufen. Sie war noch nie einfach so vor meiner Tür aufgetaucht. Es störte mich schon, weil sie meine Privatsphäre einfach ignorierte.

Ich ging zur Tür und öffnete sie. „Du gehst etwas zu weit –“

Marie stand vor meiner Haustür und hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Sie schien von meinem Ärger nicht überrascht zu sein, als ob sie vermutet hatte, dass ich annehmen würde, dass sie Francesca war. „Hallo …“

„Hallo …“ Ich starrte sie ungläubig an, nicht sicher, ob sie wirklich da war.

„Es tut mir leid, dich zu stören … kann ich reinkommen?“

Wo waren meine Manieren? „Natürlich.“ Ich ließ sie hinein und schloss die Tür. „Entschuldige … ich dachte, du wärst Francesca.“

„Ist in Ordnung. Ich verstehe.“ Sie legte die Blumen auf den Tisch. Dann starrte sie mich an und hielt etwas Abstand zwischen uns.

Ich sah ungepflegt aus und trug die gleichen Sachen wie gestern. Meine Haare waren durcheinander und ich hatte nicht einmal meine Zähne geputzt. „Woher wusstest du, dass ich zu Hause bin?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Zufallstreffer.“

Francesca musste ihr gesagt haben, was heute für ein Tag war. Es gab keine andere Erklärung. Wenn sie dachte, sie könnte durch Marie an mich rankommen, dann war sie dumm. „Ich habe mich heute krankgemeldet, weil es mir nicht gut geht.“

Marie nahm mir das nicht ab. „Hast du heute schon irgendwas vor?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nun, ich gehe auf den Friedhof, falls du mitkommen möchtest.“

Das würde nicht funktionieren. „Ich gehe da nicht hin. Aber danke, dass du vorbeigekommen bist.“

Sie ging nicht zur Tür, nachdem ich sie zurückgewiesen hatte. „Axel –“

„Ich weiß, Frankie hat dich dazu gebracht. Ich habe meine Entscheidung getroffen und werde meine Meinung nicht ändern. Du solltest jetzt gehen.“

„Ich gehe nirgendwo hin.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blieb stehen.

„Du kannst gern hierbleiben, aber ich werde nicht zum Friedhof gehen.“

„Okay.“

„Okay.“ Ich ging in den Flur. „Ich werde jetzt duschen. Mach es dir ruhig bequem.“

Nachdem ich aufgeräumt hatte, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Marie saß an einem Ende der Couch. Sie trug ein schwarzes Kleid und Schuhe mit Keilabsatz. Ihre Beine waren übereinandergeschlagen und sie sah fern. Ich hatte einen Cartoon laufen lassen.

„Ich bin kindisch. Ich weiß.“ Ich setzte mich an das andere Ende der Couch und hielt Abstand zwischen uns.

„Das habe ich nicht gedacht.“

„Ach, wirklich?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich mag auch Cartoons. Ich bin mit ihnen aufgewachsen, weißt du?“

Ich lehnte mich zurück auf die Couch und fühlte mich ein bisschen besser, jetzt, da ich geduscht und mir die Zähne geputzt hatte. „Meine Lieblingsserie war Transformers. Und deine?“

„Tiny Toons.“ Ich lächelte, bei der Erinnerung daran.

„Gute Wahl.“

Sie nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus.

Ich wusste, was jetzt kommen würde.

„Bitte komm mit mir.“

„Nein.“

„Axel –“

„Ich habe Nein gesagt. Er hat mich verlassen – uns beide.“

„Ich weiß“, sagte sie sanft.

„Er hat nicht lange nachgedacht. Er erschoss sich in unserer Küche und wusste, dass ich von der Schule nach Hause kommen und es sehen würde. Was für ein kranker Freak macht das?“

Ihre Augen zeigte mir ihr Mitleid, aber sie drängte weiter. „Trotzdem –“

„Er hat uns als Waisen zurückgelassen. Er hat uns bei Yaya gelassen, die gerade eine Tochter verloren hatte. Er war ein verdammtes Arschloch.“

„Ich versteh schon.“

„Ich glaube nicht, dass du es tust. Ich war noch vom Tod meiner Mutter geschockt, dann kam ich Heim und sein Gehirn klebte an den Wänden. Glaubst du, dass dieses Bild nicht für immer in meinem Kopf verankert ist? Es ist egal, wie viele Jahre vergangen sind, ich werde es nie vergessen.“

„Axel, er war dein Vater.“

„Und ich war sein Sohn – aber er hat mir den Rücken gekehrt. Jetzt werde ich dasselbe mit ihm machen.“

„Wenn du diese Wut nicht loslässt, wirst du dich nur noch schlechter fühlen.“

„Halt den Mund.“

Maries Blick verengte sich und sie sah aus, als würde sie mich gleich ohrfeigen.

Ich realisierte sofort, dass ich es vermasselt hatte. „Es tut mir leid … das hätte ich nicht sagen sollen.“

„Verdammt richtig, das hättest du nicht sagen sollen.“

„Ich nehme es zurück.“ Ich fühlte mich im gleichen Moment schuldig, als ich diese Worte sagte. Marie hatte es nicht verdient, so behandelt zu werden. „Du solltest einfach gehen … ich bin heute nicht in der besten Verfassung.“

„Ich gehe nirgendwohin – außer du kommst mit mir.“

„Dann schauen wir für den Rest des Tages auf einen dunklen Fernseher.“

„Okay.“ Sie wandte sich wieder dem Fernseher zu und verstummte.

Ich starrte auf die andere Wand.

Minuten der Stille verstrichen. Sie schlug die Beine über und stellte sie dann wieder nebeneinander.

„Wenn wir deprimiert sind, machen wir verrückte Sachen“, sagte sie. „Wenn du früher nach Hause gekommen wärst, hätte er bestimmt seine Meinung geändert. Er hatte viel Kummer und wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Ich rechtfertige seine Handlungen nicht, aber bedenke, dass er viel durchmachen musste. Er hatte gerade seine Frau verloren, und war plötzlich ein alleinstehender Vater von zwei Kindern. Das würde jedem Menschen Angst machen.“

„Meine Mutter hätte uns nicht verlassen. Wenn sie wüsste, was er getan hat, wäre sie so enttäuscht von ihm …“

„Frauen sind anders als Männer.“

„Was für eine Entschuldigung ist das denn?“, schnauzte ich.

„Frauen sind emotionaler, deshalb können sie damit besser umgehen. Männer sind in diesem Punkt anders.“

„Rechtfertige nicht, was er getan hat. Er war ein Feigling und wir beide wissen es.“

„Vielleicht war er das.“

Ich drehte mich zu ihr um.

„Vielleicht war er ein Scheißvater, weil er euch beide verlassen hat. Aber du solltest ihm dennoch vergeben.“

„Ich muss gar nichts.“ Wenn es für ihn so leicht gewesen war, sich das Leben zunehmen, dann konnte ich ihn auch leicht vergessen. „Ich bin keiner, der Groll hegt, aber das ist anders. Ich würde unsere Kinder nie so zurücklassen, selbst wenn du gestorben wärst –“ Ich schloss meine Augen vor Angst, als ich meine Dummheit erkannte. Ich hatte etwas gesagt, das ich nie zurücknehmen konnte, egal, wie sehr ich es versuchte, und nun würde das Echo für immer weiterleben. Marie hatte es gehört, und in meinem Kopf hallte es millionenfach wider. Ich steckte in diesem Moment für immer fest und durchlebte ihn immer erneut. Ich drehte mich um, damit ich sie nicht mehr ansehen musste. Ich wurde durch diese Worte gedemütigt und gestand Gefühle ein, von denen ich nicht einmal wusste, ob ich sie hatte.

Marie sagte nichts. Sie schwieg einfach.

Ich starrte wieder die Wand an und spürte, wie die Spannung stieg. Sie war spürbar und heiß und verbrannte meine Haut. Ich würde alles geben, um das zu korrigieren, zu reparieren, was gerade passiert war.

Marie stand von der Couch auf.

Aus dem Augenwinkel sah ich ihre Bewegungen. Sie würde wahrscheinlich ihre Blumen nehmen und gehen. Nach dem, was ich gesagt hatte, hatte sie wahrscheinlich genug von mir. Ich machte es ihr so unangenehm, dass sie gehen wollte.

Sie näherte sich langsam meiner Seite der Couch und ihr Bein berührte mein Knie. Ich spürte, wie sie sich an mir rieb.

Ich starrte weiter die Wand an und weigerte mich, Blickkontakt mit ihr aufzunehmen. Ich war mir ihrer Nähe bewusst, sogar ihrem Atem. Ihr Duft überschwemmte mich und roch sanft nach Vanille und Honig. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als sie in meiner Nähe war.

Marie legte ihre Hände auf beide Seiten meines Kopfes und drückte mich gegen die Rückseite der Couch. Dann setzte sie sich auf meine Hüften und ließ sich in meinen Schoß gleiten, ihre Brust drückte sich gegen meine. Ihre Stirn lag an meiner.

Meine Hände wanderten automatisch ihre Schenkel hoch, bis ich ihre Hüften packte. Ihr Kleid schob sich an ihren Schenkeln hoch und offenbarte den größten Teil ihrer Haut. Ihr rosa Höschen kam zum Vorschein, aber ich sah es nicht an.

Mein Herz wollte nicht langsamer schlagen.

Sie schlang ihre Arme um meinen Hals und drückte ihr Gesicht gegen meins. Die Schwellung ihrer Brüste rieb sich an meiner Brust, und ich erinnerte mich daran, wie sie sich an meiner nackten Haut anfühlten, wenn wir uns liebten.

Mein ganzer Körper stand in Flammen. Zu fühlen, wie sie mich berührte, mich überkam, setzte meine Gefühle in Brand. Ich fühlte mich verunsichert, aber zugleich auch besser als es seit Langem der Fall gewesen war. Die Schmerzen in meinem Körper schienen zu verschwinden. Alles, was ich fühlte, war der Gleichtakt unserer Herzen und unseres Atems.

Ich vergaß, worüber wir gerade gesprochen hatten.

Meine Hände glitten zu ihrem Rücken und fühlten dessen steile Kurve. Ich liebte die Kurven ihres Körpers. Sie erinnerten mich an die verschiedenen Berge in den Schweizer Alpen. Sie waren tödlich, aber auch wunderschön.

Marie legte ihre Finger gegen mein Kinn und hob es leicht an, zwang mich, sie anzusehen. Sie starrte mir in die Augen, der Ausdruck in ihrem Gesicht stimmte mit meinem überein. Ihre Finger vergruben sich in meinem Haar, genau so, wie sie es tun sollten.

Diese Verbindung zu fühlen verjagte die ganze Wut und den Schmerz. Die Bitterkeit verflog wie Dampf in einer heißen Pfanne. Alles, was ich fühlte, war der Frieden, den sie mir schenkte. Er umhüllte mich wie eine warme Decke an einem Wintermorgen. Es war das beste Gefühl, das ich je erlebt hatte.

„Axel?“

Als sie meinen Namen sagte, spannte sich mein ganzer Körper an. Er war in Alarmbereitschaft, bereit, jedem Befehl zu gehorchen, den sie gab. „Baby?“

„Komm mit mir zum Friedhof.“ Sie schaute mir weiterhin in die Augen und zwang mich, ihrem Blick zu gehorchen.

Ich wollte immer noch nicht gehen, aber ich wollte sie auch nicht enttäuschen. Dachte sie wirklich, sie könnte mich dazu bringen, dort hinzugehen? Sie hypnotisierte mich mit ihrem Zauber und manipulierte mich mit ihrer Berührung. Sie besaß die Art von Magie, die jeden um sie herum beeinflusste. Sie verführte mich mit dieser Zuneigung, dem Gefühl ihrer warmen Haut unter meinen Fingerspitzen. Für einen Moment schien es, als wäre sie mein.

Und das machte mich schwach.

„Axel?“

Hilflos gehorchte ich. „Okay.“

Ich wusste nicht einmal, wo das Grab war. Irgendwie wusste es aber Marie.

Sie hielt die Blumen in der einen Hand, während sie meine Hand mit der anderen hielt. Sie blieb stehen, als wir den Grabstein erreichten. Es war eine Platte aus pechschwarzem Marmor, sein Name war in den Stein graviert. Mein Name und auch Francescas Name stand ganz unten und es hieß, dass wir sein Vermächtnis seien.

Ich starrte darauf und empfand nichts.

Marie hielt mir die Blumen hin.

Ich starrte sie fast eine Minute lang an, bevor ich sie nahm. Neben dem Grabstein stand ein Steinbecher für die Blumen. Ich stellte die Blumen in den Becher und arrangierte sie so, dass sie gut aussahen. Dann trat ich zurück und starrte wieder auf das Grab. Die sterblichen Überreste meines Vaters waren direkt unter mir.

Aber ich fühlte immer noch nichts.

Marie hakte ihren Arm in meinen.

Wenn ich das Grab meiner Mutter besuchte, ging ich immer alleine. Niemand war in der Nähe, also erzählte ich ihr von meinem Leben, den Dingen, die vor sich gingen. Ich erzählte ihr von Francesca und was sie vorhatte. Sie konnte mich nicht hören, aber ich sprach trotzdem mit ihr. Ich fühlte mich dann besser. Es fühlte sich dann so an, als wäre sie immer noch bei mir.

Aber was sollte ich mit meinem Vater machen?

Marie stand schweigend neben mir. Sie drängte mich zu nichts. Sie war nur da – tröstete mich.

Seinen Namen in dem Stein zu sehen, brachte so viele Erinnerungen zurück. Ich erinnerte mich daran, wie deprimiert er gewesen war, als meine Mutter diagnostiziert wurde. Mit jeder verstreichenden Woche ging es ihm schlechter. Er war untröstlich, noch bevor sie gegangen war. Obwohl ich ihn hasste, wusste ich eines.

Er hatte meine Mutter wirklich geliebt.

„Erzähl mir von deiner schönsten Erinnerung an ihn.“

„Von meinem Vater?“, flüsterte ich.

„Ja.“

Ich suchte in meinen Erinnerungen und dachte an so viele Dinge. Bevor meine Mutter krank wurde, waren wir uns sehr nah. Wir hatten viel zusammen unternommen. „Wir sind viel angeln gegangen. Manchmal war Francesca mitgekommen, aber meistens waren es nur wir zwei, er und ich, gewesen. Er brachte mir alles bei, was er wusste. An meinem zehnten Geburtstag schenkte er mir eine neue Angel. Es war ein echte – nicht so eine für kleine Jungen. Das war das coolste Geschenk für mich.“

Ihre Hand lag auf meinem Arm. „Das ist schön.“

„Es gibt noch andere Dinge … aber am meisten erinnere ich mich daran.“

„Danke, dass du mir das erzählst.“

Ich starrte auf das Gras unter meinen Füßen und bemerkte, wie dicht und lang es war. Es war üppig und grün. Der Friedhof war wunderschön. Beide meine Eltern waren an einem schönen Ort begraben. „Ich versuche, mich so gut wie möglich um Francesca zu kümmern, aber es ist manchmal schwer … ich bin mir nicht sicher, wie du sie so lange tolerieren konntest.“ Die Worte kamen ganz von selbst über meine Lippen. Ich war mir dessen nicht bewusst, bis ich fertig war. „Ich beschütze sie und halte Probleme von ihr fern, aber ich mag es nicht. Es ist schwierig. Du weißt, wie sie ist …“

Marie rieb sanft meinen Arm.

„Ich verstehe, warum du getan hast, was du getan hast … aber das macht es nicht richtig. Francesca und ich fühlen uns immer alleine, obwohl wir einander haben. Es ist einfach nicht das Gleiche … keinen Elternteil zu haben.“ Ich spürte die Tränen in meinen Augen, also schloss ich sie, damit es aufhörte. „Du hättest dir Hilfe holen sollen. Du hättest mit jemandem reden sollen. Du hättest etwas tun sollen …“

Mein Herz schmerzte von all dem Leid, das ich im Laufe der Jahre unterdrückt hatte. „Ich vermisse dich.“

Marie legte ihren Kopf auf meine Schulter, und ihre stillen Tränen hallten in meinem Ohr.

„Ich denke, du wärst stolz auf mich. Ich denke, du würdest den Mann mögen, der ich geworden bin. Aber ich werde es nie wissen … weil du gegangen bist.“

Marie schniefte.

„Ich weiß, ich sollte loslassen. Ich weiß, ich sollte dir vergeben. Aber es ist schwer …“

Marie festigte ihren Griff an meinem Arm.

„Es tut mir leid, dass ich nicht zu deiner Beerdigung gekommen bin. Es tut mir leid, dass ich dich nicht besucht habe. Es war einfach zu schwer. Ich denke, es war leichter, wütend zu sein, als zuzugeben, wie sehr es mich verletzt hat, dass du weg bist. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte … also fing ich an, dich stattdessen zu hassen.

„Aber ich hasse dich nicht. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich die Zeichen nicht gesehen habe, dass ich nichts getan habe, bis es zu spät war. Hätte ich etwas getan, wären wir vielleicht noch eine Familie. Du hättest zu meinem Collegeabschluss kommen können. Und auch zu Francescas.“ Ich hörte auf zu reden, weil es zu schwierig wurde. Ich war nicht der emotionalste Typ der Welt. Gefühle zeigte ich selten, und wenn, dann wollte ich sie nicht akzeptieren. Und ich hatte nie geweint. Tatsache war, dass ich dabei war, Angst zu bekommen. Ich verstummte und erlaubte dem Schmerz zu gehen, durch meinen Körper zu zirkulieren und zu verschwinden.

Von links hörte ich Laub rascheln. Die Schritte schienen leicht, als ob sich eine kleine Person uns nähern würde.

Ich drehte mich um und sah meine Schwester dort stehen, ihre Hand voller Blumen. Sie starrte mich an, als hätte sie mich noch nie zuvor gesehen. Es war das erste Mal, dass sie mich wirklich ansah. Stolz und Traurigkeit kamen über ihr Gesicht, unfähig, zu glauben, dass ich wirklich da war – mit ihr.

Sie ging auf mich zu, die Blumen noch immer in ihren Händen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die über ihr Gesicht liefen. Ihre Augen und Wangen färbten sich nicht rot. Sie waren nur feucht.

Marie trat zurück und gab uns beiden etwas Privatsphäre.

Francesca kam an meine Brust, schlang ihre Arme um mich und hielt mich fest. Als sie dort war, fing sie an zu weinen. Ihre Tränen fielen auf meine Brust, und ihr kleiner Körper verkrampfte sich durch den Schmerz.

Ich hielt sie fest und spürte, wie meine eigenen Tränen aufstiegen und ich den gleichen Schmerz verspürte. Mein Kinn ruhte auf ihrem Kopf und ich trauerte um alles, was wir verloren hatten. Es waren nur sie und ich gegen den Rest der Welt. Egal, wie schlimm die Dinge wurden, wir hatten immer noch uns. Es spielte keine Rolle, wie sehr wir stritten oder wie sehr wir uns manchmal hassten. Die Liebe, die wir füreinander empfanden, war bedingungslos. Wir würden es schaffen – wie immer.

Als wir zurück in meine Wohnung gingen, wollte ich nur eins.

Marie.

Ich wollte keinen Sex. Ich wollte keinen Orgasmus. Ich wollte nichts Physisches und Bedeutungsloses.

Ich wollte sie.

Als wir zusammen waren, hatten wir immer etwas Schönes gemacht. Wenn ich in ihr war, fühlte ich mich ganz. Wenn sich unsere Körper zusammen bewegten, verging der Schmerz. Wir fielen ineinander und fanden Trost, auf die einzige Art, die wir kannten.

Sie war nicht meine Droge.

Sie war meine Heilung.

Sobald die Tür geschlossen war und wir alleine waren, wollte ich sie ganz. Meine Hände vergruben sich in ihrem Haar und ich drückte sie an die Wand. Ich rieb meine Nase gegen ihre, bevor ich einen Kuss auf ihre Lippen drückte.

Ihr Kuss war zögerlich, als ob sich der Moment nicht richtig anfühlte. Sie küsste mich nicht so wie früher. Da war mehr Angst, als alles andere.

Ich drückte meinen Körper gegen ihren und verlangsamte den Kuss. Ich spürte ihre Lippen und saugte die untere, bevor ich sie leicht liebkoste. Ihre Lippen waren so weich, wie sie es immer schon gewesen waren. Das hatte ich vermisst. Ich vermisste es, sie zu küssen, sie zu berühren und sie zu verehren.

Sie reagierte auf mich, ihre Lippen öffneten sich und erlaubten mir den Zugang. Jetzt, da mein Körper sich öffnete, strömte alles heraus. Ich brauchte sie mehr denn je, um diesen unerträglichen Schmerz zu vergessen. Ich fühlte mich nie lebendiger, als wir zusammen waren. Und ich fühlte Frieden in mir.

Das war keine gute Idee. Morgen früh würden wir es wahrscheinlich bereuen. Aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich wollte es mehr als alles andere: eine Nacht mit ihr. Ich wollte nicht an den nächsten Tag denken, und an all das Leid, das er bringen würde.

Ich nahm sie in meine Arme und trug sie in mein Schlafzimmer. Unsere Küsse waren immer noch langsam und sanft. Als sie sich öffneten, erfüllte ein leises schmatzendes Geräusch die Luft. Sie zu küssen war unglaublich, weil sie so gut darin war. Ich liebte die Art, wie sich ihre kleine Zunge auf meiner anfühlte.

Ich zog sie langsam aus, während mein Mund an ihrem klebte. Ich wollte ihren Körper sehen, aber ich wollte sie noch mehr küssen. Ich zog den Reißverschluss ihres Kleides herunter und löste es von ihrem Körper. Dann zog ich ihr ihren BH und den Slip aus.

Sie schlang ihre Beine um meine Taille, als sie mein Shirt auszog und mich mit der gleichen Intensität wie zuvor küsste. Dann bewegten sich ihre Hände zu meiner Jeans, knöpften sie auf und zog sie runter.

Ich zog meine Boxershorts aus und trat sie so schnell wie möglich zur Seite. Alles, was ich wollte, war, in ihr zu sein, in eine Welt zu fallen, in der mich nichts mehr verfolgen konnte. Sie war das Einzige, was mich dazu bringen konnte, die Geister zu vergessen, die mich heimsuchten.

Ich legte mich über sie und bereitete mich darauf vor, diese Verbindung zu spüren, diese überwältigende Freude, die mich dazu brachte, alles andere zu vergessen. Ich wollte sie nicht ficken. Ich wollte mit ihr Liebe machen, und sie sollte mit mir Liebe machen.

„Stopp.“ Sie legte ihre Hand auf meine Brust.

Ich wollte gerade in sie eindringen, hörte aber auf, als sie das sagte. „Was ist, Baby?“

„Ich kann das nicht tun.“ Sie rutschte zurück und löste sich von mir.

Ich versteckte meine Enttäuschung. „Ist alles in Ordnung?“

„Ich kann das nicht, weil ich weiß, dass du eine Freundin hast. Es ist einfach falsch.“

Eine Freundin? Was? „Ich habe keine Freundin.“

Sie war nicht mehr zögerlich, sondern wurde sofort wütend. „Axel, lüg mich nicht an. Das ist das Schlimmste, was du tun könntest.“

„Ich lüge nicht.“ Wenn ich eine Freundin hätte, dann wäre sie es.

„Ich weiß, dass du Alexia triffst.“

„Uäh.“ Es platzte mir automatisch raus. Sie war ein Troll im Vergleich zu Marie. „Ich treffe mich nicht mit ihr. Ich war nicht mehr mit ihr zusammen, seitdem du und ich zusammen waren. Wer zum Teufel hat so was erzählt?“

„Warum war sie dann vor ein paar Wochen in deiner Wohnung?“ Trotz ihrer Nacktheit sah sie beängstigend aus.

In meiner Wohnung? Alexia war nicht mehr in meiner Wohnung seit … „Woher weißt du das?“

„Ich bin vorbeigekommen, um mit dir zu reden und sie hat die Tür aufgemacht.“

Sie hatte die Tür aufgemacht? Warum hatte sie es mir nicht gesagt? Ich war in meinem Leben nie mehr verwirrter gewesen. „Warum bist du nicht reingekommen? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du vorbeigekommen bist?“

„Weil diese Schlampe mir gesagt hat, dass du ihr Freund bist und ich aufhören sollte, hier aufzukreuzen.“

„Was?“, schnauzte ich. „Das hat sie gesagt?“

„Ja.“

Warum sollte Alexia so was sagen? „Aber das ist einfach nicht wahr.“

„Nun, das hat sie mir aber gesagt.“

„Der einzige Grund, warum sie dort war, war, weil sie irgendwo unterkommen musste. Der Freund ihrer Mitbewohnerin war bei ihr und sie fühlte sich nicht wohl. Sie ist einfach vor meiner Tür aufgetaucht und ich konnte sie nicht abweisen. Ich schwöre, es ist nichts passiert. Ich weiß nicht, warum sie so einen Scheiß erzählt hat.“

Maries Wut verebbte. Ihre Augen sahen nicht mehr so bedrohlich aus und ihr Körper entspannte sich. „Warum hat sie das dann gesagt?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Sie wollte ein paar Mal mit mir ausgehen, aber ich habe abgelehnt. Vielleicht wollte sie mich zurückgewinnen, indem sie dich verjagte.“

„Sie wusste, dass wir uns getrennt hatten.“

Ich konnte nicht lügen. „Ich hatte es ihr gesagt …“

Sie kreuzte ihre Arme vor der Brust.

„Ich schwöre, ich treffe sie nicht und habe sie auch nicht wiedergesehen. Ich würde dich nicht anlügen.“

„Ich weiß …“ Ihre Arme bedeckten immer noch ihre Brust, als ob sie sich zur Schau stellen wollte.

Trotz des Streits, den wir gerade hatten, wollte ich sie noch immer. Seit wir uns getrennt hatten, war ich nicht mehr mit jemandem zusammen gewesen, und wenn sie mit Jason zusammen gewesen war, war es mir egal. Es veränderte meine Gefühle für sie nicht. Und wenn sie ihn immer noch traf, war es mir auch egal. In meinen Augen, gehörte sie mir.

Ich legte mich wieder auf ihren Körper. Meine Lippen schwebten einen Zentimeter über ihren. Sie war nah genug, um meinen Atem auf ihrem Gesicht zu spüren. Ihr Körper spannte sich wieder an, als ich näher zu ihr kam, und langsam lösten sich ihre Arme von ihrer Brust und bewegten sich zu meinen Armen, die an beiden Seiten ihres Körpers lagen.

Ich gab ihr einen langsamen Kuss, weich und mit geschlossenem Mund. Ich ließ mich von all dem überfluten, und fühlte, wie ihre Brüste sich an meinen Körper pressten. Ihre Brust hob sich bei jedem Atemzug, und ich spürte, wie sie sich gegen mich drückte.

Ich bewegte meine Lippen zu ihrem Ohr und zog sie näher zu mir. „Kann ich mit dir Liebe machen?“ Sie hatte mir vorher gesagt das ich aufhören solle, und ich wollte sie nicht zu etwas zwingen, das sie nicht wollte.

“Bitte.”

Ein Zittern lief mir bei ihren Worten über den Rücken. Die Hitze in ihrer Stimme bewegte mich, ließ mich lebendig fühlen. Mein Schwanz fand ihren Eingang, als ob er seinen Weg kannte. Ich spürte die Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen und wusste, dass sie mich immer noch wollte.

Meine Hand griff in ihre Haare, meinem Lieblingsplatz, und ich strich durch die Strähnen, als ob sie mir gehörten. Ich glitt langsam in sie hinein und fühlte die vertraute Enge. Ich erinnerte mich an jeden Teil von ihr, weil ich schon so oft in ihr gewesen war. Es fühlte sich gut an, besser als je zuvor. Es war sechs Wochen her, seit ich Sex gehabt hatte, und mein Körper war für jede Sekunde dieses Gefühls dankbar.

Sie atmete tief durch, jeder Atemzug kam als kleines Flüstern heraus. Ihre Hände klammerten sich an meinen Rücken und zogen mich weiter in sie hinein. Sie genoss mich genauso, wie ich sie genoss.

Sobald ich in ihr war, fühlte ich mich besser. Es war nicht das körperliche Vergnügen, das sich so gut anfühlte. Es war so viel mehr als das. Die Sorgen und Schmerzen in meinem Herzen wurden durch ihre Essenz repariert. Die Narben auf meinem Körper verschwanden. Sie reparierte alle Risse und Löcher und setzte mich wieder zusammen. Es war das beste Gefühl, das ich je erlebt hatte. All die Nächte, in denen ich allein in meinem Wagen geschlafen hatte, verblassten. Es fühlte sich an, als wären wir nie getrennt gewesen. Es waren nur sie und ich – als wäre es immer so gewesen.

Ich küsste ihr Kinn und ihren Nacken, als ich in sie eindrang, und genoss ihren Geschmack auf meiner Zunge. Meine Lippen erkannten allein durch die Berührung jeden Zentimeter ihrer Haut und wussten genau, wo alles war. Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Nacken, hörte ihrem Stöhnen zu und liebte das Gefühl, in ihr zu sein. Ich dehnte sie auf eine gute Art und gab ihr das Vergnügen, das sie verdiente.

Ihre Nägel zogen meinen Rücken hinunter und schnitten sexy in meine Haut ein. Sie keuchte, gleichzeitig atemlos und erregt. Wann immer sie mich berührte, war es aus Notwendigkeit und nicht aus Verlangen. Ohne ein Wort auszusprechen, gab sie mir das Gefühl, geliebt zu werden. Sie kümmerte sich um mich, wie es keine andere Frau je getan hatte. Ich fühlte mich nicht wie ein Typ, den sie in einer Bar aufgelesen hatte. Ich fühlte mich wie etwas Wichtigeres – etwas, das sich lohnte. Das erste Mal, dass wir zusammen gewesen waren, schien vergessen zu sein. Es war, als wäre es nie passiert. Es hätte nie passieren sollen.

Ich hätte sie von Anfang an lieben sollen.