21

Umweg

Axel

Marie würde gehen.

Ich hatte das Bewerbungsgespräch für sie arrangiert, weil ich wusste, wie sehr sie es wollte. Für Prada zu schreiben und jeden Tag in dieses tolle Gebäude zur Arbeit zu gehen, würde Sie glücklich machen. Ein Job, den Sie liebte, würde viel Freude in Ihr Leben bringen. Anstatt als Praktikant für ein paar Cent zu arbeiten, würde Sie ganz oben anfangen. Das war genau das, was ich für sie wollte.

Aber jetzt musste ich mich von ihr verabschieden.

Ich wusste, dass ich irgendwann meinen Weg nach New York finden würde, aber ich war nicht sicher, wann das wirklich geschehen würde. Und wenn das endlich geschah, würde Francesca wahrscheinlich nicht mehr mit ihr zusammenwohnen. Ich hätte keine Ausrede, sie zu sehen. Wir würden uns nie wieder in einem Café oder in der U-Bahn treffen. Es wäre so gut wie unmöglich für mich, durch Zufall ihren Weg zu kreuzen.

Ich würde sie nie wiedersehen.

Die Erkenntnis traf mich schmerzhaft in die Brust. Ich hatte sie schon zweimal verloren, beide Male waren meiner Dummheit zuzuweisen. Aber diese Situation war anders. Dieses Mal würde ich sie endgültig verlieren – als Freund, wie auch als Liebhaber.

Was würde ich dann tun? Ich konnte nicht mehr vor ihrem Haus schlafen, denn sie würde nicht da sein. Ich konnte ihren Schal nicht mehr behalten, das wäre einfach zu schräg. Mein ganzes Leben würde sich verändern, und das einzige Mädchen, das mir wichtig war, würde kein Teil mehr davon sein.

Das machte mir Angst.

Ich ging ins Haus, und ich fühlte mich schwach. Maries Auto stand nicht in der Einfahrt, sodass ich wusste, dass sie nicht da war. Ihr Abschluss war am nächsten Tag und ich hatte sie seit einer Woche nicht mehr gesehen. Jedes Mal, wenn ich versuchte, sie zu treffen, funktionierte das nicht. Ich vermisste sie ständig – jede Minute. Konnte ich sie gehen lassen, ohne mich zu verabschieden? Konnte ich sie wirklich gehen lassen, ohne ein Wort zu sagen?

„Was ist los?“ Francescas Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und sie trug eine Jogginghose. Das Haus war fast leer, weil sie die meisten der Möbel bereits zu der neuen Wohnung in der Stadt gebracht hatten. Der Ort sah plötzlich kleiner aus, nicht größer.

„Ich wollte nur sehen, ob du etwas brauchst …“ Ich blickte auf die kahlen Wände, versuchte, die letzten Erinnerungen von Marie zu spüren. Bald könnte ich ihr Parfüm nicht mehr riechen. Ich könnte ihre Sachen nicht mehr in der Wohnung herumliegen sehen, die Dinge, die mich an sie erinnerten.

„Ich habe alles“, sagte Francesca. „Nur noch ein paar Kleinigkeiten.“

„Super.“ Da es keine Möbel mehr gab, setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich gegen die Wand. Meine Knie waren angewinkelt und meine Unterarme ruhten darauf. Ein schwerer Seufzer drang über meine Lippen, voller Depression.

Francesca hörte damit auf, die Box mit Klebeband zu verschließen und setzte sich zu mir auf den Boden. Sie saß mir gegenüber auf dem Teppich und Ihre Beine waren überkreuzt. „Alles in Ordnung?“

Ich zuckte mit den Schultern und weigerte mich, Blickkontakt mit Ihr aufzunehmen.

„Axel, wenn du ihr etwas sagen möchtest, dann ist jetzt die richtige Zeit dafür.“

„Und was sollte ich ihr sagen?“ Ich schaute aus dem hinteren Fenster in den Hinterhof. Das Gras war einen Fuß hoch gewachsen, weil die Mädchen es nie gemäht hatten. Ich hätte es für sie gemacht, aber keiner von uns hatte einen Rasenmäher.

„Die Wahrheit.“

Ich machte mir nicht die Mühe, etwas dagegen zu sagen.

“Axel, sie wird an diesem Wochenende weg sein. In einer neuen Stadt mit neuen Menschen, sie wird nach vorne schauen, und du bist gerade dabei, deine letzte Chance zu verpassen. Wenn es etwas gibt, das du ihr sagen willst, dann mach das jetzt.“

„Und was soll ich ihr sagen?“ Ich schluckte den Kloß in meinem Hals runter. „Das ich nicht will, dass sie geht?“

„Das du sie liebst und mit ihr zusammen sein willst.“

Ich wollte sie nicht ansehen.

„Axel, wie lange willst du dich noch selbst belügen? Wie lange willst du dir noch einreden, dass du wie Dad bist? Du bist es nicht.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Toll. Denk weiter so. Aber dann kannst du Marie vergessen. Ende der Unterhaltung.“

„Ich werde sie nie vergessen …“

Sie verdrehte die Augen. „Dann tu etwas. Du liebst sie, also gib sie nicht auf. Es steht dir ins Gesicht geschrieben. Es steht überall geschrieben. Marie hat es geschafft, dass du Dad vergeben hast, ich konnte das nie. Sie macht dich glücklich. Ich konnte es sehen, wenn ihr zusammen wart. Sie hat dich zu einem besseren Menschen gemacht. Bevor sie auftauchte, konntest du nicht eine Sekunde lang ohne Sex überleben, und jetzt, da ihr eigentlich nicht mehr zusammen seid, bist du ihr treu. Axel, das ist die Wahrheit.“

Ich konnte es mir noch immer nicht eingestehen.

„Axel, das ist deine letzte Chance. Kannst du ohne sie leben?“

Wenn ich in den Himmel schaute, war er nie blau. Wenn ich mein Bett mit jemandem teilte, machte es mich deprimierter, als ich es jemals in meinem Leben gewesen war. Das Gefühl von Glück, war für mich nicht existent. Ich wusste, ich würde mich nie für eine andere Frau so fühlen, wie für Marie. Was wir hatten, war etwas Besonderes. Es war nichts, das sich mit jemand anderem entwickeln könnte. „Ja … aber ich will nicht.“

Francescas Blick wurde sanfter. „Dann rede mit ihr. Sie ist immer noch verärgert über das, was passiert ist, aber wenn du ihr das Richtige sagst, dann wird sie ihren Ärger vergessen. Du kannst sie dazu bringen, dir zu verzeihen.“

Würde sie mir jemals verzeihen, nach allem, was ich getan hatte? Ich hatte sie nicht nur einmal verletzt, sondern zweimal. „Warum haben sie und Jason Schluss gemacht?“

Francesca war irritiert, als ich das Thema wechselte. „Er war es müde, gegen dich ankämpfen zu müssen.“

Sie hatte ihm erzählt, was sie für mich empfand?

„Und Sie haben nie miteinander geschlafen … falls du dich das fragen solltest.“

Das war eine Erleichterung – die größte, die ich je empfunden hatte. Es war falsch, mich so zu fühlen, nachdem ich Ihr so weh getan hatte, aber es war die Wahrheit. Ich wollte nicht, dass sie mit irgendjemandem zusammen war außer mir.

„Aber das wird sich ändern, wenn sie nach New York zieht. Ich kann dir sagen, dass sie bereit ist, nach vorne zu schauen, um dich so schnell wie möglich zu vergessen. Dies ist deine letzte Chance. Buchstäblich.“

Ich stand vor einer großen Entscheidung, und ich wusste nicht, welche ich treffen sollte. Wenn ich sie loslassen würde, würde ich zurück zu meinem elenden Dasein in Einsamkeit kehren. Ich dachte immer an sie, egal, wie viel Zeit vergangen war. Ich würde mich fragen, was sie tat, mit wem sie sich traf, und ob sie glücklich war. Wenn ich versuchen würde, es in Ordnung zu bringen, könnte ich alles bekommen, was ich wollte. Aber es könnte auch schief gehen.

„Axel?“

„Hmm?“

Die Haustür öffnete sich und Marie kam rein. „Diese Wohnung wird immer kleiner, je mehr Zeug wir hineinstellen.“ Sie bemerkte nicht, wo wir saßen, weil sie auf dem Handy jemanden eine Nachricht schrieb. Sie stand neben dem Küchentisch und schickte die Nachricht ab, bevor sie ihre Sachen abstellte. „Wenigstens die Aussicht ist schön.“ Als sie bemerkte, dass wir auf dem Boden saßen, neigte sie ihren Kopf zur Seite. „Alles Okay?“

Francesca drehte sich zu mir um und fragte leise, was ich tun würde.

Ich wusste es immer noch nicht, also reagierte ich überhaupt nicht.

Francesca griff zwischen Ihre Füße und nahm Ihre Handtasche. „Ich muss noch was besorgen … Aspirin.“ Sie ging raus und ließ uns allein, die Spannung im Raum nahm mit jeder Sekunde zu.

Sie starrte mich an, ihre Abwehrhaltung war deutlich zu spüren.

Alle meine Ängste waren noch vorhanden. Jedes Mal, wenn ich jemanden liebte, verlor ich diese Person. Und wenn ich Marie verlieren würde, wüsste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Aber wenn ich nichts tat, verlor ich sie sowieso.

Ich stand auf und kam ihr näher. Als ich ihr so gegenüberstand, bemerkte ich die Sommersprossen auf ihrem Gesicht. Sie waren unter ihrem Make-up kaum zu sehen, aber wenn ich genau hinsah, waren sie da. Die Form ihrer Lippen erregte immer meine Aufmerksamkeit. Sie waren prall und sexy geformt. Sie fühlten sich noch sexyer an, wenn sie sich gegen meinen Mund drückten. Ihre grünen Augen waren unverkennbar schön. Ich vermisste die Art, wie sie in meine schauten – als wäre ich jemand, der es wert war, angeschaut zu werden. „Hast du eine Minute?“

„Ja. Aber nur eine.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hielt mich auf Abstand.

Jetzt, da der Augenblick gekommen war, hatte ich Angst. Ich hatte nicht durchdacht oder geprobt, was ich sagen wollte. Jemandem seine persönlichsten Gefühle mitzuteilen, war in der Theorie viel einfacher. In Wirklichkeit war es erschreckend. Ein falscher Satz könnte alles ruinieren. „Mir tun all die Dinge, die ich dir angetan habe, leid. Es tut mir leid, wie ich dich verletzt habe – mehr als einmal. Es tut mir leid, dass ich dich nicht richtig behandelt habe.“

Marie starrte mich vergebungslos an.

„Ich wünschte, ich könnte alles zurücknehmen.“

„Aber das kannst du nicht, Axel.“

Ich versuchte, ihre bösartige Reaktion zu ignorieren. Wenn ich zu lange überlegen würde, würde ich aufgeben und gehen. „Als wir das erste Mal zusammen waren, bedeutete es mir nichts. Es war guter Sex ohne jegliche Verpflichtung. Aber danach wollte ich dich wieder. Das ist mir vorher noch nie passiert.“ Es war nicht sehr romantisch, das zu sagen, aber es war die Wahrheit. „Danach lernte ich dich besser kennen. Ich verbrachte mehr Zeit mit dir, und als die Wochen vergingen, wollte ich nicht nur mit dir im Bett sein. Ich wollte deine Zuneigung, deine Worte und alles andere, was du mir geben konntest. Ich dachte schon damals … dass da etwas war. Aber dann habe ich Angst bekommen.“

„Jede Person, die ich geliebt habe, war gegangen. Zuerst waren es meine Eltern. Dann Francesca – das Einzige, was ich noch hatte, traf fast dasselbe Schicksal. Mein bester Freund ist in eine andere Stadt gezogen. Ich habe alles überlebt und einen Grund gefunden, weiterzumachen. Aber wenn ich dich verlieren würde, wirklich verlieren, dann könnte ich nicht mal mehr Atmen. Ich wäre am Boden zerstört. Also dachte ich, ich könnte das Problem lösen, wenn ich uns auf Distanz halten würde. Wenn ich dich nie wirklich hätte, könnte ich dich nie wirklich verlieren. Es war auf diese Weise weniger schmerzhaft. Aber die ganze Zeit, die wir getrennt waren … war ich unglücklich.“

Sie hielt ihre Arme vor der Brust, und das Feuer in ihren Augen war verschwunden. Sie konnte ihre Wut nicht aufrechterhalten – nicht für immer.

„Jetzt, wo du gehst, wirklich gehst, weiß ich, dass die Dinge anders sein werden. Ich werde dich nicht mehr sehen können, wann ich will. Ich werde Francesca nicht als Ausrede dafür benutzen können, vorbeizuschauen, um dich zusehen. Ich werde nicht in der Lage sein, den Schmerz in meinem Herzen zu betäuben, indem ich neben dir stehe. Es ist mir erst jetzt klar geworden, dass ich alles verlieren werde.“

Sie behielt ihren stoischen Gesichtsausdruck bei und ihre Emotionen tief unter der Oberfläche verborgen. Sie weigerte sich, ihre Karten aufzudecken, bevor ich meine aufdeckte.

„Ich will dich nicht verlieren, Marie. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dich nie wiederzusehen. Ich möchte nicht, dass du mit einem anderen Mann weitermachst, und ich möchte nicht jedes Wochenende mit einer anderen Frau zusammen sein. Du machst mich glücklicher, als ich jemals gedacht habe, und ich möchte das nicht verlieren. Also … bitte gib mir noch eine Chance. Bitte bleib bei mir.“

Sie zog ihre Arme um ihre Brust.

„Ich verspreche, ich werde diesmal anders sein. Ich verspreche, dass ich keine Angst bekommen und einfach gehen werde. Ich werde für dich da sein. Ich werde der Freund sein, den du verdienst. Nachdem ich hier alles geklärt habe, werde ich nach New York ziehen und wir können zusammen sein …“

„Nein.“ Sie trat einen Schritt zurück. „Axel, nein.“

Die Ablehnung tat weh – sie schmerzte.

„Ich bin es leid, wie ein Spielzeug behandelt zu werden. Manchmal willst du mich und manchmal nicht. Ich bin kein Hund. Ich bin eine Person mit Gefühlen. Und ich suche einen Mann, der mich mit Respekt behandeln kann. Das bist nicht du.“

„Ich weiß, dass ich es in der Vergangenheit versaut habe, aber dieses Mal wird es anders sein.“

„Das sagst du jetzt, bis das nächste Problem auftaucht. Und dann bist du wieder weg. Du sagst das nur, weil du Angst hast. Dein Booty Call wird in einer anderen Stadt sein, also kannst du sie nicht benutzen, wann immer du willst. Axel, ich bin nicht blöd. Das hat nichts mit deinen Gefühlen für mich zu tun. Du hast nur Angst, dass sich die Dinge ändern.“

„Das ist nicht wahr.“

„Diese Geschichte kann sich jederzeit wiederholen.“ Sie schaute weg und starrte auf das leere Wohnzimmer. „Du hast mir schon zweimal etwas vorgespielt. Ich verliere immer bei diesem Spiel, ich spiele nicht mehr mit. Ich nehme meine Chance wahr, jemand anderen zu finden, einen echten Mann, der –“

„Ich liebe dich.“ Als ich die Worte aussprach, brannten sie in meiner Kehle. Es war das erste Mal, dass ich das jemandem außerhalb meiner Familie gesagt hatte. Es tat weh, aber auf eine gute Art. In meinem Hinterkopf wusste ich, wie ich für Marie fühlte. Es war seit langer Zeit dort gewesen, fast von Anfang an. Ich fühlte etwas Besonderes für sie, etwas, das ich für keine andere Frau fühlen konnte. Sie hatte mich wirklich verstanden, und sie hatte mich geliebt. Jedes Mal, wenn ich mir das Gesicht meiner zukünftigen Frau vorstellte, war es Marie. Sie war die zukünftige Mutter meiner Kinder, die Frau, mit der ich alt werden würde und die ich noch lieben würde, wenn wir alt und grau wären. Sie war mein ‚für immer’.

Sie atmete tief ein, während ihr Blick sanfter wurde, sie hatte nicht erwartete, dass ich das sagen würde.

„Ich habe dich schon lange geliebt, wahrscheinlich länger als du mich geliebt hast. Ich hatte nur Angst, es zu sagen … aber jetzt habe ich keine Angst mehr. Bitte gib mir noch eine Chance es richtig zu machen und der zu sein, den du immer wolltest.“ Ich hatte meine verborgensten Gefühle offengelegt, und jetzt war ich völlig verwundbar. Ich hatte ihr die wahre Natur meines Herzens offenbart – dass es nur für sie schlug. Ich hatte mit niemandem geschlafen, weil mein Körper ausschließlich ihr gehörte. Selbst, wenn ich die Freiheit hätte, mit anderen Frauen zusammen zu sein, wollte ich es nicht. Alles, was ich wollte, war sie – von Anfang an. „Ich weiß, dass es lange gedauert hat, bis ich das verstanden habe. Ich weiß, dass ich dich fast ein Jahr lang gequält habe, Monate der Folter. Aber jetzt bin ich bereit, das zu sein, was wir wirklich sein sollten.“

Ihre Arme senkten sich langsam zu ihren Seiten, bis ihre Hände vor ihrer Taille zusammengefaltet waren. Die Wut, die noch vor wenigen Minuten in ihren Augen gewesen war, war jetzt völlig verschwunden. Sie hasste mich nicht länger, ärgerte sich nicht länger über die Dinge, die ich getan hatte.

Jetzt könnten wir vorwärtsgehen und von vorne anfangen. Sie würde nach New York ziehen und ich würde sie begleiten, sobald ich dort einen Job gefunden hätte. Ich würde an den Wochenenden hochfahren, um bei ihr zu sein, bis diese Zeit kam. Wir müssten einige Zeit getrennt wohnen, aber wir würden es schaffen.

„Nein.“

Ich hörte diese Aussage, konnte sie aber nicht verarbeiten. Mein Gehirn weigerte sich. Es war eine Antwort, die ich nicht erwartet hatte, also war es auch nicht möglich, dass sie wahr war. Sie liebte mich. Es war offensichtlich, in allem, was sie tat. Sie würde mir vergeben. Sie musste mir vergeben. „Was?“

„Es tut mir leid, Axel.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich hatte schon zweimal ein gebrochenes Herz und möchte es kein drittes Mal erleben. Jetzt habe ich zu viel Angst, um dem Ganzen noch eine Chance zu geben – selbst, wenn du mich liebst. Irgendwann wirst du kalte Füße bekommen und wieder gehen. Ich kann das Ende sehen, bevor es überhaupt beginnt. Ich bin da schon zweimal durchgegangen, und ich mache es nicht noch ein weiteres Mal. Mein Herz könnte damit nicht umgehen.“

Sprachlos stand ich da. Ich hatte ihr mein Herz ausgeschüttet, aber es war nicht genug gewesen. Ich hatte es zu oft vermasselt. Jetzt konnte sie mir nicht mehr vertrauen. Sie konnte nichts glauben, was aus meinem Mund kam. Ich hatte zu oft Mist gebaut.

„Ich tue das nicht, um dich zu verletzen“, flüsterte sie. „Ich glaube einfach nicht mehr an uns.“

Ich schaute auf den Boden, weil ich sie nicht mehr ansehen konnte. Sie hatte mir das Herz gebrochen und es in zwei völlig verschiedene Teile geteilt. Jeder Atemzug, den ich nahm, schmerzte unwiderruflich. Ich hatte diese Art von Angst noch nie erlebt. Ich hatte meine beiden Eltern auf brutalste Weise verloren und meine Schwester wäre ihnen beinahe gefolgt. Aber dies … war ein neues Maß an Herzschmerz.

„Es tut mir leid, Axel. Ich bin an dem Punkt angelangt, an dem ich nach vorne schauen und neu anfangen kann.“ Sie ging zurück zum Tisch und sammelte ihre Sachen zusammen. Obwohl es ihre Wohnung war, nahm sie ihre Sachen und ging.

Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf den Boden. Das Blut hämmerte in meinen Ohren und klang wie eine ferne Trommel. Nun, da das Einzige, was mir wichtig war, gegangen war, wurde mir klar, dass ich alles verloren hatte. Der Verlust überkam mich wie das eiskalte Meer mitten im Winter. Wenn ich meine Gefühle früher erkannt hätte, hätte das vermieden werden können. Ich hätte nicht etwas so Kostbares verloren – etwas, das überlebenswichtig war.

Ich war der Einzige, der dafür verantwortlich war – und das machte mich noch verzweifelter.

Trotz meines Schmerzes wollte ich den Studienabschluss meiner Schwester nicht verpassen. Mom und Dad würden nicht da sein, also musste ich da sein. Yaya war dort, jubelte Francesca zu und war die beste Unterstützung der Welt, aber ich wusste, dass ich ihr etwas anderes bedeutete.

Ich wollte Marie nicht in die Augen sehen. Nicht weil ich sie hasste oder sie nie wiedersehen wollte. Ich wusste nur, dass die Sehnsucht mich ersticken würde. Wie könnte ich in ihrer Nähe sein und sie nicht packen und für immer festhalten? Wie könnte ich meine Hände bei mir behalten? Selbst jetzt, nach allem, was wir durchgemacht hatten, betrachtete ich sie immer noch als mein.

Francesca ging über die Bühne und erhielt ihr Abschlusszeugnis. In dem Moment, als sie ihre Quaste drehte, pfiff ich und klatschte. Yaya jubelte aus vollem Herzen, stolz auf ihre einzige Enkelin.

Francesca erhielt keine Auszeichnung, weil sie das Semester nur mit Mühe bestanden hatte, was bedauerlich war. Aber sie hatte es trotzdem geschafft und das zählte. Ich war stolz auf sie.

Ein paar Minuten später ging Marie über die Bühne. Sie sah aus wie ein Sonnenstrahl mit ihren schönen blonden Haaren und ihrer makellosen Haut. Sie ging zum Präsidenten der Universität und nahm ihr Zeugnis, bevor sie wieder ging. Aus der Menge erklangen Pfiffe, und ich wusste, dass sie von Männern kamen, die sie nicht einmal kannten.

Ich klatschte lauter als alle anderen.

„Ich werde Francesca abpassen“, sagte Yaya. „Ich muss ein Foto machen.“

„Ich glaube, Sie gehen –“

Yaya war schon weg und schob sich durch die Menge.

Ich drehte mich um und sah, wie die Absolventen das Ende der Bühne verließen und zu ihren Familien zurückkehrten. Meine Augen suchten nach Maries Gesicht, nicht nach Francescas. Aber zufällig stieß ich auf ein Gesicht, das ich nicht erwartet hatte.

Hawke.

Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, herauszufinden, ob er es wirklich er war. Er hatte die gleichen Haare, die gleiche Größe und die gleiche Art von Kleidung. Er trug eine Pilotenbrille, wie es an einem sonnigen Tag normalerweise der Fall war.

Er musste es sein.

Ich drängte mich durch die Menge, um näher an ihn heranzukommen, um Bestätigung zu bekommen, dass er es wirklich war. Als ich näherkam, drehte sich der Mann zu mir. Er starrte mich ein paar Sekunden lang an, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte und in der Menge verschwand.

„Hawke!“ Ich spähte über jeden Kopf und versuchte, ihn im Meer der Familien zu finden, aber er war fort.

War er es wirklich?

„Ich habe es geschafft!“ Francesca rannte auf mich zu und umarmte mich. „Ich habe es tatsächlich geschafft.“

Ich vergaß Hawke und erwiderte ihre Umarmung. „Glückwunsch, Frankie.“

Sie legte ihr Gesicht gegen meine Brust und drückte mich um die Taille. „Vielen Dank. Ich hätte es ohne dich nicht geschafft.“

„Dafür sind große und nervige Brüder da!“ Ich zeigte mich von meiner besten Seite, denn heute ging es um sie. Ich wollte wegen Marie kein Spielverderber sein. Ich würde morgen dafür Zeit haben – und jeden Tag danach.

Yaya schloss sich uns an. „Wie hast du sie vor mir gefunden?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist eine Geschwistersache.“ Oder hatte Hawke mich zu ihr geführt.

Yaya umarmte Francesca so fest, dass Francesca ein Quietschen ausstieß. „Ich bin so stolz auf dich, Schatz.“

„Danke, Yaya.“

Yaya küsste sie auf jede Wange. „Ich möchte ganz viele Bilder machen.“

„Gute Idee.“

Marie kam zu uns herüber, ihre Haare und ihr Make-up sahen perfekt aus. Sie war groß in ihren hohen Schuhen, einige Zentimeter größer als sie normalerweise war. Aus der Nähe war sie noch schöner. Sie anzusehen tat mir tatsächlich weh.

Sie sah mich mit dem gleichen Ausdruck an wie gestern. Da war ein Schmerz, als würde sie mich nicht zurückweisen wollen. Und wenn ich genau hinsah, konnte ich immer noch die Liebe in ihren Augen sehen. „Kannst du glauben, dass wir endlich nicht mehr hierher müssen?“

„Ich weiß“, sagte Francesca. „Und wir gehen nach New York.“

„Kannst du ein Foto von uns machen, Yaya?“, fragte Marie.

„Gute Idee.“ Yaya zog ihr iPhone heraus, etwas, an das sie sich immer noch nicht gewöhnt hatte. „Näher zusammen.“ Sie hielt das Telefon hoch und machte das Foto.

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich Marie vielleicht nicht wiedersehen würde. Und wenn ich es täte, würde es nicht für lange sein. Diese Erkenntnis war schmerzhafter als alles andere. „Frankie, kannst du ein Foto von uns machen?“ Das Einzige, was ich von Marie hatte, war ihr Schal, den ich nicht zurückgeben wollte. Aber ich wollte etwas anderes, etwas, das ich ansehen könnte.

„Sicher …“ Sie nahm mein Handy mit einem traurigen Ausdruck in ihren Augen.

Marie starrte mich überrascht an.

Ich kam an ihre Seite und blieb einen Moment unbeholfen stehen, wollte sie anfassen, aber ich war mir nicht sicher, ob ich es tun sollte. Als ich ihr so nahe war, konnte ich ihr Parfüm riechen. Ich konnte sehen, wie sie atmete. Ich konnte den schönen Glanz in ihren Augen sehen. Mein Arm legte sich um ihre Taille und ruhte auf ihrer Hüfte. Ich zog sie an meine Seite und wünschte mir, ich könnte das jeden Tag tun. Ihr Arm hakte sich um meine Taille und sie lächelte in die Kamera. Ich tat das Gleiche.

Francesca machte das Foto und gab mir das Handy zurück. „Ich habe ein gutes geschossen.“

„Vielen Dank.“ Es war schwer, sie gehen zu lassen, eigentlich brachte es mich fast um. Ich trat mit schwerem Herzen von ihr weg und wusste, dass ich sie nie wieder anfassen würde. Ich steckte das Handy in meine Tasche und nahm mir vor, mir das Bild ein andermal anzuschauen. Jetzt hatte ich etwas, das ich mir ansehen konnte –viele Jahre lang.

Marie sah traurig aus, nachdem das Bild gemacht worden war. Sie konnte ihre Freude nicht einmal für einen Moment erzwingen. Schuld und Schmerz standen ihr ins Gesicht geschrieben. Ich wollte sie an diesem besonderen Tag nicht verletzen, aber zumindest wusste ich, dass wir das Gleiche fühlten.

Ohne einander waren wir beide unglücklich.